Emil Zola
Die Sünde des Abbé Mouret
Emil Zola

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2

Barhäuptig und in der Sutane war der Abbé Mouret zurückgekommen und kniete nieder vor dem Altar. Im lichten Grau, das durch die Fenster sickerte, leuchtete die Tonsur in seinen Haaren bleichbreit auf, und das leise Frösteln, das ihm über den Nacken lief, schien von der Kühle herzurühren, die er dort empfand. Er betete inbrünstig mit gefalteten Händen, so verloren in seine Anrufungen, daß er nicht einmal die schweren Schritte der Teusin hörte, die sich in seiner Nähe herumdrückte, aber nicht wagte, ihn zu stören. Weh tat es ihr, ihn so niedergebrochen zu sehen. Einen Augenblick schien ihr, als weine er. Da schob sie sich hinter den Altar, um ihn zu beobachten. Seit seiner Rückkehr mochte sie ihn nicht mehr allein lassen in der Kirche, nachdem sie ihn eines Abends ohnmächtig an der Erde aufgefunden hatte mit verbissenen Zähnen und eisigen Wangen, wie tot.

»Kommen Sie, Fräulein,« sagte sie zu Desiderata, die ihren Kopf zur Sakristeitüre hereinsteckte. »Da ist er nun wieder und tut sich Schaden... Sie wissen ja, er hört nur auf Sie.«

Desiderata lächelte.

»Sapperlot, wir müssen frühstücken,« murmelte sie. »Ich habe entsetzlichen Hunger.«

Auf den Fußspitzen ging sie auf den Priester zu. Als sie ganz nahe war, nahm sie ihn um den Hals und küßte ihn.

»Guten Tag, Bruder,« sagte sie, »du willst mich wohl verhungern lassen heute?«

Er hob ein so leidensvolles Antlitz zu ihr, daß sie ihn nochmals küßte auf beide Wangen; aus Todeskämpfen kam er. Dann erkannte er sie und wehrte sie sanft ab; aber sie bemächtigte sich einer seiner Hände und gab sie nicht frei. Kaum, daß sie ihm Zeit ließ, sich zu bekreuzigen. Sie zog ihn mit sich fort.

»Ich hab' doch solchen Hunger, komm. Auch du mußt hungrig sein.«

Die Teusin hatte das Frühstück am hinteren Ende des kleinen Gartens gedeckt, unter zwei großen Maulbeerbäumen, deren ausgebreitete Zweige ein Blätterdach bildeten. Die Sonne durchbrach endlich die morgendlichen Gewitterschwaden, schien warm über die Gemüsebeete. Ein Maulbeerbaum warf breiten Schatten über den wackeligen Tisch, auf dem zwei Tassen Milch standen, neben dickbestrichenen Brotschnitten.

»Siehst du, wie hübsch,« sagte Desiderata, begeistert über die Freiluftmahlzeit. Sie schnitt sich schon gehörige Tunkstreifchen vom Brot herunter und verzehrte sie mit bestem Appetit. Da die Teusin vor ihnen stehenblieb:

»Ißt du denn nichts?« fragte sie.

»Gleich,« antwortete die alte Dienerin, »meine Suppe kocht.«

Nach einer kleinen Pause, während sie voller Bewunderung den Kauleistungen des großen Kindes zusah, begann sie wiederum, zum Priester gewandt:

»So was freut einen... Macht Ihnen das nicht Hunger, Herr Pfarrer? Sie müssen sich zwingen.«

Der Abbé Mouret betrachtete lächelnd seine Schwester.

»Oh, es geht ihr gut, alle Tage nimmt sie zu,« sagte er.

»Natürlich, weil ich esse,« rief Desiderata aus. »Wenn du äßest, würdest du auch dick werden. Bist du denn noch krank? Ganz betrübt siehst du aus... Ich will nicht, daß das wieder losgeht... Hörst du? Ich habe mich zu sehr nach dir gebangt, als man dich fortgebracht hatte, um dich gesund zu machen.«

»Recht hat sie,« sagte die Teusin. »Sie sind nicht bei Trost, Herr Pfarrer; von zwei oder drei Brocken am Tag, so einem Vogelfutter, kann man nicht leben. Wovon wollen Sie denn Blut bekommen, lieber Gott! Deshalb werden Sie immer blasser. Schämen Sie sich denn nicht, immer nagelmager zu bleiben, während wir so tüchtig Fett ansetzen, wir, die wir doch nur Frauen sind! Man wird glauben, wir äßen Ihnen alles auf!«

Beide in draller Gesundheit, zankten ihn freundschaftlich aus. Seine Augen blickten groß, sehr hell, und wie Leere war es hinter ihnen. Er lächelte unentwegt.

