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Nach Alfred Wegeners Tagebuch
1. April 1930. An Bord der »Disko«. Heute um 10 Uhr früh fuhr die »Disko« von Kopenhagen ab. Abschied, Tücherwinken – ja, nun ist der Faden abgeschnitten, jetzt beginnt die Expedition.
3. April. An die Stelle des Abfahrttrubels ist die dumpfe Dösigkeit getreten, die schwerer Seegang hervorruft. Es ist trüb, hin und wieder fegt Gischt über das Deck, es steht eine Himmelsee, und selbst die träge »Disko« ist ganz gegen ihre Gewohnheit lebendig geworden. Da der Wind von hinten kommt, machen wir brüllende Fahrt, morgen müssen wir uns bei Vigfus in Island anmelden, und es sieht ganz so aus, als ob wir vor »Gustav Holm« nach Holstensborg kommen werden und die Pferde dort an Land geben müssen.
8. April. Reykjavik. Eben haben wir unsere 25 Pferde an Bord genommen. Sie sind drall und sehen einfach »herzig« aus. Hoffentlich geht es nun mit der Seereise gut.
10. April. Gestern abend war so hohe See, daß Kapitän Hansen zu mir kam und verlangte, unsere drei Isländer sollten bei den Pferden Wache halten. In der Nacht arbeitete die »Disko« so, daß alle Augenblicke schwere Spritzer über Deck fegten. Um 9 Uhr war ich unten bei den Pferden. Man kann sie jetzt immer nur mit Gefahr, naß zu werden, erreichen. Alle Pferde standen gut, fraßen und tranken gut, waren nicht so verschwitzt wie gestern und waren mobil. Sie haben es jetzt schon gut gelernt, trotz der Schiffsschwankungen fest zu stehen, ohne zu straucheln. Hätten wir das Wetter von heute nacht gleich bei der Abfahrt gehabt, so wäre es vermutlich schief gegangen.
14. April. Strahlendes Wetter, Windstille, ruhige See. Prachtvoll für die Pferde. Eben war ich unten bei ihnen. Sie sind so fidel, daß sie sich immerzu beißen. Die grönländische Küste liegt als schneebedeckte Gipfelkette neben uns. Es ist kalt.
15. April, abends. Holstensborg. Nun liegen wir vor der uns so gut bekannten Kolonie Holstensborg. Es war ein seltsames Gefühl bei der Einfahrt, als wir an der kleinen Klippeninsel vorbeikamen, bis zu der wir im vorigen Jahr die »Disko« mit unserm kleinen Motorboot »Krabbe« hinausgeleitet hatten, und dann die bunten Häuser der Kolonie auftauchten. Jetzt, tief im Winterschnee, sieht die Kolonie idyllisch aus, und die hohen Berge dahinter schmücken das Bild. »Gustav Holm« ist noch nicht hier.
17. April. Am Vormittag wurden die Pferde an Land gebracht. Es ging meist ganz glatt, nur ein Pferd glitt vom Steg ab und fiel in ziemlich tiefes Wasser, bekam einen Schreck und schlug sich dann etwas beim eiligen Heraussteigen. Jetzt stehen sie alle in einem für sie reservierten Packhaus, ein Hängeschloß ist vor der Tür, und Vigfus hat den Schlüssel in der Tasche. Er wurde übrigens bei der Landung der Pferde ziemlich naß. Wasserscheu ist er nicht. Er sprang einmal einfach bis zur Brust ins Wasser.
19. April. Gestern abend um 10 Uhr kam »Gustav Holm«. Es ist heute wieder schönes Wetter. Die meisten Expeditionsmitglieder sind an Land. Unser Gepäck wird aus der »Disko« ausgeladen, und wir benutzen die freie Zeit zu kleinen Bergbesteigungen, Skikursen unter Herdemertens Leitung und photographischen Razzien.
20. April, Ostersonntag. In den letzten Tagen haben wir viel von unserm Gepäck gesehen, weil manche Sachen schon jetzt ausgegeben und daher viele Kisten geöffnet werden. Beim Umladen wird natürlich leider ziemlich viel ruiniert, Hausecken werden abgestoßen, Proviantkisten erhalten Löcher, fünf Benzindunke sind durch einen herabfallenden Stein zerdrückt, der Inhalt aber gerettet, ein Ballen Preßheu fiel ins Wasser. Aber Ernstliches ist bisher nicht geschehen.
