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Von Karl Weiken und Manfred Kraus
Im kommenden Sommer sollten von der Weststation aus eine trigonometrische Höhenmessung von der Küste bis zur Station »Eismitte«, Eisdickenmessungen und Schweremessungen auf möglichst vielen Punkten des Inlandeises, dazu manche andere, besonders gletscherkundliche Messungen ausgeführt werden. Zudem mußte Station »Eismitte« für den Sommer weiter versorgt und im August aufgelöst werden. Für all das würden viele große Schlittenreisen notwendig sein. Weitere Reisen hatten Wegener, Loewe und Sorge vor, nach Norden, Süden und zur Ostküste Grönlands, zu unserer Station im Scoresby-Sund.
Für all diese Reisen standen uns die beiden Propellerschlitten und zwölf Nansenschlitten zur Verfügung. Durch die Erfahrungen des letzten Herbstes war unser großer Optimismus für die Propellerschlitten verflogen. Für die besseren Reisebedingungen des Sommers jedoch erhofften wir noch guten Nutzen von ihnen. Die Hauptarbeit würde allerdings wieder den Hundeschlitten zufallen. Sie sind zwar langsam, hatten sich aber als leistungsfähig und unbedingt betriebssicher erwiesen.
Die erste Schlittenreise des Frühjahrs mußte der Aufklärung des Schicksals unserer Kameraden in »Eismitte« dienen. Dabei mußten wir auf alles gefaßt sein, von der Möglichkeit, daß Wegener, Loewe und Rasmus auf der Ausreise, Georgi und Sorge auf der Rückreise umgekommen waren, bis zu dem Fall, mit dem wir eigentlich alle rechneten, daß alle fünf Kameraden wohlbehalten in »Eismitte« saßen. Selbst dann schien es wahrscheinlich, daß die Besatzung in »Eismitte« abgelöst werden müsse. Holzapfel erklärte sich sofort bereit, die Station den Sommer über allein weiterzuführen.
Als endlich in der zweiten Märzhälfte der Antransport des Hundefutters begann, mußten wir zu unserm Entsetzen feststellen, daß die Hellefische nur sehr wenig getrocknet waren. Ohne die Bemühungen des Leiters der Außenstelle Ikerasak, Thomsen, hätten wir überhaupt kein Futter bekommen, das für größere Schlittenreisen brauchbar gewesen wäre. In seinem Bezirk war das Eis früher als an den andern Stellen der Umanak-Bucht fest geworden, und er hatte Fang und Trocknung so zeitig als möglich betrieben. Trotzdem war auch dieses Futter für eine durchgehende Schlittenreise nach »Eismitte« viel zu schwer. Mit 30 Reisetagen mußten wir rechnen. Gelang es uns nicht, einen Teil des Futters mit den Propellerschlitten nach vorn zu schaffen, dann war eine zeitraubende Depotfahrt mit Hundeschlitten nicht zu umgehen.
Am 23. März reisten Jülg und ich in die Grönländersiedlungen, um Hunde zu besorgen, Jülg nach Süden, ich nach Norden. Jetzt, da die Grönländer für ihre Fangreisen auf dem Eise auf ihre Hunde angewiesen waren, wollte uns natürlich niemand Hunde leihen. Wir mußten die Tiere einzeln kaufen. Am 29. März trafen wir beide wieder in Uvkusigsat ein, wohin wir für den nächsten Tag unsere fünf besten Inlandeisgrönländer mit den Hunden bestellt hatten. In Scheideck fanden wir einen Propellerschlitten vor, den Kelbl und Kraus inzwischen geholt hatten. Kraus berichtete darüber folgendes:
»Mit dem ersten von den Grönländern heraufgetragenen Hundefutter rüsteten wir eine Hundeschlittenabteilung aus und brachen in den letzten Märztagen auf: drei Schlitten, vier Grönländer, Kelbl und ich. Das Inlandeis war noch recht winterlich. Die Wegmarkierung vom Vorjahr war fast ganz verschwunden, und erst nach drei Tagen fanden wir den ersten Propellerschlitten bei km 41. Bis auf den hochgebauten Motor lag er ganz im Firnschnee begraben. Wir machten uns sofort ans Werk, und mit Eisäxten und Schaufeln gelang es, den Schlitten in mehrstündiger Arbeit freizulegen. Abends begann das übliche Schneefegen und drohte alles aufs neue der Oberfläche gleichzumachen. Jede Mühe, den Schlitten herauszuschieben, war erfolglos; die Kufen