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Von Kurt Herdemerten
Am 1. Oktober packe ich meinen Rucksack und gehe in Begleitung eines Grönländers von Kamarujuk hinauf nach Scheideck-Landende, wo unsere meteorologische Station, das Scheideckzelt, liegt. Die letzten Teile für den Bau des Winterhauses sind nun abtransportiert. Die einzelnen Zwischendepots zwischen Kamarujuk und dem Bauplatz werden auch bald geräumt sein. Besonders die langen Dachbalken haben den Pferden einige Schwierigkeiten bereitet.
Es ist schon spät im Jahr und nur noch einige Stunden hell. Zwar sind es herrliche Nächte, das Nordlicht setzt den Himmel lichterloh in Flammen, die Sterne glänzen im hellsten Schein, doch zum Hausbau ist es schon recht kalt, und das Depot »Ebene«, das bei Landende liegt, ist schon fast ganz eingeschneit. Gerade dort liegen noch viele meiner Hausteile.
Vigfus, unser Isländer, ist noch stark mit dem Ausgraben der einzelnen Stücke beschäftigt, die er mit seinem Pferdeschlitten zum Kangerdluarsuk-Gletscher transportiert, wo die Überwinterungsstation gebaut werden soll. Am nächsten Tage mache ich mir die Schneeschuhe zurecht, um mir den »Bauplatz« zu besehen, Wölcken begleitet mich, und wir stecken sofort die Fläche ab.
Endlich wieder auf Schneeschuhen! Nun bin ich zufrieden. Die weiten, frisch verschneiten Gletscherflächen hier oben sind so schön zum Laufen. Ich mag die Skier gar nicht wieder abschnallen. Die Kameraden hatten auf ihren Reisen auf dem Inlandeis schon oft ihre Skier benutzt, wenn der Schnee es zuließ, aber auf meinem Arbeitsfeld, dem Gletscher, war dies im Sommer nicht möglich gewesen.
Am 3. Oktober geht es los. Wölcken fährt noch Hausteile vom Depot zum Bauplatz. Ich laufe mit sieben Grönländern herüber, natürlich auf den unvermeidlichen »Bretteln«. Zuerst wird eine Bauhütte in Form eines unserer Viermannzelte errichtet. Dann müssen die Hausteile aus dem Schnee gegraben werden, und das Sortieren dieser mehr als 2ooo Teile kann beginnen. Ein Riesenhaufen Material ist es. Bei dem Durcheinander, das nun einmal sein muß, wo Grönländer arbeiten, kann man leicht einen Teil übersehen. Doch das ist nicht schlimm. Ruhe und Geduld haben wir in den Sommermonaten gelernt, wo wir mit diesen stets frohen und lachenden Menschen zusammen schafften.
Am nächsten Tage gibt es eine unserer traurigsten Arbeiten, vier Grönländer müssen im Eis eine Grube ausheben, denn 16 unserer treuen Pferde sollen heute geschlachtet und das Fleisch in dieses Grab zur Einwinterung gelegt werden.
Es wird mir schwer ums Herz, als ich die lange Reihe mit dem letzten Gepäck dort über den Gletscher herankommen sehe. Doch es muß sein. Als letztes erschießt Jon mit tränendem Auge seinen Liebling »Grauni«, von dem er mit einem Kuß und einer Umarmung Abschied nimmt. Das Ausschlachten und Enthäuten muß bei der Kälte – wir haben -11 Grad – sehr schnell gehen, da die Pferde sonst zu steif werden, und alle verfügbaren Kräfte sind herangerückt. Wir sind sechs Expeditionskameraden und elf Grönländer. Bis zum Dunkelwerden sind elf Pferde ausgeschlachtet. Diese Arbeit geht den Grönländern schnell von der Hand. Da sind sie in ihrem Fach. Die Vorderblätter und Schinken wollen wir für uns aufbewahren, das andere sollen die Hunde als willkommenen Zusatz zum Futter erhalten.
Die nächsten Tage sind mit Arbeit ausgefüllt. Einebnen der Eisoberfläche, Sortieren der Hausteile und Heranschaffen vom Depot auf Hundeschlitten. Dann werden die Fundamentbalken ausgelegt und in die Waage gebracht. Nur langsam kommen die Grönländer hinter diese nicht leichte Arbeit; es ist für Wölcken, der mir hilft, und für mich eine Geduldprobe.
