Emil Zola
Die Sünde des Abbé Mouret
Emil Zola

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7

Albine und Sergius betraten den Blumengarten. Sie fürchtete, er könne sich überanstrengen und betrachtete ihn voll Sorge. Mit einem leisen Auflachen beruhigte er sie. Stark genug fühlte er sich, sie zu tragen, wohin auch immer ihr der Sinn stünde. Als er sich wieder in der vollen Sonne fand, seufzte er glücklich auf. Endlich lebte er wieder und war nicht mehr wie eine Blume, von Winterkrämpfen geschüttelt. Und welche rührende Dankbarkeit! Er hätte Albines kleinen Füßen die ermüdenden Wege ersparen mögen und wünschte, sie in seinen Armen zu tragen, wie ein Kind, das die Mutter einlullt.

Eifersüchtig hütete er sie schon jetzt, räumte Steine und Dornen aus dem Weg und wachte darüber, daß der Wind dem geliebten Haar nicht Liebkosungen raube, die nur ihm allein gehörten. Sie hatte sich an seine Schulter geschmiegt, gab sich ruhevoll in seine Hut.

So wanderten Albine und Sergius zum erstenmal in die Sonne. Wohlgeruch folgte dem Paar, lebensvoll lag der Weg, die Sonne entrollte unter ihren Füßen einen goldenen Teppich. Zwischen den großen blühenden Sträuchern schritt das Paar dahin, wie ein Wunder, und so begehrenswert, daß von Ferne ihnen die Alleen zujauchzten und sie mit bewunderndem Raunen grüßten, wie eine Menge den lang erwarteten König begrüßt. Nur wie ein einziges, gebietend schönes Wesen waren sie. Die weiße Haut Albines war nur das Helle von Sergius' brauner Haut. Langsam gingen sie dahin, sonnenumkleidet: sie waren selbst Sonne, und die Blumen neigten sich und beteten sie an.

Tiefe Erregung bemächtigte sich des Blumengartens, ehrwürdig gab er ihnen das Geleit. Jahrhundertelang grünte das weite Feld in Verlassenheit, paradiesischer Winkel, dem der Wind die seltensten Blumen säte. Der glückliche Frieden des sonnenentschlummerten Paradeis ließ die Entkräftung der Pflanzenarten nicht zu. Gleichmäßige Witterung herrschte dort, und das Erdreich war lange genug von jeder Pflanze durchdüngt, um in schweigender Kraft ihr gedeihlich zu sein. Unermeßlich war das Wachstum, prächtig, machtvoll, ungebändigt, reich an Zufälligkeiten, die Ungeheuerliches zur Blüte brachten, fern von Spaten und Gießkanne des Gärtners. Die Natur, sich selbst überlassen, konnte in aller Zuchtlosigkeit sich ungehemmt auswachsen in diesen einsam geschützten Gründen, wallte in jedem Frühling heftiger auf, gab sich den unerhörtesten Belustigungen hin, erfreute sich zu allen Jahreszeiten mit den seltsamsten, von keiner Hand je berührten Sträußen. Und es war, als wüte sie gegen alles von Menschenhand Geschaffene: in Empörung schleuderte sie ein buntes Durcheinander von Blumen mitten in die Alleen, Klettermoose griffen die Muschelgrotten an, sie umknotete den Hals der Marmorstandbilder und riß sie um mit Hilfe der Kordelbiegsamkeit ihrer Schlinggewächse; sie zersprengte das Gestein der Wasserbecken, der Treppen und Terrassen durch aufwucherndes Gesträuch; sie ruhte nicht, bis sie die kleinsten gepflegten Verstecke erschlichen hatte, bildete sie nach ihrer Weise um und pflanzte als Standarte der Empörung am Weg aufgerafftes Samenkorn, irgendein bescheidenes Grün, das sie riesenhaft aufschießen ließ. Einstmals hatte der Blumengarten, für einen Herrn bestellt, der die Blumen leidenschaftlich liebte, auserlesene Wunder an Blumenbeeten und gewählten Einfassungen aufzuweisen. Heute traf man die gleichen Gewächse an, aber verpflanzt und in so zahllose Familien erweitert, so versprengt nach allen Seiten des Parkes, daß dieser nur noch eine Wirrnis war, schulentlaufen verdächtiges Gedränge, die trunkene Natur schluchzte auf in Eisenkraut und Nelken.

