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Das Haus schlief in der Mittagssonne mit geschlossenen Läden, Hummeln umsurrten es bis unters Dach im Efeugerank. Die besonnte Ruine lag gebadet in friedlicher Glückseligkeit. Der Arzt stieß die Türe des schmalen Gärtchens auf, das eine sehr hohe grünende Hecke umzog. Dort im Schatten eines Mauerpfeilers, gegen den er seinen langen Körper lehnte, rauchte Jeanbernat ruhig seine Pfeife und sah dem Wachsen seiner Gemüse zu inmitten der großen Stille.
»Wie! Auf den Beinen sind Sie Spaßvogel,« rief der verblüffte Arzt.
»Sie wollten mich wohl schon begraben,« zürnte der Alte. »Ich gebrauche niemand. Ich habe mir zur Ader gelassen ...«
Als er den Priester gewahrte, blieb er wie angewurzelt stehen, in so zorniger Bewegung, daß es Onkel Pascal ratsam schien einzuschreiten.
»Dies ist mein Neffe,« sagte er, »der neue Pfarrer im Artaud; ein braver Junge ... den Teufel auch! Wir haben uns nicht in solcher Hitze auf den Straßen herumgetrieben, um Sie zu fressen, Vater Jeanbernat.«
Der Alte beruhigte sich etwas.
»Ich dulde keinen Pfaffen bei mir,« murrte er. »So was genügt, um die Leute zum Verrecken zu bringen. Hören Sie wohl, Doktor, keine Arzneien und keine Priester, wenn ich mal dran glauben muß; sonst werden wir Krach bekommen ... er mag trotzdem eintreten, der dort, weil er Ihr Neffe ist.«
Der bestürzte Abbé Mouret wußte nicht, was er sagen sollte. Er blieb stehen mitten in einer Allee und besah sich die seltsame Gestalt dieses verrunzelten Einsiedlers mit ziegelrotem Gesicht und vertrockneten, wie gewundenen, knorrigen Gliedmaßen, der seine achtzig Jahre zu tragen schien, mit spöttischer Lebensverachtung. Als der Arzt versuchte, ihm den Puls zu fühlen, wurde er neuerdings ärgerlich.
»Lassen Sie mich doch in Frieden! Ich sage Ihnen ja, daß ich mir zur Ader gelassen habe mit meinem Messer! Jetzt ist alles in Ordnung ... Welcher Bauernblödel hat Sie denn bemüht? Der Arzt, der Priester, warum nicht die Leichenbitter? Was will man machen gegen die Torheit der Leute. Doch das soll uns nicht hindern, einen Schluck zu trinken.«
Er setzte eine Flasche und drei Gläser auf einen alten Tisch, den er in den Schatten zog, füllte dann die Gläser bis zum Rand und wollte anstoßen. Sein Zorn löste sich in spöttische Heiterkeit.
»Das ist kein Gift, Herr Pfarrer,« sagte er. »Es ist nicht sündhaft, ein gutes Glas Wein zu trinken. Das erstemal, auf mein Wort, daß ich mit einem Schwarzrock anstoße, ohne Sie beleidigen zu wollen. Ihr Vorgänger, der bedauernswerte Abbé Caffin, lehnte es ab, sich mit mir zu unterhalten ... Angst hatte er.«
Und er lachte laut und redete weiter:
»Denken Sie sich, er versteifte sich darauf, mir die Existenz Gottes beweisen zu wollen ... Bei jedem Zusammentreffen legte ich ihn herein. Sie können's mir glauben, mit hängenden Ohren machte er sich aus dem Staub.«
»Wie, es gibt keinen Gott?« rief der Abbé Mouret aus, sein Schweigen brechend.
»Oh, wie Sie wollen,« sagte höhnisch Jeanbernat. »Wir fangen wieder von vorne an, wenn Ihnen das Spaß macht ... Ich muß Sie aber darauf aufmerksam machen, daß ich sehr beschlagen bin. Da oben in einem der Zimmer sind einige tausend Bände, die beim Brand des Paradeis gerettet wurden; alle Philosophen des achtzehnten Jahrhunderts, ein Berg von Schriften über die Religion. Nette Dinge habe ich aus denen gelernt. Seit zwanzig Jahren lese ich nichts anderes ... Wahrlich, Herr Pfarrer, Sie bekommen einen gefährlichen Gegner.«
Er war aufgestanden, mit einer weiten Geste wies er über den ganzen Horizont, Erde und Himmel und wiederholte feierlich:
»Nichts gibt es, nichts, nichts, nichts ... wenn die Sonne verlischt, ist's aus.«
Der Doktor Pascal hatte den Abbé Mouret leise mit dem Ellbogen angestoßen. Er kniff die Augen zusammen und beobachtete den Greis mit Wißbegierde, nickte beifällig mit dem Kopf, um ihn zum Reden zu ermuntern.
