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Von Fritz Loewe
Eine gemeinsame Rückkehr aller Expeditionsmitglieder erwies sich als unmöglich. Keins der verhältnismäßig kleinen Schiffe des grönländischen Handels konnte uns 17 Leute neben den sonstigen Fahrgästen auf einmal in die Heimat bringen. So verließen uns als erste am 29. August Georgi und Sorge. Sie erreichten in Umanak das letzte Schiff des Jahres, »Hans Egede«, und trafen am 23. September in Kopenhagen ein.
Schon im August hatten sich die Witterungsbedingungen bedeutend verschlechtert. Häufige Regenfälle, viel niedrige Wolken lösten den anhaltenden Sonnenschein der ersten Sommerhälfte ab. Von Anfang September ab begann beim Winterhaus der Herbst. Reichlicher Neuschnee fiel, Jon konnte über die gefrorenen Schmelzwasserbäche mit Schlitten zum Winterhaus fahren, um die letzten Güter herunterzubringen. Die Propellerschlitten querten nun ungefährdet die Spalten zwischen »Start« und Scheideck. Auf dem Moränenweg brachten die Pferde leicht auch die schweren Motoren herunter, während die ausgedienten Schlitten mit geflickten Kufen und zersplittertem Aufbau oben am Nunatak Scheideck stehenblieben. Ja sogar als Reitweg diente gelegentlich der Pferdeweg, wenn es auch eines sicheren Sitzes bedurfte, wollte man die unzuverlässig überfrorenen Bachbetten auf dem Eis ungefährdet überqueren.
Mehr und mehr Güter häuften sich im September am Kamarujuk-Fjord zur Heimbeförderung an. Schließlich stand wieder Kistenhaufen neben Kistenhaufen. Über 250 Stück zählte unsere Ladeliste, als wir Anfang Oktober abfuhren. Dort herrschte Friedrichs, der schon seit Anfang August vollauf zu tun hatte, all die mannigfaltigen, manchmal recht schweren und unhandlichen Teile seefest zu verpacken. Hier war auch sein treuer Helfer Detlev Frederiksen in seinem Element, der zu den nicht seltenen Grönländern gehörte, die für alle mögliche handwerkliche Tätigkeit wunderbare Anlage und erstaunliches Geschick mitbringen.
Am 26. September fuhren Brockamp, Friedrichs, Gudmund, Herdemerten und Lissey mit der »Krabbe« zur Disko-Bucht, um dort auf den Dampfer »Gertrud Rask« überzugehen, in dem kleinen Boot bei der vorgerückten Jahreszeit eine beschwerliche Reise. Am selben Tage verließen als letzte Kurt Wegener und Kelbl das Winterhaus. Mit ihnen kam Sarah Frederiksen hinunter, die uns im Sommer teils in Kamarujuk, teils im Winterhaus die Wirtschaft besorgt hatte. Und hier sei zum Schluß des Buches, das immer nur von Männern und ihren Erlebnissen handelt, das Lob der grönländischen Frauen nicht vergessen. Wie reizend sind manche von ihnen mit dem vollen und doch gewandten Körper, den zierlichen Händen und Füßen, den regelmäßigen freundlichen Zügen, dem schönen schwarzen Haar. Man muß sie in ihren bunten Festkleidern die Ländler tanzen sehen, die Walfänger vor langer Zeit nach Grönland gebracht haben; vom taktfesten Tritt der Füße in den weißen oder roten, mit breiten Ledermustern bestickten Stiefeln bis zur schmucken Halskrause aus schwarzem Hundefell und dem strahlenden Lächeln der guten Gesichter ist alles an ihnen Anmut und Lebensfreude. Dabei hat es eine grönländische Frau wahrhaftig nicht leicht; die Fellkleidung, besonders die Kamikker aus Seehundsfell, bedürfen ununterbrochener Pflege. Stets war Sarah als erste auf. Wenn der Dienst uns Männer am Morgen zur Arbeit rief, waren Morgenkaffee und Hafergrütze schon fertig. Der ganze Tag verging fast ohne Pause mit Kochen, Waschen, Flicken und aller Hausarbeit für unsere manchmal große Gemeinschaft. Aber wenn nachts, wie so oft, ein unerwarteter Gast erschien, fand auch er nach wenigen Minuten Speise und Trank bereit.
Die letzte Woche unseres Aufenthalts brachte auch in Kamarujuk den Herbst. Die Temperaturen lagen um -5 Grad. Neuschnee fiel bis nahe ans Meer. Der Gletscher, freigeblasen durch die Gewalt der Föhnstürme, deckte sich mit einer glatten Schicht glasharten Eises. Die Hochlandeise leuchteten strahlend. Über die Felswände hingen in breiten Eisvorhängen die gefrorenen Wasserfälle herab, und im Zungenbecken wuchs das dem Gletscher noch immer entströmende Schmelzwasser zu einer breiten, vielfach geschichteten Eistafel zusammen. Nur noch wenige Nachmittagsstunden lang schien die niedrige Sonne auf unsere Häuser in Kamarujuk; und am Morgen schwammen seine Federn von Süßwassereis auf dem Fjord.
