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Trotz der unerträglichen Hitze, vor der die Menschen sich nicht zu retten wußten, trotz der Mückenschwärme, die im kühlen Schatten des Wagens ihre Tänze aufführten, und trotz der Stöße, die der sich neben ihr herumwälzende kleine Bruder ihr versetzte, war Marianka, nachdem sie sich das Tuch über den Kopf gezogen, doch zuletzt eingeschlafen. Da kam plötzlich Ustenjka aus dem benachbarten Garten herbeigelaufen, kroch zu ihr unter den Wagen und legte sich neben sie.
»Nun wollen wir schlafen, alle beide,« sagte Ustenjka, während sie sich unter dem Wagen ausstreckte. »Halt!« sagte sie dann und sprang wieder auf – »so ist's nicht bequem!«
Sie erhob sich, riß grüne Weinreben ab, hängte sie auf beiden Seiten an die Wagenräder und befestigte noch ihren Beschmet darüber.
»Mach Platz da,« rief sie dem Knaben zu, während sie wieder unter den Wagen schlüpfte. »Ein Kosak darf doch nicht mit Mädchen zusammenliegen! Marsch, fort!«
Als sie unter dem Wagen mit der Freundin allein war, umfaßte sie plötzlich Marianka mit beiden Armen, drückte sie an sich und begann sie auf Wangen und Hals zu küssen.
»Du mein Geliebter! Mein Brüderchen!« rief sie dabei und ließ ihr feines, kicherndes Lachen hören.
»Sieh doch, das hast du wohl bei Großväterchen gelernt,« versetzte Marianka, sie abwehrend. »Nun, lass mich schon!«
Und sie begannen beide so laut zu lachen, daß die Mutter sie anschrie.
»Du bist wohl neidisch?« sagte Ustenjka im Flüsterton.
»Schwatz nicht! Laß mich schlafen! Warum bist du denn hergekommen?«
Doch Ustenjka war nicht zur Ruhe zu bringen.
»Ich habe dir etwas zu erzählen, hör' mal!«
Marianka richtete sich auf dem Ellbogen empor und schob ihr Tuch zurecht, das ihr vom Kopfe geglitten war.
»Nun, was ist's denn?« fragte sie.
»Ich weiß etwas von eurem Mieter.«
»Was gibt's da groß zu wissen!« antwortete Marianka.
»Ach, du durchtriebene Schelmin!« sagte Ustenjka, stieß sie mit dem Ellbogen an und lachte. »Du erzählst auch gar nichts! Kommt er denn zu euch?«
»Ja. Warum?« fragte Marianka und errötete plötzlich.
»Ich bin ein einfaches Mädchen, siehst du, und erzähl's allen. Warum soll ich's verheimlichen?« sagte Ustenjka, und ihr munteres, frisches Gesicht nahm einen nachdenklichen Ausdruck an. »Tu' ich denn jemandem etwas Böses damit? Ich liebe ihn eben, das ist alles!«
»Das Großväterchen?«
»Nun – ja!«
»Aber das ist doch Sünde!« warf Marianka ein.
»Ach, Maschenka! Wann soll man sich denn vergnügen, wenn nicht jetzt, solange man noch die Mädchenfreiheit hat! Hab' ich erst einen Kosaken geheiratet, dann werde ich Kinder gebären und die Not kennen lernen. Heirate du nur deinen Lukaschka, dann ist's aus mit aller Lust und Freude, nur die Kinder bleiben dir und die Arbeit.«
»Wieso denn? Manche leben doch auch in der Ehe ganz gut. Das kommt doch darauf an!« antwortete Marianka ruhig.
»So erzähl' doch mal was vom Lukaschka! Wie ist's denn mit dir und Lukaschka gewesen?«
»Wie soll's gewesen sein? Er hat um mich angehalten. Der Vater wollte es noch um ein Jahr verschieben; doch jetzt sind wir verlobt, und im Herbst ist die Hochzeit.«
»Und was hat er zu dir gesagt?«
»Das kannst du dir doch denken, was er gesagt hat. Er sagte, daß er mich liebe. Er bat mich immer, mit ihm nach den Gärten zu gehen.«
»Sieh doch, dieser Schelm! Du bist aber nicht gegangen, nicht wahr? Was für ein schmucker Bursche er jetzt geworden ist, ein richtiger Dschigit. Soll auch in der Schwadron sehr flott sein. Dieser Tage kam unser Kirka und erzählte, was für ein prächtiges Pferd sich Lukaschka eingetauscht habe. Ich glaube, er sehnt sich sehr nach dir. Was hat er denn sonst noch gesagt?« fragte Ustenjka neugierig.
»Alles möchtest du wissen!« sagte Marianka lachend. »Einmal kam er in der Nacht betrunken an unser Fenster geritten und begann zu betteln.«
»Und du hast ihn eingelassen?«
»Wie werde ich ihn denn einlassen?! Ich hab' einmal ›nein‹ gesagt, und dabei bleibt es. Das Wort ist so fest wie Stein!« antwortete Marianka ernst.
»Er ist doch aber ein so stattlicher Bursche! Er braucht nur zu wollen, und kein Mädchen weist ihn ab.«
»So mag er nur zu den andern gehen!« entgegnete Marianka stolz.
»Tut er dir gar nicht leid?«
»Wohl tut er mir leid, aber Dummheiten mache ich nicht. Das ist schlecht.«
Ustenjka ließ plötzlich den Kopf auf die Brust der Freundin sinken, umfing sie mit beiden Armen und begann so herzlich zu lachen, daß sie am ganzen Leibe bebte.
»Bist doch ein dummes Ding!« sagte sie ganz außer Atem. »Willst du denn selbst gar nicht glücklich sein?« Und sie begann Marianka zu küssen und zu kitzeln.
»Ach, hör' doch auf!« rief Marianka, die gleichfalls laut lachen mußte. »Du erdrückst mich ja förmlich.«
»Nun hör' einer, wie sie herumtollen, als ob sie gar nicht müde wären!« ließ sich von neuem hinter dem Wagen die verschlafene Stimme der Alten vernehmen.
»Du willst also nicht glücklich sein?« wiederholte Ustenjka flüsternd und richtete sich auf. »Und doch könntest du es sein, bei Gott! Du glaubst nicht, wie sehr du geliebt wirst! So spröde bist du, und wirst doch geliebt. Ach, wenn ich so an deiner Stelle wäre, wie würde ich eurem Mieter den Kopf verdrehen! Ich hab's ja gesehen, damals, als ihr bei uns wart: förmlich aufessen wollte er dich mit den Augen! Auch mein Großväterchen – was hat der mir nicht alles geschenkt! Euer aber soll ja einer der reichsten sein unter den Russen. Sein Bursche erzählte sogar, er habe eigene Bauern.«
Marianka richtete sich leicht empor, sann nach und lächelte.
»Was er mir da einmal gesagt hat, der Mieter!« bemerkte sie, während sie einen Grashalm zerbiß. »Er sagte: ›Ich möchte der Kosak Lukaschka sein, oder dein kleiner Bruder Lasutka.‹ Warum er das nur gesagt hat?«
»Ach, er schwatzt eben hin, was ihm in den Sinn kommt,« antwortete Ustenjka. »Was redet meiner nicht alles zusammen! Als wäre er nicht recht gescheit!«
Marianka warf sich mit dem Kopfe auf den zusammengerollten Beschmet, legte die Hand auf Ustenjkas Schultern und schloß die Augen.
»Heute wollte er in den Garten kommen, um zu arbeiten – der Vater hat ihn eingeladen,« sagte sie nach einem Weilchen und schlief ein.