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Mr. Longvales beide Patienten wurden in dieser Nacht ins Krankenhaus gebracht, und als von den Ärzten ein günstiger Bericht über das Befinden des Mannes kam, hatte sich das Rätsel für Mike gelöst.
Er besuchte seinen alten Lehrer an diesem Abend. »Wieder wißbegierig?« fragte er gutgelaunt, als Mike eintrat.
»Sehr wißbegierig, Sie haben recht!« sagte Mike. »Obwohl ich bezweifle, daß Sie mir heute helfen können. Ich bin auf eine alte Chronik von Chichester aus.«
»Ich besitze eine aus dem Jahre 1600. Sie sind der zweite seit kurzer Zeit, der sie sehen möchte.«
»Wer war der andere?« fragte Mike schnell.
»Ein Mann namens Foß –« begann Mr. Scott. Mike nickte, als ob er das wüßte. »Er wollte etwas über die Höhlen wissen. Ich hatte niemals gehört, daß es hier Höhlen von Bedeutung gäbe. Wenn es Cheddar gewesen wäre, hätte ich ihm genügend Aufschluß geben können. Auf dem Gebiet bin ich eine Autorität.«
Er führte Mike in die Bibliothek, nahm einen alten Band herunter und legte ihn auf den Tisch.
»Nachdem Foß gegangen war, sah ich auch nach. Sie sind nur auf Seite 385 erwähnt. Der Bericht steht in Zusammenhang mit dem Verschwinden einer Reitertruppe unter Sir John Dudley, Earl von Newport, während einer lokalen Fehde, die sich in der Zeit Stephans in dieser Gegend abspielte. Hier ist die Stelle.« Er deutete darauf.
Mike las die altertümliche Schrift:
›Der edle Earl beschloß, seine Ankunft zu erwarten, und führte zwei Compagnien Reiterei nachts in die großen Höhlen, die zu jener Zeit vorhanden waren. Nach dem unergründlichen Willen Gottes, in dessen Hand wir alle stehen, ereignete sich um acht Uhr in der Frühe ein großer Erdrutsch, der alle diese Ritter und Herren und Sir John Dudley, Earl von Newport, unter sich begrub und ihr Leben vernichtete, so daß sie nie wieder gesehen wurden. Dies ereignete sich neun Meilen von dieser Stadt an einem Ort, der von den Römern Regnum genannt wurde oder Ciffanceaster von den Angelsachsen.‹
»Sind die Höhlen jemals gefunden worden?«
Mr. Scott schüttelte den Kopf.
»Es gehen Gerüchte in der Gegend um, daß sie vor anderthalb Jahrhunderten von Alkoholschmugglern benutzt wurden, aber solche Gerüchte finden Sie ja überall.«
Mike nahm eine Karte von Chichester aus seiner Mappe, maß neun Meilen ab und umzirkelte die Stadt. Die Linie ging nahe an der Besitzung Sir Gregorys vorbei. »Es gibt zwei Griff Towers?« sagte er plötzlich, als er die Karte prüfte.
»Ja. Außer Pennes Besitzung gibt es noch einen Turm, der nach der berühmten Grenzmarke – dem wirklichen Griff in Towers, wie er ursprünglich hieß – genannt ist. Ich glaube, er steht entweder in oder in der Nähe von Pennes Besitztum – ein sehr alter, runder Turm, ungefähr sechseinhalb Meter hoch. Sein Alter wird auf nicht ganz zweitausend Jahre geschätzt. Da ich mich sehr für archäologische Dinge interessiere, habe ich die Ruine genau untersucht. Der untere Teil ist zweifellos römisches Mauerwerk – die Römer hatten hier ein großes Lager. Und in der Tat war Regnum einer ihrer Hauptstützpunkte. Es gibt allerhand Erklärungen für seine Entstehung. Wahrscheinlich war er zuerst eine Schanze oder ein Blockhaus. Meiner Meinung nach war der ursprüngliche römische Turm nur einige Fuß hoch und überhaupt nicht als Festungsbau gedacht. In späteren Zeiten wurden die Umfassungsmauern erhöht, ohne daß man eigentlich recht wußte, warum.«
Mike lachte in sich hinein.
