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Meteorologische Arbeiten an der Weststation

Von Rupert Holzapfel

Endlich war im September 1930 ein kleiner Stapel sonderbarer Dinge in Scheideck versammelt, von denen man nicht ahnen konnte, was daraus entstehen sollte. Ein paar Bambusstangen, ein paar wunderbare Säcke, ein Gestell mit vier Eisenbeinen, eine Rolle und so manches andere lagen dort. Mit Hilfe von zwei Grönländern entstand bald aus den Eisenbeinen und der Rolle eine Handdrachenwinde, und in kurzer Zeit war sie auf einem Felsvorsprung des Nunatak aufgestellt und mit Steinen beschwert, »fest« verankert, wie wir glaubten.

Dann kam der Inhalt des einen Sackes ans Tageslicht. Schöner weißer Stoff, ein paar Bambusstangen und ein schreckliches Drahtgewirr. Ein Ding hing an dem andern. Die Grönländer staunten, ich aber betete im stillen: »Bloß jetzt keinen Wind, sonst ist's unmöglich, den Drachen aufzustellen!« Und der Himmel hatte Einsehen. Am Fels wurde das eine Ende des Drachens fest gezurrt, am andern zogen zwei Eskimo; ich stand mitten im Drahtverhau und hantierte mit zwei langen Stangen und rief immerzu: »Amelu!« »Noch mehr!« Mit aller Kraft zogen die beiden Leute an, endlich schnappten die Stangen ein, und die vordere Zelle des Drachens stand. Bald waren auch die Steuerzelle fertig und die Längsstreben eingezogen. »Pingapok!« sagten die Grönländer zu dem Kastendrachen, »schön!«

Nun konnte der Wind kommen. Am nächsten Tag war er auch da, aber die Grönländer hatten andere Arbeit, die Transportarbeiten mußten vorgehen. Endlich bekam ich doch einen Mann zu fassen, den kleinen Rasmus, Wegeners späteren Begleiter. Mit dem war die Verständigung halbwegs möglich über das, was er machen mußte. Rasmus blieb an der Winde, ich zog mit dem Drachen los. Der Wind war schön, aufs Fertigzeichen stellte ich den Drachen hoch, der Wind faßte ins Tuch. Steil schoß er in die Höhe, voll Freude sah ich ihm nach, nun zur Winde! Aber was war das? Der Fels war leer; dafür kam ein undefinierbarer Knäuel mit ziemlicher Geschwindigkeit über das spiegelblanke Eis auf mich zu. Hinterher lief Rasmus, ich ihm entgegen. Da hatten wir die Bescherung: Rasmus hatte die Bremse festgezogen; durch den Ruck beim Steigenlassen hatte die Winde Übergewicht bekommen, war aufs Eis heruntergefallen und endlich zwischen ein paar Höckern liegengeblieben. Der Drache stand etwa 150 Meter hoch in der Luft. Nun war guter Rat teuer. Die Kurbel war verbogen, der Draht aus der Führung gesprungen und ein paarmal um die Achse gewickelt. Jeden Augenblick konnte er brechen, und dann waren auch der Drache und das kostbare Instrument verloren. Mühsam klopften wir die Kurbeln gerade, holten Steine, um die Winde neu zu verankern, und versuchten, den Draht wieder in Ordnung zu bekommen. Endlich gelang es uns, und nach einigen Stunden Arbeit konnten wir den Drachen glücklich landen. »Sehr schön war dieser Anfang ja nicht«, dachte ich mir.

Die nächsten Aufstiege gelangen aber schon ohne Zwischenfälle. Besonders als dann im Frühsommer 1931 die Motorwinde in Betrieb genommen werden konnte, war für Kelbl und mich das »Drachensteigenlassen« ein richtiger »Sport«. Leider mußte der Betrieb bald wieder aufhören, weil der Motor für die lebensnotwendige Funkanlage benötigt wurde.

Wozu sollten diese Drachenaufstiege dienen? Kurz gesagt, zur Ergänzung der meteorologischen Beobachtungen.

Die meteorologischen Verhältnisse an der Westküste Grönlands sind ziemlich gut bekannt, doch beziehen sich fast alle Beobachtungen auf Punkte, die mitten in den großen Fjordsystemen liegen und durch die örtlichen Verhältnisse stark beeinflußt sein können. Deshalb sind sie für die Erforschung des großen Wetterverlaufes über Grönland oft nur sehr schwer zu verwerten. Da wir einen meteorologischen Querschnitt über das Inlandeis legen wollten, waren diese örtlichen Beeinflussungen sehr störend. Um davon frei zu werden, wurde die Basisstation an der Westküste auch auf das Inlandeis verlegt, 1000 Meter hoch über dem Meer, zum Winterhaus. Dort oben wurden auch die aerologischen Aufstiege ausgeführt, die wenigstens an einzelnen Tagen ein recht gutes Bild des Zustandes der Luft gaben, die über dem Inlandeisrand lagert.

