Emil Zola
Die Sünde des Abbé Mouret
Emil Zola

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13

Zu dieser Stunde war der ganze Garten ihnen untertan. Als Herrscher hatten sie von ihm Besitz ergriffen. Nicht eine Handbreit Erde, die ihnen nicht ganz zu eigen gewesen wäre. Für sie blühte der Rosenwald, ihnen spendete der Blumenhang sanft-weiche Düfte, deren Hauch nachts eindrang durch offene Fenster und sie in Schlummer wiegte. Der Fruchtgarten spendete ihnen Nahrung, füllte mit Früchten Albinens ausgespanntes Kleid, erquickte sie mit würzig schattendem Gezweig, unter dem es sich so gut frühstücken ließ bei Sonnenaufgang.

Auf den Wiesen gehörten ihnen Gräser und Bäche; das sein Reich ins Unendliche weitende Gras, das unaufhörlich vor ihnen seidige Teppiche breitete; Wasser, das ihre reinste Freude war, ihre Unschuld, Unberührtheit, kühles Rieseln, in dem sie ihre Jugend zu erfrischen liebten. Der Wald war ihr Eigentum, von den mächtigen, von zehn Männern kaum zu umspannenden Eichen, bis zu den schlanken Birken, die ein Kind mühelos fällen konnte; der Wald mit all seinen Bäumen, seinen Schatten, Wegen und Lichtungen, grünen Verstecken, von den Vögeln selbst ungekannt; der Wald, über den sie nach Herzenslust verfügten, wie über riesenhaftes Zelt, unter dem sie in der Mittagsstunde ihre am Morgen geborene Zärtlichkeit Schutz suchen ließen. Sie herrschten allüberall, selbst über Felsgestein, Quellen, böses Gebiet ungeheuerlicher Pflanzen, das erbebt war unterm Gewicht ihrer Körper, und das sie mehr liebten als die anderen weichen Gartenlager, um des seltsamen Schauers willen, der dort ihnen beschieden war. Also waren sie jetzt die Gebieter zur Rechten, zur Linken und vor ihnen weit, hatten ihr Land erobert, wandelten inmitten befreundeter Natur, die sie kannte, sie lächelnd auf allen Wegen grüßte, sich ihren Freuden unterwarf als demütige Dienerin. Und der Himmel war ihnen ergeben, Bläue, die sich über ihnen wölbte; Mauern hielten ihn nicht, aber ihrem Blick war er hingegeben, er ergoß sich in ihre Lebensfreude, tags in sieghaftem Sonnenglanz, nachts in warmen Sternenschauern. Jederzeit, den ganzen Tag entlang, war er ihnen ein Entzücken, immer überpulst von wechselndem Leben, weißer am Morgen als ein erwachendes Mädchen, am Mittag übergoldet vom Verlangen nach Fruchtbarkeit, am Abend selig hingegossen in zärtlicher Ermattung. Nie war sein Angesicht das gleiche. Allabendlich zumal, zur Stunde des Abschieds, betrachteten sie ihn bewundernd. Die den Horizont übergleitende Sonne wußte sich mit immer neuem Lächeln zu schmücken. Manchmal schwand sie in stillem wolkenlosen Frieden, sank langsam ein in goldene Flut. Andere Male flammte sie purpurstrahlend auf, zerriß ihr nebelschleiernes Kleid, verlor sich in glühenden Wellen, die den Himmel überstreiften mit gigantisch schweifenden Kometen, deren Mähnen die Wipfel des Hochwaldes in Brand setzten. Dann gab es über roten Dunstküsten, über langgestreckt rosigen Korallenbänken ein Niedersinken besänftigten, mählich seine Strahlen löschenden Gestirns, oder auch geheimes Zurruhegehen hinter irgendeinem großen Gewölk, faltig gerafft, wie grauseidene Bettgehänge, die nichts durchscheinen lassen als rötlichen Schimmer einer Nachtampel inmitten sich tiefender Dämmerung; endlich leidenschaftliches Untergehen, hingeschleuderte Weiße, nach und nach aufblutend unter glühend sie durchschneidender Scheibe, gemeinsamer Sturz zu guter Letzt über die Horizonte hinaus, in chaotischem Gliedergewirr, das hinschmolz in Licht.

Doch nicht nur die Pflanzen hatten sich unterworfen.