waren wie mit dem Firn verwachsen. Während die Grönländer den Treibschnee fernhielten, nahmen wir die Kufen einzeln ab, um sie im Zelt vom Eis zu befreien und zu wachsen. Es war wohl Mitternacht, als wir mit Aufbietung aller Kräfte den Schlitten zentimeterweise an die Oberfläche geschafft hatten. Am nächsten Tage wurde der Motor von Schnee und Eis gereinigt und unter einer dicken Leinenhülle mit Petroleumkocher und Lötlampe aufgetaut und getrocknet. Eine genaue Prüfung und der folgende Probelauf überzeugten uns, daß alles in Ordnung war. Nun konnten wir die Heimfahrt wagen. Die Hundeschlitten hatten uns schon am Morgen verlassen, erreichten aber erst am Abend, eine Stunde vor uns, die Weststation. Hier zeigte sich, daß die Ausbesserungsarbeiten längere Zeit in Anspruch nehmen würden.« –
Mit einer Nutzfahrt der Propellerschlitten war also in den nächsten Wochen noch nicht zu rechnen. Deshalb mußten wir zunächst eine Depotreise mit Hundeschlitten machen, die Jülg und ich mit fünf Grönländern am 3. April antraten. Nach sieben Tagen, wobei wir an zwei Tagen wegen Schneesturms nicht reisen konnten, erreichten wir ein von Wegeners letzter Reise bei km 120 errichtetes Depot. In den ersten Tagen bewegten sich die Temperaturen um -30 Grad, dann aber um -40 bis -42 Grad. Die vorjährigen Flaggen waren alle vom Schnee verdeckt, wären im Schneefegen auch sonst kaum zu sehen gewesen. Doch jetzt konnten wir ja darauf verzichten, dem alten Weg zu folgen. Nach Kompaß und Sonne hielten wir die Richtung nach Osten und steckten auf dem Weg für die späteren Reisen eine neue Flaggenreihe aus. Die vorjährigen Depots fanden wir, wenn nicht anders, dann durch Messung der Sonnenhöhen. Selbst bei Schneefegen und leichtem Nebel war die Sonne meistens zu sehen.
Am ersten Morgen der Rückreise kam Jülg von der Kolonne ab. Er war schneeblind geworden und hatte uns und unsere Spur aus den Augen verloren. Wir kehrten um und fanden seine Spur bald. Sie führte etwas südlich unseres Weges nach Westen. Seiner Spur folgend fanden wir Jülg am Nachmittag wieder. Während der Weiterreise mußte er nun mit verbundenen Augen als »blinder Passagier« auf dem Schlitten eines Grönländers sitzen. Trotz dieses recht unangenehmen Zwischenfalls dauerte die Rückreise zur Weststation nur zwei Tage. Durch diese Depotreise hatten wir 1300 Kilogramm Futter und Lebensmittel nach km 120 vorgeschoben.
Durch die schlechte Schlittenbahn waren die Hunde stark mitgenommen. Acht bis zehn Tage brauchten sie Ruhe und gute Pflege. Neue Hunde waren nicht zu haben. Also Start der Hauptreise nicht vor dem 20. April!
Die Schneewehen auf dem Inlandeis waren noch ebenso hoch und scharf wie im November und Dezember. Nur lag zwischen ihnen viel weicher Neuschnee, der die Fahrt der Schlitten stark hemmte. Es war deshalb nicht mehr damit zu rechnen, daß die Propellerschlitten schon auf ihrer ersten Reise nach »Eismitte« die Depots für die Höhenmessung würden auslegen können. Jülg und ich mußten deshalb unsern Plan, von »Eismitte« aus sofort mit der Höhenmessung zu beginnen, aufgeben. Jülg fiel auch schon wegen seiner Schneeblindheit für die nächste Reise aus.
Der Start für die Hundeschlittenreise nach »Eismitte« wurde durch ein Unwetter mit viel Neuschnee und Nebel um mehrere Tage verzögert. Erst am 23. April konnten wir aufbrechen: Holzapfel und ich mit unsern fünf Grönländern. Für unsere sieben Schlitten hatten wir jetzt 81 Hunde. Der neuen Flaggenreihe konnten wir gut folgen, aber der tiefe, weiche Schnee hemmte die Fahrt sehr. Trotz langer, anstrengender Märsche kamen wir über eine Tagesleistung von 20 Kilometer nicht hinaus. Schon nach einer Woche ließen die Kräfte der Hunde bedenklich nach. Wir waren gezwungen, einen Teil des Sommerproviants für »Eismitte« bei km 120 liegenzulassen. Vielleicht würden ihn die Propellerschlitten nachbringen können.
