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Am dritten Tage nach dem geschilderten Ereignis marschierten zwei Kompagnien eines kaukasischen Infanterieregiments im Kosakendorfe Nowomlinsk ein, um da Quartiere zu beziehen. Der Train der beiden Kompagnien stand bereits abgeschirrt auf dem Marktplatze. Die Köche hatten eine Grube ausgehöhlt, Holzklötze von den umliegenden Höfen herbeigeschleppt und mit dem Abkochen der Grütze begonnen. Die Feldwebel ließen die Mannschaften zum Appell antreten. Die Trainsoldaten schlugen Pfähle zum Anbinden der Pferde ein. Die Quartiermacher eilten durch die Straßen und Gassen, als wären sie im Dorfe zu Hause, und wiesen Offizieren und Soldaten die Quartiere an. Dort waren grün angestrichene Kisten in schnurgerader Linie aufgestellt, da standen die Fuhrwerke und Pferde der Mannschaftsverbände, hier wurde in Kesseln die Grütze gekocht. Der Kapitän, der Leutnant, der Feldwebel Onissim Michajlowitsch waren bald an dieser, bald an jener Stelle zu sehen. Und alles das war in dem einen Dorfe untergebracht, in dem, wie es hieß, die beiden Kompagnien in Garnison bleiben sollten. Sie waren also hier zu Hause. Warum sie herkamen, wer diese Kosaken waren, ob sie sich über die Einquartierung freuten, ob sie Sektierer waren oder nicht – alles das kümmerte die Soldaten nicht. Nach dem Appell verteilten sie sich, ermüdet und bestaubt, wie sie waren, laut summend und wirr durcheinander, wie ein Bienenschwarm, der sich vom Stocke getrennt, auf die Plätze und Straßen; ohne von der unfreundlichen Haltung der Kosaken Notiz zu nehmen, traten sie zu zweien und dreien fröhlich plaudernd mit ihren Gewehren in die Hütten ein, hängten ihre Monturstücke hin, packten ihre Bündel aus und scherzten mit den Weibern.
An dem Lieblingsplatze der Soldaten, bei der Grütze, versammelt sich eine große Gruppe; die Pfeife zwischen den Zähnen, blicken die Soldaten bald nach dem Rauche, der kaum sichtbar zum sonnigen Himmel emporsteigt und weiter in der Höhe sich zu einem weißen Wölkchen verdichtet, bald nach dem Feuer des Holzstoßes, das in der reinen Luft wie geschmolzenes Glas zittert, und machen ihre Witze über die Kosaken und Kosakinnen, weil diese so ganz anders leben als die Russen. Auf allen Höfen sieht man Soldaten und hört ihr Lachen; man hört auch das durchdringende, wütende Geschrei der Kosakenweiber, die ihre Häuser verteidigen und den Soldaten weder Wasser noch Geschirr hergeben wollen. Die kleinen Knaben und Mädchen drängen sich zusammen und suchen bei der Mutter Zuflucht, beobachten mit ängstlichem Erstaunen alle Bewegungen der Liniensoldaten, die sie noch nie zu Gesicht bekommen haben, und laufen in. respektvoller Entfernung hinter ihnen her. Die alten Kosaken kommen aus den Hütten, setzen sich auf die Rasenbänke vor der Tür und blicken finster und schweigend auf das Treiben der Soldaten, als hielten sie alles das für höchst überflüssig und begriffen nicht, was daraus noch werden solle.
Olenin, der bereits seit drei Monaten als Junker in dem kaukasischen Regimente eingestellt war, hatte sein Quartier in einem der besten Häuser des Dorfes, beim Fähnrich Ilja Wassiljewitsch, also bei Mutter Ulita, angewiesen erhalten.
»Das ist eine schöne Geschichte, Dmitrij Andrejewitsch!« sagte Wanjuscha ganz außer sich zu Olenin, der nach fünftägigem Marsche auf einem in Grosnaja gekauften Kabardinergaul ganz vergnügt in den Hof des ihm angewiesenen Quartiers geritten kam.
»Was gibt's denn, Iwan Wassiljewitsch?« fragte er, während er sein Pferd ermunternd streichelte und heiter auf den mit zerzaustem Haar und verdrießlichem Gesicht umherlaufenden, ganz in Schweiß gebadeten Wanjuscha sah, der mit dem Troß angelangt war und eben die Sachen auspackte.
