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Von Else Wegener
Wir waren nahe daran, im schönen Graz in bürgerlichem Wohlsein zu versinken. Mein Mann lebte ganz seiner wissenschaftlichen Arbeit, Sonntags machten wir in der reizvollen Umgebung mit den Kindern unsere »Tieftouren«, wie er zu sagen pflegte, im Herbst Hochtouren in den Alpen, im Winter Skiausflüge. Das schien so in alle Ewigkeit weitergehen zu sollen, vergessen waren die Mühsale der Durchquerung Grönlands, die auch für uns Daheimgebliebene durch das Fehlen aller Nachrichten während eines langen Jahres zum tiefen Erlebnis wurde, vergessen die Nervenprobe des Krieges, den mein Mann vom ersten bis zum letzten Tag mitgemacht hatte.
Da besuchte uns Ostern 1928 Professor Meinardus aus Göttingen. Nur kurz auf der Durchreise, nur um anzufragen, ob Alfred Wegener bereit sei, als Leiter einer kleinen Unternehmung auf einer Sommerreise in Grönland Eisdickenmessungen auszuführen. Die Geldmittel würde die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft geben.
Nach Grönland! Alte Pläne tauchten auf, auf deren Verwirklichung mein Mann bei der herrschenden Geldknappheit nicht mehr gehofft hatte, wenige Wochen später legte er sie der Notgemeinschaft vor. Ja, Eisdickenmessungen wollte er machen, aber nicht nur auf einer Sommerreise und nicht nur sie! Sein Programm umspannte den ganzen Aufgabenkreis, der sich ihm auf seinen beiden früheren Grönland-Expeditionen und bei der wissenschaftlichen Bearbeitung ihrer Ergebnisse erschlossen hatte. Auf der Danmark-Expedition 1906/08 hatte er zum erstenmal das grönländische Inlandeis betreten. Während der Durchquerung Grönlands von Ost nach West unter der Leitung von J. P. Koch 1912/13 hatte er sich sehr eingehend besonders mit gletscherkundlichen Studien des Inlandeises beschäftigt, die ihn auf wichtige und höchst bedeutsame Fragen führten. Der Beantwortung dieser Fragen sollte die neue Expedition dienen und dadurch gewissermaßen den Abschluß seiner Grönlandforschungen bilden.
Es war ein einheitlich und groß angelegter Plan zur systematischen Erforschung des Inlandeises und seines Klimas, den Alfred Wegener entworfen hatte.
Es sollte durch Eisdickenmessungen an verschiedenen Punkten im Innern Grönlands die Mächtigkeit des Inlandeises, dieses einzigartigen Überbleibsels der Eiszeit, bestimmt werden. Eine trigonometrische Höhenmessung sollte die barometrische kontrollieren, gleichzeitige Schweremessungen die Frage entscheiden, ob die grönländische Scholle sich im Auftauchen befindet. In tiefen Schächten am Rande und im Innern sollten die Temperaturen des Eises in verschiedenen Tiefen gemessen, die Zusammensetzung und das Gefüge von Eis und Firn untersucht, sowie eine Reihe gletscherkundlicher Einzeluntersuchungen durchgeführt werden.
Hand in Hand mit diesen geophysikalischen Arbeiten sollte die Erforschung des Inlandeisklimas gehen. Meteorologische und aerologische Beobachtungen an drei Stationen, den Zeitraum eines vollen Jahres umfassend, sollten ein Bild von der Beschaffenheit der Luftschichten über dem Inlandeis, gewissermaßen einen aerologischen Querschnitt durch das Gebiet hohen Druckes geben, das bis jetzt jede Expedition über dem Inlandeis angetroffen hatte. Das Klima des Inlandes war bisher nur auf Sommerreisen erforscht worden, denn die Winterstation der Koch-Wegenerschen Expedition lag ja noch ganz im Randgebiet des Inlandeises. Es mußte also eine der Beobachtungsstationen unbedingt im Kerngebiet der kalten Luftmassen, also mindestens 250 Kilometer landeinwärts liegen.
Für die Durchführung dieses Arbeitsplans faßte Wegener eine Stelle des Inlandeises ins Auge, die noch nicht bereist worden war, die Gegend um den 71. Breitengrad. Sie lag nördlich des Weges, den der Schweizer de Quervain auf seiner Durchquerung im Jahre 1912 gewählt hatte, und südlich von dem Weg Kochs und Wegeners im Jahre 1913.