Von km 151 hatten wir im vergangenen Herbst den letzten Brief Wegeners erhalten. Von jenseits dieses Punktes wußten wir nichts mehr über seine Reise. Wir untersuchten deshalb auf der ganzen Strecke von km 151 bis »Eismitte« jede Kleinigkeit, die uns irgendwelchen Aufschluß über Wegeners Ausreise und über die etwaige Rückreise einer Abteilung hätte geben können. Wir fanden manches von Wegeners Reise, aber nichts deutete auf die Rückreise einer Abteilung. Nach allem schien die Ausreise planmäßig verlaufen, die Rückreise aber nicht angetreten zu sein. Wir zweifelten jetzt kaum mehr daran, die fünf Kameraden gesund in »Eismitte« anzutreffen.
Hinter km 200 waren wegen geringeren Niederschlags alle vorjährigen Flaggen noch zu sehen. Die Schlittenbahn war dort vollständig eben und hart. Dadurch gelang es uns, trotz der vorangegangenen Anstrengungen die letzten 175 Kilometer in drei Tagen zurückzulegen und damit einen nicht wieder erreichten Rekord für Reisen ins Innere aufzustellen. Am vorletzten Abend holten uns die Propellerschlitten ein. Sie brachten den bei km 120 zurückgelassenen Teil des Sommerproviants für »Eismitte« mit, den wir nun wieder übernahmen. Wir blieben die Nacht über bei km 335 zusammen liegen. Der nächste Tag brachte ein ungleiches Wettrennen zwischen Propeller- und Hundeschlitten. Wir brachen früh auf, um heute noch »Eismitte« zu erreichen, aber schon nach wenigen Stunden überholten uns die Propellerschlitten. Wie würde sich Wegener über diese großartige Leistung seiner Motorschlitten freuen! Auch Kelbl und Kraus war nach all den bisherigen Enttäuschungen der Triumph zu gönnen, als erste nach »Eismitte« zu kommen.
Über die Reise der Propellerschlitten gibt Manfred Kraus den folgenden Bericht:
»Erst am 25. April gelang es Kelbl, mir und unsern grönländischen Helfern, auch den zweiten Propellerschlitten zu bergen, der im Herbst 51 Kilometer vom Inlandeisrand hatte verlassen werden müssen. Wir mußten bei ihm an Ort und Stelle noch Zylinder und Kolben auswechseln. An der Weststation wurde auch dieser Motor überholt. Natürlich wurde jede Arbeit unter freiem Himmel vorgenommen; denn Garagen gibt's ja nicht in Grönland.
Endlich stehen nun Ende April unsere beiden knallroten Propellerschlitten wenige Meter neben der Dachfläche des ganz eingeschneiten Winterhauses startbereit im weichen Pulverschnee. Einer ist sogar mit Kleinfunkgerät ausgerüstet. Doch Schneesturm, Neuschnee und Nebel zwingen uns auch diesmal zum Warten. Bei dem Gedanken an die Kameraden in ›Eismitte‹, deren Proviant jetzt verbraucht sein muß, verlieren wir nach mehreren Tagen fast die Geduld. Schon hat die Hundeschlittenkarawane, die ebenfalls nach ›Eismitte‹ unterwegs ist, acht Tage Vorsprung, als sich endlich bei uns der Himmel aufhellt und den Horizont freigibt.