»Wenn meine Annahme richtig ist, werde ich in dieser Nacht noch mehr von diesem römischen Kastell erfahren«, sagte er.
Er ließ seine Koffer vom Hotel in sein neues Quartier bringen. Als er zurückkam, sah er, daß der Abendtisch für drei Personen gedeckt war.
»Erwarten Sie Besuch?« fragte Mike. Er beobachtete Jack Knebworth, der mit den letzten Vorbereitungen für die Ausstattung des Tisches beschäftigt war. Er hatte als Junggeselle ausgesprochenen Sinn für hübsche Anordnung und setzte die Bestecke, Teller, Gläser und Servietten ganz genau auf ihren Platz.
»Ja. Eine Freundin von Ihnen.«
»Von mir?«
Jack nickte.
»Ich habe Miss Leamington zu Tisch gebeten. – Wenn ich aber sehe, daß ein Mann in Ihrem Alter rot wird, wenn der Name einer jungen Dame erwähnt wird, so kann ich ihn nur bemitleiden. Sie kommt teils aus geschäftlichen Gründen, teils um einmal außerhalb der Geschäftszeit mit mir zusammen zu sein. Heute hat sie nicht so gut gespielt, wie ich erwartete, aber vermutlich waren wir alle heute nicht auf der Höhe.«
Bald darauf kam Helen Leamington. An diesem Abend sah sie wirklich entzückend aus. Mike konnte sie nicht genug ansehen, und obgleich er es sich noch nicht eingestand, hatte er sie doch in sein Herz geschlossen.
Jack Knebworth half ihr beim Ablegen des Mantels.
»Als ich hierher kam«, sagte sie, »dachte ich, wie sich doch alles so schnell ändern kann. Früher hätte ich im Traum nicht daran gedacht, daß ich einmal bei Ihnen eingeladen sein würde, Mr. Knebworth.«
»Und mir ist es auch niemals im Traum eingefallen, daß Sie sich einmal so in die Höhe arbeiten würden, daß ich Sie so auszeichnen kann. Und in fünf Jahren werden Sie zu sich sagen: Warum in aller Welt war es mir damals so wichtig, bei dem simplen Knebworth ein einfaches Mahl einzunehmen?«
Er legte seine Hand auf ihre Schulter und führte sie in das Zimmer. Jetzt erst sah sie Mike. Der junge Mann fühlte mit Unbehagen, daß sie etwas enttäuscht schien. Aber nur eine Sekunde, dann erklärte sie ihm den Wechsel ihres Mienenspiels, als hätte sie seine Gedanken gelesen.
»Ich dachte, wir würden nur über Filme sprechen«, sagte sie lächelnd.
»Das sollen Sie auch«, erwiderte Mike. »Ich bin der beste Zuhörer auf der Welt. Der erste, der heute das Wort Mord erwähnt, wird zum Fenster hinausgeworfen.«
»Dann muß ich mich zur Flucht vorbereiten«, sagte sie gutgelaunt. »Denn ich möchte gern von Mord und Geheimnissen sprechen – später!«
Unter dem ermunternden Einfluß einer harmonischen Umgebung erschien das Mädchen in einem ganz neuen Licht. Alle Eigenschaften, die Mike ihr heimlich zugelegt hatte, erwiesen sich als wahr. Ihre Scheu und ihre fast kühle Reserve schmolzen in der Gesellschaft dieser beiden Menschen. Sie nahm an, daß der eine ihr zugetan war und der andere – nun ja, Mike war schließlich ein Freund.
»Ich habe heute nachmittag Detektiv gespielt«, sagte sie, nachdem der Kaffee serviert war, »und dabei habe ich interessante Entdeckungen gemacht. Ich erzählte Ihnen, daß ich gestern abend wieder das geheimnisvolle Auto sah. Zufällig konnte ich im Vorbeigehen das Muster sehen, das auf den Reifen der Hinterräder als Profil angebracht war. Als ich heute durch meine Straße ging, sah ich die Spur dieser Räder mitten auf dem schmutzigen Fahrdamm. Ich folgte ihr, und meine Vermutung bestätigte sich, daß sie nach dem Feldweg führte, der die Straße am Ende kreuzt. Es war die einzige Reifenspur auf diesem Weg. Zweifellos rührt sie von dem Wagen her, den der Fahrer mit der weißen Frauenhand lenkte. Ich sah in der Mitte der Straße Öl. Dort mußte der Wagen länger gehalten haben. Dies fand ich dort.« Sie öffnete ihre Handtasche und zog eine kleine dunkelgrüne Flasche daraus hervor. Sie trug kein Etikett und war nicht verschlossen. Mike nahm sie in die Hand, betrachtete sie aufmerksam und stellte einen starken, unangenehmen Geruch fest.
