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Der Abbé Mouret verbrachte seine Tage in der Pfarrei. Er mied lange Spaziergänge, wie er sie vor seiner Krankheit liebte. Das ausgebrannte Gelände des Artaud, die Hitzeglut dieses Tales, in dem nur verkrüppelte Weinstöcke gediehen, beunruhigte ihn. Zweimal machte er den Versuch, morgens auszugehen, um den Weg entlang sein Brevier zu lesen; aber er war nicht über das Dorf hinausgekommen und umgekehrt. Die Düfte, Sonnengluten, die Weite des Horizontes verwirrten ihn. Nur am Abend, in nächtlicher Kühle, wagte er sich heraus und machte ein paar Schritte vor der Kirche auf dem Weg, der sich bis zum Kirchhof hinzog. Von einem Drang nach unstillbarer Tätigkeit erfaßt, hatte er sich zur Aufgabe gemacht, nachmittags die zerbrochenen Fenster des Schiffes mit Papier auszukleben. Acht Tage hatte ihn dies auf eine Leiter gebannt, eifrig bemühte er sich, die Scheiben sauber einzusetzen, er schnitt künstlich und behutsam das Papier zurecht, suchte den Leim so zu verteilen, daß keine Unebenheiten sich bildeten. Die Teusin bewachte den Fuß der Leiter. Desiderata rief, nicht alle Fensterrahmen sollten zugeklebt werden, damit die Vögel noch ein und aus fliegen könnten; und um ihr keinen Kummer zu machen, unterließ es der Priester, zwei oder drei Scheiben an jedem Fenster zu verkleben. Nachdem er fertig war mit dieser Ausbesserung, war ihm der Ehrgeiz gekommen, die Kirche zu verschönern, ohne die Hilfe von Maurer, Schreiner und Anstreicher. Alles wollte er selbst tun. Diese körperliche Arbeit, sagte er, mache ihm Freude und kräftige ihn. Onkel Pascal stimmte ihm zu, jedesmal, wenn er in der Pfarre vorsprach, versicherte ihm, diese Anstrengung sei Mehr wert als alle Schlafmittel der Welt. So sah man von jetzt ab den Abbé Mouret die Mauerrisse mit Gips zuwerfen, die Altäre zusammennageln mit hallenden Hammerschlägen, Farben anrühren, um Kanzel und Beichtstühle zu überstreichen. Es war ein Ereignis. Zwei Meilen in der Runde sprach man von nichts anderem. Bauersleute kamen und sahen mit den Händen auf dem Rücken der Arbeit des Herrn Pfarrers zu. Eine blaue Schürze umgebunden, mit aufgeriebenen Handgelenken, vertiefte er sich in sein grobes Handwerk und fand darin einen Vorwand, nicht mehr auszugehen. Unter Gips und Schuttgebröckel verbrachte er seine Tage, ruhig und fast heiter konnte er das Draußen vergessen, Bäume, Sonne und lauen Wind, die ihn verstörten.
»Der Herr Pfarrer kann machen, was er will, solange es der Gemeinde nichts kostet,« sprach Vater Bambousse grinsend, wenn er allabendlich hereinkam, um nachzusehen, wie weit die Arbeit gediehen sei.
Der Abbé Mouret verbrauchte dieserart seine Seminarersparnisse. Übrigens handelte es sich um Verschönerungen, deren kindliches Ungeschick zum Lachen war. Die Maurerarbeiten schreckten den Abbé bald ab. Er begnügte sich damit, in Manneshöhe das Kircheninnere neu zu weißen. Die Teusin rührte den Kalk an. Als sie davon sprach, man müsse auch das Pfarrhaus ausbessern, vor dessen Einsturz ihre Köpfe nicht sicher wären, wie sie sagte, erklärte er ihr, er brächte das nicht fertig, ein Arbeiter müsse das machen; dies führte zu einem schrecklichen Zwist zwischen ihnen. Sie rief, es sei unvernünftig, eine Kirche so herauszuputzen, in der niemand schlafen müsse, wenn nebenan Räumlichkeiten lägen, in denen man sie sicherlich einen dieser Tage erschlagen von der eingestürzten Decke vorfinden würde.
»Es wird so weit kommen,« grollte sie, »daß ich mein Bett hier hinter dem Altar aufschlagen muß. Ich fürchte mich zu sehr in der Nacht.«
Als der Gips ausging, erwähnte sie das Pfarrhaus nicht mehr. Dann sah sie entzückt zu, wie der Herr Pfarrer malte. Dies bildete die Hauptanziehung des ganzen Treibens. Der Abbé gefiel sich darin, mit einem großen Pinsel das ganze Holzwerk in schönes Gelb zu tauchen, kleine Holzstücklein waren überall ersetzt. Friedlich ließ er sich vom Hin und Her der Pinselstriche einschläfernd wiegen, für Stunden vergingen ihm so die Gedanken beim Einerlei der glänzenden Farbenstreifen. Als alles gelb war, Beichtstuhl, Kanzel, Galerie, sogar das Uhrgehäuse, versuchte er Marmorgeäder nachzuahmen, um dem Hauptaltar neues Ansehen zu verleihen. Mit wachsendem Mut bemalte er ihn vollkommen. Prächtig war der Hochaltar in Weiß, Gelb und Blau. Leute, die seit fünfzig Jahren keiner Messe beigewohnt hatten, kamen in Scharen, um ihn zu betrachten.