»Ich fühle mich nicht unwohl,« sagte er als Antwort. »Ich bin fast fertig mit meiner Milch.«

Er hatte zwei kleine Schluck zu sich genommen, ohne das Brot anzurühren.

»Tieren geht es besser als Menschen,« sagte Desiderata nachdenklich.

»Na, das ist ja nett, was Sie da entdeckt haben,« schrie die Teusin lachend auf.

Aber die zwanzigjährige Einfalt hatte an nichts Böses gedacht.

»Doch, wirklich,« fuhr sie fort, »Hühner haben doch nie Kopfschmerzen, nicht wahr? Die Kaninchen lassen sich misten nach Herzenslust. Und mein Schwein, findest du etwa, daß es je traurig aussieht?«

Dann, beseligt, zu ihrem Bruder:

»Matthias hab' ich es genannt, weil es dem dicken Mann ähnlich sieht, der uns die Briefe bringt. Es ist hübsch fett geworden... Es ist nicht nett von dir, daß du dich immer weigerst, es zu betrachten. Einen von diesen Tagen darf ich es dir vorführen, nicht?«

Während sie ihn noch umschmeichelte, griff sie nach den Brotschnitten ihres Bruders. Mit einer war sie fertig, die zweite kam an die Reihe, da merkte die Teusin, was vor sich ging.

»Dies Brot gehört nicht Ihnen! Jetzt nehmen Sie ihm sogar die Bissen aus dem Mund!«

»Lassen Sie's gut sein,« sagte sanft der Abbé Mouret, »ich hätte es nicht berührt... iß, iß nur alles auf, mein Liebling.«

Desiderata hatte einen Augenblick verwirrt innegehalten und das Brot betrachtet, sie nahm sich zusammen, um nicht zu weinen. Dann lachte sie, aß die Schnitte fertig und redete weiter:

»Auch meine Kuh ist nicht betrübt wie du... du warst nicht hier, als Onkel Pascal sie mir schenkte und mir das Versprechen abnahm, artig zu sein. Sonst hättest du gesehen, wie sie sich freute, als ich sie zum erstenmal küßte.«

Sie lauschte. Ein Hahnenschrei erklang auf dem Hof, immer anwachsender Spektakel, Flügelschlagen, Gezeter, rauhes Geschrei, Panik erbosten Getiers.

»Ach, denk dir nur,« fing sie plötzlich wieder an und klatschte in die Hände. »Trächtig muß sie sein... Ich habe sie zum Stier gebracht, drei Meilen weit, nach Béage. Stiere gibt es eben nicht überall!... Wie sie bei ihm war, blieb ich, um zuzusehen.«

Die Teusin sah achselzuckend und geärgert den Priester an.

»Sie täten besser, Fräulein, Frieden zu stiften bei Ihren Hühnern ... Sie bringen einander um.«

Aber Desiderata blieb bei ihrer Geschichte.

»Er ist auf sie gestiegen und hat sie zwischen die Hufe genommen... Es war zum Lachen. Obgleich es da gar nichts zum Lachen gibt, es ist doch in der Ordnung. Die Mütter müssen Kleine bekommen, nicht wahr?... Sag doch? Glaubst du, daß sie ein Junges bekommen wird?«

Der Abbé Mouret machte eine unbestimmte Bewegung. Seine Lider hatten sich gesenkt vor dem klaren Blick des jungen Mädchens.

»So laufen Sie doch,« rief die Teusin, »sie fressen sich auf.«

Der Zank im Hof wurde so heftig, daß Desiderata mit viel Röckerauschen davonlief, der Priester rief sie zurück.

»Und die Milch, liebe Kleine, du hast die Milch nicht ausgetrunken.«

Er hielt ihr die Tasse hin, die er kaum berührt hatte. Sie kam zurück, trank ohne alle Bedenken die Milch, den Zornblicken der Teuse zum Trotz. Dann raffte sie sich aufs neue auf, lief zum Hof; man hörte sie Ruhe stiften. Sie schien sich mitten unter ihre Tiere gesetzt zu haben; leise sang sie vor sich hin, wie, um sie einzuschläfern.


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