Am 1. Mai gegen Mittag gleiten beide Schlitten, sofort Kurs nach Osten nehmend, über das ansteigende Inlandeis, Kelbl am Steuer des ›Schneespatz‹, ich auf ›Eisbär‹ und je ein Grönländer als Beifahrer. Mühsam, oft bei langsamster Fahrt, muß jeder Buckel erzwungen werden. An andern Stellen sind die Schneewehen meterhoch, und nur geschickte Fahrmanöver verhindern das Steckenbleiben. Bei km 70 setzt der selten fehlende Südostwind ein und bringt den lose liegenden Schnee in rieselnde Bewegung. Johann Villumsen, mein kleiner Eskimo, Rasmus Villumsens Bruder, behält trotzdem die Wegmarkierung bewundernswert im Auge. Wieder kommt eine Zone mit kreuz und quer laufenden Schneewehen, die sich gerade immer an den steilsten Stellen des Inlandeises finden. Diesmal hilft kein Vollgas; fast gleichzeitig stehen beide Schlitten! Nur mit großen Hebeln gelingt es, wieder in Fahrt zu kommen. Der Motor gibt das Letzte her; und erst wenn der Schlitten in Bewegung ist, kann der Führer flink ans Steuer springen und muß dabei aufpassen, nicht von dem unmittelbar hinter ihm sausenden Propeller getroffen zu werden. Auch der helfende Grönländer darf nicht einen Augenblick aus den Augen gelassen werden; denn jedes Ausgleiten oder Fehlgreifen würde ein Unglück bedeuten. Vorsichtig, in Serpentinen, nehmen wir den Hang. Wind und Schneefegen nehmen zu; das Finden der Markierung macht immer größere Schwierigkeiten. Der Schnee jagt in einem halben Meter Höhe genau nach hinten und täuscht eine rasende Fahrt vor. Nun verändert sich auch der Himmel, und bald ist alles ringsum weiß in weiß. Irgendwo seitlich sieht man den ›Schneespatz‹; er scheint im Nichts zu schweben. Nur mit Hilfe des Kompasses sind die 500 Meter voneinander entfernten Wegzeichen zu finden. Der stärker werdende Wind drückt die Fahrtleistung herab und zwingt uns schließlich, für heute die Reise aufzugeben. Ganz dicht werden die Motoren eingepackt, damit der durch die feinsten Öffnungen dringende Treibschnee keine Störungen verursachen kann. Das Wetter wird immer schlechter: wir müssen liegenbleiben!
Erst am dritten Tage gegen Abend ist an einen Start zu denken. Es wird klar und kalt, wohl unter 20 Grad. Kaum sind wir 30 Kilometer weitergekommen, als sich bei untergehender Sonne Bodennebel einstellt und wir abermals Zelt schlagen müssen. Zwar fällt uns das Warten schwer; aber nur, wenn kein Tropfen Benzin umsonst verfahren wird, kann die Reise gelingen. Am folgenden Tage, dem 5. Mai, kommen wir recht gut vorwärts. Die von den Hundeschlitten gesteckte, nicht immer gerade Route wird in noch hängenden Nebelwänden einige Male verloren und wiedergefunden. Immer noch bringen die im Nebel kaum erkennbaren Schneewehen den Schlitten in springende Bewegung, bei der das Fahrwerk auf eine harte Probe gestellt wird. Bei km 200, wo wir wieder übernachten, müssen wir zu unserm Schreck feststellen, daß die Hinterachsen stark durchgebogen sind und bei nächster Gelegenheit zu brechen drohen. Nun gilt es, alle Last nach vorn zu laden und möglichst jeden Stoß zu vermeiden. Von dem hier noch vom Vorjahr liegenden Betriebsstoff tanken wir, nehmen aber, um nicht durch zu großes Gewicht behindert zu werden, nur eine genau bemessene Menge mit.
Die Bahn wird nun ebener, aber auch weicher. Die Kufen schneiden tief ein. Erst weiter im Innern verschafft uns der glitzernde Polarreif ein leichteres Gleiten. Schon will die Sonne im Norden unter den Horizont sinken, als in der Ferne mehrere kleine Punkte auftauchen: die Hundeschlittenkolonne. In wenigen Minuten sind wir dort und begrüßen die Kameraden Weiken und Holzapfel sowie die fünf Grönländer. Wir sind bei km 320, kurz vor dem Ziel. Damit auch die Hundeschlitten morgen nach ›Eismitte‹, km 400, kommen, müssen heute noch 15 Kilometer geschafft werden. Im tiefen Schnee können die Propellerschlitten nur mit Mühe in Bewegung gebracht werden. Es ist Mitternachtsdämmerung. Die Kälte nimmt zu; Vergaser und Benzinleitungen bereifen, und mit stotterndem Motor lege ich die letzte Strecke bis km 335 zurück. Ich tröste mich: morgen bei Sonnenschein wird es schon wieder gehen. Spät kommen die Schlitten mit todmüden Hunden an, und früh am Morgen brechen sie wieder auf; ein Wettlauf zwischen ihnen und uns beginnt.