In dieser Breite sollten drei Stationen, eine am Westrande, eine womöglich in der Mitte Grönlands und die dritte an der Ostküste, errichtet werden, vorausgesetzt, daß es möglich war, in dieser Gegend das Inlandeis zu ersteigen und das sehr umfangreiche Gepäck der Expedition dorthin zu schaffen.
Aus diesem Programm ergibt sich nun die ganze Anlage der Expedition beinahe zwangsläufig. Die Hauptschwierigkeit des Unternehmens bildete die mühsame und zeitraubende Beförderung der wissenschaftlichen Instrumente, der Winterhäuser, des Heizmaterials und der Verpflegung für Mensch und Tier auf das Inlandeis. Es war daher nötig, möglichst früh im Jahr damit zu beginnen. Dadurch war es von vornherein gegeben, die Hauptstation auf dem Westrande des Inlandeises zu errichten, da die Westküste wesentlich früher eisfrei wird als die Ostküste, und von Westen aus die Zentralstation nach Eismitte vorzutreiben, während die Oststation unabhängig davon bezogen werden sollte.
Es war daher unbedingt nötig, auf einer eigenen Vorexpedition festzustellen, ob in der geplanten Gegend, dem Umanak-Distrikt, die Beschaffenheit des Inlandeises einen Transport des Expeditionsgepäcks zuließ.
Diesen Plan legte Wegener im Sommer der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft vor, und es erfüllte ihn mit großer Befriedigung, daß diese sich zunächst grundsätzlich bereit erklärte, die Erforschung des grönländischen Inlandeises in ihr Arbeitsprogramm aufzunehmen, und die Mittel für die Vorexpedition bewilligte.
Nun war es vorbei mit der beschaulichen Ruhe in Graz. Reisen ins Deutsche Reich und nach Kopenhagen folgten rasch aufeinander. Überall traf Wegener das größte Entgegenkommen. Besonders die dänischen Behörden traten ihm sehr wohlwollend gegenüber, denn er war durch seine Teilnahme an den zwei großen dänischen Expeditionen dort wohlbekannt und stand in hohem Ansehen bei den wissenschaftlichen Kreisen Dänemarks.
Auf der Vorexpedition sollten außer der Erkundung einer passenden Aufstiegstelle auf das Inlandeis auch wissenschaftliche Untersuchungen angestellt und Instrumente erprobt werden. So verging der Winter rasch mit den Vorbereitungen. Es mußten wissenschaftliche Instrumente angeschafft und vor allem ein Motorboot gekauft werden, das see- und eistüchtig war. Wenn man die reichgegliederte Küste Grönlands mit ihren tiefen Fjorden, in die die Gletscher des Inlandeises münden, auf der Karte ansieht und bedenkt, daß Hundefutter für die Schlittenreisen nur in den spärlich verstreuten grönländischen Ansiedlungen zu beschaffen war und auch nur von dort Grönländer für die Transporte anzuwerben waren, wird man begreifen, daß das Motorboot der Expedition, die »Krabbe«, ein unentbehrliches Verkehrsmittel auch für die Hauptexpedition wurde.
Ende März 1929 reiste Wegener mit seinen drei Begleitern, Dr. Georgi, Dr. Loewe und Dr. Sorge, nach Westgrönland. In Holstensborg wurde die »Krabbe« zu Wasser gebracht und diente von da ab, ausgenommen die Zeit der Schlittenreisen, den Expeditionsteilnehmern, die das Boot selbst führten, als Wohnung, von Holstensborg fuhren sie zunächst nach Jakobshavn, wo sie den Grönländer Tobias Gabrielsen, der schon auf der Danmark-Expedition Wegeners Kamerad gewesen war, als zweiten Maschinisten und Bootswache für die Zeit der Schlittenreisen an Bord nahmen. Er machte auch die Hauptexpedition zum großen Teil mit.