Der 7. Oktober unterbricht das Bauen. Schneesturm fegt über die Gletscher. Erst am 9. Oktober fahren wir wieder mit unsern Hundegespannen herüber. Bitter kalt ist es. Wir sind froh, wenn wir am Mittag in unserer »Bauhütte« ein warmes Stück Pferdefleisch in den Magen bekommen und uns Holzapfel am Abend im Scheideckzelt einen großen Topf Essen gekocht hat.
Doch auch dieser Tag läuft nicht gut ab. Wir haben recht früh mit der Arbeit begonnen. Am Nachmittag kommt von Osten eine haushohe Schneewand mit rasender Geschwindigkeit herangezogen. Kaum haben wir Zeit, unser Werkzeug in die Baubude zu bringen und die herumliegenden Hausteile auf einen Stapel zu häufen, da setzt der Schneesturm ein, mit unglaublicher Gewalt, daß man kaum Luft holen kann. Im Nu sind die Hunde bis zu den Ohren im Schnee eingeweht. Was hier noch an Gepäck liegt, ist in diesem Jahre nicht mehr zu finden.
Bis auf die Haut dringt die beißende Kälte durch, denn mit dem Heranrücken der Sturmfront sinkt das Thermometer sprunghaft um sechs Grad. Wir sind froh, als wir den zwei Kilometer langen Weg hinter uns haben und glücklich im Zelt geborgen sind.
Drei Tage bläst es. Fast vergraben uns die Schneelasten im Zelt. Nur unter langer Minierarbeit ist es möglich hinauszukommen. Die Temperaturen sinken unter 2o Grad Kälte, so daß es nicht mehr möglich ist, das Zelt auch nur notdürftig zu erwärmen. Im Pelz sitzen wir am Ofen und Tisch, unter dem wir einen Primuskocher brennen habe um die Füße etwas warm zu bekommen.
Die Feuchtigkeit vom Kochen und Atmen schlägt sich als dicker Reif an Decken und Wänden nieder. Der heftige Wind sorgt dann weiter dafür, daß dieser Reif ständig in einem munteren Schneegeriesel wieder herabfällt. Recht froh sind wir, als wir am 13. endlich wieder zum Bauplatz fahren können. Alles ist unter tiefstem Schnee vergraben. Stundenlang müssen Material und Baufläche ausgegraben werden. Und das ist nun fast an jedem Morgen so. Richtig gut ist das Wetter nicht mehr geworden. Die Zeit drängt. Es ist nicht mehr möglich, die Fundamente richtig in die Waage zu bekommen. Da heißt es eben oft, unter Anwendung von Gewalt die Hausplatten aufrichten.
Lissey kommt zum Helfen herüber, die ersten Wandplatten werden aufgerichtet. Jetzt geht es schneller. Die Kojenräume sind hoch, und sofort legen wir das Dach auf, damit der nächste Sturm uns nicht alles in die Luft blasen kann.
Doch eine Wandplatte fehlt immer noch. Wo mag sie unter dem Schnee liegen? Suchen hilft nun nichts mehr, und ich schließe die Öffnung, indem ich innen und außen aus Kistenbrettern eine Schale mache und den Zwischenraum mit Heu ausstopfe.
Diese Platte und ein Bündel Leisten waren übrigens die einzigen Teile, die mir auf den Transporten verlorengingen. Ich konnte mich glücklich preisen, daß es nicht mehr war. Denke ich an den Weg dieser Teile, wird mir heute noch schwindlig. 14 Kilometer Gletscher und Moränenweg. 950 Meter Höhenunterschied. Zeitweise lag das Material auf acht Depots verteilt. Der Weg war mit Hausteilen gepflastert.
Gudmund erscheint nun auch wieder mit seinen fünf Pferden und bringt die letzten Stücke von unten herauf. Schwere Gänge hat der Ärmste zu machen. Die Wege müssen dauernd freigeschaufelt werden. Doch es muß gehen.
Am 17. Oktober können wir die letzten Dachplatten auflegen, die Fenster einhängen, und alle Kameraden, die jetzt oben sind, legen mit Hand an. Die Deckenplatten werden eingezogen, am 20. wird die Dachpappe aufgeklebt. Die schwerste Arbeit liegt hinter uns. Kein Sturm kann nun mehr die Überwinterung unmöglich machen.
Um Lebensmittel und Instrumente aufzunehmen, wird vor dem Haus ein großes Vorratszelt aufgestellt, eine mühsame Arbeit. Unterdessen stelle ich den Bedarf an Petroleum für den Winter und die Sommerreisen des kommenden Jahres fest, und Gudmund bringt dieses Petroleum als eine der letzten Transportarbeiten auch noch glücklich heran.
