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31 Nummern 29, 30 fehlen im Buch. Re

Am zweiten Tag nach Mikes Besuch in London fühlte sich Helen ganz verlassen auf der Welt, wußte aber selbst nicht warum. Und doch war ihr Spiel im Film glänzend, und Jack Knebworth, der sonst sehr mit seinem Lob geizte, war begeistert von einer kleinen Szene, die sie mit Connolly gespielt hatte. Er lobte sie so sehr, daß selbst Reggie sich nicht ausschließen wollte und seine frühere abfällige Meinung über Helen einer Revision unterzog.

»Ich will ganz frei und offen sprechen«, sagte er aufrichtig. »Die Leamington ist gut, es ist ganz selbstverständlich, daß ich ihr immer mit Rat und Tat zur Seite stehen werde, und nichts hilft so – wenn ich einen richtigen Ausdruck gebrauchen darf –«

»Gebrauchen Sie ihn ruhig«, sagte Jack Knebworth.

»– als wenn man einen vollendeten Künstler zum Partner hat. Mir kann es natürlich nichts nützen, aber sie bringt es sehr viel weiter dadurch, sie entwickelt ihr Selbstbewußtsein und ihren Mut. Obgleich ich eine unangenehme, schreckliche Zeit hinter mir habe, fühle ich doch, daß sie eine dankbare Schülerin ist.«

»Sieh mal an«, brummte Knebworth. »Ich möchte gerne dasselbe von Ihnen sagen, Reggie. Aber unglücklicherweise werden Sie durch all die Erziehung, die ich Ihnen gab und die Sie noch bekommen werden, nicht um einen Deut besser.«

Reggies überlegenes Lächeln hätte einen weniger ruhigen Mann als Knebworth leicht gereizt.

»Sie haben vollkommen recht«, sagte Reggie ernsthaft. »Ich kann mich nicht mehr steigern. Ich habe den Zenit meines Ruhmes erreicht, und ich zweifle, daß Sie noch einen ähnlichen Schauspieler wie mich finden werden. Ich bin sicher der beste jugendliche Liebhaber in diesem Lande, vielleicht auf der ganzen Welt. Ich hatte drei Angebote, nach Hollywood zu gehen, und Sie würden nicht glauben, welche Schauspielerin mich gebeten hat, als ihr Partner zu spielen.«

»Von alledem glaube ich Ihnen kein Wort«, sagte Jack gleichmütig. »Aber wenn Sie Miss Leamington über alle Maßen loben, haben Sie recht. Sie ist großartig, und ich glaube, daß es vollkommen richtig ist, wenn Sie sagen, daß es Ihnen nicht zu großem Vorteil gereicht, als ihr Partner Zu spielen. Ihr gegenüber sehen Sie aus wie abgestandenes, saures Bier.«

Später fragte Helen selbst ihren weißhaarigen Chef, ob es wahr wäre, daß Reggie England bald verlassen würde, um seine Stellung zu verbessern.

»Ich glaube nicht«, sagte Jack. »Ich habe noch keinen Schauspieler kennengelernt, der nicht immer noch einen besseren Vertrag hätte machen können. Wenn er ihn dann aber vorzeigen soll, so ist er gewöhnlich im Büro eines Rechtsanwaltes eingeschlossen und kann nicht herausgeholt werden. In der Filmbranche der ganzen Welt gibt es immer wieder Schauspieler und Schauspielerinnen, die mit dem nächsten Dampfer nach Hollywood fahren, um zu zeigen, wie man wirklich spielen muß. Aber alle Passagierdampfer würden leer fahren, wenn sie auf diese Fahrgäste angewiesen wären. Das ist ja alles nur Bluff. Es gehört eben zum Künstlerleben, sich selbst und anderen etwas vorzumachen.«

»Ist Mr. Brixan zurückgekommen?«

Er schüttelte den Kopf.

»Nein, ich habe nichts davon gehört. Vor einer halben Stunde kam ein übel aussehender Bursche ins Atelier und fragte, ob er schon zurück wäre.«

»Ein übel aussehender Strolch?« fragte sie. »Ich habe ihn gesprochen. Er sagte, daß er einen Brief für Mr. Brixan hätte, den er ihm nur persönlich abgeben wollte.«

Sie sah aus einem Fenster, von dem aus man die Zufahrtsstraße zu dem Atelier beobachten konnte. Draußen an der Straßenecke stand ein heruntergekommener Mann. Er trug eine ausgeblichene, zerschlissene Golfkappe, unter der langes, dünnes schwarzes Haar, untermischt mit einigen grauen Fäden, unordentlich hervorschaute. Anscheinend hatte er kein Hemd an, denn der Kragen seines unglaublich schlechten Rockes war hochgeschlagen. Die nackten Zehen guckten vorn aus seinen Schuhen heraus.