Um aber auch die Wetterverhältnisse der Umanakbucht, aus der schon manche ältere Beobachtungen vorliegen, genau kennenzulernen, errichteten wir in Meereshöhe noch zwei meteorologische Beobachtungsstellen, eine in Kamarujuk, die von den jeweils anwesenden Kameraden bedient wurde, und eine in der Kolonie Umanak. Für die Betreuung dieser Station gewannen wir einen Grönländer, den Oberkatecheten E. Kruse, der dafür Interesse zeigte und die Station so gut verwaltete, daß bei unserer Abreise das dänische meteorologische Institut sie übernahm und weiterführte.

Aus diesen drei Stationen ergibt sich nun ein sehr hübsches Bild der meteorologischen Verhältnisse eines der größten Fjordsysteme Grönlands. So ist z. B. das Vorschreiten des Inlandeisklimas mit der Eisbildung im Fjord sehr schön zu verfolgen. Solange nur der innerste Teil der Fjorde Eis bedeckt ist, zeigt sich in Umanak eine starke Beeinflussung durch die in der Davisstraße liegenden Zyklonen. Erst wenn das Meereis auch den äußeren Teil des Fjordes bedeckt, steht Umanak ganz unter dem Einfluß der Kaltluft. Da zeigt sich auch die aus den Alpen bekannte Erscheinung der Temperaturzunahme mit der Höhe. Besonders im engen Kamarujuk sammelt sich die kalte Luft und führt dort oft zu tieferen Temperaturen als auf dem Inlandeis beim Winterhaus.

Ganz anders liegen dagegen die Verhältnisse im Sommer. An schönen Tagen bieten Umanak und besonders Kamarujuk ein Föhnbild in einer Reinheit, wie man es selten in den Alpen kennenlernt. An den Feuchtigkeitskurven von Kamarujuk sind dann die einzelnen Böen des Föhns deutlich zu sehen. Die vom Inlandeis absinkende Luft erwärmt sich sehr stark und trocknet aus, so daß sich jede Böe durch eine starke Zacke im Hygrogramm anzeigt. Sehr oft sinkt hier die relative Feuchtigkeit plötzlich auf 20 v. H. und weniger, die Luft wird so trocken wie sonst in der Wüste. Mit dem Nachlassen der Böe steigt dann die Feuchtigkeit wieder auf 70 v. H. der vollen Sättigung der Luft mit Wasserdampf.

Für die Durchführung der Drachenaufstiege waren diese Verhältnisse recht unangenehm, denn es zeigte sich, daß die vom Inlandeis abströmende Luft nur bis in eine Seehöhe von etwa 1300 Meter hinaufreicht. Während wir am Boden bei Scheideck gelegentlich noch eine Windgeschwindigkeit von etwa 10-15 Meter in der Sekunde haben, ist schon 300 Meter darüber der Wind so schwach geworden, daß der Drache sich nicht mehr hält. Auch ein Aufschwimmenlassen des Drachens in der Windschicht und rasches Einholen zum Hochwerfen hatte meist nicht den gewünschten Erfolg; der Drache bekam auch weiter oben nicht den nötigen Wind, der ihn tragen konnte, sondern fiel immer wieder zurück. Dadurch war es oft nicht möglich, Registrierungen aus einer größeren Höhe als etwa 1500 Meter Seehöhe zu bekommen.

siehe Bildunterschrift

Aufnahme Kelbl. Mehren, Kurt Wegener, Höygaard beim Winterhaus der Weststation.

Die Windströmungen der Höhe maßen wir mit sogenannten Pilotballonen, kleinen wasserstoffgefüllten Ballonen, die frei aufgelassen und durch ein Fernrohr mit Winkelablesung, einen Theodoliten, im Fluge verfolgt wurden. Die Aufstieggeschwindigkeit solcher Ballone ist bekannt; man kann daher aus den Winkeln, unter denen der Ballon vom Boden aus erscheint, Richtung und Geschwindigkeit des Windes in den verschiedenen Höhen bestimmen. Auch diese Aufstiege ergaben, wenigstens im Sommer, daß über dem vom Inlandeis mit großer Regelmäßigkeit herabsetzenden Südostwind in einigen hundert Meter Höhe über dem Boden eine windschwache Zone beginnt, die bis in große Höhen reicht. So konnten wir die Ballone, die nicht weit vom Aufstiegsplatz, dem Winterhaus, forttrieben, bis in große Höhen verfolgen, vielfach bis über 15 Kilometer, einmal bis zu einer Höhe von 26 Kilometer. Dazu half auch die außerordentliche Sichtigkeit in den Polargebieten, die uns oft die 100 Kilometer entfernten Berge im Westen der Halbinsel Nugsuak greifbar nahe heranzauberte. Die Luft in Grönland ist ja arm an trübendem Wasserdampf, da kalte Luft nur wenig davon enthalten kann; sie ist auch arm an kleinen Staubteilchen, denn auf dem Inlandeis und Meer kann ihr kein Staub zugeführt werden, und auch auf dem Lande reichen die aufsteigenden Luftströmungen nicht in größere Höhen.

*

Eine oft undankbare Aufgabe des Meteorologen war es, auf Grund seiner Beobachtungen Wettervoraussagen für die nächste Zeit zu liefern. Daher war es eine besondere Freude für ihn, wenn der vorausgesagte Wetterumschlag einmal so pünktlich eintraf wie an dem Tag, als Weiken und Kraus ihre Entsatzreise antreten wollten.


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