Der Ofen wird aufgestellt, arbeitet aber erst nach langen Versuchen und Umbauten einwandfrei, so daß Wölcken und ich endlich am 24. Oktober mit sechs Grönländern einziehen und mit den Innenarbeiten beginnen können.
Der erste Abend im Winterhaus. Über dem Tisch brennt die Petroleumlampe. Kaffee dampft aus den großen Literbechern. Wir machen den Grönländern Zauberkunststücke vor, erzählen Scherze. Lachen und Erstaunen wechselt auf ihren Gesichtern ab.
Dann schlafen wir, zwar noch provisorisch auf der Erde, die erste Nacht in dem Haus, dessen Errichtung soviel Sorge und Mühe gemacht hat. Der nächste Tag bringt bösen Schneesturm. Uns stört er nun nicht mehr. Aber wir denken an die armen Kameraden, die noch bis zur endgültigen Fertigstellung im Zelt durchhalten müssen.
Lustig schaffen die Grönländer mit beim Aufrichten der Regale, Kojen, Bänke, Türen und der vielen notwendigen Dinge. Tausende von Nägeln werden eingeschlagen.
Bis zum 28. tobt der Sturm mit oft mehr als 20 Meter in der Sekunde. In den Nächten singt er im Schornstein sein schauriges Lied. Dann endlich können die ersten Kameraden vom Scheideckzelt herüberkommen. In dieser Nacht sinkt das Thermometer unter so Grad Kälte.
Noch ist Wegener unterwegs.
Wir pinseln nun Wände und Decken mit Ölfarbe an, um auch die kleinsten Fugen und Ritzen winddicht zu verschließen. Das Vorratszelt ist uns unter der Schneelast zusammengebrochen. Es liegt voller Schnee. Mir müssen es ausschaufeln und ausbessern.
Nach der Rückkehr der Propellerschlittenleute vom Inlandeis am 31. Oktober ist das Haus voll. Sofort wird mit der Einrichtung der Funkbude begonnen.
Am Abend holen wir das Grammophon hervor, und es wird ein langer, lustiger Abend. Beide Öfen brennen, und es ist 22 Grad warm im Haus, eine für uns lang entbehrte Wärme. Es ist kaum zu ertragen, alle Türen werden sperrangelweit aufgerissen. Alle sind mit der Einrichtung zufrieden. So sitzen wir erzählend um den Tisch herum und sehen mit Zuversicht dem Winter entgegen.
Aber das eingedrückte Vorratszelt muß noch mit einem Überdach versehen werden, einem Brettergerippe mit einer aufgenagelten Persenning als Haut. Hoffentlich hält es nun den Schneelasten stand.
Am 1. November schlachten wir bei Lampenlicht weitere drei Pferde aus. Eigentlich ist es nicht mehr möglich, mit den letzten zwei Pferden noch Transporte durchzuführen. Doch der letzte Rest des Gepäcks muß von Kamarujuk herauf. Unter größten Anstrengungen wird jeder gute Tag ausgenützt.
Ich gehe noch einmal nach Kamarujuk hinunter, um nach einer Möglichkeit zu sehen, vor dem Zufrieren der Fjorde nach Umanak zu kommen. Eine Fußverletzung, die ich mir im Sommer zugezogen habe, stört doch sehr, und dort ist ein Arzt. Leider ist die Gefahr des Einfrierens für die »Krabbe« zu groß, so daß ich es aufgebe.
Mit dem letzten Pferdetransport gehe ich wieder hinauf zum Hinterhaus. Es ist ein mühsamer Weg. Lange Strecken müssen von metertiefem Schnee freigeschaufelt werden, ehe die Pferde durchkommen. Viele Stunden dauert dieser letzte Transportgang.
Friedrichs, Gudmund und Jülg wollen in Kamarujuk überwintern, und so müssen die beiden letzten Pferde wieder hinunter, denn ihr Fleisch soll dort unten als notwendiger Zusatzproviant Verwendung finden.
Und wir im Winterhaus beginnen, uns häuslich einzurichten. Nur noch 3 Grad kommt die Sonne um die Mittagsstunde über den Horizont. Bald wird es vollständig dunkel sein.
*
Meteorologe Holzapfel siedelt erst am 5. November ins Winterhaus über. Seit Anfang August hat er regelmäßige meteorologische Beobachtungen auf Scheideck-Landende durchgeführt und auch bereits mit Drachenaufstiegen begonnen.