Es ist einfach fabelhaft, was wir alles haben. Lissey hat neulich zusammengezählt, daß wir 2500 Kollis haben, was allgemeines Entsetzen hervorrief. Aber wenn man jedes Kolli zu 40 Kilogramm rechnet, so kommt man auf die geschätzten 100 000 Kilogramm. Es stimmt genau!
Unser Gepäck bietet einen imponierenden Anblick; wäre unsere Teilnehmer- und unsere Pferdezahl nicht auch ziemlich groß, so könnte man auch sagen: einen hoffnungslosen Anblick! Aber wir werden es schon über den Gletscher hinaufbringen, wenn wir nur erst einmal in Kamarujuk sind.
25. April. »Gustav Holm« ist ein richtiges Expeditionsschiff mit dicker Eishaut und Ausguckstonne. Freilich ist es für uns sehr eng, aber die Hauptsache ist: Wir haben unser ganzes Gepäck an Bord. Petroleumdunke stehen unter Deck im Kohlenbunker, das Deck steht gerammelt voll Benzinkannen, über die man weggehen muß, oben auf diesen wieder steht der Leichter, und darin sind wieder Benzinkannen. Das Dynamit liegt im Heu für die Pferde, die Kiste mit Zündkapseln in einem der Rettungsboote. Der Proviant liegt zuunterst unter dem Heu. Leider hatte niemand daran gedacht, die sechs Proviantkisten beiseite zu stellen, die für Loewes Schlittenreise und die Fahrt der »Krabbe« gebraucht werden. Nun versuchen wir, uns vom vorderen Eingang zur Last einen Weg durch das Heu zu den Proviantkisten zu wühlen. Wir müssen die Kisten in Godhavn zur Hand haben, wenn die fünf Mann an Bord unseres Motorboots gehen, um zum Quervainshavn zu fahren. Loewe soll von dort aus auf einer Schlittenreise unsere vorjährigen Abschmelzstationen ablesen und über das Inlandeis nach Scheideck und Kamarujuk gehen. – Eben höre ich, daß es geglückt ist, die sechs Proviantkisten herauszuholen. –
Wir laden jetzt nur noch Deckslast. Die großen Kisten mit den Propellerschlitten stehen rechts und links von der Großluke. Wären sie einen Zoll breiter und einen Viertelmeter länger, so gingen sie nicht mehr hin. Die Pferde stehen auf Deck, hinter den großen Kisten. Sie haben dort Lee. Es ist gerade, als ob wir unser Gepäck auf »Gustav Holm« zugeschnitten hätten.
27. April. An Bord des »Gustav Holm«. Auf unserem Expeditionsschiff ist es sehr gemütlich, wenn auch eng. Zwei von uns schlafen noch im Salon auf dem Fußboden, weil wir nicht genug Kojen haben, aber im Heu sind ja Schlafplätze ad libitum. Vor der Abfahrt kam noch der Kolonieleiter nebst Damen an Bord, es gab einen Rumtoddy, und wir improvisierten Musik mit Mundharmonika (Wölcken) und Gitarre (Holzapfel).
29. April. Seit gestern nachmittag sind wir in Godhavn. Der Landsvogt kam mit dem Kolonieleiter an Bord, aber die Nachrichten, die er brachte, sind nicht besonders gut. Die Nordostbucht hat festes Eis gehabt, und es ist sehr fraglich, ob wir die Kolonie Umanak und die Kamarujuk-Bucht mit dem Schiff erreichen können.
Wir haben rührendes Wiedersehen mit der »Krabbe« gefeiert. Sie lag bereits im Wasser und soll heute aufgetakelt und neben »Gustav Holm« gelegt werden. Gestern bei der Einfahrt hatten wir neun Grad Kälte, heute ist Schneewetter – der grönländische Sommer will noch nicht kommen. Ich habe mich jetzt endgültig von europäischer Kleidung freigemacht, auch bei dem heute bevorstehenden Frühstück beim Landsvogt.
30. April. Es ist doch eine verd... kitzlige Fracht, die wir haben. Kriegen wir Feuer an Bord, so sind wir fertig. An Löschen ist bei Benzin nicht zu denken. Immerhin ein Trost: Es wird dann eine hochanständige Feuerbestattung mit erheblichem Kostenaufwand.