»Vater Jeanbernat, so sind Sie also ein Materialist?« erkundigte er sich.
»I, nichts bin ich als ein armer Mann,« gab der Alte zur Antwort und setzte seine Pfeife wieder in Brand. »Als der Graf von Corbierre, dessen Milchbruder ich war, durch einen Sturz vom Pferd ums Leben kam, gaben mir die Kinder diesen Dornröschenwald zu hüten, um mich los zu sein. Ich war damals sechzig Jahre alt und dachte, das Ende sei gekommen. Aber der Tod hat mich vergessen. Und ich mußte mich zurechtfinden ... sehen Sie, wenn man ganz alleine lebt, kommt man schließlich dazu, die Dinge sonderbar zu sehen. Die Bäume sind keine Bäume mehr, die Erde nimmt das Gehabe einer lebendigen Person an, die Steine erzählen Ihnen Geschichten, mit einem Wort: allerhand Dummheiten. Geheimnisse weiß ich, die Sie umwerfen würden. Was soll man denn auch anfangen in dieser verteufelten Öde? Ich hab' in den Büchern studiert – das hat mir mehr Spaß gemacht als die Jagd ... Der Graf, der wie ein Heide fluchte, sagte immer zu mir: Jeanbernat, mein Junge, ich rechne fest darauf, dich in der Hölle wiederzusehen, damit du mir da unten dienst, wie du es da oben getan hättest.«
Er machte wiederum die weite Bewegung über den Himmel hin und sagte nochmals:
»Nichts gibt es ... wenn Sie es wissen wollen ... ein Witz ist das Ganze.«
Der Doktor Pascal lachte.
»Ein guter Witz, auf alle Fälle,« sagte er, »Vater Jeanbernat, ein Geheimniskrämer sind Sie. Ich habe Sie im Verdacht, weichherzig zu sein trotz ihrer blasierten Mienen. Vorhin redeten Sie mit sehr viel Zärtlichkeit über die Bäume und Steine.«
»Nein,« murmelte der Alte, »ich kann Ihnen die feste Versicherung geben, daß es damit vorbei ist. Früher allerdings, als ich Sie kennenlernte und mit Ihnen botanisieren ging, war ich dumm genug, mancherlei Dinge zu lieben auf dieser lügnerischen großen Erde. Es ist ein Glück, daß die Bücher mir das ausgetrieben haben ... ich wollte, mein Garten wäre kleiner; kaum zweimal im Jahre geh ich auf die Straße. Sehen Sie die Bank. Da verbringe ich meine Tage und sehe zu, wie der Salat ins Kraut schießt.«
»Und ihre Rundgänge im Park?« unterbrach ihn der Arzt.
»Im Park!« Sprach Jeanbernat mit einer ehrlichen Verwunderung nach. »Seit mehr als zwölf Jahren hab' ich schon keinen Fuß mehr hineingesetzt! Was soll ich denn auf dem Friedhof anfangen? Zu groß ist er. Diese Bäume ohne Ende, mit Moos überall; blöd ist das, zerhauene Figuren und Erdlöcher, in denen man sich bei jedem Schritt den Hals brechen kann. Das letztemal, als ich hineinging, war es so dunkel unter den Bäumen, die wilden Blumen rochen so giftig, und es wehte so seltsam in den Alleen, daß mir fast bange werden wollte. Und dann hab' ich mich hier eingeschlossen, damit der Park nicht hereinkann ... Ein Platz in der Sonne, drei Fuß breit Gemüse zu meinen Füßen, eine hohe Hecke, die mir den Ausblick gründlich versperrt, das ist schon mehr als genug, um zufrieden zu sein. Nichts möchte ich haben, gar nichts, etwas so Schmales, daß von außerhalb nichts Störendes an mich heran kann. Zwei Meter Grund, wenn Sie wollen, um sich auf den Rücken zu legen und zu verrecken.«
Er schlug mit der Faust auf den Tisch, erhob plötzlich die Stimme und brüllte den Abbé Mouret an:
»Immer drauflos, Herr Pfarrer. Der Satan ist nicht auf dem Flaschenboden, sag' ich Ihnen.«
Dem Priester war ungemütlich zumut. Er fühlte sich unfähig, diesen wunderlichen Greis Gott zuzuführen. Jetzt erinnerte er sich an allerhand Klatsch, den die Teuse über den Philosophen auskramte; so nannten die Bauern vom Artaud Jeanbernat. Bruchstücke anstößiger Geschichten tauchten ungewiß in seiner Erinnerung auf. Er erhob sich und machte dem Arzt ein Zeichen, in der Absicht, dies Haus zu verlassen, in dem der Atem der Verdammnis ihn anhauchte. Aber unter seine dumpfe Beklommenheit mischte sich eine eigentümliche Neugier und ließ ihn zaudern. Er blieb und schritt bis zum Ende des kleinen Gartens und betrachtete die Vorhalle, als ob er durch die Mauern sehen wollte. Durch die weitgeöffnete Tür wurde er nur des düsteren Treppenhauses ansichtig. So schritt er zurück, nach irgendeiner Öffnung Ausschau haltend, irgendeiner Öffnung hinaus in die Blättermassen, deren Nähe er spürte am Wehen und Rauschen, das wie Wellengetön an das Haus brandete.
