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XIV

Schlieben saß in seinem Privatkontor in dem roten Lederstuhl, den er sich zur Bequemlichkeit hatte hier hineinstellen lassen, lehnte sich aber nicht an, sondern saß ungemütlich, gerade aufgerichtet, und sah aus wie einer, der eine unliebsame Entdeckung gemacht hat. Wie konnte das zugehen, daß der Junge Schulden gemacht hatte?! Bei so reichlichem Taschengeld?! Und dann, daß er nicht das Herz hatte, zu kommen und zu sprechen: ›Du, Vater, ich habe zu viel ausgegeben, hilf mir heraus –,‹ das war einfach unfaßlich! War er denn ein so strenger Vater, daß der Sohn sich vor ihm fürchten mußte? Trieb die Furcht die Liebe aus?! Er ging sein eigenes Verhalten durch; er konnte sich wirklich nicht den Vorwurf machen, zu streng gewesen zu sein. Wenn er auch nicht alle Zeit so nachgiebig gewesen war – zu nachgiebig – wie Käte, so hatte doch auch er dem Jungen immer und immer wieder zu zeigen geglaubt, daß er ihn lieb hatte. Und hatte er denn nicht auch – gerade in letzter Zeit – geglaubt, der Junge hätte auch ihn lieb? Lieber als früher?! Wolfgang war eben zu Verstand gekommen, hatte eingesehen, wie gut man's mit ihm meinte, daß er seiner Eltern lieber Sohn war, ihre wachsende Freude, ihre Hoffnung – ja, nun, da man alt geworden war, die ganze Zukunft! Wie kam's, daß er lieber zu andern ging, zu Leuten, die ihn gar nichts angingen, und sich von denen borgte, anstatt den Vater zu bitten?!

Mit Betrübnis nahm Schlieben einen Brief von seinem Schreibtisch, las ihn, den er doch schon drei-, viermal gelesen hatte, noch einmal durch und legte ihn dann mit einer ärgerlichen Gebärde wieder zurück. Da schrieb ihm Braumüller, der kürzlich aus der Firma ausgetreten war und sich zur Erholung und zum Vergnügen in der Schweiz befand, der Junge hätte ihn schon wieder mal angepumpt. Nicht, daß er's ihm nicht gerne geben würde, es käme ihm ja gar nicht darauf an, aber er hielte es doch für seine Pflicht – usw. usw.

›Es kann nicht anders sein, lieber Schlieben, der Junge lumpt. Es ist mir höchst fatal, ihn zu verpetzen, aber ich kann doch nicht länger warten, denn so gut wie er zu mir kommt, geht er auch zu andern. Und es wäre doch höchst peinlich, wenn der Sohn der Firma Schlieben & Co., zu der ich mich immer noch in alter Anhänglichkeit rechne, etwa gar in der Leute Mäuler käme. Nimm's nicht übel, alter Freund! Was der Junge mir schuldet, schenke ich ihm; ich mag ihn gern und bin auch mal jung gewesen. Im übrigen bin ich ganz froh, daß ich keine Kinder habe, es ist doch ein verdammt schweres Stück, eins zu erziehen. Leb' wohl, grüße Deine Frau vielmals, es ist herrlich hier – – –‹

Mit gerunzelter Stirn starrte Schlieben über das Papier hinweg; dieser Brief, der so gut gemeint, so herzlich geschrieben war, tat ihm weh. Daß Wolfgang hierin so wenig Vertrauen zu ihm hatte! War er überhaupt nicht offen?! Schlieben erinnerte sich genau, daß Wolfgang als Kind immer wahr gewesen war, gerade heraus bis zur verletzenden Offenheit – ungezogen war er gewesen, aber nicht verlogen –, sollte er sich jetzt so geändert haben? Wie kam das, und woher?!

Der Vater beschloß, nichts von dem Brief zu erwähnen, wohl aber Wolfgang scheinbar gelegentlich – aber sobald als möglich – zu fragen, wie es denn eigentlich mit seinen Finanzen stünde? Da würde er ja hören!

Es drängte ihn förmlich zu dieser Frage, und doch brachte er sie nicht über die Lippen, als bald darauf Wolfgang ins Privatkontor trat, ohne vorher anzuklopfen, wie sie's doch alle taten, mit der ganzen unbekümmerten Sicherheit des Sohnes. Er setzte sich rittlings auf das Schreibpult des Vaters, ganz achtlos, daß sein helles Beinkleid mit dem Tintenfaß in unliebsame Berührung kam. Draußen war helle Luft und eine höchst sommerliche Sonne; er brachte eine ganze Menge davon mit herein in den dunkel gehaltenen, kühlen und abgeschlossenen Raum.

»Ärger gehabt, Papa?!« Was der alte Herr wohl wieder für Grillen hatte? O, sicher nichts von Belang! Wie konnte man jetzt überhaupt Ärger haben in dieser köstlichen, wohligen Sommerzeit?!

Wolfgang liebte die Sonne; wie er sie als Kind angestaunt hatte in ihrem kleinen Abbild, der runden gelben Sonnenblume seines Gärtchens, so freute er sich noch jetzt an ihr. Perlte der Schweiß in Tropfen auf seiner braunen Haut, dann schob er wohl den weißen Panamahut ein wenig aus der Stirn zurück, aber nie ging sein Atem freier, leichter, unbeklemmter.