Albine führte Sergius, wenngleich sie so tat, als schmiege sie sich schwach und hingebungsvoll an seine Schulter.

Zuerst führte sie ihn nach der Grotte. In der Tiefe einer Gruppe von Pappeln und Weiden fand sich eine verfallene Muschelgrotte, Felsstücke waren in ein flachrundes Brunnenbecken gestürzt, Wasserrinnsale zogen sich über die Steine. Die Grotte verschwand im Blätteransturm. Unten schienen Reihen von Stockrosen den Eingang mit einem Gitter roter, weißer, violetter und gelber Blumen zu versperren, deren Stämme in riesigen, bronzegrünen Nesseln versanken, die ruhevoll brennende Gifte schwitzten. Dann gab es ein ungeheueres Aufschnellen, ein Emporklimmen in wenigen Sätzen, süßbesternte Jasminblumen; Glyzinen mit spitzenhaft zarten Blättern; dichten Efeu, wie aus lackiertem Eisenblech gestanzt, biegsame Geißblattranken mit blassen Korallenhalmen überschüttet, verliebte Waldreben, zierlich weiß bebüschelte, die ihre Arme breiteten. Und noch andere, zartere Pflanzen, die sich diesen schmiegten und sie fester banden, sie verstrickten in duftende Netze.

Nacktgrüne Kapuzinerblüten sperrten rotgoldene Rachen auf. Fadendicke spanische Bohnen ließen hier und dort ihr brennendes Feuer aufglimmen. Winden entfalteten die herzgeschnittenen Blätter, läuteten mit tausend Glöckchen ein stillentzücktes Farbenlied. Wicken, wie ruhende Schmetterlingsflügel, bogen die fahlroten, die rosa Schwingen, bereit, sich vom ersten Windeswehen forttragen zu lassen. Maßlos dichtes, grünes Fließ, von Blumen überregnet, das nach allen Seiten auszüngelte, sich sträubte in wilder Wirrnis; man konnte annehmen, irgendeine Riesin sei weithin niedergebrochen und habe von Leidenschaft durchkrampft den Kopf zurückgebogen, in einem Mähnengeriesel, das nach allen Seiten sich ausbreitete, wie duftender See.

»Niemals habe ich mich in diese Schwärze gewagt,« flüsterte Albine Sergius ins Ohr.

Er machte ihr Mut und trug sie durch die Brennesseln; und da ein Felsstück die Schwelle der Grotte versperrte, hielt er sie einen Augenblick aufrecht in den Armen, damit sie durch die Öffnung zu spähen vermöchte, die einige Fuß über dem Erdboden sich auftat.

Sie flüsterte: »Da ist eine Marmorfrau, die der Länge nach in das fließende Wasser gestürzt ist. Das Gesicht ist im Wasser vergangen.«

Er wollte sich das auch ansehen und hob sich mit aufgestemmten Händen. Ein kalter Luftzug streifte seine Wange. Zwischen Binsen und Wasserlinsen, im Tagesstrahl, der durch die Öffnung fiel, lag die Marmorfrau auf dem Rücken, bis zum Gürtel entblößt, ein Faltengewinde deckte ihre Schenkel.

Eine hundertjährig Ertrunkene, langsamer Selbstmord eines Marmorbildes, das leidvoll in diese Quellentiefe versunken war. Die klar sie überrieselnde Welle hatte ihr Antlitz ausgeglättet zu gesichtlos bleichem Stein, während ihre beiden Brüste, wie durch eine Nackenbewegung aus dem Wasser gedrängt, unversehrt waren und lebendig geschwellt schienen von vergangener Lust.