Olenin erschien äußerlich als ein völlig anderer Mensch. Statt der rasierten Wangen hatte er einen kleinen Schnurrbart nebst einem Kinnbärtchen. Statt des vom Nachtleben herrührenden gelblichen Teints, den er früher gehabt, wies jetzt sein Gesicht auf Wangen und Stirn und hinter den Ohren ein gesundes, von der Sonne hervorgerufenes Rot auf. Statt des neuen schwarzen Fracks trug er die weiße, bequeme, nicht allzu saubere Tscherkeska und seine Waffen. Statt des frischgestärkten Hemdkragens umschloß der rote Kragen des Beschmets den gebräunten Hals. Er trug sich nach Tscherkessenart, wenn auch mit einigen Abweichungen: jedermann erkannte sogleich, daß er ein Russe war und kein Dschigit. Alles an ihm war wie an einem Tscherkessen, und doch wieder anders. Aber die ganze Erscheinung atmete Gesundheit, Frohsinn und Zufriedenheit.
»Ja, Sie lachen darüber,« sagte Wanjuscha, »aber gehen Sie nur und sprechen Sie einmal selbst mit dem Volke: sie wollen von nichts wissen, 's ist nichts anzufangen mit ihnen. Nicht ein Wort bekommt man aus ihnen heraus.« Wanjuscha schleuderte ärgerlich einen Blecheimer nach der Schwelle. »Das scheinen gar keine Russen zu sein!«
»Du hättest mit dem Ortsvorstand reden sollen!«
»Ich weiß doch hier am Orte nicht Bescheid,« versetzte Wanjuscha gekränkt.
»Wer hat dich denn so sehr geärgert?« fragte Olenin und ließ seinen Blick in die Runde gehen.
»Der Teufel mag sich hier auskennen! Pfui! Ein richtiger Hauswirt ist nicht da, er sei auf den Fischfang gegangen, heißt es. Und die Alte – die ist solch ein Satan, daß Gott einen bewahren möge,« antwortete Wanjuscha und faßte sich an den Kopf. »Wie wir hier leben sollen, weiß ich wirklich nicht. Schlimmer als Tataren sind sie, bei Gott! Und dabei rechnen sie sich zu den Christen! Da ist ein Tatar ja noch anständiger. Auf den Fischfang! Was für einen ›Fischfang‹ sie meinen, ist mir ein Rätsel,« schloß Wanjuscha und wandte sich ab.
»Da war's bei uns auf dem Hofe doch anders, wie?« sagte Olenin, der noch immer nicht vom Pferde gestiegen war, in neckendem Tone.
»Erlauben Sie, bitte, das Pferd,« sagte Wanjuscha, der sich offenbar mit der neuen Ordnung der Dinge noch nicht abfinden konnte, aber schließlich doch sein Schicksal auf sich nehmen mußte.
»Der Tatar ist also anständiger – was, Wanjuscha?« wiederholte Olenin, während er vom Pferde stieg und auf den Sattel klopfte.
»Ja, da lachen Sie nun! Ihnen kommt das spaßig vor!« versetzte Wanjuscha unwillig.
»Wart' mal, Iwan Wassilitsch, ärgre dich nicht,« antwortete Olenin, immer noch lächelnd. »Laß mich erst mal mit den Wirtsleuten reden – gib acht, ich bring' alles in Ordnung! Ein prächtiges Leben werden wir hier noch führen! Rege dich nur nicht auf!«
Wanjuscha antwortete nicht, er blickte, die Augen zusammenkneifend, geringschätzig dem Junker nach und schüttelte den Kopf. Er sah in Olenin nur seinen Herrn, Olenin in Wanjuscha nur den Diener. Und sie wären beide sehr erstaunt gewesen, wenn ihnen jemand gesagt hätte, daß sie Freunde seien. Das waren sie in der Tat, ohne es selbst zu wissen. Wanjuscha war als elfjähriger Knabe aus dem Dorfe ins Haus genommen worden, als Olenin im gleichen Alter stand. Als Olenin fünfzehn Jahre alt war, hatte er sich eine Zeitlang damit beschäftigt, Wanjuscha zu unterrichten, – er hatte ihn französisch lesen gelehrt, worauf Wanjuscha ganz gehörig stolz war. Auch jetzt noch warf Wanjuscha, wenn er gut gelaunt war, gern mit französischen Wörtern um sich, wobei er immer recht albern lachte.