»Es war herrlich, Papa,« sagte er, und seine Augen leuchteten. »Erst geschwommen – was sagst du dazu, dreimal hintereinander die ganze Breite des Sees, ohne Pause hin und her, und wieder hin und her und wieder hin und her?!«

»Viel zu anstrengend, ganz unvernünftig!« Schlieben sagte es nicht ohne Besorgnis: Hofmann war eigentlich gar nicht sehr dafür, daß der Junge schwamm!

»Unvernünftig, anstrengend?! Haha!« Wolfgang amüsierte sich. »Das ist mir doch 'ne Kleinigkeit! Weißt du, eigentlich habe ich meinen Beruf verfehlt, du hättest mich nicht ins Kontor stecken sollen. Schwimmer, Reiter hätte ich werden sollen oder – na, so 'n Cowboy im wilden West!«

Er hatte es scherzend gesagt, ohne jede Absichtlichkeit, aber es wollte den Mann, der ihn mit plötzlich mißtrauisch gewordenen Augen ansah, bedünken, als berge sich hinter dem Scherz ein Ernst, eine Anklage. Was wollte er denn, wollte er wie ein zügelloser Knabe ins Leben hineingaloppieren?!

»Nun, deine sportlichen Fähigkeiten werden dir ja schon zustatten kommen, wenn du deine Militärzeit abmachst,« sagte er kühl. »Vorderhand ist das wichtiger, was du hier zu tun hast. Hast du den Lieferungsvertrag für Weiß Gebrüder entworfen? Zeig' mal her!«

»Sofort!«

Wolfgang verschwand; aber es dauerte eine ganze Weile, bis er wiederkam. Hatte er jetzt erst rasch die ihm als dringend überwiesene und sorgfältig auszuführende Arbeit erledigt?! Die Tinte war noch ganz frisch, die Schrift, wenn auch leserlich, so doch sehr flüchtig; keine Kaufmannsschrift! Schlieben runzelte die Stirn, er war heute merkwürdig gereizt. Zu andrer Zeit hätte ihm die Geschwindigkeit, mit der der Junge die verabsäumte Arbeit nachgeholt hatte, gewissermaßen imponiert; aber heute ärgerte ihn die Flüchtigkeit der Schrift, die Tintenspritzer am Rand, die ganze Nachlässigkeit, die ihm gleichbedeutend schien mit Interesselosigkeit.

»So, hm –« er prüfte noch einmal kritisch –, »wann hast du denn das gemacht?«

»Als du mir's auftrugst!« Wolfgang sagte das so unverfroren, daß man unmöglich daran zweifeln konnte.

Schlieben schämte sich ordentlich: wie doch so ein Körnchen Mißtrauen gleich aufgeht! Da hatte er dem Sohn wirklich unrecht getan! Aber das mit dem Gelde, das blieb doch nun einmal bestehen, darin war der Junge doch nicht offen und ehrlich gewesen! Es war dem Vater, als könne er dem Sohne von jetzt ab doch nicht mehr ganz trauen. –

Es war kaum Mittag, als Wolfgang schon wieder das Kontor verließ. Er hatte sich mit ein paar Bekannten verabredet, im Kaiserkeller unweit der Linden; ob er nun da frühstückte oder da, frühstücken mußte er doch; nur ein belegtes Brötchen, wie der Vater sich eins mitnahm, konnte ihm nach Schwimmen und Reiten nicht genügen.

Am Nachmittag zeigte er sich dann wieder eine Stunde im Bureau, aber schon im Tennisanzug, in den weißen Schuhen, den Schläger in der Hand. –

Als Wolfgang heute den Sportplatz des Westens verließ, erhitzt und rot – sie hatten lange und hartnäckig gespielt, – um herüber nach dem Bahnhof ›Zoologischer Garten‹ zu gehen, stand er, schon im Eingang, zögernd. Es trieb ihn so gar nicht nach Hause. Sollte er nicht lieber noch einmal hinein in die Stadt fahren? Eigentlich lockte es ihn jetzt nicht in die Straßen, die die treibende Menge mit noch größerer Stickigkeit erfüllte, draußen war's besser, da strich über die Villa wenigstens ein Hauch von Freiheit, aber er mußte dann mit den Eltern zusammensitzen! Na, wenn der Vater heute abend wieder so schlechter Laune war, wie heute morgen im Kontor, dann war's gräßlich! Dann war es doch besser, sich in Berlin irgendeine Gesellschaft zu suchen. Wenn nur der Tennisanzug nicht wäre! Der hinderte. Unschlüssig stand er noch, da sah er im Gewühl der Menge, die jetzt nach Geschäftsschluß und Feierabend wie ein langer eilender Wurm sich durch den Bahnhofseingang schlängelte, und sich rechts und links die Treppen hinan in Arme spaltete, unter einem in die Stirn gerückten weißen Matrosenhütchen mit blauem Samtband ein blondes Haar aufleuchten, das ihm bekannt vorkam. Es war schönes, helles, seidiges Haar, glatt und glänzend; anscheinend lässig, aber doch mit vieler Sorgfalt in einen mächtigen Knoten gedreht. Und nun erkannte er unterm Strohhütchen die blauen Augen und das kecke Näschen. Frida Lämke! Ah, wie lange hatte er die nicht gesehen! Hundert Versäumnisse fielen ihm ein. Wie wenig mehr hatte er sich um die guten Leute gekümmert! Das war recht schlecht! Und auf einmal war ihm, als hätte er sie immer, alle die Zeit her vermißt. Mit einem Satz, wie ein ungestümer Junge, nicht achtend, daß er hier auf ein Kleid trat und da einen in die Seite rempelte, war er neben ihr.

