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17. Kapitel

Graf Fiesoli, zu dienen, oder Herr Fisher, wie Sie wollen. Hatte meine Karte nicht erst hereingeschickt, Herr Chancellor, um Sie zu überraschen. Angenehme Überraschung, nicht? Wie Sie in England von dem Putsch hörten, dachten Sie wohl – es sei auch mit dem Grafen Fiesoli zu Ende, eh? Sollt' aber nicht sein. Mein Leben ist gefeit; hatte überdies wenig Lust, mich massakrieren zu lassen. Per Bacco! war allerdings 'mal nahe dran. Doch das erzähle ich Ihnen ein andres Mal. Freut es Sie nicht, mich zu sehen?«

Der Mann, der diese Worte an Arthur Chancellor richtete, war ein schwarzbärtiger Italiener, dessen lebhafte Gesten' und laute Sprache den Advokaten im ersten Augenblick unangenehm berührten. Sein Äußeres entsprach vollkommen der Beschreibung, die die gute Frau Bunce in Wilsley von ihm gemacht hatte. Die flammenden dunklen Augen, die zuweilen aussahen, als wollten sie aus ihren Höhlen springen, verdienten wohl die Bezeichnung »wild«, die Frau Bunce ihnen gegeben; daran allein hätte Chancellor ihn erkennen können. Auch die militärische Haltung fehlte nicht, obgleich der Graf in Zivil war.

Chancellor schüttelte ihm warm die Hand. »Freut mich aufrichtig, Sie zu sehen,« sagte er. »Es wäre mir aber lieber gewesen, wenn Sie schon vor vier Monaten nach England gekommen wären oder es gar nicht verlassen hätten.«

»Ah, mein Lieber, beides war unmöglich. Ich kam, sobald ich konnte. Bin vor drei Tagen gelandet und geradeswegs nach Manningford zu meiner Nichte gefahren. Ein reizendes Mädchen! Sie sind ein Glücksvogel, Herr Chancellor, wenn ich so sagen darf. Gestatten Sie mir, Ihnen zu gratulieren. Ah, wo war ich stehen geblieben? Richtig, ich sprach von meiner Nichte. Sie drängte mich, Sie wegen einer wichtigen Angelegenheit aufzusuchen. Nun, womit kann ich Ihnen dienen? Ich stehe in allem zu Ihrer Verfügung, was nicht gegen die Interessen meines Vaterlandes ist. Armes Italien! Es blutet, aber eines Tages werden seine Wunden heilen. Evviva Italia!«

Der Graf sprach fließend englisch, obgleich mit fremdländischem Akzent.

»Sie wünschen mich natürlich wegen meines Neffen zu sehen,« fuhr er in seiner lebhaften Weise fort. »Der arme Junge! Aber – was wollen Sie? Einige sterben auf dem Schafott, andere vergießen ihr Blut wie Wasser im Kampf mit den Feinden des Vaterlandes, und wieder andere schmachten in italienischen Kerkern. Alle aber leiden für Italien, und das ehrt seine Märtyrer. Mein Neffe starb als italienischer Märtyrer auf einem englischen Schafott, weil er seinen Eid, zu schweigen, nicht brechen wollte. Sonst wäre er vielleicht als Held auf italienischem Boden gefallen. Es ist alles gleich. Italien wird ihn nicht vergessen, denn es ehrt seine Helden. Evviva Italia!«

»Ich darf wohl annehmen, daß sich Herr Mowbray am 11. November vorigen Jahres in Ihrer Gesellschaft befand?« unterbrach Chancellor den Redefluß des Grafen. Ihm lag unendlich viel daran, näheren Aufschluß von Fiesoli zu erhalten, damit John Mowbray endgültig gerechtfertigt und von dem Verbrechen, für das er mit dem Leben büßen mußte, gereinigt werden konnte.

»Mein Neffe war am 11. November und noch an manchem anderen Tage bei mir,« beantwortete der Graf die Frage. »Er besuchte mich wiederholt in Wilsley. Ich habe meine Papiere in bester Ordnung; sie beweisen meine Identität als Graf Fiesoli in der Rolle eines Herrn Fisher. Und was meinen Neffen anbetrifft, so kann ich Ihnen ganz genau die Daten seines Besuches sowie die Höhen der Summen angeben, die er mir jedesmal überbrachte und die mir hochwillkommen waren.«-

»Um welche Zeit verließ Mowbray Sie an jenem 11. November?« fragte Chancellor.