»Sie ist gar nicht tot,« sagte Sergius und ließ sich herunter, »irgendwann müssen wir hierherkommen und sie aus dem Wasser ziehen.«

Albine aber überschauerte es und sie zog ihn fort. Sie fanden zurück in die Sonne, zu den kecken Beeten und Blumenkörben, wanderten aufs Geratewohl über eine weglose Blumenwiese. Als Teppich breiteten sich ihren Füßen reizende Pflanzen, jene Zwergpflanzen, die vormals die Alleen säumten und jetzt unübersehbar sich breiteten. Manchmal sanken sie tief ein in die fleckigen Seiden rosiger Silanien, den buntgeflammten Atlas der Ziernelken, den blauen Vergißmeinnicht-Sammet mit der Unzahl trauriger Augen.

Weiterhin durchschritten sie riesenhafte Reseden, die ihnen bis zu den Knien stiegen, wie ein duftendes Bad; durch Überkreuzen eines Schneeglöckchenfeldes schnitten sie ein Stück Weges ab, um benachbarte Veilchenfelder zu schonen, die so sanftmütig lagen, daß sie der Gedanke, auch nur den kleinsten Büschel zu zertreten, erzittern ließ, als sie aber von allen Seiten eingeschlossen waren und nur noch Veilchen um sich sahen, waren sie gezwungen, auf leisen Sohlen diese Balsamsüße zu überschreiten, wie vom Frühling selbst angeatmet. Nach den Veilchen erstreckten sich grünwollige Lobelien, etwas grob und von lichtem Lila überfleckt. Die hell und dunkler geschatteten Sterne der Selaginoïden, die blauen Kelche der Nemophilien, das Gelbkreuz der Saponarien, die rosa weißen Kreuze der Violen von Mahon stickten reiche Musterung, breiteten unübersehbar aus vor dem Paar den Glanz königlich prächtiger Stoffe; damit der Weg mühelos vollbracht würde in der Freude gemeinsam erster Wanderung. Und immer wieder standen Veilchen, ein Meer von Veilchen erstreckte sich, überspülte ihre Füße mit duftender Köstlichkeit, geleitete sie mit dem Hauch ihrer blattverborgenen Blüten.

Albine und Sergius verirrten sich, unzählige höher gewachsene Pflanzen schlossen sich zu Hecken, bildeten schmale Pfade, denen sie vergnüglich nachgingen. Die Wege wirrten sich und schlugen große Bogen, verloren sich in undurchdringbarem Unterholz: himmelblau bequastetes Ageratum, zart moschusduftender Waldmeister, kupferbrüstiger, zinnoberrot gepunkteter Mimulus, scharlachrote und violette Flammenblumen, die Blumenkunkeln streckten, von Winden gesponnen; roter Flachs in haarfeinen Halmen; vollmondgleiche Chrysanthemen, die kurzverlöschende Strahlen zückten, weißliche, blaßlila, rosige. Das Paar bahnte sich einen Weg durch die Hemmnisse und setzte seine glückselige Wanderung zwischen zwei grünen Hecken fort. Zur Rechten hob sich leichte Eschenwurz, makellose Centranten schneiten nieder und graue Hundszungen, die in jeder ihrer winzigen Blumenkuppeln einen Tautropfen bargen. Zur Linken stand eine lange Reihe Aglei, alle Arten von Aglei, weiße, hellrote, dunkelviolette, diese fast schwarz von düsterer Traurigkeit. Von Gruppen hoher Stengel hingen die gefälteten und gepreßten Blumenblätter wie Kreppschleier. Und immer wandelten sich die Hecken, je weiter sie vordrangen. In Reihen standen die umblühten Stecken hohen Rittersporns, von Blattwerk umkräuselt, ließen die geöffneten Rachen fahlroten Löwenzahns durchblicken, reckten sich spitzige Schizantusblätter, reich an flügelnden Blumen mit schwefligen, lackrot gefärbten Schwingen. Glockenblumen zogen am Weg entlang, stürmisch ihre blauen Glocken schaukelnd, sogar hohen Affodill gab es, dessen Goldgestiel ihm als Glockenturm diente. Eine riesige Fenchelstaude im Winkel glich feiner Spitzendame, deren Sonnenschirm aus wassergrünem Atlas sich stülpte. Dann plötzlich fand sich das Paar in einer Sackgasse, kein Vorwärtskommen war mehr möglich durch die Blumenmassen, die den Weg verstellten, ein solches Aufquellen von Pflanzen war es, daß sich eine sieghaft überbuschte Hürde bildete. In der Tiefe verschlang Akanthus sich zu einem Sockelaufbau, aus dem scharlachfarbenes Benediktenkraut aufstrebte, Rhodanthum mit trockenen Blättern wie buntbrüchiges Papier, Klärkien mit den großen, zierlich durchbrochenen weißen Kreuzen, die sich wie das Kreuz eines barbarischen Ordens ausnahmen. Höher hinauf entfalteten sich rosa Viskarien, gelbes Leptosiphon, weiße Colinsia, und der Lagurus mengte in dies lebhafte Farbenspiel seine aschengrünen Bälle. Noch weiter oben erhoben roter Fingerhut, blaue Wolfsbohnen ihre zarten Säulengänge, wurden zu schwebender byzantinischer Rotunde, grell überfärbt von Purpur und Azur, während zu alleroberst ein mächtiger Wunderbaum mit vollblütigen Blättern zu dunkelkupfrigem Dom sich wölbte.