»Frida!«

Sie fuhr ein wenig zusammen: wer redete sie denn so dreist an?!

»Tag, Frida! Wie geht's dir?!«

Sie erkannte ihn erst nicht, aber dann errötete sie und spitzte den Mund. Was war der Wolfgang für ein Herr geworden! Und sie antwortete, ein bißchen schnippisch, ein bißchen geziert: »Jut! Jeht's Ihnen auch jut?« lachte und warf den blonden Kopf in den Nacken.

Er wollte nichts davon hören, daß sie ›Sie‹ zu ihm sagte. »Unsinn, Frida, was fällt dir ein!?« Und war so herzlich, so ganz wieder der Wolfgang von früher, daß sie sich rasch in ihn hineinfand. Sie ließ ihre Ziererei ganz fahren. Als wäre nicht fast ein Jahr vergangen, seit sie zuletzt miteinander gesprochen hatten, so gingen sie vertraulich nebeneinander her.

›Ein junges Liebespärchen,‹ dachte manch einer, der sie streifte, als sie an den Büschen des Tiergartens entlang schlenderten. Sie hatte ihren Zug fahren lassen, er hatte so wie so keine Eile nach Hause, und so gingen sie immer tiefer hinein in das grüne, schon nächtliche Dunkel, in dem selbst sein heller Tennisanzug und ihre helle Bluse unkenntlich verschwammen. Die Nachtigallen waren längst verstummt; man hörte ab und zu nur leises Mädchenauflachen wie ein Girren und gedämpftes Flüstern von Pärchen, die man nicht sah. Auf den Bänken, die im Dunkel standen, raunte es, es raschelten Sommerkleider, es leuchteten wie Glühwürmchen brennende Zigarren auf, alle Sitze, auf die man zutappte, waren besetzt; es war unendlich schwül im Park.

Wolfgang und Frida sprachen von Frau Lämke. »Sie ist immer krank, hat schon so viel gedoktert,« sagte das Mädchen, und dabei bebte eine aufrichtige Betrübnis in seinem Ton. Es tat Wolfgang sehr leid. –

Als Frida heute abend ganz außergewöhnlich spät heimkehrte – das Haus war längst geschlossen, Frau Lämke hatte sich schon geängstigt und wußte nicht, wie sie die Bratkartoffeln warm halten sollte – fiel sie der Mutter um den Hals: »Mutter, Mutterken, zanke nicht!« Und dann sprudelte sie heraus, daß sie dem Wolfgang begegnet wäre: »Wolfjang Schlieben, du weißt doch! Der war so nett – nee, Mutter, du kannst dir jar nich denken, wie nett er war! Nich 'n bißchen stolz! Und er fragte jleich nach dir, und als ich ihm sagte, du hättest's mit'n Magen und mit'n Nerven, da tat ihm das so leid. Und er sagte: Mutter muß mal 'raus in der schönen Sommerszeit, und jab mir den Schein, hier, siehste, 'nen grünen Schein – ich wollt' ihn durchaus nich nehmen, was soll'n denn wohl die Leute von denken?! – aber er jing so mit Jewalt, er hatt'n mir in die Hand jestopft, ich hätte schreien können, so hat er mir die Finger auseinander jebogen – biste böse, Mutter, daß ich ihn jenommen habe? Ich wollte nich, ich wollte wahrhaftig nich! Aber er sagte: ›Es ist doch für deine Mutter!‹ Und, ›sei doch vernünftig, Frida!‹« Frida weinte fast vor dankbarer Rührung.

Frau Lämke nahm's ruhiger: »Nu wer ich vielleicht nach Eberswalde fahren bei meinen Bruder oder an Ende bei meine Schwester ins Riesenjebirge! Un ich jebe für'n paar Wochen de Reinemachstellen uf, det wird mir riesig jut tun. Der jute Junge, das 's scheen von ihn, daß er an seine alte Freundin denkt – na, er kann's ja ooch, was sind fufzig Mark für so eenen?!« –

Wolfgang war, als er Frida bis an ihre Haustür gebracht hatte, langsam weitergeschlendert, den Tennisschläger unterm Arm, die Hände in den Taschen der weiten Hosen. Über ihm spannte sich ein reichgestirnter Nachthimmel, unendlich freundlich blinkten goldene Augen zu ihm nieder; alles Räderrollen war verstummt, keine Spaziergänger in großen Trupps wirbelten mehr den Staub der Straße auf. Was die hin und wieder rollenden Sprengwagen des Tages nicht vermocht hatten, das hatte jetzt der Tau der Nacht getan. Der lose Sand war gelöscht, eine kühlende Frische stieg vom Boden auf, Bäume und Büsche dufteten nach Grün; von Gartenbeeten, im Dunkel versunken, stiegen Blumengerüche auf. Wolfgang atmete mit Wohlgefühl, leise pfiff er; eine friedvolle Freudigkeit war in ihm: nun war es doch gut, daß er sich nicht mehr in Berlin umhertrieb! Es war so nett gewesen mit Frida, wie gut hatte er sich mit ihr unterhalten – und dann – es machte ihm wirklich ein riesiges Vergnügen, Mutter Lämke ein wenig unter die Arme greifen zu können!