Die Farben waren jetzt getrocknet. Nur die Felder mußte der Abbé Mouret noch dünn mit Braun einfassen. An diese Arbeit machte er sich am Nachmittag, um abends mit allem fertig zu sein, der folgende Tag war ein hoher Feiertag, wie er es zur Teusin bemerkt hatte. Diese wartete darauf, dem Altar sein Staatskleid umzutun; Leuchter und Silberkreuz waren schon auf dem Nebentisch bereit, die Porzellanvasen mit künstlichen Rosen und die beste Spitzendecke. Die Einfassung aber erwies sich als schwierige Arbeit, bis zum Abend gab sie zu tun. Beim letzten Tagesschein beendete er die Umrandung.
»Es wird viel zu schön,« sagte eine rauhe Stimme aus dem grauen Dämmerschleier, der die Kirche einzuhüllen begann.
Die Teusin schrak zusammen, sie hatte sich hingekniet, um leichter den Weg des Pinsels am Lineal entlang verfolgen zu können.
»Ach, Sie sind es, Bruder Archangias,« sagte sie, den Kopf wendend; »Sie sind wohl durch die Sakristei hereingekommen?... Das Blut ist mir in den Adern geronnen. Ich dachte, die Stimme käme aus dem Boden.«
Nachdem der Abbé Mouret den Bruder durch leichtes Kopfneigen gegrüßt hatte, arbeitete er weiter. Der Bruder blieb stehen, sagte nichts und verschränkte die großen Hände über der Sutane. Dann wiederholte er, nachdem er die Achseln gezuckt hatte über die Vorsicht, mit der der Priester die Linien gerade zog:
»Es wird viel zu schön.«
Die in Bewunderung versunkene Teuse fuhr ein zweites Mal zusammen.
»Du meine Güte, ich hatte schon ganz vergessen, daß Sie da sind! Sie könnten wenigstens husten vor dem Reden. Eine Stimme haben Sie, die unvermittelt anfängt, wie wenn Tote reden.«
Sie trat bewundernd zurück.
»Wieso viel zu schön?« fragte sie. »Nichts ist zu schön, wenn es sich um den lieben Gott handelt... Gehen Sie – hätte der Herr Pfarrer Gold gehabt, Gold hätte er genommen!«
Da der Priester fertig war, beeilte sie sich, das Tuch zu wechseln, sie bemühte sich, dabei die Einfassung nicht zu verwischen. Dann ordnete sie symmetrisch Kreuz, Leuchter und Vasen. Der Abbé Mouret hatte sich neben Bruder Archangias an die Holzrampe gelehnt, die Chor und Schiff trennte. Sie wechselten kein Wort. Sahen nach dem Silberkreuz, das inmitten der sich vertiefenden Dämmerung noch hell aufleuchtete, an Füßen, der linken Flanke und rechten Schläfe des Gekreuzigten. Als die Teusin fertig war, kam sie triumphierend an:
»Hübsch, nicht wahr? Staunen werden Sie darüber, wie viele Menschen morgen zur Messe kommen werden! Diese Heidenbrut kommt nur zu einem reichen Gott... Jetzt, Herr Pfarrer, müssen Sie auch den Altar der Jungfrau genau so schön machen.«
»Verlorene Mühe,« murrte Bruder Archangias.
Die Teusin ereiferte sich. Und als der Abbé Mouret stumm blieb, stieß sie die beiden, zerrte sie an den Sutanen vor den Altar der Jungfrau.
»Sehen Sie doch! Ein zu großer Unterschied ist das, jetzt, wo der Hochaltar so gut imstande ist. Man sieht überhaupt nichts mehr von Malerei: wenn ich zehnmal dran herumreibe des Morgens, der Staub klebt am Holz. Schwarz und garstig sieht es aus. Sie können sich doch denken, was man sagen wird? Sagen wird man, Sie machen sich nichts aus der heiligen Jungfrau, ganz einfach.«
»Und wenn schon,« sagte Bruder Archangias.
Der Teusin verschlug es den Atem.
»Und wenn...« flüsterte sie, »das wäre doch beim Himmel eine Sünde!... Der Altar sieht aus wie eins der verwahrlosten Gräber auf dem Kirchhof. Wenn ich nicht sorgte, hingen die Spinnen ihre Netze dort auf und Moos wüchse. Von Zeit zu Zeit, wenn ich einen Strauß auf die Seite bringen kann, bringe ich ihn der Jungfrau... Früher gehörten ihr alle Blumen.«
Sie war die Stufe zum Altar hinaufgestiegen und hatte zwei vertrocknete Sträuße ergriffen, die vergessen herumlagen.
»Sehen Sie wohl, wie auf einem Kirchhof,« wiederholte sie und warf sie dem Abbé Mouret vor die Füße.
Dieser nahm sie wortlos auf. Es war völlig Nacht geworden. Bruder Archangias stolperte über Stühle und fiel fast hin. Er fluchte und stieß Sätze durch die Zähne, in denen die Namen Jesu und Mariens vorkamen. Als die Teusin mit einer Lampe in die Kirche zurückkam, fragte: sie den Priester einfach:
»Dann kann ich also Farbtöpfe und Pinsel auf den Speicher bringen?«
»Ja,« erwiderte er, »für jetzt bin ich fertig, später können wir uns mit dem übrigen befassen.«
Sie ging voraus und nahm alles mit, schwieg aus Angst, zuviel zu sagen. Und da der Abbé Mouret die beiden vertrockneten Sträuße in der Hand behalten hatte, schrie ihn Bruder Archangias an, als sie am Hof vorüberkamen:
»Weg damit!«
Der Abbé ging gesenkten Hauptes noch einige Schritte weiter; dann schleuderte er die Blumen über das Gatter auf den Misthaufen.