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Der Sonntag war für den Abbé Mouret ein sehr beschäftigter Tag. Er hatte den Nachmittagsgottesdienst zu halten, meist vor leeren Stühlen, selbst die Brichet trieb die Frömmigkeit nicht so weit, am Nachmittag nochmals zur Kirche zu kommen. Um vier Uhr brachte dann Bruder Archangias die Lümmel seiner Schule, damit sie dem Herrn Pfarrer den Katechismus hersagten. Dies Hersagen dauerte oft sehr lange. Führten die Kinder sich zu unbotmäßig auf, rief man die Teusin, die ihnen mit ihrem Besen Furcht einjagen mußte.
An diesem Sonntag, gegen vier Uhr, befand Desiderata sich allein im Pfarrhof. Da sie sich langweilte, ging sie, um Grünzeug für ihre Kaninchen auf dem Friedhof zu suchen, wo wunderbarer Klatschmohn wuchs, den die Kaninchen ungemein liebten. Auf den Knien kroch sie zwischen den Gräbern umher, eine ganze Schürze fetter Kräuter brachte sie mit, auf die ihre Tiere sich gierig stürzten.
»Oh, der schöne Wegerich!« murmelte sie und kauerte sich vor dem Stein des Abbé Caffin nieder, froh ihrer Entdeckung.
Wirklich reckte hier aus den Steinspalten prächtiger Wegerich die breiten Blätter. Ihre Schürze war voll, da glaubte sie ein sonderbares Geräusch zu vernehmen. Ein Knacken von Zweigen, ein Losbröckeln kleinen Gesteins ließ sich vernehmen aus der Schlucht, die eine Seite des Kirchhofes der Länge nach durchschnitt, in deren Tiefen der Mascle floß, ein auf den Hügeln des Paradeis entspringender Fluß. Der Abhang war so steil und ungangbar. Desiderata dachte, es müsse irgendein verirrter Hund oder eine entlaufene Ziege sein. Voll Eifer lief sie hin. Als sie sich über den Rand vorbeugte, sah sie zu ihrer Verwunderung im Dornengestrüpp ein Mädchen, das sich die kleinsten Felsunebenheiten zunutze machte mit außerordentlicher Gewandtheit.
»Ich will Ihnen die Hand geben,« rief sie ihm zu, »man kann sich mit Leichtigkeit den Hals brechen.«
Das Mädchen sah sich entdeckt und machte eine angstvolle Bewegung, wie um wieder hinabzuklimmen. Doch hob sie den Kopf und erkühnte sich sogar, die ausgestreckte Hand zu ergreifen.
»Oh, jetzt erkenne ich Sie,« fuhr Desiderata entzückt fort und ließ ihre Schürze fallen, um es in schmeichlerischer Kindlichkeit zu umfangen. »Sie haben mir die Amseln geschenkt. Die süßen Kleinen sind gestorben. Es hat mir rechten Kummer gemacht ... Warten Sie, ich weiß Ihren Namen, ich hab' ihn gehört. Die Teusin nennt ihn oft, wenn Sergius nicht da ist. Sie hat mir streng verboten, ihn auszusprechen ... Warten Sie, gleich fällt er mir ein.«
Sie strengte ihr Gedächtnis an; das ließ sie ganz ernsthaft werden. Dann wurde sie wieder sehr lustig und wiederholte mehrfach den wohlklingenden Namen, nachdem er ihr wieder eingefallen war.
»Albine! Albine! ... Wie weich das klingt! Zuerst dachte ich, Sie seien eine Meise, weil ich einmal eine Meise besaß, die ich so ähnlich nannte; wie, weiß ich nicht mehr genau.«
Albine blieb ernst. Sie war ganz weiß, in ihren Augen brannte Fieber. Einige Bluttropfen rannen ihr über die Hände. Als sie etwas zu Atem gekommen war, sagte sie hastig:
»Nein, lassen Sie nur, wenn Sie mich abtupfen, bekommt ihr Taschentuch Flecke. Es hat nichts zu bedeuten,, ein paar kleine Hautrisse ... Ich wollte den Weg nicht benutzen, weil man mich gesehen hätte. So folgte ich lieber dem Lauf des Flusses. Ist Sergius da?«
Desiderata nahm keinen Anstoß an der vertraulichen Anrede und ihrer verhaltenen Leidenschaftlichkeit. Sie gab zur Antwort, dort in der Kirche sei er, bei der Katechismusunterweisung.
