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19.

Es war still. Die Geräusche, die noch kurz vorher an das Ohr der beiden Jäger geklungen hatten, waren jetzt verstummt; nur die Hunde verursachten ein leises Knacken im Gebüsch, von Zeit zu Zeit erscholl der Schrei eines Vogels. Olenin wußte, daß es gefährlich war, so durch den Wald zu gehen, daß sich immer in dieser Gegend Abreken verborgen hielten. Doch er wußte auch, daß für einen Fußgänger im Walde das Gewehr ein starker Schutz war. Nicht, als ob er selbst sich gefürchtet hätte, aber er hatte doch das Gefühl, daß ein anderer an seiner Stelle sich wohl hätte fürchten können, und er blickte daher mit gespannter Aufmerksamkeit in den nebeligen, feuchten Wald, horchte auf die vereinzelten leisen Laute, umspannte sein Gewehr fester und hatte bei alledem eine ihm ganz neue, angenehme Empfindung. Onkel Jeroschka, der vorausschritt, blieb bei jeder Pfütze stehen, an der sich die paarigen Spuren des Wildschweins zeigten, betrachtete sie aufmerksam und zeigte sie Olenin. Er sprach fast gar nicht, nur ab und zu machte er flüsternd eine Bemerkung. Der Weg, auf dem sie gingen, war früher einmal von Wagen befahren worden und längst von Gras überwachsen. Der zu beiden Seiten emporragende, aus Korkrüstern und Platanen bestehende Wald war so dicht verwachsen, daß es unmöglich war, durch ihn hindurchzublicken. Fast jeder Baum war von unten bis oben von wildem Wein umrankt, während unten dichtes, dunkles Dorngesträuch wuchs. Jede kleinste Lichtung war ganz mit Brombeersträuchern und Schilf bestanden, dessen graue Fahnen sich leise hin und her schwangen. Hier und da führten breite Wildsteige und kleine, tunnelartige Fasanengänge vom Wege aus in das Waldesdickicht. Die üppige Vegetation dieses vom Vieh nie begangenen Waldes überraschte Olenin, der niemals etwas Ähnliches gesehen hatte, bei jedem Schritt von neuem. Dieser Wald, die Gefahr, der geheimnisvoll flüsternde Alte, Marianka mit ihrer kraftvollen, schlanken Gestalt und die Berge ringsum – alles das erschien Olenin wie ein Traum.

»Er hat einen Fasan gestellt,« flüsterte der Alte, den Kopf nach dem Hunde zurückwendend und sich die Mütze vor das Gesicht haltend. »Verdeck' dir das Gesicht: ein Fasan!« Er winkte Olenin ärgerlich zu und schlich weiter, fast auf allen Vieren. »Er liebt das Gesicht des Menschen nicht.«

Olenin war noch ein ganzes Stück zurück, als der Alte stehen blieb und seinen Blick auf einen Baum richtete. Ein Fasanenhahn krähte vom Baum herab auf den Hund los, der ihn anbellte, und nun sah auch Olenin den Fasan. Im selben Augenblick fiel ein lauter Schuß aus Jeroschkas mächtiger Flinte; der Hahn überschlug sich und fiel, ein paar Federn verlierend, zu Boden. Während Olenin auf den Alten zuschritt, scheuchte er einen zweiten Fasan auf. Er legte an, zielte und schoß. Der Fasan ging, sich wie ein Rad drehend, in die Höhe und stürzte schwer wie ein Stein durch die Zweige ins Dickicht.

»Gut gemacht!« rief lachend der Alte, der es selbst nicht verstand, das Wild im Fluge zu schießen.

Sie hoben die Fasanen auf und gingen weiter. Olenin war durch den Marsch im Walde und das Lob des Alten lebhaft angeregt und kam aus dem Plaudern nicht heraus.