Und als Sergius mit vorgestreckten Händen weiterging und sich einen Weg bahnen wollte, flehte Albine ihn an, den Blumen kein Leid anzutun.

»Du würdest die Äste abbrechen, die Blätter zerdrücken,« sagte sie. »Seitdem ich hier lebe, gebe ich mir Mühe, niemand zu Leide zu sein. Komm mit, ich will dir die Stiefmütterchen zeigen.«

Sie zwang ihn umzukehren und führte ihn aus der Wegenge in die Mitte des Blumengartens, wo sich früher die großen Wasserkünste befunden hatten. Die ausgefüllten Wasserbecken waren jetzt nur noch große Blumenschalen mit zerschütterten, zerborstenen Marmorrändern. Eines der größten hatte der Wind in einen wundersamen Stiefmütterchenkorb verwandelt. Lebensvoll schimmerten die samtenen Blumen, violett gescheitelt, gelbäugig, mit blassen Lippen und blaßfarbenem Kinn.

»Als ich kleiner war, fürchtete ich mich vor ihnen. Betrachte sie nur recht. Könnte man nicht meinen, tausend winzige Gesichter sehen vom Boden auf? . .. Und sie wenden ihre Gesichter alle nach einer Richtung. Wie eingegrabene Puppen sind sie, die den Kopf aus der Erde strecken.«

Wieder zog sie ihn weiter. Sie gingen von einem Beet zum anderen. In der benachbarten Schale blühte Tausendschön mit ungeheuerlich gesträubten Kämmen, die Albine nicht anzufassen wagte, weil sie ihr vorkamen wie riesenhafte blutige Raupen. Strohgelbe Balsaminen, pfirsichfarbene, flachsgraue, verwaschen rosige füllten eine andere Schale, der ihre Samenkörner federnd entsprangen mit einem trockenen kleinen Geräusch. Etwas weiter gab es zwischen den Trümmern eines Springbrunnens eine Unmasse prachtvoller Nelken; weiße Nelken entquollen der moosbedeckten Muschel; buntgeflammte Nelken ließen aus Steinritzen die Vielfarbigkeit ihrer ausgerüschten Musselinzacken aufwachsen, während dem Löwenrachen, der früher Wasser spie, große rote Nelken entblühten in so kraftvollen Strahlen, daß der verstümmelte alte Löwe jetzt Blutgerinsel von sich zu geben schien. Und nebenan das Hauptgewässer, der frühere Schwanensee, hatte sich in einen Fliederwald verwandelt, in dessen Schatten Klee, Eisenkraut, dreifarbige Winden ihre zarte Haut schützten, halbschlafend in duftender Feuchte.