2. Mai. Abends feierten wir den Abschied von unsern Kameraden. Loewe, Holzapfel und Jülg, unsere Schlittenreisenden, bekamen außer den Hundepelzen noch viele gute Ratschläge mit auf den Weg. Und Friedrichs und Kraus, unsere Seehelden, wurden vermahnt, die »Krabbe« auch heil nach Umanak zu bringen. Wir gehen jetzt los. Hoffentlich geht nun alles gut.
4. Mai. Die Schwierigkeiten beginnen. In der Nacht zu heute kamen wir an die Eiskante, die noch vor Umanak liegt. Ein Versuch, das Eis zu brechen, um in die Bucht hineinzukommen, mißlang. Aber es kam ein Hundeschlitten, dem ich einen Brief an den Kolonieleiter mitgab. Nach ein paar Stunden kamen der Arzt, der Kolonieleiter Dan Möller und der Motorschonerführer Olsen an Bord. Wir hörten schon hier, daß das Eis noch bis zu den Inseln Kekertat geht. Wir fuhren, alle Schlitten und Hunde an Bord nehmend, an die Stelle des Eisrandes, die dem Nordrand von Umanak am nächsten liegt. Der Kolonieleiter und der Arzt gingen hier mit Hundeschlitten wieder an Land, und wir luden auch gleich die Instrumente für die meteorologische Station in Umanak aus, die der Katechet für uns bedienen soll. Nur Olsen begleitete uns weiter bis Kekertat. Es war eine wundervolle Fahrt zwischen den jetzt noch verschneiten Bergkolossen. Nach dem Mittagessen machte der Kapitän mit dem ersten Steuermann, Vigfus, Herdemerten und mir einen Ausflug mit dem kleinen Motorboot des »Gustav Holm« an der Eiskante entlang. Wir beschlossen, morgen früh an der Eiskante etwa in der Mitte zwischen Kekertat und Agpatat mit dem Ausladen zu beginnen und alles ausgeladene Gepäck sogleich mit Hundeschlitten die zehn Kilometer nach Uvkusigsat fahren zu lassen. Inzwischen waren die Grönländer zum Schiff geströmt. Johann Fleischer, unser vorjähriger Freund, der Leiter der Außenstelle Uvkusigsat, war auch dabei, und ich habe gleich alles mit ihm verabredet. Er soll uns bis morgen früh zehn Schlitten aus Kekertat beschaffen und gegen Abend zehn aus Agpatat und Uvkusigsat.
Sorge und Georgi, die von den Erkundungsfahrten des vorigen Jahres her die Gegend kennen, sind mit Olsen auf Hundeschlitten zur Kamarujuk-Bucht gefahren, um die Eisverhältnisse dort zu untersuchen.
Ja, der zweite Punkt unseres Programms, die Erreichung der Kamarujuk-Bucht mit »Gustav Holm«, ist nicht geglückt, das läßt sich nicht leugnen. Nun müssen wir durch Tüchtigkeit gutmachen, was das Glück versäumt hat. Wenn es glückt, noch mit den Pferden zur Kamarujuk-Bucht über das Eis zu kommen, so können wir aus der Not eine Tugend machen und auf dem Gletscher früher zu arbeiten beginnen, als wir gedacht haben. Wenn nicht, so müssen wir eben warten, wofür Uvkusigsat immerhin ein annehmbarer Platz ist.
5. Mai. Wir müssen noch ein Stockwerk tiefer mit unsern Erwartungen. Georgi erzählt, das Eis in der Kamarujuk-Bucht sei jetzt schon so schlecht, daß man einen Stock glatt hindurchstecken kann. Die Pferde könnten dort schon jetzt nicht mehr gehen.
