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3

Helen Leamington bewohnte ein gerade nicht sehr geräumiges Zimmer in einem kleinen Haus. Aber manchmal wünschte sie sogar, daß es noch kleiner sei. Sie hätte dann den Mut gefunden, die unbeugsame, starke Frau Watson zu bitten, die Miete herunterzusetzen. Die Statistinnen in Jack Knebworths Filmgesellschaft wurden gut bezahlt, aber sie waren nur mäßig beschäftigt, denn Jack war einer der klugen Direktoren, die sich auf einheimische Milieufilme spezialisierten, für die kein großer Apparat notwendig war.

Sie zog sich gerade an, als Mrs. Watson ihr den Frühstückstee brachte.

»Draußen spioniert schon den ganzen Morgen ein junger Mann herum«, sagte sie. »Bereits als ich die Milch holte, habe ich ihn gesehen. Er war sehr höflich, aber ich sagte ihm, Sie wären noch nicht aufgestanden.«

»Wollte er denn mich aufsuchen?« fragte das Mädchen erstaunt.

»Ja, so sagte er«, entgegnete Mrs. Watson ärgerlich. »Ich fragte ihn, ob er von Knebworth käme, aber das verneinte er. Wenn Sie ihn sprechen wollen, können Sie in den Salon gehen, aber ich habe es nicht gerne, wenn junge Herren junge Mädchen besuchen. Vorher habe ich niemals an Theaterleute vermietet, und Sie können in diesem Punkt nicht vorsichtig genug sein. Ich halte seit jeher auf einen ehrenwerten Namen, und ich möchte das auch in Zukunft tun.«

Helen lächelte.

»Aber ich kann mir wirklich nichts Unschuldigeres vorstellen als einen Besuch zu so früher Morgenstunde, Mrs. Watson.«

Sie ging die Treppe hinunter und öffnete die Tür. Der junge Mann stand in einem Seitengang und kehrte ihr den Rücken zu. Als er hörte, daß die Tür geöffnet wurde, drehte er sich um. Er sah sehr gut aus und war tadellos gekleidet. Er blickte sie mit einem Lächeln an, in dem eine Bitte lag.

»Ich hoffe, daß Ihre Wirtin Sie nicht meinetwegen aufgeweckt hat. Ich hätte warten können. Sie sind Miss Helen Leamington?«

Sie nickte.

»Treten Sie bitte näher«, sagte sie und führte ihn in den kleinen, dumpfen Salon. Nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, wartete sie, bis er sprach.

»Ich bin Reporter«, sagte er zu seiner Einführung.

Sie war unangenehm berührt.

»Kommen Sie, um Erkundigungen wegen Onkel Francis anzustellen? Ist denn wirklich etwas Schlimmes passiert? Schon vor einer Woche war einmal ein Detektiv bei mir. Hat man ihn aufgefunden?«

»Nein, bis jetzt wurde er nicht gefunden. Sie kennen ihn doch sehr gut, Miss Leamington?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Nein, ich bin ihm nur zweimal in meinem Leben begegnet. Mein verstorbener Vater und er lagen in Streit, schon bevor ich geboren wurde. Ich habe ihn nur ein einziges Mal nach dem Tode meines Vaters gesehen, und dann, bevor meine Mutter so schwer krank wurde.«

Sie hörte, wie er seufzte, und fühlte seine Erleichterung. Sie konnte sich aber nicht vorstellen, warum es ihm angenehm war, daß ihr Onkel ihr fremd war.

»Aber Sie haben ihn doch in Chichester getroffen?« fragte er.

Sie nickte.

»Ja, das stimmt. Ich habe ihn einen Augenblick lang gesehen, als ich mit einer ganzen Gesellschaft in einem Wagen nach Good Wood-Park unterwegs war. Er ging den Fußweg entlang und sah krank und vergrämt aus. Er kam gerade aus einem Papierladen. Er trug eine Zeitung unter dem Arm und einen Brief in der Hand.«

»Wo war der Laden?« fragte er schnell.

Sie nannte ihm die genaue Adresse, die er notierte.

»Haben Sie ihn nicht wiedergesehen?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Ist denn irgend etwas Schlimmes passiert?« fragte sie ängstlich. »Ich habe oft gehört, wie meine Mutter sagte, daß Onkel Francis etwas ausschweifend und gewissenlos sei. War er in einer schwierigen Lage?«

»Ja«, gab Mike zu. »Aber es war nichts, weswegen Sie sich aufregen müßten. – Sie sind eine große Filmschauspielerin?«

Trotz ihrer Angst mußte sie lachen.