»Wie geht es der Kleinen?« fragte der Arzt und griff nach seinem Hut.
»Nicht übel,« antwortete Jeanbernat. »Sie ist nie da. Ganze Morgen lang verschwindet sie. Möglich ist es immerhin, daß sie sich in den oberen Stockwerken herumtreibt.«
Er hob den Kopf und rief:
»Albine! Albine!«
Dann achselzuckend:
»Das muß wahr sein, sie ist eine richtige Landstreicherin. Auf Wiedersehen, Herr Pfarrer. Jederzeit stehe ich Ihnen zur Verfügung.«
Dem Abbé Mouret wurde nicht Zeit gelassen, die Herausforderung des Philosophen anzunehmen. Im Hintergrund des Hausflures ging mit Plötzlichkeit eine Türe auf; eine leuchtende Bresche war in die Mauerschwärze gelegt. Wie eine Urwaldvision war es, ein Andringen unergründlichen Hochwaldes, verklärt in der Sonne. In diesem kurzen Aufglänzen erfaßte der Priester deutliche Einzelheiten des fernen Bildes: eine große gelbe Blume inmitten einer Rasenfläche, einen breiten Wasserfall, der von hohem Gestein niederstürzte, einen riesenhaften, vogeldurchflogenen Baum; das Ganze flammend überflossen, verhangen von einer tollen Wirrnis von Grün, einem wilden pflanzlichen Überschwang; die ganze Weite entfaltete sich blühend. Die Türe fiel ins Schloß, alles verschwand.
»Die Spitzbübin!« rief Jeanbernat. »Schon wieder war sie im Paradeis!«
Albine stand lachend auf der Schwelle des Hausflurs. Sie trug einen orangefarbenen Rock und ein auf dem Rücken verschlungenes rotes Schultertuch; dies gab ihr das Ansehen einer sonntäglich geputzten Zigeunerin. Sie lachte fort mit zurückgebogenem Kopf; ihr Hals weitete sich im leisen Getön, froh ihrer Blumen, der wilden Blumen, die sie ihren blonden Haaren eingeflochten hatte, die ihren Hals, das Mieder und die bloßen goldbraun schlanken Arme umwanden.
Wie ein großer stark duftender Strauß war sie.
»Geh mir, du siehst nett aus!« schimpfte der Alte. »Du verpestest die Luft mit deinem Gemüse ... Würde man denken, daß sie schon sechzehn Jahre ist!«
Die kecke Albine lachte nur ärger. Der Doktor Pascal, dem sie sehr zugetan war, ließ sich von ihr küssen.
»Du also hast keine Angst vor dem Paradeis?« fragte er sie.
»Angst? Vor was denn?« fragte sie verwunderten Blicks. »Die Mauern sind zu hoch. Niemand kommt herein ... Nur ich bin da. Mein Garten ist es, mir gehört er ganz allein. Groß ist er schon; ans Ende bin ich nie gekommen.«
»Und das Getier?« unterbrach sie der Arzt.