6. Mai. An der Eiskante. Gestern war ein ereignisreicher Tag. Nach zwei vergeblichen Versuchen, das Eis zu sprengen, gelang es, durch Einrammen des »Gustav Holm« eine Art Hafen am Eisrand zu schaffen, und wir konnten ans Ausladen gehen. Nach und nach kamen auch Hundeschlitten, und nachdem bekanntgeworden war, daß wir 1 Öre je Kilogramm Gepäck bis Uvkusigsat zahlten, suchte jeder Grönländer möglichst viel auf seinen Schlitten zu laden. Die Isländer arbeiteten inzwischen daran, die Pferde klar zu machen (leider können wir noch nicht an die Hufeisen heran), und um ½8 Uhr abends konnte auch die erste Pferdekolonne losgehen: elf Schlitten, zwölf Pferde, zehn Kutscher. Die Pferde und Gudmund blieben in Uvkusigsat. Dort wurden wir von Johann Fleischer zu mitternächtlicher Stunde mit grönländischem Bier bewirtet und fuhren dann auf drei leeren Hundeschlitten zum Schiff zurück. Unter dem Gepäck war auch unser Leichter, der Eisschienen hat und leicht von zwei Pferden gezogen werden konnte. Wir konnten bei der Arbeit Hunde und Pferde nicht getrennt halten, aber bisher hat keiner der doch recht wilden Hunde ein Pferd angefallen. Als wir um 1 Uhr nachts von Uvkusigsat zurückkamen, hatten die Propellerschlitten gerade ihren Vormarsch mit Hundevorspann angetreten. Sorge, Schif, Kelbl und Olsen gehen mit. Sie wollen versuchen, unmittelbar bis zur Kamarujuk-Bucht zu fahren. Im ganzen haben wir nach Aussage des ersten Offiziers gestern 35 000 Kilogramm an Land gebracht, eine geradezu erstaunliche Leistung.
Es war übrigens prachtvoll, die Grönländer wiederzusehen, die uns im vorigen Jahr geholfen haben. Einige kamen geradeswegs auf mich zu, um mir die Hand zu geben, alle freuten sich offenbar. Und dann das Wiedersehen mit den Hunden! Lille Smule, das Gespann von Abraham, alles war da, wenn auch mit Neulingen vermischt.
7. Mai. Gestern wurden 40 000 Kilogramm an Land gebracht. Abends fuhren alle Expeditionsmitglieder mit der zweiten Hälfte der Pferde nach Uvkusigsat; als wir noch nicht weit vom Schiff entfernt waren, kam die Kamarujuk-Gruppe zurück. Es war ihnen geglückt, die beiden Propellerschlitten heil hinzubringen. Aber es war auch die allerhöchste Zeit. Olsen brach einmal glatt durch das Eis, auf dem Rückweg auch schon die Hunde. Wenn uns doch jetzt noch das Wetter zu Hilfe kommen, der Wind umspringen und das Eis brechen wollte!
8. Mai. Heute ist unser ganzes Gepäck in Uvkusigsat.
10. Mai. Uvkusigsat. Die erste Nacht auf grönländischem Boden ist vorbei. Unser Abschied vom »Gustav Holm« war sehr herzlich, und als wir abfuhren, gab es Böllerschüsse und Flaggengruß! Nun beginnt ein neuer Abschnitt der Expedition: Die leidige Wartezeit. Nun gilt es, nicht nervös zu werden.
Abends. Jetzt stehen unsere zwei Sommerhäuser in der Nähe von Uvkusigsat. Heute haben wir aus den Schusterkisten Von der Sportfirma Schuster in München. alles Nötige ausgepackt und in Betrieb gesetzt. Ich sitze in unserm schönen großen Zelt mit Holzfußboden auf meiner Schiffskiste, den Rücken gegen das solide Kojengestell gelehnt, vor mir steht der Tisch, in dessen Schublade bereits Messer, Gabeln, Löffel und Tassen für uns sechs Zeltinsassen und drei Besucher liegen, daneben stehen zwei Klappstühle mit Rückenlehne, Vigfus kocht Pemmikan auf unserm funkelnagelneuen Primus, und daneben brennt einer unserer zahlreichen geschenkten Petroleumöfen. Auf dem Drahtgeflecht der Kojen liegen Strohsäcke, mit Heu gefüllt, und auf ihnen herrliche neue Daunenschlafsäcke. Draußen hängt ein Thermometer, das im Augenblick ½ Grad unter Null zeigt, aber hier im Zelt ist es warm. Das Zelt ist mit ganz famosen eisernen Sturmheringen festgesetzt, Schustersches Riesenformat, trifft aber in unserm Fall gerade das Richtige. Es herrscht allgemeine Begeisterung über alles, was Schuster geliefert hat, bis herab zu den handfesten Dosenöffnern! Auch das obere Zelt schwelgt in Einrichtungsfreuden und hat daneben ein lichtdichtes Seismozelt als Dunkelkammer aufgestellt. Herdemerten stellt triumphierend seine Harmonikamöbel auf, die Christoph und Unmack Baufirma des Winterhauses, das Herdemerten besorgt hatte. zum Winterhaus zugegeben haben, und alles schwelgt in Seligkeit. Eine so wohnliche und behagliche Sommerfrische hat noch niemand erlebt!