Als erste Aufgabe wurde die Erkundung einer Reserveaufstiegstelle auf das Inlandeis von Quervainshavn aus durchgeführt. Sie sollte als Anstiegsweg für die Hauptexpedition verwendet werden, falls im Umanak-Distrikt keine geeignete vorhanden wäre. Es wurde eine Handschlittenreise auf dem Inlandeis unternommen, 150 Kilometer weit nach Nordost bis zu einer Seehöhe von 2000 Metern, um die persönliche Leistungsfähigkeit der Teilnehmer, Proviant, Kochapparat, Handschlitten, Wegmarkierung u. ä. zu erproben und Pegel auszustecken, die im nächsten Jahre bei der Hauptexpedition abgelesen werden sollten, um die Abschmelzung des Eises in den unteren Höhenlagen während der Dauer eines Jahres zu messen.
Nach der Rückkehr zur Küste ging es mit dem Motorboot zur Nordostbucht, um die zweite Hauptaufgabe, die Erkundung eines geeigneten Aufstiegpunktes über einen Gletscher im Umanak-Distrikt, in Angriff zu nehmen.
Der Gletscher durfte keine zu große Geschwindigkeit besitzen, weil sonst zu befürchten war, daß durch ein plötzliches Loslösen großer Eismassen vom Gletscher (Kalbung) die Transporte auf das höchste gefährdet waren. Wegener hatte ja selbst auf seinem Aufstieg auf das Inlandeis im Jahre 1912 eine solche Kalbung miterlebt und ist damals mit seinen Gefährten nur wie durch ein Wunder vom Untergang verschont geblieben J. P. Koch: Durch die weiße Wüste. Verlag Julius Springer, Berlin.. Die Gletscherzunge durfte aber auch nicht zu weit im Landinnern liegen, weil der Transport über die steinige und im Sommer schneefreie Landstrecke außerordentliche Schwierigkeiten bereitet hätte. Schließlich durfte der Gletscher nicht zu steil und zu zerklüftet sein.
In mühevollen Wanderungen wurden nun der Reihe nach fast alle großen Eisströme untersucht, die in der Umanak-Bucht vom Inlandeis herabfließen; aber nur einer erwies sich als geeignet, der großen Expedition als Anstiegsweg zu dienen. Zwar waren auch hier auf dem Kamarujuk-Gletscher bedeutende Schwierigkeiten zu überwinden, doch war dieser Weg bei weitem der beste von allen, so daß sich Wegener endgültig dafür entschied, hier das Gepäck der Hauptexpedition hinaufschaffen zu lassen.
Der Kamarujuk-Gletscher fließt in einem engen, etwa ein bis zwei Kilometer breiten Tal, das, von Nordost nach Südwesten streichend, von steilen Felswänden begrenzt ist, vom Inlandeis (1000 Meter Seehöhe) über eine Steilstufe des Untergrundes zur Küste herab. Er endete in etwa 400 Meter Entfernung vom Meere in einer flachen Schotterebene und war nur etwa vier Kilometer lang. Auf der Steilstufe war er natürlich sehr zerklüftet, und die Überwindung dieser Stelle, des »Bruches«, bildete die Hauptschwierigkeit für die Beförderung des Gepäcks. Hier mußten für die großen Lasten der Hauptexpedition Tragtiere verwendet werden, und dafür wählte Wegener isländische Pferde, deren Leistungsfähigkeit er auf der Kochschen Expedition kennengelernt hatte.
Oberhalb des Kamarujuk-Gletschers ragte eine Felskuppe aus dem Inlandeis hervor, der Nunatak Bezeichnung der Grönländer für die aus dem Inlandeis emporragenden aperen Berge. Scheideck, der den Kamarujuk- vom Rangerdluarsuk-Gletscher scheidet. In seiner Nähe sollte die westliche Randstation der Hauptexpedition liegen. Sorge und Loewe führten hier an verschiedenen Punkten wohlgelungene Eisdickenmessungen aus, die zu sehr aufschlußreichen Ergebnissen führten. Dann machten sie einen Vorstoß mit Hundeschlitten 75 Kilometer weit nach Norden. Inzwischen fuhren Wegener, Georgi und der Grönländer Johann Davidson mit Hundeschlitten 200 Kilometer weit nach Osten ins Innere. Sie hatten stark unter der Unbill des Wetters zu leiden, stellten aber fest, daß sich in diesem Teil des Inlandeises der Beförderung des Gepäcks der zentralen Firnstation keine unüberwindlichen Schwierigkeiten entgegenstellen würden. Auf dieser Strecke sollten auf der Hauptexpedition Hundeschlitten verwendet werden, wofür die nötigen Grönländer und Hunde im Bezirk Umanak angeworben werden konnten. Außerdem wollte die Hauptexpedition zwei Propellerschlitten mitnehmen. Wenn es gelang, sie durch den Bruch zu bringen und oben in Gang zu setzen, so waren sie den Hundeschlitten an Schnelligkeit überlegen und verlangten in der Zeit ihrer Nichtverwendung während der wissenschaftlichen Arbeiten kein Futter. Doch sie waren auch die einzige unsichere Größe im Plan der Expedition, da sie noch auf keiner Polarexpedition erprobt waren. Man durfte mit ihnen nicht bestimmt rechnen, bis sie ihre Leistungsfähigkeit bewiesen hatten.