So recht im Innersten vergnügt kam er zu Hause an.

»Die Herrschaften haben längst abgegessen,« erlaubte sich Friedrich mit einem gewissen Vorwurf zu bemerken – der junge Herr war denn doch gar zu unpünktlich!

»Na, wenn schon,« sagte Wolfgang. »Sagen Sie der Köchin, sie soll mir noch rasch was machen, ein Kotelett oder Beefsteak, oder was gab's denn sonst heute abend? Ich habe 'nen Mordshunger!«

Friedrich sah ihn ganz verdutzt an: jetzt noch, um halb elf noch? Das war doch Herrn Schlieben oder der gnädigen Frau noch nie eingefallen, so etwas zu verlangen – warmes Abendbrot noch, um halb elf Uhr?! Er stand zögernd.

»Na, wird's bald,« sagte der junge Herr über die Schulter weg und ging ins Eßzimmer hinein.

Da saßen die Eltern – beide lasen – noch am Tisch, aber der Tisch war leer.

»Guten Abend,« sagte der Sohn, »schon abgedeckt?!« Aus seinem Ton klang laut die Verwunderung.

»Na, da bist du ja!« Der Vater nickte ihm zu, aber sah dabei nicht auf, er schien von seiner Lektüre ganz in Anspruch genommen. Und die Mutter sprach: »Setzt du dich noch ein wenig zu uns?«

Den jungen Menschen fröstelte auf einmal. Draußen war's wohlig warm gewesen, hier innen kühl.

Und dann war es eine Weile ganz still, bis Friedrich mit einem Tablett hereinkam, auf dem, neben dem Gedeck, nur ein wenig kaltes Fleisch, Brot, Butter und Käse zu sehen waren. Es fiel Wolfgang auf, wie laut er klapperte; für gewöhnlich servierte das Hausmädchen. »Wo ist denn Marie?«

»Zu Bett!« sagte die Mutter kurz.

»Schon?!« Wolfgang wunderte sich im stillen darüber. Horch, da schlug eben drüben die Pendüle in Mutters Zimmer – elf?! Wirklich schon elf Uhr?! Da konnten sie aber machen, daß er was zu essen kriegte, der Magen schrumpfte ihm ja ordentlich zusammen vor Hunger! Er sah unverwandt nach der Tür, durch die Friedrich wieder verschwunden war: gab's nun bald was?!

Er wartete.

»So iß doch!« Die Mutter rückte ihm das Schüsselchen mit kaltem Fleisch näher.

»Warum ißt du denn nicht?« fragte der Vater plötzlich.

»O, ich warte ja noch!«

»Es gibt nichts andres mehr,« sagte die Mutter, und ihr Gesicht, das unendlich abgespannt aussah, wie das eines Menschen, der lange und vergeblich gewartet hat, rötete sich schwach.

»Nichts andres – nichts mehr – wieso denn?!« Der Sohn sah außerordentlich enttäuscht drein, sah von der Mutter auf den Tisch, aufs Büfett und dann wie suchend im Zimmer umher.

»Habt ihr denn nichts andres gegessen?!«

»Ja, wir haben andres gegessen – aber wenn du nicht kommst!« Der Vater runzelte die Stirn, und nun sah er zum ersten Mal heute abend den Sohn voll an und maß ihn mit einem ernsthaften Blicke. »Du kannst doch unmöglich verlangen, wenn du so unpünktlich nach Hause kommst, noch warmes Abendbrot zu finden?«

»Aber ihr – ihr braucht ja doch deswegen nicht« – der junge Mensch verschluckte den Rest – es wäre ihm ja viel lieber, die Eltern säßen nicht da und warteten auf ihn, die Dienstboten würden schon ihre Schuldigkeit tun!

»Meinst du vielleicht, die Dienstboten brauchen keine Nachtruhe?« sagte der Vater, als hätte er diese Gedanken erraten. »Die Mädchen, die den ganzen Tag in der Küche gesteckt haben, wollen abends auch Schluß machen. Darum mußt du schon früher kommen, wenn du mit uns essen willst. Im übrigen wird es einem jungen Menschen wohl nichts schaden, wenn er abends mal mit einem Butterbrot vorlieb nimmt. Überdies du, der du« – er hatte eigentlich sagen wollen: ›Du, der du so gut zum Mittag issest‹ –, aber nun reizte ihn die Miene des jungen Menschen, in der so viel maßloses Staunen lag, und er sprach laut, ganz gegen seine Gewohnheit heftig, heftiger, als er's je im Sinn gehabt hatte: »Du – bist du etwa berechtigt, solche Ansprüche zu machen? Wie kommst du dazu, gerade du?!« Eine Bewegung Kätes, ein Rauschen ihres Kleides erinnerten ihn an ihre Gegenwart, und er fuhr gemäßigter fort, aber mit einem gewissen ärgerlichen Hohn: »Leistest du etwa so viel? Zwei Stunden vormittags im Kontor – knapp –, nachmittags eine Stunde – ja, das ist eine erstaunliche, eine kolossale Tätigkeit, die große Ansprüche an deine Kräfte stellt! Eine ganz besondere Verpflegung erheischt, in der Tat! Nun, was denn, was?!«