»Die Tiere? Die sind nicht böse; sie kennen mich alle.«
»Ist es aber nicht dunkel unter den Bäumen?«
»Schatten gibt es wahrhaftig genug, sonst würde die Sonne mir das Gesicht verbrennen. Angenehm ist es im Schatten unter den Bäumen.«
Und sie machte eine Wendung und erfüllte den schmalen Garten mit dem Flug ihrer Röcke, dem herben Duft des Laubes, das sie an sich trug. Sie hatte dem Abbé Mouret zugelächelt ohne jegliche Scheu, ohne sich im geringsten an die verwunderten Blicke zu kehren, mit denen er sie betrachtete.
Der Priester war zur Seite getreten. Dies blonde Kind mit dem länglichen, lebensglühenden Antlitz erschien ihm wie die geheimnisvolle und beunruhigende Verkörperung dieses Waldes, die ihm aufgetaucht war in Sonnenströmen.
»Ich habe ein Amselnest gefunden, wollen Sie es haben?« fragte Albine den Arzt.
»Nein, danke schön,« gab dieser lachend zurück, »der Schwester des Herrn Pfarrers müßtest du's geben; die liebt alle Tiere ... Auf Wiedersehen, Jeanbernat.«
Aber Albine stürzte sich auf den Pfarrer.
»Sie sind der Pfarrer von Artaud, nicht wahr? Sie haben eine Schwester? Ich will sie besuchen ... Nur dürfen Sie mir nicht von Gott reden. Mein Onkel will es nicht.«
»Du langweilst uns, mach' dich fort,« sagte Jeanbernat achselzuckend.
Mit einem Gemsensprung verschwand sie in niederregnenden Blüten. Man hörte eine Tür schlagen, dann Gelächter hinter dem Haus, klingendes Gelächter, das sich allmählich verlor, wie entführt vom rasenden Lauf eines tollen Tieres, das auf den Rasengründen dahinstürmte.
»Zu guter Letzt wird sie noch im Paradeis schlafen,« brummte der Alte voller Gleichmut.
Und beim Herausbegleiten des Besuches:
»Doktor,« fing er wieder an, »wenn Sie mich eines Morgens tot finden, tun Sie mir doch den Gefallen, und werfen Sie mich in die Abfallgrube hinter meinen Gemüsebeeten. Guten Abend, meine Herren.«
Er ließ eine Holzschranke herunterfallen, die die Hecke verschloß. Das Haus stand wieder in glückhaft sonnigem Mittagsfrieden, eingehüllt vom Gesumm der Hummeln, die den Efeu umschwebten bis hinauf unters Dach.
Unterdessen fuhr der Wagen wieder durch den Hohlweg und entlang an der endlosen Mauer des Paradeis. Schweigend hob der Abbé Mouret die Augen, besah die großen Äste, die sich über die Mauer streckten wie die Arme verborgener Riesen. Laute drangen aus dem Park, Flügelschwirren, Blätterwehen, flüchtige Sprünge im brechenden Gezweig, ein seufzendes Neigen junger Triebe, all das lebendige Atmen, das die Gipfel eines Baumvolkes durchspielt. Manchmal bei Vogelrufen, die einem menschlichen Lachen ähnelten, wandte der Priester den Kopf wie beunruhigt.
»Ein komisches Mädel!« sagte der Onkel Pascal, die Zügel etwas lockerer haltend. »Neun Jahre war sie, als sie diesem alten Heiden hereinschneite. Einer seiner Brüder richtete sich zugrunde; ich vergesse, mit was. Die Kleine war irgendwo in Pension, als sich der Vater das Leben nahm. Eine kleine Dame war sie, schon gelehrt und belesen; sie stickte, sprach Sprachen und bearbeitete Klaviere. Und voller Koketterie! Bei ihrem Kommen hab' ich sie gesehen: durchbrochene Strümpfe, gestickte Röcke, Spitzen, Rüschen und Krausen, Falbeln ohne Ende. Na! Die Rüschen haben nicht lange gedauert!«
Er lachte auf. Ein großer Stein brachte den Wagen fast zum Umkippen.
»Ich werde noch ein Rad verlieren auf diesem Lotterweg! Halte dich fest, mein Junge.«
Die Mauer war immer noch nicht zu Ende. Der Priester lauschte.