Nachdem die »Krabbe« in Godhavn ins Winterquartier gebracht war, schifften sich die Teilnehmer der Vorexpedition nach Europa ein und trafen am 2. November wieder in Kopenhagen ein Alfred Wegener, Mit Motorboot und Schlitten in Grönland. Velhagen & Klasing. Bielefeld und Leipzig 1930. – Deutsche Forschung. Heft 13. Prof. Dr. A. Wegener: Deutsche Inlandeis-Expedition nach Grönland. Vorexpedition 1929. Verlag der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, Berlin 1930. – Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde, Berlin 1930, Heft 3/4..
So war also die Vorexpedition glücklich und erfolgreich beendet. Sie war reich an Gefahren, Mühsal, Anstrengungen und Entbehrungen gewesen und hatte den Teilnehmern einen Vorgeschmack von dem gegeben, was sie während der Winternacht im Grönlandeis zu erwarten hatten. Aber sie hatte ihnen auch gezeigt, was Zähigkeit, Ausdauer und eiserner Wille vermögen.
Als die Expedition in Berlin eintraf, fand sie dort eine völlig veränderte Lage. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten waren immer größer geworden, das Geld immer knapper. Wegener wurde mit der Mitteilung empfangen, daß die Hauptexpedition nicht stattfinden könne, mindestens um ein Jahr verschoben werden müßte. Das traf ihn wie ein Schlag. Frisch und förmlich verjüngt war er aus Grönland zurückgekehrt mit dem sicheren Gefühl, trotz seiner 49 Jahre noch allen Anforderungen gewachsen zu sein. Aber wer wußte, wie es nach einem Jahr aussehen würde?
Vor der Vorexpedition hatte ich mich für diese Grönlandpläne nicht geradezu begeistert (ja, wenn ich mitgekonnt hätte!). An seiner Niedergeschlagenheit aber sah ich, wie schwer meinen Mann eine Nichterfüllung seiner alten Lieblingspläne treffen würde. So dicht vor dem Ziel sollte er umkehren? Alle persönlichen Wünsche beiseiteschiebend, stellte ich mich fortan mit allen Kräften auf seine Seite und glaube dadurch seine innere Widerstandskraft zur Überwindung aller Hindernisse gestärkt zu haben. Und ich bereue es nicht, denn ich verstehe ihn in tiefster Seele. Er liegt jetzt in dem Lande, für dessen Erforschung er so viele Jahre seines Lebens hingab, das ihn immer wieder lockte durch seine wissenschaftlichen Probleme und die Größe seiner Natur, in der nur der leben kann, der alles daransetzt, um sich selbst zu behaupten. Über der Behauptung des eigenen Lebens stand ihm das seiner Kameraden, und als er diese gesichert wußte, seine Wissenschaft. Es hielt ihn nicht dort, wo er in verhältnismäßiger Sicherheit den Winter hätte überstehen, aber nicht seine wissenschaftlichen Pläne hätte durchführen können. Er ging in die Winternacht hinaus und erlag ihren Anstrengungen. Aber durch seine hohen Ziele ist sein Sterben geheiligt. –
Erst kurz vor Weihnachten war die Finanzierung der Expedition wenigstens zum Teil sichergestellt, und nach Neujahr ging es mit Volldampf an die Vorbereitungen. Daß die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft die Expedition trotz aller Schwierigkeiten hinausschickte und in jeder Weise auf das tatkräftigste unterstützte, dafür muß ihr die deutsche Wissenschaft zu ganz besonderem Danke verpflichtet sein.