Er mochte ungefähr sechzig sein, aber es war schwer, sein genaues Alter festzustellen. Es schien, als ob seine grauen Bartstoppeln nicht mehr mit einem Rasiermesser in Berührung gekommen waren, seitdem er das letztemal im Gefängnis saß. Seine Augen waren entzündet und seine Nase tiefrot, ins Bläuliche spielend. Die Hände hatte er in die Hosentaschen gesteckt. Man hätte glauben können, daß dies der, einzige Halt für das Kleidungsstück war, bis man die rote Schnur sah, die er um seine Hüften gebunden hatte. Während er so dastand, schurrte er im Takt mit den Füßen und pfiff eine traurige Melodie dazu. Von Zeit zu Zeit zog er eine Hand aus der Tasche und befühlte den etwas schmutzigen Briefumschlag. Nachdem er sich vergewissert hatte, daß er ihn noch besaß, verwahrte er ihn wieder und trippelte im Takt auf seinem Wachtposten weiter.

»Glauben Sie nicht, daß Sie den Brief lesen müßten?« fragte Helen besorgt. »Er könnte doch wichtige Nachrichten enthalten.«

»Das dachte ich auch«, sagte Jack Knebworth. »Aber als ich sagte, daß er ihn mir zeigen sollte, grinste er nur.«

»Wissen Sie, woher er kommt?«

»Ich weiß nicht mehr als irgendeine Nebelkrähe«, meinte Jack ruhig. »Und nun wollen wir Mike Brixan einmal vergessen und uns wieder Roselle zuwenden. Die Aufnahmen, die wir draußen am Turm gemacht haben, könnten nicht besser sein. Ich will also die Nachtaufnahmen weglassen, und von jetzt ab werden wir sehen, daß wir schnell vorwärtskommen mit unserer Arbeit.«

Die Aufnahmen für den Film waren schwierig. Es war sehr mühsam, die einzelnen Szenen so gut durchzuarbeiten, daß alle Pointen herauskamen. Noch nie hatte er so viele Mitspieler zu dirigieren gehabt, seitdem er hier in England tätig war. Und auch für Helen war es ein anstrengender Tag. Sie war vollkommen erschöpft, als sie ihren Heimweg antrat.

»Haben Sie nicht Mr. Brixan gesehen?« hörte sie plötzlich eine Fistelstimme neben sich, als sie den Bürgersteig erreichte. Sie drehte sich erschrocken um. Sie hatte gar nicht mehr an den Herumtreiber gedacht.

»Nein, er ist nicht dagewesen«, sagte sie. »Sie würden besser Mr. Knebworth noch einmal aufsuchen. Er wohnt bei ihm.«

»Als ob ich das nicht wüßte! Ich weiß alles, was man nur irgend von ihm wissen kann.«

»Ich glaube, er ist in London – dann werden Sie das ja auch wissen.«

»Er ist nicht in London«, sagte der andere beinahe vorwurfsvoll. »Wenn er in London wäre, würde ich doch nicht hier herumlaufen. Gestern ist er von London weg. Ich werde auf ihn warten, bis er kommt.«

Sie war einen Augenblick über seine Hartnäckigkeit belustigt, aber alles andere als froh gestimmt.

Sie ging quer über den Markt. Plötzlich kam ein großes Auto in rasender Fahrt daher, und sie mußte schnell zur Seite springen. Sie erkannte den Wagen Stella Mendozas. Stella fuhr manchmal äußerst rücksichtslos.

Sie hatte es sehr eilig und schimpfte, als sie einem Fußgänger ausweichen mußte. Sir Gregory war plötzlich geneigt, ihre Wünsche zu erfüllen, und sie wollte schnell zu ihm, bevor er seine Meinung wieder änderte. Da erkannte sie Helen, brachte den Wagen zum Stehen, riß die Tür auf und sprang heraus.

»Wenn ich in zwei Stunden von Griff Towers nicht wieder zurück bin, benachrichtigen Sie bitte die Polizei«, rief sie der erstaunten Helen schnell zu. Und ehe diese sich recht besinnen konnte, was vorgefallen war, fuhr Stella schon wieder davon.


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