Albine und Sergius wandelten königlich im Gemenge der Tiere, die ihnen botmäßig waren. Durchschritten sie den Blumengarten, hoben sich, ihnen zur Augenlust, Schmetterlingsflüge, umfächelten sie mit bebendem Flügel, zogen ihnen nach wie lebendiges Sonnenbeben, wie fliegende Blüten, denen Duft entstäubte. Im Obstgarten trafen sie in Wipfeln mit den naschhaften Vögeln zusammen; Spatzen, Buchfinken, Goldamseln, Dompfaffen lasen ihnen die reifsten Früchte aus, übernarbt von Schnabelhieben; das war ein Gelärm wie von ferientollen Schulkindern, ein lustig lautes Plündern, kecke Scharen flogen herzu und stahlen Kirschen zu ihren Füßen, während sie rittlings auf Ästen schaukelnd ihr Frühstück einnahmen. Albine kam es noch lustiger vor, auf der Wiese die kleinen grünen Frösche zu fangen, die an den Binsenhalmen kauerten, mit dem sanften Goldblick beschaulichen Getiers; indessen Sergius mittels eines Strohhalms die Heimchen aus ihren Löchern trieb, die Grillen kitzelte, um sie zum Zirpen zu bringen, blaue, rosa und gelbe Insekten aufsammelte, um sie sich dann über die Ärmel laufen zu lassen, wie wandernde Saphir-, Rubin- und Topasknöpfe. Weiter waren die Wiesen belebt von der geheimnisvollen Regsamkeit der Gewässer, dunkle Fischrücken flohen durch die Wellen, das Schlängeln der Aale war an der leichten Unruhe im Gras wahrzunehmen, beim geringsten Laut kreiste Laich wie rauchschwärzlicher Staub, unterm Gleiten der Wasserfliegen runzelte sich silbern totes Wasserrund, all dies stille Getriebe, das an Bachufern sie fesselte, gab ihnen das Verlangen ein, sich ohne Schuh und Strümpfe mitten in die Strömung zu stellen, um sich näher von der unaufhörlichen Bewegung dieser zahllosen Lebewesen umgleiten zu lassen. An manchen Tagen, den Tagen sanfter Ermattung, machten sie sich auf, um unter Waldbäumen den Serenaden ihrer Musikanten zu lauschen, kristallener Flöte der Nachtigallen, silbern zarter Meisentuba, fernbegleitendem Kuckucksruf; sie bestaunten den plötzlich aufrauschenden Flug der Fasanen, deren Schweife Zweigdunkel sonnig durchscheitelte; lächelnd hielten sie an, ließen in einiger Entfernung Rudel junger Rehe vorüberspielen, oder ernsthafte zweigesellige Hirsche, die ihren Schritt verlangsamten, um sie zu beäugen. Auch gab es Tage, wenn glühend der Himmel sich wölbte, an denen sie die Felsen erklommen, sich an den Heuschreckenschwärmen ergötzten, die ihr Schritt aus den Thymiansteppen aufscheuchte, mit dem Geknister angefachter Kohlenglut; die am Rand rötlich versengter Gebüsche entrollten Schlangen, die auf weiß glühenden Steinen sich sonnenden Eidechsen, schickten ihnen freundliche Blicke nach; rosige Flamingos, die im Quellgewässer standen, flogen nicht auf bei ihrem Näherkommen und beruhigten durch würdigernste Vertraulichkeit die in Teichesmitten brütenden Wasserhühner.

All dies Leben und Weben im Garten fühlten Albine und Sergius erst vom Tag an, an dem sie selbst in einem Kuß zum Leben erwacht waren. Jetzt betäubte es sie manchmal, sprach zu ihnen in unverständlichen Worten, stellte Forderungen, die sie nicht zu erfüllen verstanden. Dieses Leben, all diese Stimmen und Tierwärme, all diese Düfte und Pflanzenschatten waren es, die sie beunruhigten, so heftig beunruhigten, daß sie sich erzürnten, einer über den anderen. Und doch fanden sie im Park nur die liebevollste Aufnahme. Jeder Grashalm, jedes Geschöpf war ihnen Freund. Das Paradeis war ihnen wie eine einzige lange Liebkosung. Vor ihrem Kommen, während mehr als hundert Jahren, hatte die Sonne dort allein und unumschränkt gewaltet, ihre Strahlen über jeden Ast ergossen. So kannte der Garten nur die Sonne, alle Morgen sah er sie über die Mauer gleiten in schrägen Strahlen, mittags sich von oben über die Erde breiten, abends auf der anderen Seite entschwinden in abschiedskosendem Blätterstreifen. Daher hatte der Garten seine Scheu verloren; er nahm Sergius und Albine mit Selbstverständlichkeit auf, wie er so lange Zeit die Sonne aufgenommen hatte, nahm sie auf wie gute Kinder, deretwegen man sich keinen Zwang aufzuerlegen braucht, Tiere, Bäume, Wasser und Gestein behielten ihre bezaubernde Überschwenglichkeit, senkten die Stimme nicht, lebten unverhüllt, ohne ihr Tun zu verbergen, boten sich dar in kecker Unschuld, in schöner Zärtlichkeit erster Schöpfungstage. Dieser Weltwinkel belächelte insgeheim die Ängste Albines und Sergius', noch sanftmütiger entrollte er unter ihren Füßen seine weichsten Rasenpolster, schob sein Gebüsch zusammen, um ihre Wege zu verschmalen. Hatte er sie noch nicht einer dem anderen in die Arme geworfen, war es, weil ihm gefiel, ihr Begehren auf der Wanderfahrt zu betrachten, sich an ihren ungeschickten Liebkosungen zu erfreuen, die im Schatten aufflatterten wie erregtes Vogelgefieder. Sergius und Albine aber litten unter dem Anhauch der sie umschmeichelnden Wollust und waren dem Garten gram. An jenem Nachmittag, als Albine so große Betrübnis überkam, anläßlich ihres Ausflugs in das Felsengebiet, rief sie über den Garten, der so glühend und lebensvoll sie umgab, hin:

»Warum betrübst du uns, wenn du uns wohlwillst?«


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