Bei den Vorbereitungen für eine so groß angelegte Reise war es für den Leiter unmöglich, sich um alles selbst zu kümmern. Die Beschaffung der allgemeinen Ausrüstung übernahm er selbst, während Besonderheiten, wie die Propellerschlitten, das Funk- und Lichtbildgerät, von andern Expeditionsteilnehmern oder von Fachkundigen besorgt wurden, die sich in aufopfernder Weise Wegener zur Verfügung stellten. Für die Instrumente und die Hilfsmittel seiner eigenen Untersuchungen hatte natürlich jeder Wissenschaftler selbst zu sorgen. Doch stand Wegener jedem mit seiner Polarerfahrung zur Seite.
Auch die Art der Verpackung mußte sorgfältig überlegt und darauf gesehen werden, daß das Expeditionsgepäck womöglich schon zu Hause in Pferdetraglasten verteilt wurde, um ein umständliches Umpacken in Grönland zu vermeiden.
Sehr wichtig war natürlich die Auswahl der Teilnehmer. Es kamen zwar Angebote von allen Seiten, aber Wegener mußte ganz bestimmte Bedingungen an die Teilnahme knüpfen. Er brauchte Fachwissenschaftler und Spezialtechniker, die aber auch körperlich leistungsfähig waren und die nötige Unternehmungslust, Ausdauer und Selbstverleugnung für eine Forschungsreise in Grönland mitbrachten. Wer in das Polargebiet geht, muß willens und imstande sein, schwere körperliche Arbeit zu verrichten, Entbehrungen, Hunger und Kälte zu ertragen, und darauf gefaßt sein, sein Leben aufs Spiel zu setzen. Alle Expeditionsmitglieder mußten bereit sein, bei der Beförderung des Gepäcks über den Gletscher und ins Innere selbst Hand anzulegen und in dieser Zeit ihre wissenschaftlichen Arbeiten zurückzustellen.
Die endgültige Wahl Wegeners ergab folgende Liste der Expeditionsteilnehmer:
1. Dr. Alfred Wegener, Professor der Geophysik und Meteorologie an der Universität Graz. Er war Leiter der Expedition und übernahm als Fachwissenschaft die Glaziologie (Eis- und Gletscherkunde).
2. Dr. Johannes Georgi, Regierungsrat an der deutschen Seewarte in Hamburg, übernahm die Leitung der zentralen Firnstation als Meteorologe und Aerologe.
3. Dr. Rupert Holzapfel, österreichischer Meteorologe, vertrat sein Fach an der Weststation.
4. Dr. Fritz Loewe von der Flugwetterstelle Berlin sollte Wegeners Assistent bei den glaziologischen Arbeiten an der Weststation sein.
5. Dr. Ernst Sorge, Studienrat aus Berlin, wollte glaziologische Untersuchungen und Eisdickenmessungen an der zentralen Firnstation ausführen.
6. Dr. Karl Weiken vom geodätischen Institut in Potsdam übernahm die Schweremessungen und die trigonometrische Vermessung von der Westküste bis Eismitte.
7. Dr. Kurt Wölcken vom geophysikalischen Institut in Göttingen war Fachmann für Eisdickenmessungen an der Weststation und auf dem Inlandeis.
8. Ingenieur Kurt Herdemerten aus Düsseldorf kam als Sprengsachverständiger und für den Schachtbau mit.
9. Mittelschulprofessor Hugo Jülg aus Linz und
10. cand. ing. Georg Lissey aus Hamburg, waren beide Assistenten für die trigonometrischen Arbeiten.
11. Emil Friedrichs, Feinmechaniker von der deutschen Seewarte in Hamburg, besorgte den Motor der »Krabbe« und sonstige in sein Fach schlagende Arbeiten.
12. Franz Kelbl, Monteur, und
13. Manfred Kraus, Monteur, waren Motorschlittenführer und Funker.
14. Dipl.-Ingenieur Curt Schif von der deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt in Berlin-Adlershof sollte die Expedition nur den Sommer 1930 über mitmachen, die Beförderung sowie die Montage der Propellerschlitten leiten und im Herbst mit den Isländern zusammen nach Europa zurückkehren.
15. Vigfus Sigurdsson, Wegeners Kamerad von Kochs Expedition, besorgte in seiner Heimat Island 25 isländische Pferde und ging als Pferdeführer mit. Ebenso
16. Jon Jonsson aus Island und
17. Gudmundur Gislason, Student der Medizin aus Island.
18. Dr. Bernhard Brockamp, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei den Askania-Werken, Berlin, trat erst im Sommer 1931 zur Expedition, um Eisdickenmessungen besonderer Art durchzuführen.