»Und wir haben noch nicht einmal die Hälfte des Blumengartens durchschritten,« sagte Albine stolz. »Dort drüben wachsen große Feldblumen, in denen ich vollkommen verschwinde wie ein Rebhuhn im Kornfeld.«

Sie gingen hin, stiegen eine breite Treppe herunter, aus deren gestürzten Urnen violette Irisflammen hoch aufschlugen. An den Stufen entlang ergoß sich ein Levkoiengeriesel wie flüssiger Goldstrom. Disteln stellten sich zu beiden Seiten als grünbronzene, stachelsträubende Kandelaber, beschnäbelt wie phantastische Vögel, seltsam künstlich, von der Eleganz chinesischer Rauchergefäße. Sedum hing blonde Flechten zwischen die Balustraden, grünliche Wasserhaare mit Feuchtigkeitsmalen. Unten breitete sich ein zweiter Blumengarten, der von eichenstarken Buchshecken durchzogen wurde, vormals zu Kugeln, Pyramiden, achteckigen Türmen beschnittenem Buchs, der jetzt in großartiger Ungezwungenheit düstergrün überfließende Hecken aufbaute, durch deren Lücken man das Blau des Himmels sah.

Und Albine führte Sergius nach rechts hinüber auf ein Feld, das wie der Kirchhof des Blumengartens sich ausnahm. Hier klagten Skabiosen, Trauerzüge von Mohn zogen in Reihen dahin; sie rochen nach Tod und entfalteten ihre schweren Blüten in fiebrigem Glanz. Tragische Anemonen standen als leidtragende Menge, welk und erdfarbig von irgendeinem Krankheitshauch gestreift. Untersetzte Stechäpfel hoben ihre blaßvioletten Hörner, denen lebensmüde Insekten selbstmörderisch Gift entsogen. Ringelblumen, unter ihren schleimigen Blättern begraben, waren wie Leiber im Todeskampf zuckender Sterne, denen Pesthauch der Verwesung schon entatmet. Und noch andere Betrübnis mehr: fleischiger Hahnenfuß von der dumpfen Farbe rostigen Metalles, Hyazinthen und Tuberosen hauchten betäubende Düfte und erstarben in ihrem eigenen Duft. Aber Aschenkraut tat sich zumeist hervor. Ein ganzer Wald von Aschenkraut, das Halbtrauer violetter und weißer Gewänder aus Streifensammt und einfarbigem Sammt in reicher Einfachheit zeigte. Inmitten des Trauerfeldes stand ein verstümmelter Liebesgott aus Marmor aufrecht, der den Bogen haltende Arm lag zwischen Nesseln; er lächelte noch trotz des Moosgeflechtes, unter dem seine kindliche Nacktheit fröstelte. Sodann versanken Albine und Sergius in einem Feld von Pfingstrosen. Die weißen Blumen zerfielen in einem Regen großer Blumenblätter, der ihnen die Hände kühlte wie große Tropfen eines Gewitterregens. Die roten Blumen sahen wie erhitzte Gesichter aus, deren laute Fröhlichkeit sie beunruhigte. Zur Linken kamen sie in ein Fuchsienbeet, ein Gewirr geschmeidiger Sträucher, die sie entzückend fanden mit der Unmenge ihrer Glöckchen, wie japanisches Spielzeug. Hierauf überschritten sie ein Feld von lilatraubigem Ehrenpreis, Geranien- und Pelagonienfelder, die glühend überflammt schienen vom roten, rosa und weißen Glühen eines Kohlenbeckens, das der kleinste Windhauch unaufhörlich neu entfacht. Sie mußten Vorhänge von schilfhohen Gladiolen umgehen; die Blumenschäfte zückten, farbenreich brennend in der Tageshelligkeit, wie abendlich entzündete Fackeln. Sie verirrten sich inmitten eines Dickichts von Sonnenblumen, eines Hochwaldes von Stengeln, die den Umfang von Albines Taille hatten, verdüstert von rauhen Blättern, die genügend groß waren, um ein Kind darauf zu betten, belebt von riesigen Sterngesichtern, die wie ebenso viele Sonnen glänzten. Endlich gelangten sie in eine andersartige Waldung, ein Rhododendrongebüsch, so durchsetzt mit Blumen, daß die Zweige und Blätter nicht zu sehen waren, zu riesigen Sträußen gehäuft, Kiepen voll zarter Blütenkelche, die sich bis in den Himmel hoben.