Wolfgang hatte etwas sagen wollen, aber der Vater ließ ihn nicht zu Worte kommen: »Setze erst eine bescheidene Miene auf, und dann rede! Junge, ich sage dir, wenn du Braumüller noch einmal um Geld angehst!«

Da, da war es heraus! All das diplomatische Fragen und Aushorchenwollen war im Ärger vergessen. Schlieben fühlte sich förmlich erleichtert, nun er sagen konnte: »Das ist ja eine unerhörte Sache! Es ist eine Schmach für dich und – für mich!« Die erregte Stimme war leiser geworden, bei den letzten Worten erstickte sie in einem Seufzer. Der Mann stützte den Arm auf den Tisch und den Kopf in die Hand; man sah es ihm an, wie nah es ihm ging.

Käte saß stumm und blaß. Ihre Augen öffneten sich schreckhaft weit – also das, das hatte er getan, sich Geld geborgt?! Auch das?! Nicht allein, daß er sich betrank, sinnlos betrank – auch das, auch das?! Es konnte ja gar nicht sein – nein! Flehend suchte ihr Blick Wolfgangs Gesicht: er mußte ja verneinen!

»Aber, Papa,« sagte Wolfgang und versuchte zu lächeln, »ich weiß wirklich nicht, wie du mir vorkommst! Ich habe deinen Sozius, der mir's übrigens mal selber angeboten hat, der mir überhaupt sehr entgegengekommen ist, um 'ne kleine Gefälligkeit gebeten. Ich wollte es ihm gerade wieder schicken –,« er lugte von der Seite den Vater an: wußte der, wieviel? – »morgen schicke ich es ihm!«

»So, morgen!« Es lag Mißtrauen in Schliebens Ton, aber doch eine gewisse Beruhigung, er wollte ja so gern das Beste von seinem Jungen annehmen. »Was hast du noch für Schulden?« fragte er. Und dann kam plötzlich die Furcht über ihn, daß dieser junge Mensch da ihn hinterginge, und in der Angst vor einer Riesenverantwortlichkeit, die er sich auferlegt hatte, sagte er härter, als es eigentlich seine Absicht war, viel härter, als es sich mit seinem Herzen vertrug: »Ich würde dich züchtigen wie einen nichtsnutzigen Buben, wenn ich's erführe! Meine Hand von dir abziehen – sieh, wie du fertig wirst! Pfui, Schulden, ein Schuldenmacher!«

Käte sah immerfort ihren Mann an, so hatte sie ihn noch nie gesehen. Sie wollte rufen, ihn unterbrechen: ›Du bist so streng, viel zu streng, so schneidest du ihm ja jedes Geständnis ab!‹ – aber sie brachte nichts heraus. Sie verstummte unter der Last der Befürchtungen, die über sie her stürzten. Voll verzehrender Unruhe hingen ihre Blicke an dem jungen Gesicht, das bleich geworden war.

Wolfgangs Lippen zuckten, es arbeitete in ihm. Er hatte sprechen wollen, schon angesetzt dazu, es eingestehen, daß er mehr verbraucht, als er gehabt hatte. Wäre der Vater nur nicht immer so riesig korrekt! Liebe Zeit, es ist eben nicht zu vermeiden, daß man die Hände voll Geld aus den Taschen zieht, wenn man's dazu hat! Hier denen, denen sagte er nur zu ungern davon! Sie waren ja im Grunde gute Leute, aber sie hatten eben gar keine Ahnung! Gute Leute –? Nein, das waren sie denn doch nicht!

Nun kam die Empörung. Wie konnte der Vater sich's einfallen lassen, ihn so anzufahren, ihn abzukanzeln in solchem Tone? Wie einen Verbrecher! Und sie, warum starrte sie ihn denn so an mit Blicken, in denen er etwas wie Verachtung zu lesen glaubte?! Nun, so wollte er sie denn noch mehr entsetzen, ihnen ins Gesicht schleudern: ›Natürlich hab' ich Schulden, was ist denn dabei?!‹ Aber mitten in der Hitze kam ihm die kühle Berechnung: wie hatte der Vater gesagt? – ›ich würde die Hand von dir abziehen‹ –?!

Wolfgang bekam auf einmal einen großen Schrecken: den hier brauchte er, den hier konnte er doch nicht entbehren! Und so raffte er sich denn auf in schnellem Umschwung: nur nichts eingestehen, nur sich nicht verraten! Er sagte, vom trotzigen Aufbrausen hinübergleitend zur glatten Kühle: »Ich weiß nicht, warum du dich so aufregst, Papa! Ich habe ja keine!«

»Wirklich keine?« Ernst fragend sah ihn der Vater an, aber aus dem Ernst leuchtete schon die frohe Hoffnung.