»Wir dürfen nicht laut sprechen,« fügte sie bei und legte den Finger an die Lippen. »Sergius hat mir verboten, laut zu sprechen, wenn er bei der Katechismusunterweisung ist. Sonst kommt man und schilt uns ... Im Stall wollen wir uns verstecken, haben Sie Lust? Da sind wir gut aufgehoben und können reden.«
»Ich möchte Sergius sehen,« sagte Albine einfach.
Das große Kind senkte die Stimme noch mehr. Sie warf vorsichtige Blicke nach der Kirche und flüsterte:
»Ja, o ja, wir werden Sergius schon fangen. Kommen Sie mit. Wir wollen uns verstecken und keinen Lärm machen. Oh, wie lustig ist das!«
Sie raffte einen Haufen Kräuter auf, die ihrer Schürze entfallen waren, verließ den Kirchhof und schlich sich auf den Pfarrhof zurück mit vieler Vorsicht, riet Albine, sich hinter ihr zu verstecken und ganz klein zu machen. Als sie beide laufend im Wirtschaftshof Zuflucht suchten, erblickten sie die Teusin, welche die Sakristei durchquerte; anscheinend hatte sie nichts von ihnen gesehen.
»Pst! Pst!« machte Desiderata entzückt, als sie sich im Hintergrund des Stalles verkrochen. »Jetzt kann uns niemand mehr aufstöbern. Hier liegt Stroh. Legen Sie sich doch hin.«
Albine mußte sich auf ein Heubündel niederlassen.
»Und Sergius?« fragte sie eigensinnig, beherrscht von ihrem Gedanken.
»Da, man kann seine Stimme hören ... Wenn er in die Hände schlägt, ist es aus, dann gehen die Kleinen nach Hause ... Hören Sie nur, er erzählt ihnen eine Geschichte.«
Die Stimme des Abbés Mouret drang gedämpft bis zu ihnen durch die Türe der Sakristei; sicherlich hatte die Teusin die Türe offen gelassen. Wie ein frommes Wehen drang dies Gemurmel zu ihnen, dreimal tönte der Name Jesu. Albine schauerte zusammen. Sie stand auf, um der geliebten, zärtlich-bekannten Stimme nachzugehen; da verging der Laut, von der zufallenden Türe erstickt. So setzte sie sich wieder; sie schien auf etwas zu warten, mit ineinandergepreßten Händen, ganz in Gedanken versunken, der in den Tiefen ihrer klaren Augen brannte. Desiderata, zu ihren Füßen gelagert, betrachtete sie in kindlicher Bewunderung.
»Oh, wie schön Sie sind!« flüsterte sie. »Sie gleichen dem Bild einer Frau, das in Sergius' Zimmer hing. Sie war ganz weiß wie Sie. Lange Locken hatte sie, die über ihren Hals wehten. Und sie zeigte auf ihr rotes Herz, da, an der Stelle, wo ich Ihres schlagen fühle ... Sie hören mir nicht zu, Sie sind betrübt. Wollen wir spielen? Wollen Sie?«
Aber sie unterbrach sich und rief mit gedämpfter Stimme:
»Die Luder! Sie werden uns verraten.«
Sie hatte die Schürze mit Grünzeug nicht fahren lassen, und ihre Tiere überfielen sie. Eine Schar Hühner war gackernd herbeigestürzt; sie riefen sich und pickten nach den baumelnden Halmen. Die Ziege schob listig ihren Kopf unter ihrem Arm durch und riß große Blätter ab. Selbst die an die Mauer angebundene Kuh streckte ihr Maul vor und geriet in Hitze.
»Ach, das Diebspack,« sagte Desiderat«. »Für die Kaninchen ist das! ... Wollt ihr mich wohl in Frieden lassen! Du wirst eine Tracht Prügel bekommen. Und du, wenn ich dich noch einmal erwische, wird dir der Schwanz gekappt ... Dieses Ungeziefer, die Hände würden sie mir abfressen.«
Sie ohrfeigte die Ziege, trieb die Hühner mit Fußtritten auseinander und schlug mit aller Kraft der Kuh auf das Maul. Aber die Tiere schüttelten sich nur und wurden noch gieriger, sprangen auf sie, fielen von allen Seiten über sie her und rissen ihr die Schürze fort. Unter Augenzwinkern flüsterte sie Albine ins Ohr, als ob die Tiere sie hätten verstehen können:
»Wie sie drollig sind, die Lieblinge! Warten Sie nur, jetzt können Sie sehen, wie sie futtern.«
Albine sah mit ernster Miene zu. »Hopp, seid brav,« begann Desiderata wieder. »Es ist genug für euch alle da. Aber einer nach dem anderen. Erst die große Liese. Du bist nett scharf auf Wegerich, was?«
Die große Liese war die Kuh. Langsam malmte sie eine Handvoll Grünzeug, das auf dem Grab des Abbé Caffin gewachsen war. Ein dünner Speichelfaden hing ihr aus dem Maul. In sanfter Gier blickten ihre großen braunen Augen.