»Glaub' nur nicht, daß wir am Ende sind,« rief Albine, »weiter, nur weiter!«

Aber Sergius hielt sie zurück. Sie befanden sich jetzt inmitten einer alten Säulenhalle; Säulenstümpfe formten Bänke zwischen einem Gewucher von Primeln und Immergrün. Etwas weiter zwischen den noch aufwärts stehenden Säulen erstreckten sich noch andere Blumenfelder: Tulpen in der bunten Lebhaftigkeit gemalter Porzellane, Felder von Kalzeolarien, ein leichtes Fleischgebläse, golden und blutig bepunktet; Felder von Zinnia, wie große erzürnte Gänseblumen; Felder von Petunien, weichblätterig wie fraulicher Battist, und Felder über Felder in unübersehbarer Folge, deren Blumen nicht mehr zu erkennen waren. Teppichbunt breitete sich heftig blühende Wirrnis in der Rahmung sanften Grasgrüns.

»Wir werden nie bis ans Ende kommen,« sagte Sergius lächelnd und streckte den Arm aus. »Hier müßte es gut sein auszuruhen in den wehenden Düften.

Ihnen zur Seite lag ein Feld von Heliotrop; so süßer Vanilleatem entströmte ihm, daß der Wind, von ihm erfüllt, zur samtenen Liebkosung wurde. Also ließen sie sich auf einer der umgestürzten Säulen nieder, die ein Kranz prachtvoller Lilien umwuchs. Seit mehr als einer Stunde waren sie unterwegs. Von Rosen kamen sie zu Lilien. Die Lilien boten ihnen unschuldige Zuflucht nach ihrer Liebeswanderung mitten durch heiße, süße Dringlichkeit des Geißblattes, würzige Veilchen, kußfrisch duftende Verbenen, Tuberosen, von schwächend tödlicher Wollust umhaucht. Die hochstrebenden Lilienstengel errichteten einen weißen Tempel um sie, überdacht von schneeigen Kelchen, einzig belebt von dem leichten Goldgetropf der Staubgefäße. Und so verblieben sie in gebietender Jungfräulichkeit, unberührt, wie bräutliche Kinder, umschlossen vom Turm der Keuschheit, dem elfenbeinernen Turm, und vermochten noch in zauberischer Unschuld sich zu lieben. Bis zum Abend ruhten Albine und Sergius bei den Lilien. Hier fühlten sie sich wohl, und hier vollendete sich ihre Geburt. Sergius vergingen die letzten Fieber, und Albine wurde ganz weiß, von milchiger Weiße, bar jeden rosigen Schimmers. Ihren nackten Armen, Schultern, dem nackten Hals schenkten sie keine Beachtung mehr. Des Haares entfesselte Blöße erregte sie nicht. Aneinandergeschmiegt lachten sie hellauf und erfrischten sich in der Umarmung. Ihre Augen bewahrten quellenhafte Klarheit, ohne daß, die Kristallreine trübend, aus der Körperlichkeit Unlauteres in ihnen aufgedampft wäre. Der Gedanke kam ihm nicht, die samtigen Früchte ihrer Wangen anzutasten. Als kaum Zehnjährige nahmen sie von den Lilien Abschied; es war ihnen, als hätten sie sich in der Einsamkeit des großen Gartens getroffen, um dort in Freundschaft und ewiger Kurzweil dahinzuleben. Und als sie den Blumengarten wiederum durchschritten bei umdämmerter Heimwanderung, hatte es den Anschein, als bemühten sich die Blumen eines zurückhaltenden Benehmens, als freuten sie sich der Jugend dieser Kinder und wollten sie nicht verderben. Die Päonienwälder, Nelkenschalen, Vergißmeinnichtteppiche, Waldrebenhänge taten sich vor ihnen nicht mehr auf als Liebesnischen, sie verschwammen in den abendlichen Lüften, entschliefen in einer, wie die ihre, reinen Kindlichkeit. Die Stiefmütterchen sahen wie Kameraden nach ihnen hin mit ihren treuherzigen kleinen Gesichtern. Die matten Reseden schienen mitleidergriffen und vermieden, von Albines weißen Kleidern berührt, ihr Fieber anzufachen mit duftendem Hauch.


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