Die letzten Kisten wurden verpackt, auch mehrere Pferde mußten wir, wie im Vorjahr, schweren Herzens schlachten. Einige Grönländer fanden sich als freiwillige Helfer ein, um allerlei für uns entbehrliche, für sie wertvolle Geräte zu erwerben. Am 6. Oktober kam »Hvidfisken«, der Umanaker Schoner. Am 7. verluden wir all unser Gut. Wir nagelten die Haustür zu, und während wir zum Schoner hinüberruderten, hing unser Blick an der Stätte, die uns vor eineinhalb Jahren die Eingangspforte zu reichem Erleben gewesen war. Ein Abschnitt unseres Lebens war zu Ende; werden wir je seinen Schauplatz wiedersehen?
Wir waren zehn Mann auf »Hvidfisken«: Kurt Wegener, Holzapfel, Jon, Jülg, Kelbl, Kraus, Loewe, Schif, Weiken, Wölcken. Dichtgepackt lagen die treuen Hunde in einem engen Verschlag an Deck. Schwer wurde uns der Abschied von ihnen, mit denen zusammen wir so manchen harten Strauß gekämpft hatten. Vollgefressen und behäbig lagen sie da; der Leithund von Weikens Gespann, kurzbeinig und korpulent, besonnen und gutmütig, das Ebenbild seines Herrn und Meisters, unseres »Papa Weiken«; sein Bruder »Fritz«, der schon einmal auf dem Inlandeis von einer Schlittenabteilung als unbrauchbar zurückgelassen, aber von den Propellerschlitten aufgefunden und mitgenommen war; »Kajok« (der Braune), der immer ein Stück Holz im Maul trug und im tiefsten Baß knurrend wie ein alter brummiger Bauer umherstrich; der »Affe«, der sich in Umanak bei dem Grönländer, dem wir ihn geschenkt hatten, immer wieder losbiß und so jämmerlich heulte, als wir abfuhren.
In Uvkusigsat nahmen wir bei einem großen Tanzfest von unsern grönländischen Helfern und insbesondere von dem Ortsvorsteher Johann Fleischer Abschied. Wie üblich, saß enggedrängt ganz Uvkusigsat in einem Zimmer. Auf der Pritsche, mit kahlem Kopf und Zahnlücken in den breiten faltigen Gesichtern, die Großmütter; davor drängte sich das junge Volk, und unten am Boden hockten mit glänzenden schwarzen Augen die Kinder. Die alten offenen, trangefüllten Specksteinschalen dienten als Lampen. Die Hitze, durch reichlichen Kaffeegenuß angefacht, war in dem niedrigen Raum fast unerträglich. Feierliche Reden wurden zum Abschied gewechselt. Der grönländische Katechet des Ortes diente als Dolmetscher. Besonders freute es uns, daß die Grönländer uns ausdrücklich für die kameradschaftliche Art danken ließen, in der wir sie in der Zeit unserer Zusammenarbeit behandelt hätten. Wir reichten jedem die Hand; und während silbernes Leuchten von den Rudern tropfte, die uns zu unserm Schiff zurückführten, und der grüne Bogen des Nordlichts über uns wogte, fühlten wir, daß wir ein Stück Heimat hinter uns ließen.
Am 8. Oktober kamen wir nach Umanak. Aus den Eisfjorden des Itivdliarsuk und Karajak wehte heftiger Ost. Dichte Eisbergschwärme hatten sich an der Ostküste der Umanak-Insel gestaut. Gewaltig brandeten die Wogen an den Eisriesen. Der Hafen von Umanak war mit kleinen Kalbeisbrocken dicht gefüllt, durch die man nur schwer mit dem Boot das Land erreichen konnte. Rückwärts lag Sagdlek im hellen Sonnenschein, die dunklen Bänder des Amphibolitgesteins durchzogen die rötlich strahlenden Wände. Dahinter schimmerten weiß die Gletscher von Agpatat. Um Storös finstere Felsmauern lagen dunkle, zerfetzte Wolken, hier in langen Schneeschleiern über die Wände hinabhängend, dort aufgetürmt in mächtigen Ballen, zwischen denen Sonnenstreifen hervorbrachen und die riesigen Eisberge hell aufblitzen ließen. Und drüben über den höchsten Gipfeln Nugsuaks standen pagodengleich die gestuften Türme der Föhnwolken. Dicht vor uns aber reckte der Umanak seine schwarze Nordwand drohend in den wilden Wolkenhimmel.