Olenin eilte die Treppe hinauf, die zum Hause der Wirtsleute führte, und stieß die Haustür auf. Marianka, nur mit einem rosa Hemd bekleidet, wie die Kosakinnen gewöhnlich im Hause gehen, sprang erschrocken von der Tür zurück, drückte sich an die Wand und bedeckte den unteren Teil des Gesichtes mit dem weiten Ärmel des tatarischen Hemdes. Olenin machte die Tür weiter auf und sah im Halbdunkel des Flurs die hohe, schlanke Gestalt des jungen Kosakenmädchens. Mit der raschen, begehrlichen Neugier der Jugend bemerkte er unwillkürlich die kräftigen, jungfräulichen Formen, die unter dem leichten Baumwollhemd prall hervortraten, und die schönen schwarzen Augen, die in kindlichem Schreck und scheuer Neugier auf ihn gerichtet waren.
»Das ist sie!« dachte Olenin. »Doch es wird hier wohl noch mehr solche geben,« ging's ihm gleich darauf durch den Kopf, und er öffnete eine zweite Tür, die in die Stube führte. Die alte Mutter Ulitka, gleichfalls nur im Hemd, fegte eben sich bückend den Fußboden und kehrte Olenin den Rücken zu.
»Sei gegrüßt, Mütterchen! Ich komme wegen des Quartiers ...« begann er.
Die Kosakenfrau wandte ihm, ohne sich hochzurichten, ihr strenges, immer noch hübsches Gesicht zu.
»Warum kommst du her? Willst dich wohl über uns lustig machen, he? Ich will dir das Lustigmachen anstreichen! Die Pest soll über dich kommen!« schrie sie und warf dem Eintretenden unter den finsteren Brauen hervor einen feindseligen Blick zu.
Olenin hatte geglaubt, die tapfere kaukasische Truppe, der er angehörte, würde überall, namentlich von ihren Kriegskameraden, den Kosaken, mit Freuden aufgenommen werden, und darum befremdete ihn jetzt dieser unfreundliche Empfang. Er regte sich indes nicht weiter auf und suchte der Alten nur klar zu machen, daß er für das Quartier bezahlen wolle; doch ließ sie ihn gar nicht erst zu Worte kommen.
»Warum kommst du her? Was brauchen wir hier solches Geschmeiß? Fort mit deiner glattgeschabten Fratze! Wart' nur, wenn der Hauswirt kommt – der wird dir deinen Platz schon zeigen! Ich brauch' dein Sündengeld nicht. Das fehlte mir gerade! Wird mir mit seinem Tabak das Haus verpesten und mir Geld dafür zahlen! Geschmeiß! Das Herz sollte man dir im Leibe kaput schießen ...« unterbrach sie Olenin mit wütendem Gekreisch.
»Wanjuscha scheint recht zu haben,« dachte Olenin, »der Tatar ist anständiger!« Und gefolgt von Mutter Ulitkas Schimpfreden, ging er aus der Stube. Im Augenblick, da er hinausging, schlüpfte Mariana, im rosa Hemd, wie vorher, doch bereits mit einem das Gesicht bis auf die Augen verhüllenden weißen Kopftuche, an ihm vorüber zum Flur hinaus. Mit den nackten Füßen flink die Treppenstufen hinabeilend, lief sie in den Hof, blieb einen Augenblick stehen, warf dem jungen Manne einen raschen Blick aus ihren lachenden Augen zu und verschwand um die Hausecke.
Der feste, jugendliche Gang, der scheue Blick der hinter dem weißen Tuche hervorlugenden, glänzenden Augen und das Ebenmaß des kräftigen Gliederbaues der Schönen setzte Olenin jetzt noch mehr in Erstaunen. »Sie muß es sein,« dachte er. Und ohne weiter an das Quartier zu denken, ging er, sich immer wieder nach Marianka umsehend, zu Wanjuscha hin.
»Und das Mädchen – das ist auch so eine Wilde!« bemerkte Wanjuscha, der immer noch mit dem Gepäck zu tun hatte, jedoch bereits ein wenig gemütlicher gestimmt war. »Wie ein junges Stutenfüllen aus der Steppe! La femme!« fügte er in feierlich lautem Tone hinzu und lachte hell auf.