»Halt! Dahin wollen wir gehen,« unterbrach ihn der Alte, nach dem Dickicht weisend, »hier habe ich gestern eine Hirschfährte gesehen.«

Sie bogen ein und gelangten, nachdem sie gegen dreihundert Schritte gegangen waren, auf eine Lichtung, die mit Schilf bewachsen und stellenweise mit Wasser bedeckt war. Olenin blieb immer hinter dem alten Jäger zurück; als Onkel Jeroschka etwa zwanzig Schritte voraus war, bückte er sich auf einmal, nickte bedeutsam und winkte mit der Hand. Olenin ging zu ihm hin und sah die Spur eines Menschenfußes, auf die der Alte wies.

»Siehst du?«

»Ja, ich sehe – die Spur eines Menschen. Wer mag das gewesen sein?« fragte Olenin, nur mit Mühe seine Unruhe beherrschend.

Unwillkürlich fiel ihm Coopers »Pfadfinder« ein. und auch der Gedanke an die Abreken kam ihm. Die geheimnisvolle Art, in der der Alte weiterschritt, bestimmte ihn zum Schweigen, so daß er im Zweifel blieb, ob etwa Gefahr vorlag.

»Es ist meine Spur,« versetzte der Alte harmlos und zeigte dann nach dem Graswuchs, unter dem eine kaum wahrnehmbare Wildfährte zu sehen war. Der Alte ging weiter. Olenin blieb dicht hinter ihm. Als sie etwa zwanzig Schritte vorgedrungen waren, gelangten sie, bergab schreitend, im Dickicht an einen breitästigen Birnbaum, unter dem die Erde schwarz war und frische Wildlosung lag.

Der von Weingerank umgebene Platz glich einer gedeckten, behaglichen Laube, in der Dunkel und Kühle herrschte.

»Am Morgen ist er dagewesen,« sprach der Alte aufseufzend – »man kann es sehen: das Lager ist schweißig und frisch.«

Plötzlich ließ sich im Walde, kaum zehn Schritte weit von ihnen, ein gewaltiges Krachen vernehmen. Beide fuhren zusammen und griffen nach ihren Flinten, doch war nichts zu sehen; man hörte nur, wie das Astwerk knackte und barst. Einen Augenblick hörte man das gleichmäßige Tempo eines schnellen Galopps, der bald in ein unbestimmtes, immer weiter und breiter im Walde widerhallendes Rauschen überging. Es war Olenin, als ginge ein Riß durch sein Herz. Er spähte vergeblich in das grüne Dickicht und blickte endlich nach dem Alten zurück. Onkel Jeroschka stand, die Flinte an die Brust gedrückt, regungslos da; die Mütze hatte er in den Nacken geschoben, in den Augen strahlte ein ungewohnter Glanz, und der offene Mund, aus dem die stumpfen, gelben Zähne mit bösem Ausdruck hervorstanden, schien in seiner Stellung erstarrt.

»Das war der Hirsch!« sprach er, und während er ganz verzweifelt die Flinte zu Boden warf, begann er sich den grauen Bart zu raufen. »Dort hat er gestanden! Wir hätten vom Wege aus an ihn heranschleichen sollen! Ich Narr! Ich Narr!« Immer wieder griff er sich wütend in den Bart. »Ein Dummkopf! Ein richtiges Schwein bin ich!« wiederholte er und zog an dem Barte, daß es ihm Schmerz verursachte. Es war, als ob über dem Walde im Nebel etwas davonflöge; immer weiter und weiter, immer breiter und dumpfer verrauschte der jähe Lauf des aufgescheuchten Hirsches.

Die Dämmerung brach bereits herein, als Olenin mit dem Alten heimkehrte – müde und hungrig, doch dabei wohl und munter. Das Essen war bereit. Er aß und trank mit dem Alten, daß ihm warm und froh ward ums Herz, und ging dann auf die Freitreppe hinaus. Die Berge ragten im Lichte der untergehenden Sonne vor seinen Augen empor. Wieder erzählte der Alte seine endlosen Geschichten von der Jagd, von den Abreken, von seinen Liebsten und von seinem sorglosen, kühnen Abenteurerleben. Wieder sah Olenin die schöne Marianka in Haus und Hof umhergehen. Unter dem Hemd trat der geschmeidige, jungfräuliche Körper des schönen Mädchens in deutlichen Umrissen hervor.


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