»Du kannst dir denken,« fing der Doktor wieder an, »das Paradeis mit seiner Sonne, seinen Kieswegen und Dornen vernichtete jeden Tag eine Robe. In kürzester Zeit war es mit den schönen Kleidern der Kleinen vorbei. Sie war nackt und bloß – jetzt zieht sie sich an wie eine Wilde. Heute ging es noch an. Es kommt aber vor, daß sie nichts an hat als Schuh und Hemd ... Hast du es gehört? Ihr gehört das Paradeis. Am nächsten Tag schon nach ihrer Ankunft hat sie davon Besitz ergriffen. Dort verbringt sie ihre Tage, springt aus dem Fenster, wenn Jeanbernat die Türe zuschließt, geht auf und davon und versteckt sich, wer weiß wo, in einem Versteck, von dem nur sie weiß ... Nett muß sie hier hausen, in dieser Wüstenei.«
»Hören Sie nichts, Onkel?« unterbrach ihn der Abbé Mouret. »Wie der Lauf eines Tieres klingt es hinter der Mauer.«
Der Onkel Pascal horchte.
»Nein,« sagte er nach einer Pause, »es ist das Rollen des Wagens, das widerhallt von den Steinen ... das kannst du mir glauben, Klavier spielt sie nicht mehr, die Kleine ... mir scheint sogar, sie hat das Lesen vergessen. Stelle dir vor eine junge Dame, zurückverfallen in den Zustand einer Vagabundin, zum Vergnügen losgelassen auf einer einsamen Insel. Von früher ist ihr nichts geblieben, als das klug verführerische Lächeln (wenn ihr daran liegt ...). Laß dir sagen, wenn du je ein junges Mädchen zu erziehen hast, rat ich dir, vertrau' sie nicht Jeanbernat an. Er läßt die Natur ganz ungebunden walten. Als ich einmal den Versuch machte, über Albine zu reden, gab er mir zur Antwort, man dürfe die Bäume am freien Wachstum nicht hindern. Er ist, sagt er, für die natürliche Entwicklung der Gemütsanlagen ... Was liegt daran, sie sind beide höchst merkwürdig ... Ich komme nie in die Nähe, ohne ihnen einen Besuch abzustatten.« Endlich kam der Wagen aus dem Hohlweg heraus. Hier machte die Mauer des Paradeis eine Biegung, zog sich dann am Hügeldamm unübersehbar hin. In dem Augenblick, als der Abbé Mouret den Kopf drehte, um einen letzten Blick auf die graue Linie zu werfen, deren strenge Unnahbarkeit zuletzt eine eigenartige Gereiztheit in ihm hervorbrachte, ließ sich das Geräusch wild geschüttelter Äste vernehmen; gleichzeitig sah es aus, als ob eine Gruppe junger Birkenstämme die Vorbeikommenden begrüßen wollte von der Mauerhöhe aus.
»Ich wüßt es wohl, daß ein Tier da drüben lief,« sagte der Priester.
Ohne daß jemand zum Vorschein kam, ohne daß anderes sich gezeigt hätte als die immer wilder schaukelnden Birkenstämme, erklang eine helle Stimme, die, von Lachen unterbrochen, rief:
»Auf Wiedersehen, Doktor! Auf Wiedersehen, Herr Pfarrer! ... Ich küsse den Baum, der Baum schüttelt meine Küsse über Sie.«
»Ach! Albine ist es!« sagte Doktor Pascal. »Sie wird im Trab neben unserm Wagen hergelaufen sein. Keine Hecke ist zu hoch für diese kleine Fee!«
Und er rief zurück:
»Auf Wiedersehen, Kleine! Du bist etwas zu groß für diese Art Begrüßung.«
Lauter tönte das Lachen, die Birken beugten sich tiefer und streuten Blätter weithin bis auf das Verdeck des Wagens.
»Ich bin so groß wie die Bäume; alle Blätter, die abfallen, sind Küsse,« hob die Stimme wieder an. Die Entfernung löste sie musikalisch auf und hüllte sie dergestalt in wehenden Atem des Parks, daß es den Priester durchschauerte. Die Straße wurde besser. An der Böschung tauchte das Artaud auf im Hintergrund der verbrannten Ebene. Als der Wagen die Dorfstraße kreuzte, litt der Abbé Mouret nicht, daß sein Onkel ihn an der Pfarre absetzte. Er sprang zur Erde mit den Worten:
»Danke, nein, ich möchte lieber zu Fuß gehen; es wird mir guttun.«
»Wie du willst,« sagte der Arzt endlich. Dann ihm die Hand drückend:
»Wenn du mehr Pfarrkinder hättest wie diesen Tölpel von Jeanbernat, brauchtest du keine häufigen Störungen zu befürchten. Na, es war dein Wille. Und laß es dir gut gehen. Laß mich holen, wenn das geringste fehlt, tags wie nachts. Du weißt ja, ich behandle die ganze Familie umsonst ... Leb' wohl, mein Junge.«