Nach zweitägiger Rast und herzlichem Abschied verließen wir Umanak am 10. Oktober auf »Hvidfisken«, 17 Monate nach unserer Ankunft im Umanak-Distrikt. Die Reisen auf den kleinen Küstenschonern sind um diese Jahreszeit mit häufigen Stürmen und langen Nächten nicht angenehm. Aber man hatte gut für uns gesorgt; in der Ladeluke war ein großes Pritschenlager gebaut. Eine unserer vorzüglichen Petroleumglühlichtlampen spendete blendendes Licht, und die herrlich frische Seeluft mischte sich mit dem Duft des in der Kombüse schmorenden Pferdefleisches.
Als wir aus Umanak ausliefen, ging gerade die Sonne auf. Dunkel lag der flache Sockel der Insel uns im Rücken. Die kleinen Häuser verschmolzen fast ohne Farbe mit den Felsen. Schwarze Silhouetten, hoben sich die winkenden Menschen gegen den blaßblauen Himmel ab. Darüber ragte mit dunklen Abstürzen der Umanak-Berg, auf dessen höchsten Spitzen die Morgensonne glühte. Das Meer war tiefblau; der Oststurm warf weiße Wellen auf, weißer standen darin die dichtgescharten Eisberge. Über dem Karajak-Eisfjord lag ein rötlicher Dunststreifen aus aufgepeitschtem Meeresstaub. Blutrot glühten darüber Storös Südwände. Zur Linken hoben sich die sanfteren Hänge der Berge von Nugsuak in blendendem Weiß, gekrönt von den dunklen Bändern des Basalts. Es war ein Abschiedsblick, der uns ewig lebendig bleiben wird.
Über Nugsuak und die Kohlenmine Kudtlisat erreichte »Hvidfisken« am 14. Oktober Godhavn. Fast holten wir hier noch unsere mit der »Krabbe« zehn Tage vor uns zur Disko-Bucht gefahrenen Kameraden ein, die Kopenhagen auf »Gertrud Rask« am 3. November erreichten.
In Godhavn wurde eine längere Wartezeit nötig, bis »Hans Egede« in der Disko-Bucht eintraf. Wir wohnten in dieser Zeit an Land als Gäste des Landesrates von Nordgrönland. Diese Körperschaft, die oberste Vertretung der eingeborenen Bevölkerung, hat in Godhavn ein eigenes Haus für ihre alljährlichen Beratungen. Anregende Unterhaltungen mit Magister Porsild, dem Leiter der wissenschaftlichen Station, verkürzten uns die Zeit, bis wir am 21. Oktober über die Disko-Bucht nach Egedesminde fuhren. Hier lag schon »Hans Egede«, der am 25. Oktober nach Holstensborg auslief. Die Expedition war zu Ende – auf den Tag genau anderthalb Jahre, nachdem sie mit unserer Abfahrt von Holstensborg auf »Gustav Holm« begonnen hatte –, als wir hier an Bord zum erstenmal wieder europäisches Zeug anzogen und an einem gedeckten Tisch saßen. Die Polarbärte waren schon fast alle gefallen, allmählich wagten sich selbst weiße Kragen hervor. In Holstensborg kam noch der Leiter Watkins der »British Arctic Air Route Expedition« mit seinen Gefährten Courtauld, Hampton und Rymill an Bord. Die beiden ersten hatten im Spätsommer in kühner Fahrt in einem kleinen offenen Boot mit Außenbordmotor eine Kartenaufnahme der Ostküste Grönlands von Angmagssalik südwärts durchgeführt und waren dann nach Holstensborg geeilt, um ihre Kameraden zu empfangen, die, lang erwartet, erst Mitte Oktober nach Querung des Inlandeises von Angmagssalik hier eintrafen. Bei günstigem Wetter und anregendem Verkehr mit unsern englischen Kollegen verging uns die Reisezeit rasch.
Am 13. November morgens schob sich der Dampfer langsam an das Bollwerk des »Grönländischen Handelsplatzes« in Kopenhagen. Hier erlebten wir einen Empfang, wie wir ihn nicht erwartet hatten. Der dänische Ministerpräsident begrüßte uns im Namen der Regierung und gab in bewegten Worten der Trauer Ausdruck, die Volk und Regierung Dänemarks über den Tod Alfred Wegeners empfanden, den sie als einen der Ihren betrachtet hatten. Der Präsident der Notgemeinschaft hieß uns in der Heimat willkommen, alle Grönlandfreunde Kopenhagens waren zu unserm und der englischen Expedition Empfang versammelt, unsere Frauen standen am Kai.
Wir waren freudig bewegt über soviel Teilnahme und Anerkennung. Aber alle Freude, alle Genugtuung war überschattet durch den Gedanken an den toten Führer, dessen Geist unsere Expedition entsprungen, mit dessen Namen für immer verknüpft ist die
»Deutsche Grönland-Expedition Alfred Wegener«.