»Jetzt du,« fuhr Desiderata fort, sich der Ziege zuwendend. »Oh, ich weiß, du willst Mohn. Und am liebsten magst du blühenden, nicht wahr? Mit Knospen, die beim Zubeißen knisternd aufspringen wie rotes Papier. Guck', ist er nicht schön? Er kommt aus der linken Ecke, wo letztes Jahr begraben wurde.«
Und beim Sprechen hielt sie der Ziege einen Strauß blutroter Blumen vor, die das Tier abfraß. Als sie nichts mehr in den Händen hielt als Stiele, steckte sie die ihr zwischen die Zähne. Hinter ihr hackten die wütenden Hühner sie in die Röcke. Sie warf ihnen wilde Zichorien und Löwenzahn hin, an den alten Steinplatten gepflückt, die sich die Kirchenmauer entlang zogen. Zumal um den Löwenzahn stritten sich die Hühner mit einer solchen Gier, einem solchen Geflatter und Gescharr, daß die anderen Tiere im Hof aufmerkten. Da gab es kein Halten mehr. Der große fahlrote Hahn erschien als erster. Er pickte einen Löwenzahnstengel auf, zerlegte ihn, ohne ihn anzutasten. Lockend rief er die außerhalb gebliebenen Hennen und schritt zurück, um sie zum Mahl aufzufordern. Ein weißes Huhn kam, ein schwarzes folgte, dann eine ganze Schar, die sich schoben, eine der andern auf den Schwanz traten und schließlich eindrangen wie ein Bächlein bunter Federn. Nach den Hühnern kamen die Tauben, Enten, Gänse, zuletzt die Truthühner. Desiderata lachte über diese lebensvolle Flut; sie sagte immer wieder:
»Allemal, wenn ich Kräuter vom Kirchhof bringe, ist das so. Für ihr Leben gern essen sie davon. Dies Gras muß einen wonnigen Geschmack haben!«
Sie wehrte sich, hielt die letzten Kräuterbüschel in die Höhe, um sie vor den genäschigen Schnäbeln zu retten, die sich ihr entgegenstreckten, wiederholte immer, für die Kaninchen müßte auch etwas übrigbleiben, sie würde gleich böse werden und ihnen nichts mehr als trockenes Brot verabfolgen, und begann doch schwach zu werden. Die Gänse zogen sie so heftig an den Schürzenenden, daß sie beinahe auf die Knie fiel. Die Enten bissen ihr in die Waden. Zwei Tauben setzten sich ihr auf den Kopf. Bis zu den Hüften stak sie in Hühnern. Ein wildes Getriebe war es von Tieren, die Fleisch rochen, fetten Wegerich, blutfarbenen Mohn, strotzenden Löwenzahn, in denen etwas von den Lebenssäften der Toten kreiste. Sie kam zu sehr ins Lachen, fühlte, daß sie nachgiebig wurde und bereit, die beiden letzten Bündel daranzugeben, als ein erschreckliches Grunzen alles umher in die Flucht trieb.
»Du bist es, mein Dickerchen,« sagte sie entzückt. »Friß sie, befreie mich.« Das Schwein kam herein; es war nicht mehr das kleine Schwein, rosa, wie frischgestrichenes Spielzeug, hinten versehen mit kleinem geringelten Kordelschwänzchen, sondern ein stämmiges Schwein, reif zum Schlachten, dickwanstig, mit rauhen, fetttriefenden Borsten auf dem Rückgrat. Sein Bauch quoll ihm bernsteingelb vom Liegen im Mist. Mit vorgestrecktem Rüssel kam es angetrollt und warf sich mitten zwischen die Tiere, was Desiderata ermöglichte, sich aus dem Staub zu machen und den Kaninchen den tapfer verteidigten Restbestand der Kräuter zu geben. Als sie zurückkam, herrschte Friede. Die Gänse bogen nachlässig die Hälse in freundlicher Beschränktheit; die Truthühner und Enten watschelten an der Mauer entlang mit dem vorsichtigen Gewackel schwachbeiniger Tiere; die Hennen gackerten leise und pickten vom harten Stallboden unsichtbare Körner, während Schwein, Ziege und die große Kuh schläfrig zwinkerten. Draußen fielen die ersten Tropfen eines Gewitterregens.