Und als der Sohn erwiderte: »Nein!« da streckte er ihm die Hand über den Tisch hin: »Das freut mich!«

Sie waren diesen Abend sehr nett gegen ihn. Wolfgang empfand es mit Genugtuung: nun ja, sie hatten ihm ja auch was abzubitten! Er ließ sich verwöhnen.

Der Vater war froh, förmlich erleichtert, daß nicht noch andres, Schlimmeres zu Tage gekommen war, und die Mutter hatte, zum ersten Mal seit langen Wochen, die Empfindung, als könne sie den jungen Menschen da doch wieder lieb haben. Ihre Stimme hatte, wenn sie zum Sohne sprach, wieder etwas von dem alten Klang. Und sie sprach viel zu ihm, es war ihr ein Bedürfnis. In all den Wochen hatte sie nicht so viel mit ihm gesprochen. Jetzt war ihr, als wäre ein Quell in ihr zugemauert gewesen, als müsse sich der jetzt ergießen. Er hatte keine Schulden gemacht! Gott sei Dank, er war doch nicht ganz so schlimm! Jetzt tat es ihr leid, daß sie, verdrossen über sein spätes Nachhausekommen – Umhertreiben hatte sie's bei sich genannt – die Dienstmädchen zu Bett geschickt und kein ordentliches Abendbrot mehr für ihn hatte. Hätte sie sich nicht vor ihrem Mann gescheut, so wäre sie hinab in die Küche gegangen, hätte selber versucht, ihm noch etwas Besseres herzurichten.

»Bist du auch satt geworden?« fragte sie ihn leise.

»Na, es geht!« Er fühlte sein Übergewicht.

Schlieben legte heute seine Zeitung bei Seite. Auf das höfliche »Willst du nicht lesen?« des Sohnes schüttelte er abwehrend den Kopf: »Nein, ich habe schon den ganzen Abend gelesen!« Auch er fühlte das Bedürfnis, ja, die lebhafte Verpflichtung, sich freundschaftlich mit dem Sohne zu unterhalten, wenn er auch fand, daß Käte wieder entschieden des Guten zuviel tat. So sich um den Jungen zu bemühen brauchte sie sich denn doch nicht, unrecht getan hatte er auf alle Fälle, die Sache mit Braumüller war nicht zu vergessen, offen hätte er kommen müssen – aber freilich, freilich, es war im Grunde nur eine Dummheit, eine Sache, wie sie unter hundert Fällen neunzigmal vorkommen mochte!

Schlieben beschloß, vom nächsten Ersten ab das Monatsgeld des Sohnes um hundert Mark zu erhöhen. Dann war es doch gewiß reichlich bemessen, ein Nichtauskommen und Verheimlichen war dann ein für allemal ausgeschlossen!

Es war schon weit nach Mitternacht, als Eltern und Sohn sich endlich trennten. Mit einem lange nicht mehr gekannten Wohlgefühl streckte sich Käte in ihrem Bett: heute würde sie bald einschlafen, heute würde sie nicht mehr so lange liegen müssen und auf den Schlaf harren, heute war sie so befriedigt, so beruhigt, so still in sich. Es war ja alles nun auf besserem Wege, es würde am Ende doch noch alles gut werden! Und leise flüsterte sie zu ihrem Mann hinüber: »Du – Paul!« Er hörte sie nicht, er war schon im Einschlafen. Da raunte sie eindringlicher: »Du, Paul!« Und als er sich regte, sagte sie weich: »Paul, bist du mir böse?!«

»Böse? Aber warum denn?!«

»Ach, ich meinte nur!« Sie mochte es nicht erklären, es tat ja wohl auch nicht not, hatte sie doch das Gefühl, als empfände auch er's, daß nun auch zwischen ihnen beiden alles wieder besser, schöner, inniger und einiger sich gestalten würde. Ach ja, wenn sie sich mit ihm – mit dem Sohn – besser fanden, dann fanden auch sie beide sich wieder!

Eine heiße Sehnsucht nach den Tagen der Liebe überkam die alternde Frau. Sie schämte sich vor sich selber, aber sie konnte es nicht lassen, sie langte nach dem Nebenbett: »Gib mir deine Hand, Paul!«

Und als sie im Dunklen tastete und suchte, begegnete sie seiner auch suchenden Hand. Ihre Hände legten sich ineinander.

»Gute Nacht, lieber Mann!«

»Gute Nacht, liebe Frau!«

So schliefen sie ein. – – –

Wolfgang stand am Fenster seiner Stube, sah hinaus ins Dunkel, das alle Sterne verhüllte, und hörte das Brausen eines fernen Windes. War die Nacht so beklommen, oder war nur ihm so unerträglich schwül? Ein Gewitter schien aufzuziehen. Oder war es nur eine innere Unruhe, die ihn so belästigte? Was war es denn, das ihn quälte?!

Er glaubte sich kaum je in einer unangenehmeren Stimmung befunden zu haben. Er ärgerte sich über den Vater, ärgerte sich über die Mutter – wenn sie nicht wären, wie sie eben waren, wenn nicht alles so wäre, wie es eben war, dann hätte er nicht zu lügen brauchen, nicht zu heucheln! Er ärgerte sich über sich selber. Ach, dann wäre ihm jetzt wohl leichter, viel freier! Im Unwillen zog er die Stirn zusammen; eine jähe Sehnsucht nach etwas, das er nicht zu benennen wußte, machte ihn erbeben. Was wollte er denn, nach was verlangte er denn? Ja, wenn er das selber wüßte!