Die Grönländer meinen, wenn das Wetter kalt bleibt, würde das Eis in 14 Tagen, bei warmem Wetter in 8 Tagen gehen. Hoffen wir also, daß es warm wird! Heute weht immer noch kühler Wind von der See her, der die zerbrochenen Schollen nicht fortläßt und auch nicht am Eise zehrt. – Die Wartezeit wird uns lang werden!
14. Mai. Heute habe ich mit Lissey und einem Grönländer eine Tour mit Hundeschlitten nach Kekertat gemacht und dort zwei Proviantkisten für die »Krabbe« abgestellt. Sie kann jetzt kaum noch Proviant haben. Wo sie nur bleibt? – Unsere Radioleute, Weiken und Kelbl, übertreffen sich im Anlegen von Antennen. Heute wurde eine Antenne die Steilwand hinaufgebracht, 300 Meter lang! Aber sie hören leider noch nichts auf langen Wellen. Weiken richtet sich eine Pendelstation ein, und Georgi hat eine feinmechanische Werkstatt aufgemacht, wo er meteorologische Instrumente ausbessert, die auf dem Transport gelitten haben. Jetzt haben wir auch mit Hilfe von Grönländern alle Kisten vom Eisfuß aufs trockene Land hinaufgeschafft, damit die kommende Springflut ihnen nichts mehr anhaben kann. – Unsere Schachspiele sind eifrig in Gebrauch, Sorge im oberen und Gudmund im unteren Zelt sind die Hauptmatadore.
18. Mai. Es schneit wieder den ganzen Tag. Die geplante Besteigung des Spitzberges von Uvkusigsat mußte verschoben werden. Heute morgen war ich Koch und habe die Hafergrütze gemacht. Es geht wieder die Reihe herum. Das Eis liegt noch immer fest. Wer doch Sturm hexen könnte! Aber es herrscht seit neun Tagen fast völlige Windstille!
Abends. Die »Krabbe« ist da! Als ich heute mittag im oberen Zelt war, um einige Arbeitspläne zu besprechen, hörten wir Georgi rufen: »Die ›Krabbe‹ ist in Kekertat!« Ich lief sofort hinunter, und da kam auch schon Kraus, mit großem Hallo begrüßt; er brachte gute Nachrichten. Quervainshavn war ganz eisfrei. Bei der Landung wusch ihnen zwar eine Kalbungswelle ihr Gepäck vom Ufer ins Wasser, aber sie konnten fast alles wieder auffischen. Loewe hofft, am 25. in Scheideck einzutreffen.
19. Mai. 10. Wartetag. Ich fuhr mit Lissey mit Hundeschlitten nach Kekertat, was leider noch immer möglich ist. Das Wetter ist schlecht, dichter Schneefall, alle Berge im Nebel. Das Eis ist nicht entscheidend weiter zurückgegangen. Draußen auf dem Meere stürmt es. Diese lange Periode schlechten Wetters könnte nun endlich einmal ein Ende nehmen. Auch für unser Gepäck ist es schlecht. Das Schmelzwasser vom Schnee läuft in alle Kisten und verdirbt vieles. Vom Heu ist der größte Teil mit Persenningen zugedeckt, aber doch nur der größte Teil, und alles andere wird sehr naß. Tobias und Friedrichs begrüßten uns herzlich. Leider war ihnen gerade eine Reinigungsnadel in der Düse des Primuskochers steckengeblieben, so daß wir das gemeinsame Mittagessen mit der Lötlampe kochen mußten.
Es war hübsch, die »Krabbe« wiederzusehen, das brave Boot, das so viele Erinnerungen birgt, und abends in die Koje zu kriechen und dort warm und weich zu liegen, leise gewiegt, und wieder das klik-klak-kluk der Wellen an der Bootswand zu hören! Eben habe ich ein paar Photos von der »Krabbe« und dem Beiboot gemacht, die ganz mit Eiszapfen behangen sind, jetzt, am Ende des Wonnemonds!
21. Mai. 12. Wartetag. Gegen Mittag klarte das Wetter auf. Der Sturm hat das Eis so weit gebrochen, daß jetzt freies Fahrwasser ganz um die Kekertat-Inseln herum herrscht. Wir wollen versuchen, nach Umanak zu kommen.