19. Der Meteorologe Professor Dr. Kurt Wegener aus Berlin reiste im Auftrage der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft im Sommer 1931 nach Grönland, um nach dem Tode seines Bruders die Leitung der Expedition zu übernehmen und sie zu Ende zu führen. Ihm wurde auch die Herausgabe der wissenschaftlichen Ergebnisse übertragen.
Für die Oststation, die ganz selbständig arbeiten sollte, wurden gewonnen:
20. Dr. Walther Kopp vom aerologischen Observatorium in Lindenberg, als Leiter, Meteorologe und Aerologe, mit den beiden Assistenten
21. cand. ing. Arnold Ernsting aus Darmstadt und
22. Dr. Hermann B. Peters, Zoologe aus Kiel.
Von den deutschen Teilnehmern der Expedition kannten außer Wegener nur Georgi, Loewe und Sorge, die die Vorexpedition mitgemacht hatten, Grönland. Überwinterungen im Polareis hatten nur Wegener und der Isländer Vigfus ausgeführt. Für alle übrigen war das Reisen und Leben dort etwas ganz Neues und Unbekanntes.
Dementsprechend beabsichtigte Wegener, die erste Hundeschlittenreise selbst ins Innere zu führen, weil er den Platz für die zentrale Firnstation persönlich aussuchen wollte und sich darüber klar war, wie wichtig die richtige Einteilung dieser Schlittenreisen ins Innere war. Außerdem mußte auch gerade er die Verbindung mit den dänischen Kolonien leiten, da er der einzige Teilnehmer der Expedition war, der fließend dänisch sprach. Auch die Verhandlungen mit den dänischen Behörden in Kopenhagen mußte er selbstverständlich führen, die seine mehrmalige Anwesenheit dort vor der Expedition nötig machten.
Die Expedition sollte mit der »Disko«, dem größten Schiff des grönländischen Handels, von Kopenhagen abfahren. Sie ist das einzige, auf dem die 25 Pferde während der Überfahrt über das offene Meer geschützt unten im Laderaum stehen konnten. Die »Disko« sollte dann zuerst nach Island gehen, hier Pferde und Isländer an Bord nehmen und die Expedition nach Holstensborg in Südgrönland bringen. Weiter nördlich kann sie so früh im Jahr (April) nicht gehen, da sie nicht auf Eisfahrt eingerichtet ist. Dort sollte die Expedition an Bord des kleineren Schiffes »Gustav Holm« übersiedeln, der so viel von ihrem Gepäck nehmen sollte, wie er fassen konnte, um das übrige dann auf einer zweiten Fahrt nachzubringen. Er hat Eishaut und Ausguckstonne, so daß er im Treibeis manövrieren kann. Lag in der Umanak-Bucht noch festes Eis, so mußte das Gepäck an der Eiskante ausgeladen und mit Schlitten an Land gebracht werden.
Die Oststation sollte erst später im Jahr von einem Schiff des grönländischen Handels zum Scoresbysund an der Ostküste Grönlands gebracht werden.
Am 1. April 1930 waren alle Expeditionsmitglieder der Weststation und der zentralen Firnstation an Bord der »Disko« in Kopenhagen versammelt. Im Raum war der Hauptteil des 100 000 Kilogramm schweren Gepäcks, etwa 10 Eisenbahnwagenladungen, verstaut, der Rest auf dem »Hans Egede« verladen, der acht Tage später nach Grönland abging. Trotz der Abschiedsstimmung waren alle froh, daß es jetzt endlich hinausging, dem fernen Ziel und der großen Aufgabe zu, an deren Erfüllung unsere Männer und Söhne ihre ganze Kraft setzen wollten.
Was sie erlebten, wie weit Wegeners Plan der Expedition verwirklicht werden konnte, welche wissenschaftlichen Ergebnisse erreicht wurden, was sich Unvorhergesehenes ereignete und wie die Expedition nach dem Tode Alfred Wegeners weitergeführt wurde, soll nun auf diesen Blättern von seinen Kameraden geschildert werden. So weit wie möglich ist Alfred Wegeners Tagebuch benutzt worden.