Er seufzte laut auf und streckte die Arme mit den kräftigen Fäusten hinaus in die Nacht. So eng, so eng! Wenn er doch noch der Junge wäre, der hier einmal aus dem Fenster, ja, aus diesem Fenster – er beugte sich hinaus und maß die Höhe –, hinausgeklettert war, fortgerannt war, heidi, ohne Fragen wohin, immer zugerannt war, einfach ins Blaue, ins Weite hinein. Das war prachtvoll gewesen, ein seliges Laufen!

Und immer weiter beugte er sich hinaus; der Nachtwind raunte, das war wie eine lockende Melodie. Er zitterte vor Begier. Er konnte sich nicht losreißen, er mußte am Fenster stehen bleiben und lauschen. Das säuselte in der Nacht, das rauschte in den Bäumen, das schwoll und schwoll, wuchs und wuchs. Das Säuseln wurde zum Sausen.

Er vergaß, daß hier eine Stube war und hier ein Haus und hier Eltern, die gern schlafen wollten, er stieß einen Ton aus, einen lauten Ruf, halb einen Juchschrei: da draußen war's gut, ha!

Sturm. Der plötzlich aufschnaubende Gewitterwind pustete ihm ins Haar und sträubte es ihm um die Schläfen. Ha, wie köstlich das kühlte! Es war drinnen nicht auszuhalten, da war eine Dumpfheit, eine Enge. Ihm wurde so ängstlich bang. Wie sein Herz hämmerte! Und die Unlust war groß: wie war das heute abend wieder unangenehm gewesen! Der Vater sagte, er hätte es ihm eingestehen müssen – natürlich, richtiger wäre es gewesen –, aber wenn der jetzt schon, nachdem die Sache doch eigentlich erledigt war, so drohte, was hätte er dann erst vorher gesagt?! Nicht zum Aushalten war's, dies ewige Gegängeltwerden! War man etwa noch ein Kind? War man ein erwachsener Mensch, oder war man's nicht? War man der Sohn aus reichem Hause oder war man's nicht? – Nein, nicht! Man war's eben nicht!

Fern im Dunklen grollte der Donner. Es zuckte plötzlich ein blendender Strahl – er war's eben nicht, nicht der Sohn, nicht der Sohn hier vom Haus! Sonst wäre alles anders! Wie, wußte er nicht – aber anders, o, ganz anders!

Lange hatte Wolfgang nicht nachgedacht – die Tage waren zu reich an Zerstreuung –, aber nun, in dieser dunklen, gewitterigen Nacht, in der er doch nicht schlafen konnte, mußte er denken. Was er immer von sich geschoben hatte, weil's ihm nicht angenehm war, was er ganz vergessen zu haben glaubte – vielleicht, weil er's gern vergessen wollte – das mußte er jetzt bedenken. Das, was so lange zurückgedrängt gewesen war, das brach jetzt durch, mit Macht, wie der Sturmwind, der plötzlich daherfuhr und die Wipfel der Kiefern beugte, daß sie niederduckten vor Angst. In das Brausen des Sturmes hinein hätte Wolfgang seine Stimme ertönen lassen mögen, viel lauter als der.

Er war wütend, ganz unvernünftig wütend, ganz ohne Überlegung wütend. Hei, wie das blitzte, krachte, grollte, brauste und schnob! Das war ein Kampf – aber das war doch schön! Er hob sich auf den Zehen und gab die hämmernde Brust dem starken Wehen preis. Gleiche Lust hatte er kaum je empfunden, wie jetzt bei diesen Windstößen, die seine Brust wie mit Fauststößen trafen. Er warf sich ihnen entgegen, er fing sie förmlich auf mit seiner breiten Brust.

Und doch war bei der Lust eine Qual. Gegenüber diesem großen Gewitter, das ihm wurde wie ein Ereignis, dünkte ihn alles andere erbärmlich klein, und er selber mit. Da stand er nun, in Rock und Beinkleidern, die Hände in den Hosentaschen, klimperte mit dem losen Gelde, ärgerte sich darüber, daß er sich hatte abkanzeln lassen, und hatte doch nicht den Mut, alles von sich zu werfen, ganz zu tun, wie ihm beliebte.

Mit glühenden Augen folgte der junge Mensch dem gelben und blauen Zucken der Blitze, die den dunklen Wetterhimmel spalteten in schneidendem Zickzack und die Welt übergossen mit blendendem Zauberlicht. Wer doch hinfahren könnte wie dort der Blitz! Der fuhr aus den Wolken hinab zur Erde, riß ihr den Schoß auf und wühlte sich hinein!