»Da hätten wir einen Guß,« sagte Desiderata, setzte sich nieder ins Stroh und schüttelte sich. »Ihr tätet gut daran, meine Lieben, hierzubleiben, wenn ihr euch nicht einweichen lassen wollt.«
Zu Albine gewandt, fügte sie bei:
»Wie blödsinnig sie jetzt aussehen! Sie wachen nur auf, wenn es etwas zu fressen gibt, diese Geschöpfe.«
Albine hatte sich still verhalten. Sie war noch tiefer erblaßt beim Gelächter dieses schönen Mädchens inmitten gefräßig sich reckender Hälse, geneigter Schnäbel, die sie kitzelten und liebkosten und von ihrem Fleisch fressen zu wollen schienen. So viel Fröhlichkeit, Gesundheit und Leben brachte sie zur Verzweiflung. Fiebrig preßte sie ihre Arme, preßte die Leere an sich in einem Gefühl öder Verlassenheit.
»Und Sergius?« fragte sie, immer gleich deutlich und eigensinnig.
»Pst,« machte Desiderata, »eben hab' ich ihn gehört, er ist noch nicht zu Ende. Wir haben nicht schlecht gelärmt vorhin, die Teusin scheint taub zu sein heute abend. Wir wollen uns jetzt ruhig verhalten; es ist angenehm, dem Rauschen des Regens zuzuhören.«
Es regnete herein durch die offen stehende Türe, große Tropfen sprangen auf der Schwelle. Zum Teil hatten sich die Hühner, nach anfänglichem Vorwitz, besorgt in den Hintergrund des Stalles zurückgezogen. Alles Getier suchte hier Schutz bei den jungen Mädchen, bis auf drei Enten, die ruhig im Regen spazierten. Es war, als ob die Kühle des draußen fließenden Wassers die heißen Dünste des Wirtschaftshofes ins Innere zurückdrängte. Im Heu war es sehr warm. Desiderata schleppte zwei große Bündel herbei und verwendete sie als Bettkissen, streckte sich der Länge nach. Sie fühlte sich behaglich, genoß mit dem ganzen Körper.
»So ist's schön,« murmelte sie, »machen Sie es sich doch auch bequem. Ich sinke ein, ich bin von allen Seiten gestützt, das Heu kitzelt mich angenehm im Nacken ... und wenn man sich bewegt, überlauft es einen so, als ob Mäuse unter den Kleidern sprängen.«
Sie reckte sich und lachte vor sich hin, schlug nach rechts und links, wie um die Mäuse zu verscheuchen. Dann lag sie da, mit dem Kopf tiefer als mit den Knien, und redete weiter:
»Wälzen Sie sich auch im Heu, wenn Sie zu Hause sind? Ich kann mir nichts Angenehmeres denken ... Manchmal kitzele ich mich an den Fußsohlen. Das ist auch sehr lustig ... Sagen Sie, kitzeln Sie sich auch?« Doch da sprang ihr, als er sie so liegen sah, der große rote Hahn auf die Brust.