Abends in Umanak! Wer hätte das gedacht? Der Hafen ist ganz eisfrei und auch ringsherum keine Spur von Eis zu sehen. Wir sind das erste einlaufende Schiff in diesem Jahr, denn der Motorschoner »Hvidfisken« lag ja den ganzen Winter hier.
23. Mai. Umanak. Gestern waren wir beim Kolonieleiter und beim Arzt zu Gast, haben einen Besuch an Bord des »Hvidfisken« gemacht, der unser Gepäck von Uvkusigsat nach Kamarujuk bringen soll, sobald das Fahrwasser frei ist, und dann Einkäufe in der »Stadt« Umanak. Am Abend brachten Friedrichs und Tobias die »Krabbe« aus dem Hafen heraus und in den Nothafen an der Westseite der Insel, denn der Ostwind trieb jetzt große Treibeismassen gegen den Hafen, der sich kurz nach unserer Abfahrt stark mit Eis füllte.
Nachts 24./25. Mai. Uvkusigsat. Nach stürmischer Fahrt ankerten wir heute an der Eiskante, und hier gingen Lissey und ich mit drei Grönländern, die wir gestern mitsamt ihren Hunden und Schlitten an Bord genommen hatten, da sie durch eine breite Rinne vom Lande abgeschnitten waren, aufs Eis und fuhren dann in rasendem Galopp gegen den Föhnsturm durch das aus dem Eis stehende Wasser, über und über bespritzt von den patschenden Hundebeinen, in einer halben Stunde nach Uvkusigsat. Hier ist inzwischen eine Längenbestimmung gemacht worden, auch das Radio geht jetzt gut. Weiken erhält seine Zeitsignale und fängt schon an zu pendeln. Wir müssen uns nach Loewe umsehen. Dazu wollen wir mit Schlitten, Ski und zu Fuß eine Erkundung nach Kamarujuk machen.
1 Uhr nachts 29./30. Mai. Kamarujuk. Die Fahrt hierher war herrlich. Zuerst mit Hundeschlitten bis Kekertarsuit, dann schoben wir die Schlitten selbst weiter, bis wir an eine ganz junge Neueisdecke kamen, die nicht trug. Nun ging es auf dem Eisfuß Dem Ufer aufsitzendes Meereis, das durch die Gezeitenspalte vom eigentlichen Meereis getrennt und daher fester ist als die von Ebbe und Flut bewegten Meereisschollen. weiter, zuletzt nur noch mit unserm leichten Korbschlitten, den wir trugen. Als wir offenes Wasser erreicht hatten, bliesen wir das Schlauchboot auf und fuhren nun in zwei Stunden bis Kamarujuk. Abfahrt von Uvkusigsat um 1 Uhr mittags. Ankunft in Kamarujuk um 1 Uhr nachts. Aber – Loewe ist noch nicht da! Nun wird die Sache schlimm! Nach seinen eigenen Angaben hat er Proviant bis zum 25., und jetzt sind wir fünf Tage weiter.
31. Mai. Der Aufstieg nach Scheideck war beschwerlich wegen des tiefen Schnees. Nur im Gletscherbruch verbesserte er den Weg. Leider fanden wir auch oben keine Spur von Loewe. Das Depot vom vorigen Jahr war tief verschneit, aber in langwieriger Grabearbeit gruben wir alles aus, was Sorge und Kraus brauchen, die noch bis zu unserm vorjährigen Zeltplatz »Abschied«, 45 Kilometer von Scheideck, erkunden sollen. Auf dem Rückweg wundervolle Abfahrt auf den schnell angepaßten Skiern aus dem Depot bis zum Bruch. Wir haben nur eine Abschmelzstange gefunden, die andern sind noch zu tief verschneit. Doch haben wir in dreistündiger schwerer Arbeit die beiden Propellerschlitten durch die Bachmündung in das Innere des Moränenzirkus geschoben, wo sie nun auf dem großen Schneefeld stehen. Damit ist die Gefahr beseitigt, daß sie später den Schneeanschluß an den Gletscher verpassen. Sorge und Kraus begleiten mich dann im Schlauchboot. Auf dem Eisfuß ging ich allein weiter, während die beiden andern zurückfuhren. Später bemerkte ich Grönländer, die mitten auf dem Eis des Ingneritfjords Haie fischten. Einer kam zu mir gefahren und erbot sich, mich nach Uvkusigsat zu fahren. Am Eisrand davor sahen wir die »Krabbe«, die sich draußen mit großen Schollen herumschlug. Als ich eine Viertelstunde im Zelt gesessen hatte, ging das Eis in Gestalt einer riesigen Tafel los. Sie war etwa 500 Meter breit und 5 Kilometer lang. Auch das Eis im Hafen ging mit, und die »Krabbe« – eben frisch gemalt und strahlend wie neu – lief als erstes Schiff in den Hafen von Uvkusigsat ein.