»Wenn Sie in Ihrer Zeitung schreiben, daß ich es bin, kann ich Sie nicht daran hindern. In Wirklichkeit bin ich es nicht.«

»Wenn ich was ...?« fragte er, im Moment etwas verdutzt.

»Ach ja, Sie meinen, wenn ich das in meiner Zeitung schreibe natürlich!«

»Ich vermute, daß Sie gar kein Reporter sind«, sagte sie mit einem plötzlichen Verdacht.

»Aber natürlich bin ich einer«, beruhigte er sie rasch und nannte den Namen eines wenig verbreiteten Blattes.

»Nun gut. Obgleich ich keine große Schauspielerin bin und sogar fürchte, niemals eine zu werden, glaube ich bestimmt, daß es nur daran liegt, daß ich niemals Gelegenheit hatte – auf der anderen Seite jedoch habe ich schrecklichen Argwohn, daß Mr. Knebworth gefühlsmäßig weiß, daß ich doch keinen Erfolg haben werde.«

Mike Brixan war nun aufs neue an dem Fall interessiert. Er gestand sich ehrlich ein, daß die Nichte von Francis Elmer schuld daran war. Er hatte noch kein junges Mädchen getroffen, das so schön war und sich so ungekünstelt und natürlich gab.

»Ich vermute, daß Sie jetzt zum Atelier gehen wollen?«

Sie nickte.

»Würde Mr. Knebworth etwas dagegen haben, wenn ich Sie einmal im Atelier besuchte?«

Sie zögerte.

»Mr. Knebworth liebt das gar nicht.«

»Dann werde ich vielleicht ihn besuchen«, sagte Mike, indem er ihr zunickte. »Es ist ja schließlich gleich, wen ich besuche. Nicht wahr?«

»Mir macht es gewiß nichts aus«, sagte das Mädchen kühl.

Man könnte sagen, ich habe den Vogel in der Schlinge, dachte Mike, als er die Straße hinunterging.

Seine Nachforschungen dauerten nicht lange. Er fand den kleinen Zeitungsladen und hatte das Glück, daß der Inhaber sich auf Mr. Francis Elmer gut besinnen konnte.

»Er holte sich einen Brief ab, aber der war nicht an ihn adressiert«, sagte er. »Viele Leute holen sich ihre Briefe bei mir ab – ich habe dadurch einen guten Nebenverdienst.«

»Hat er sich eine Zeitung gekauft?«

»Nein, Sir. Er hatte eine unter dem Arm. Ich konnte den Namen lesen. Es war das ›Morgen-Telegramm‹. Ich kann mich deutlich daran erinnern, weil er auf der ersten Seite eine von den persönlichen Anzeigen blau umrandet hatte. Das fiel mir auf. Ich habe hinten noch ein Exemplar von der Nummer.«

Er ging in den kleinen anstoßenden Wohnraum hinter dem Laden, kam mit einer unsauberen Zeitung zurück und legte sie vor Mike auf den Ladentisch.

»Auf der Vorderseite sind sechs solche Anzeigen, aber ich weiß nicht mehr, welche es war.«

Mike überflog sie. Zuerst las er den Aufruf einer untröstlichen Mutter an ihren Sohn. Sie bat ihn, zurückzukehren, es sei ihm alles verziehen. Dann folgte ein Inserat in Geheimschrift, aber er hatte jetzt nicht Zeit, das zu entziffern. Das dritte betraf ein Stelldichein, das vierte gehörte eigentlich nicht in diese Spalte, es war die Ankündigung eines neuen Haarwassers. Als er das fünfte Inserat las, stutzte er.

In Sorge. Endgültige Instruktionen brieflich unter der bekannten Adresse. Nur Mut. Wohltäter.

»Ein Wohltäter?« wiederholte Mike Brixan. »In welcher Verfassung war denn der Mann, der den Brief abholte? War er sehr verstört?«

»Ja, Sir, er sah sehr verwirrt aus und war mit seinen Gedanken nicht bei der Sache. Es schien mir fast, als ob er den Kopf verloren hätte.«

»Die Beschreibung stimmt«, sagte Mike.


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