»Mach', daß du fortkommst, Alexander!« schrie sie auf. »Ist das Biest albern! Ich kann mich nicht hinlegen, ohne daß er sich so aufpflanzt. Du drückst mich zu sehr, tust mir weh mit deinen Krallen, hörst du mich? ... Ich will dir erlauben, sitzenzubleiben, aber artig mußt du sein und nicht nach meinen Haaren picken!«
Sie kümmerte sich nicht um ihn. Der Hahn verhielt sich still; in ihr Mieder verkrallt, schien er manchmal, als sähe er ihr funkeläugig unters Kinn. Das übrige Viehzeug rückte auch näher. Nach einigem Gewälz war sie endlich mit gelösten Gliedern und zurückgeworfenem Kopf in wohliger Ohnmacht zurückgesunken. Sie redete weiter:
»Ach, zu schön ist das. Gleich schläfert es einen ein. Das Heu macht müde, nicht? ... Sergius hat das nicht gern. Sie vielleicht auch nicht. Was lieben Sie denn wohl. Erzählen Sie es mir, ich möchte es gerne wissen.«
Langsam dämmerte sie ein. Eine kleine Weile staunte sie mit weit offenen Augen, als sänne sie, was ihr wohl an Vergnügen abginge. Dann ließ sie die Lider zufallen, ruhig lächelnd wie in tiefster Befriedigung. Sie schien zu schlafen, nach einigen Minuten öffneten sich aber ihre Augen neuerlich, und sie bemerkte:
»Die Kuh wird kalben ... das ist auch schön. Das wird mir noch mehr Spaß machen als alles andere.«
Und sie sank in tiefen Schlaf. Das Getier hatte sie zu guter Letzt erklommen. Sie war eingedeckt in lebendige Federflut. Ihren Schenkeln schmiegte sich der Federflaum der Gänsehälse an. Zur Linken wärmte sie das Schwein, während rechts die Ziegen den bezotteten Kopf ihr bis unter die Achsel drängte. Allum hatten sich Tauben eingenistet, in ihren Handflächen, an der Hüftbiegung, den abfallenden Schultern. Und ganz rosig lag sie im Schlaf, umstrichen vom lauten Atmen der Kuh, beschwert vom Gewicht des großen kauernden Hahnes, der sich tiefer noch als auf die Brust hingeduckt hatte, mit schlagenden Flügeln und durchblutetem Kamm, und dessen roter Leib sie durch die Kleider mit liebkosenden Flammen sengte.
Der Regen draußen begann nachzulassen. Ein Streifen Sonnenschein stahl sich aus einer Wolke und vergoldete flüchtig stäubende Feuchte. Albine, die regungslos gesessen hatte, betrachtete Desiderata, dies schöne schlafende Mädchen, deren Fleisch befriedet wurde, wenn sie im Heu sich wälzte. Sie wünschte sich auch solche Ermattung und wohlige Entkräftung, dies Entschlafen in tiefem Behagen, um einiger Strohhälmchen willen, die ihr den Nacken kitzelten. Neidisch war sie auf diese starken Arme, diese feste Brust, all dies fleischliche Leben in der befruchtenden Wärme einer Tierherde; dieses ungetrübt tierhafte Aufblühen, das aus dem vollblütigen Kind die ruhige Schwester der großen weißroten Kuh werden ließ. Wie mochte es wohl sein, vom falbroten Hahn geliebt zu werden und selbst zu lieben, natürlich, wie Bäume wachsen, und ohne Scham alle Adern Samenstürzen zu erschließen. Die Erde war es, die Desiderata stillte, wenn sie sich mit dem Rücken ihr schmiegte.
Indessen hatte es ganz aufgehört zu regnen. Die drei Hauskatzen, hintereinander, schlüpften die Mauer entlang unter endlosen Vorsichtsmaßregeln, um sich nicht zu beschmutzen. Sie steckten die Nase in den Stall und begaben sich schnurstracks schnurrend zu der Schläferin und betteten sich an sie, mit den Pfoten nach etwas nackter Haut tastend. Murr, der große schwarze Kater, an ihre Wange geschmiegt, begann leise ihr Kinn zu lecken.
»Und Sergius?« murmelte Albine mechanisch.
Wo denn war das Hemmnis? Wer hinderte sie denn daran, sich auch beglückt Genüge zu tun, in aller Selbstverständlichkeit. Warum liebte sie nicht, warum wurde sie nicht frei wiedergeliebt, in der hellen Sonne, so wie die Bäume wachsen. Sie konnte es nicht einsehen und fühlte sich verlassen, unheilbar wund. Und ein zürnender Eigensinn schwelte in ihr, ein Verlangen, ihr Gut zurückzugewinnen, es zu verstecken, sich wieder daran zu ergötzen. Sie erhob sich. Die Türe der Sakristei mußte neuerlich geöffnet sein; ein leichtes Händeklatschen ließ sich vernehmen, gefolgt vom Geräusch einer Kinderschar, die mit Holzschuhen über Steinboden klappert: die Katechismusunterweisung war zu Ende. Leise verließ sie den Stall, in dem sie seit einer Stunde wartete im warmen Dunst des Viehhofes; als sie sich den Gang zur Sakristei entlangschlich, gewahrte sie den Rücken der Teusin, die in ihre Küche ging, ohne rechts und links zu sehen. Im sicheren Gefühl, nicht entdeckt worden zu sein, stieß sie die Türe auf, hielt sie mit der Hand fest, um Lärm zu vermeiden beim Zuschlagen. Sie fand sich in der Kirche.