3. Juni. 25. Wartetag. Uvkusigsat. Endlich über Umanak Nachricht von Loewe. Er ist wegen überlasteter Schlitten umgekehrt und bittet, mit der »Krabbe« von Kudtlisat abgeholt zu werden. Das Nähere werden wir ja mündlich hören. Inzwischen ist hier der Spitzberg bestiegen, es sind photogrammetrische Aufnahmen gemacht und Weiken hat seinen zweiten Satz Pendelbeobachtungen erledigt und schließt damit diese Station ab. Ich bereite eine zweite Kamarujuk-Unternehmung vor.
9. Juni, Pfingstmontag, 31. Wartetag. Kamarujuk. Das Wetter ist trübe und meine Stimmung auch. Von unserm Aussichtspunkt auf der Moräne sieht man immer noch das Eis im Ingneritfjord liegen. Das Programm unserer Expedition wird allmählich ernstlich gefährdet durch die Hartnäckigkeit des Eises. Die Zeit verrinnt, und was wir hier machen können, ohne Pferde und Gepäck, ist herzlich wenig. Die Herfahrt war schwierig, halb auf dem Eis, halb mit dem Leichter. Wir haben hier ein Sommerhaus aufgebaut, die Propellerschlitten auf die unterste Gletscherzunge geschoben und uns auf einem Ausflug nach Scheideck den Gletscherbruch näher angesehen sowie die Weganlage besprochen. Aber wir kommen nicht recht weiter, ehe wir unser ganzes Gepäck hier haben.
Gestern kamen Sorge und Kraus von Scheideck herunter. Sie haben die Abschmelzstangen nirgends finden können, es ist alles noch zu tief verschneit. Sie maßen Schneetiefen bis zu 1½ Meter, und an einer Stelle kamen sie nicht bis aufs Eis durch.
12. Juni. Uvkusigsat. 34. Wartetag. Bin mit Kraus zusammen mit Handschlitten und Schlauchboot nach Uvkusigsat zurückgefahren. Bei der Einfahrt wurden wir von den Grönländern mit Geheul ausgesungen, wie ein großes Schiff. Zu unserer Freude lag die »Krabbe« im Hafen, und ich konnte gleich Loewe begrüßen. Seine Abteilung kam nur bis zu unserm vorjährigen Zeltplatz »Konkordia«, wo sie aber die Meßstange wegen sehr hoher Schneebedeckung nicht fanden. Holzapfels Schlitten war zerbrochen, und sie kehrten deshalb um. Die Abschmelzstation am Rande wurde gefunden und abgelesen. Die Abschmelzung betrug 2,50 Meter. Ich bin etwas enttäuscht über diesen Ausgang, aber es ist ja wenig wahrscheinlich, daß sie die andern Abschmelzstationen gefunden hätten.
13. Juni. 35. Wartetag. In der Nacht zu heute kam der Motorschoner »Hvidfisken«. Während er seine Ladung hier löscht, habe ich mit dem Führer Olsen eine Erkundungsfahrt an der Eiskante entlang gemacht. Morgen soll »Hvidfisken« die Hälfte unseres Gepäcks laden, und übermorgen wollen wir einen Versuch machen, die Eissperre zu durchbrechen. Jetzt um Mitternacht scheint die Sonne prachtvoll warm, aber es ist windstill, es fehlt der Ostwind, der alles Eis hinauswirft.