Das junge Blut, dem die ungenützte Kraft in den Fäusten zuckte, die Kraft, die von keiner Arbeit verbraucht ward, ächzte laut auf. Wolfgang verwünschte auf einmal sein Leben. Ah, ganz wo anders müßte er sein, ganz wo anders leben, ganz wo anders! Und wenn er's da auch nicht so bequem hätte, nur fort von hier, fort! Das langweilte ihn hier ja so unsäglich. Das ekelte ihn an. Er atmete tief auf: ha, hätte man doch eine Arbeit, die man gerne tun möchte! Die einen so müde machte, daß man keinen anderen Wunsch mehr hätte, als essen und dann schlafen. Lieber Taglöhner als so einer, der auf dem Kontorstuhl hockt, Zahlen sieht, immer lauter Zahlen, und Konten und Hauptbücher und Kassabücher – nur nicht Kaufmann, nein, das war doch noch das allergräßlichste!

Wolfgang hatte bis dahin noch nie mit Bewußtsein empfunden, daß er nicht zum Kaufmann taugte; jetzt wußte er's. Nein, er mochte das nicht, er konnte das nicht bleiben! Jeder muß doch das werden, wozu er geboren ist!

Morgen schon wollte er es sagen – nein, er machte nicht mehr mit, er tat's nicht länger! Frei wollte er sein! Er bog sich wieder weit zum Fenster hinaus und witterte mit geblähten Nüstern wie ein dürstender Hirsch gierig-lechzend nach dem feuchten Wohlgeruch, der der getränkten Erde entstieg.

Nach Donner und Blitz war der Regen gekommen und tränkte den verlangenden Boden und drang in ihn ein, ihm alle Poren mit Fruchtbarkeit füllend. Es rauschte und rauschte ohne Unterlaß, ging nieder in Strömen, als nähme des Flutens kein Ende.

In Wolfgangs Seele löste sich etwas; sie wurde weich.

»Mutter,« flüsterte er verträumt und streckte die heißen Hände aus, daß der kühle Regen sie badete. Streckte auch den Kopf ganz weit hinaus, hob das Gesicht mit den geschlossenen Augen aufwärts, daß fallende Tropfen die brennenden Lider kühlten, und die durstigen Lippen, weit geöffnet, die Tränen des Himmels einsogen wie köstlichen Wein.

* * *

Aber am Morgen, als der Sand des Grunewalds all den Regen in sich geschluckt hatte, und vom befreienden Gewitter der Nacht nichts übrig war als ein etwas frischeres Grün des Rasens, ein stärkeres Duften der Kiefern, Viel abgeschlagene Eicheln und Kastanien am Promenadenweg. dachte Wolfgang doch wieder anders. Der Tag war schön; er konnte schwimmen, reiten, ein bißchen ins Kontor gehen, essen, trinken, Tennis spielen, sich zum Abend irgendwohin verabreden – es gab ja so viele Orte, an denen man sich amüsieren konnte –, warum sollte er sich und am Ende dem Vater auch den schönen Tag verderben? Er schob jeden ernsteren Gedanken als lästig weit von sich. Aber in seiner Seele war doch eine Unruhe. Er suchte sich zu betäuben.

Heute abend schlief Käte nicht so rasch und sanft ein wie am gestrigen Abend; wenn sie sich's auch selber geschworen hatte, nicht mehr aufzusitzen und auf ihn zu warten, schlafen konnte sie doch nicht, wenn er nicht zu Hause war. Wie damals hörte sie die Uhren gehen, schreckhaft laut; durch die Stille des Hauses drang jedes noch so leise Geräusch verstärkt an ihr lauschendes Ohr. Sie würde ihn hören, sie mußte ihn ja hören, so wie er nur den Schlüssel unten in die Haustür steckte!

Aber sie hörte nichts, solange sie auch wach lag und horchte. Die Stunden schlichen, der Tag graute, durch einen Spalt der geschlossenen Läden hindurch stahl sich ein daumbreiter falber Schein; sie sah ihn an der Wand, ihrem Bette gegenüber. Der Schein wurde tiefer nach und nach, bestimmter in der Farbe, bekam ein warm-leuchtendes, sonniges Rotgold. Es kündete kein Haushahn mit triumphierendem Schrei den neuen Tag, es lag das Haus so still, so stumm der Garten, aber jener Schein dort, der verriet den Morgen. – – –

Sie mußte doch geschlafen haben, ohne daß sie es wußte: wie, schon der Morgen da?! Nun war sie auch sicher, daß er längst zu Hause war, sie hatte sein Kommen eben überhört. Das beruhigte sie. Aber sie zog sich doch eilig an, flüchtiger als sonst, und sie konnte es doch nicht lassen, ehe sie zum Frühstück hinunterging, an seiner Türe stillzustehen und zu lauschen. Er war noch nicht auf – natürlich noch nicht, er war ja so spät nach Hause gekommen – noch schlief er! Sie konnte einmal heimlich nach ihm sehen. Sie trat ein, aber er schlief nicht.

Mit ganz wirren Augen blickte die Frau aufs Bett – da stand es, aufgeschlagen, einladend weiß und behaglich, aber er lag nicht darin. Das Bett war gar nicht berührt! Leer das Zimmer!

Da erstarrte ihr das Herz in eisigem Schreck: sie hatte doch nicht geschlafen, sie hatte sein Kommen doch nicht überhört! Dazumal war er gekommen – betrunken freilich, aber er war doch noch nach Hause gekommen –, dieses Mal nicht mehr!


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