Alle sind guten Mutes und freuen sich auf das Wiedersehen mit Wegener und den Kameraden, die einsam in der Mitte Grönlands in Schnee und Eis überwintert haben. Noch knappe zwei Stunden, und wir sind bei ihnen und können helfen, wo es am nötigsten ist. Brennstoff für die Heimreise bleibt hier zurück. Schnell wird alles geprüft; die Achsen haben gehalten. Alles in Ordnung! Plötzlich aber packt mich ein heftiger Schreck: der im Rumpf eingebaute Haupttank ist undicht; das unersetzliche Benzin tropft unaufhaltsam in den Schnee! An den Tank ist kaum heranzukommen, und beim Ablassen würde ebenfalls viel Brennstoff verlorengehen. Da hilft kein langes Überlegen. Also so schnell wie möglich los; bei recht flotter Fahrt komme ich vielleicht ans Ziel! Jetzt im letzten Augenblick darf unser Unternehmen unter keinen Umständen scheitern. Wir fahren deshalb so schnell, als es die krummen Achsen erlauben. Die Hundeschlitten werden bald überholt; die Schneemänner der Strecke tauchen weit im Osten auf und verschwinden schnell hinter uns im Westen. Wenn nur der undichte Tank nicht wäre!
Dann eilen die Gedanken voraus nach ›Eismitte‹. Werden wir alle Kameraden vorfinden? Und wie werden sie den schweren Winter überstanden haben? km 385 – noch habe ich Benzin – da sichtet Johann als erster die Schneeburg von ›Eismitte‹. Es ist geschafft! Größer wird die Burg und größer unsere Spannung; schneller saust der Propeller – unwillkürlich muß ich den Gashebel bewegt haben. Johann meint, Gestalten zu sehen. ›Ist mein Bruder Rasmus dabei?‹ fragen seine Augen. – Jetzt muß sich alles entscheiden. Ich sehe nur zwei Menschen; sie winken; mein Herz klopft zum Zerspringen! – Wirklich nur zwei? – Ich fahre eine Runde und stelle den Schlitten genau auf den festen Schnee der eigenen Spur. Leerlauf und hinaus; dann habe ich Sorge im Arm. Wir fragen gleichzeitig nach Wegener. Die stumme Antwort sagt uns beiden alles.
Ich gehe zum Schlitten zurück und weiß, daß das Schlimmste geschehen ist. Mechanisch wird der Motor abgestellt, geölt und zugedeckt. Johann ist totenblaß; er weiß nun auch, daß sein Bruder tot ist. Ich kann zu wenig grönländisch, um dem armen Kerl ein gutes Wort zu sagen. In der Eishöhle erfahren wir von Georgi, daß Wegener am 1. November mit Rasmus die Rückreise angetreten hat, während Loewe wegen erfrorener Zehen dort bleiben mußte.« –
*
In der Nacht vom 7. zum 8. Mai kamen auch wir Hundeschlittenreisenden auf der Station »Eismitte« an. Aus dem dichten Nebel tauchten erst auf kürzeste Entfernung die Propellerschlitten und das Zelt ihrer Besatzung auf. Im Lager war unheimliche Stille, niemand zu sehen. Ich stürzte auf das Zelt zu: »Was ist los?« Keine Antwort. Dann kommt Loewe heraus, bärtig, humpelnd: »Wegener und Rasmus sind am 1. November nach Westen gereist, also umgekommen.« –
Bis zum frühen Morgen saßen wir in der Firnhöhle »Eismitte« zusammen. Unsere Gespräche, unsere Gedanken galten Wegener, unserm nun toten Wegener, und seinem treuen Gefährten Rasmus.
Kraus hatte das Kleinfunkgerät aufgebaut und schon beim ersten Versuch die Entfernung von 600 Kilometer bis Godhavn überbrücken können. Am 8. Mai mittags tastete er die inhaltschwere Meldung an die Heimat.
Georgi, Sorge und Loewe hatten zu unserer Freude und Verwunderung die Überwinterung in »Eismitte« sehr gut überstanden. Ihre Nerven waren keineswegs so mitgenommen wie die der Weststation, die neben aufreibender Arbeit noch besonders durch die Sorge und Ungewißheit über das Schicksal der nicht vom Inlandeis zurückgekehrten Kameraden belastet gewesen waren.
Wir erfuhren nun auch Näheres über die Reise von Wegener, Loewe und Rasmus von km 151 bis »Eismitte«, über die Abreise von Wegener und Rasmus am 1. November und über den Winter in »Eismitte«.