»Wissen Sie, was darin war?« fragte sie.
Er schüttelte den Kopf.
»Lassen Sie mich auch einmal sehen«, sagte Jack Knebworth, nahm die Flasche aus Mikes Hand und führte sie an seine Nase. »Butylchlorid«, sagte er, und das Mädchen nickte.
»Ich dachte es mir gleich. Mein Vater war nämlich Apotheker, und als ich einmal in der Apotheke spielte, stand ein Schrank offen. Ich sah eine schöne Flasche darin, nahm sie und öffnete sie. Wer weiß, was mir zugestoßen wäre, wenn mein Vater mich nicht bemerkt hätte. Ich war damals noch ein Kind, aber ich habe den eigentümlichen Geruch nicht vergessen.«
»Butylchlorid.« Mike runzelte die Stirn. »Es ist bekannt unter den Namen ›Todestropfen‹. Dieses Mittel wird von Gaunern benützt, um Matrosen auszuplündern. Ein paar Tropfen in ein Weinglas genügen, um sie für lange Zeit bewußtlos zu machen.«
Mike nahm die Flasche wieder. Es war ein gewöhnliches Glas, wie es zur Aufbewahrung von Giften gebraucht wird, und als er näher hinsah, fand er auch das Wort »Gift« eingepreßt.
»Es ist keine Spur von einer Aufschrift zu finden«, sagte er.
»In Wirklichkeit besteht vielleicht gar kein Zusammenhang mit dem geheimnisvollen Auto«, fügte Helen hinzu. »Es ist ja alles nur Vermutung von mir – ich habe eins ans andere gereiht.«
»Wo haben Sie die Flasche gefunden?«
»In einem Graben, der dort sehr tief und augenblicklich überflutet ist. Aber die Flasche fiel nicht so weit. Das war Entdeckung Nummer eins – hier ist Nummer zwei.«
Sie nahm einen sonderbar geformten, metallenen Gegenstand aus ihrer Tasche, der an beiden Seiten Bruchstellen zeigte.
»Wissen Sie, was das ist?« fragte sie.
»Nein«, sagte Jack und übergab Mike den Fund.
»Aber ich weiß es, weil ich es im Atelier gesehen habe«, sagte Helen. »Und Sie wissen es auch, nicht wahr; Mr. Brixan?«
»Es ist das Hauptgelenk einer Handschelle«, sagte er. »Das Gelenk, das beim Fesseln einschnappt.«
Es war mit rostigen Stellen bedeckt, die gereinigt worden waren. Helen sagte, daß sie das getan hätte.
»Das sind meine beiden Funde. Ich kann Ihnen meine Schlußfolgerungen nicht verraten, weil ich keine habe!«
»Diese Dinge brauchen überhaupt nicht aus dem Wagen geworfen worden zu sein«, sagte Mike. »Aber wie Sie sagen, besteht die Möglichkeit, daß der Besitzer des Autos die Gelegenheit wahrnahm, sie an dem einsamen Platz fortzuwerfen. Auf seinem eigenen Grund und Boden hätte er sie nicht brauchen können. Sicherer wäre es ja gewesen, wenn er sie ins Meer versenkt hätte. Aber so war es vermutlich leichter für ihn. Ich will sie aufheben.«
Er packte sie in Papier und steckte sie in die Tasche. Dann wandte sich die Unterhaltung wieder dem Film zu.
»Morgen werden wir Aufnahmen bei dem richtigen Griff Tower machen«, sagte Jeck Knebworth. »Er ist ein Wahrzeichen der ganzen Gegend – was belustigt Sie daran?« fragte er Mike.
»Nichts Besonderes. Ich hatte mir nur gleich gedacht, daß es so käme. Es war mein Gefühl, daß ich noch von dem verwünschten alten Turm hören würde!«