16. Juni. 38. Wartetag. Morgens. Seit gestern mittag sind wir im Eise. Wir versuchten gestern, nahe dem Südufer des Ingneritfjords das Eis zu brechen. Es war hier zwischen Eisbergen und Kalbeisbrocken besonders mürbe. Aber wir kamen nur einige hundert Meter voran. Olsen war drauf und dran, die Sache aufzugeben und nach Uvkusigsat zurückzukehren. Die »Krabbe« half zeitweise, besonders um den Motorschoner wieder loszueisen, wenn er hineingefahren war und nicht wieder zurück konnte. Sie brach dann neben dem Schoner das Eis, so daß dieser Luft bekam. Wir kamen aber doch nur verzweifelt wenig vorwärts. Abends machte ich noch mit der »Krabbe« einen Abstecher nach dem Nordufer, wo sich ein riesiges Eisfeld losgelöst hatte. Wir kamen hier dem offenen Wasser am Eingang der Kamarujuk-Bucht schon recht nahe, aber das Eis war dicker als am Südufer. Dann ging ich wieder auf den Motorschoner und schlafen. Nach 1 Uhr nachts wurden wir von dem grönländischen Wachmann geweckt: »Das Eis geht!« Eine riesige Eismasse hatte sich in Bewegung gesetzt, wir gingen um sie herum und legten uns mit Eisanker an die neue Eiskante. So waren wir doch noch gut vorwärtsgekommen, dank dem lebhaften Südostwind, der mit Föhnwolken und fallendem Luftdruck aufgefrischt hatte. Jetzt braucht nur noch ein 500 Meter breiter Streifen, der schon durch eine Rinne mit Schraubung abgetrennt ist, fortzugehen, dann können wir das offene Küstenwasser in der Kamarujuk-Bucht erreichen. Aber heute früh gab es eine Enttäuschung. Der Wind war nach Südwest umgesprungen, und die Auflösung der Eistafel ist zum Stehen gekommen. Das Eis ist hier so dick, daß Olsen keinen Versuch machen will, es zu brechen. Wir versuchen, mit Dynamit einen Hafen zu sprengen.
17. Juni. Wir sind die ganze Nacht vom 16. zum 17. Juni in Tätigkeit gewesen. Am Morgen herrschte Nordwestwind, der das Eis zurücktrieb, so daß wir liegenblieben. Die »Krabbe« kam und brachte uns zwei Proviantkisten und einen Petroleumofen, mußte dies aber damit büßen, daß sie durch große Eisfelder vom freien Wasser abgeschnitten wurde und bis zum Abend gefangen war. Nachmittags flaute der Wind ab, und wir machten einen großzügigen Sprengversuch, um in die Rinne offenen Wassers zu kommen: 18 gleichzeitige Sprengungen von je 1½ Kilogramm. Aber es wurde ein Fiasko. Erstens dauerte es sehr lange, bis alle diese Leitungen gelegt waren, und dann gingen sie nicht los; Loewe und Wölcken versuchten dann, wieder in vielstündiger Arbeit, die Ladungen einzeln abzuschießen. Aber zehn gingen überhaupt nicht los und mußten versenkt werden. Inzwischen war Olsen ungeduldig geworden, hatte anheizen lassen und machte einen Versuch, den 500 Meter breiten Streifen bis zur befreienden Rinne mit dem Motorschoner zu brechen. Anfangs ging es noch ganz gut, solange wir in der großen Wake genügend Anlauf nehmen konnten. Aber als die Rinne länger wurde, ging das nicht mehr, und da begannen wir wieder mit Dynamit. Loewe und Wölcken sprengten immer, während wir Anlauf nahmen, zwei bis drei Löcher in etwa sechs Meter Abstand. Es brauchte keiner auf den andern zu warten, man sah sofort den Erfolg und konnte sich verbessern. So herrscht jetzt große Begeisterung über diese Methode, aber sie kostet viel Dynamit und Zündkapseln. Es wurden stets nur ziemlich kleine, kreisrunde Löcher herausgeschossen, aber immerhin kann man so das für das Eis zu schwache Schiff wirksam unterstützen. Und als wir so von 6 Uhr abends bis 3 Uhr morgens gearbeitet hatten, öffnete sich das Eis! Aber nicht bei uns, sondern weiter südlich! Alle Arbeit war umsonst, wir hätten ebensogut still liegen und schlafen können. Warum verläuft die neue Rinne dort drüben und benutzt nicht unsere fast fertige Fahrrinne? Hier bei uns brauchen nur hundert Meter zu zerreißen und dort zerreißen tausend! Wie gleichgültig geht die Natur über unsere Leistung hinweg!
Vollkraft voraus in die neue Rinne! Wir hatten zwar auch hier noch etwas mit dem Eis herumzuarbeiten, kamen aber doch sehr bald in die offene Rinne, und damit war der Weg nach Kamarujuk frei. Morgens um 7 Uhr fiel unser Anker in der Kamarujuk-Bucht. Hurra! Die achtunddreißigtägige Wartezeit von Uvkusigsat ist zu Ende!