»Auf den Glockenschlag fünf. Ich bin in allen Dingen außerordentlich pedantisch. Sollten einmal die Tagebücher des Grafen Fiesoli veröffentlicht werden, wird man sagen: »Welch ein pedantisch genauer Mann war das!« Ja, ja, im Leben eines Revolutionärs gibt es keine Kleinigkeiten; auch der geringfügigste Umstand ist von Wichtigkeit …

Sie möchten gewiß gern erfahren, wie mein Neffe zu dem Unfall kam. Ich kann es Ihnen genau erklären, denn ich weiß alles, was ihn betrifft. Die Sache war sehr einfach. Wir vernichteten an dem Tage verschiedene Papiere. Ein Teil derselben lag auf dem Boden des Stalles und mein Neffe ging sie zu holen. Es war dort dunkel, und da er kein Licht bei sich hatte, strauchelte er beim Herabsteigen, so daß er sich den Fuß verstauchte. Als er zu mit zurückkam, blutete er auch stark im Gesicht. Er war übel zugerichtet, der arme Junge, doch etwas warmes Wasser und Charpie stillten rasch die Blutung und linderten den Schmerz.

Ich wollte meinen Neffen über Nacht bei mir behalten, da ihm das Reiten beschwerlich fiel; allein er wollte nichts davon hören. »Wegen solch einer Kleinigkeit!« rief er aus. »Im Krieg gibt's ganz andere Schrammen.« Bei seinem Weggang war er in bester Stimmung und versprach bald wiederzukommen. Er brauchte gewöhnlich zehn Stunden, um nach Wilsley zu kommen, d. h. acht zum Reiten und zwei zum Ausruhen seines Pferdes unterwegs. Zurück machte er den Ritt ohne Unterbrechung in neun Stunden.«

»Dann konnte er also nicht vor zwei Uhr morgens in Manningford sein, wenn er Wilsley um fünf Uhr nachmittags verlassen hatte,« bemerkt Chancellor. »Diese Auskunft genügt mir vorläufig. Ich bitte jedoch, mir Ihre Papiere zu bringen; alsdann werde ich die Mitteilungen, die Sie mir gemacht haben, als eidliche Erklärung niederschreiben, die Sie allerdings vor einer Gerichtsperson beschwören müßten.«

Fiesoli war damit einverstanden und erbot sich, die Papiere, die er im Gasthof habe, sofort zu holen.

»Sie dürfen nicht im Hotel bleiben,« entgegnete Chancellor, »sondern müssen mir gestatten, Sie als meinen Gast zu betrachten und Ihnen den Aufenthalt hier so angenehm als möglich zu machen.«

»Sie sind sehr freundlich,« dankte der Graf. »Ich nehme Ihre Einladung an und kann bei Ihnen bleiben, solange Sie meiner bedürfen. »Othellos Arbeit ist zu Ende« – für den Augenblick. Italien muß sich erst erholen. Achten Sie auf meine Worte, Herr Chancellor, und wenn der Tag der Freiheit kommen wird, dann denken Sie daran, daß ich, Graf Fiesoli, es Ihnen vorausgesagt habe, Italien werde sich erholen.«

Chancellor mußte unwillkürlich über die Eitelkeit und die Begeisterung des Grafen lächeln. Er begriff es nun, daß der heißblütige Südländer sich, als er vor Jahren Helen Mowbrays Vater in Manningford besucht, mit dem ruhigen, nüchternen Engländer nicht verstanden, und daß diese Begegnung mit einem offenen Bruch geendet hatte.

»Sie machten keinen Besuch in Manningford, als Sie voriges Jahr in England waren?« fragte Chancellor.

» Per Bacco! Nein. Ich hatte meine guten Gründe dazu. Man sagte mir nämlich, daß meine liebe Nichte von ihrem Vater die Eigenschaft geerbt habe, die ihr Engländer unter dem Titel »praktischer Menschenverstand« rühmt. Sie besitzt nicht den Enthusiasmus und nicht das heiße Blut meiner Landsleute, das in den Adern ihres Bruders floß, und so fürchtete ich ihre Einmischung. Jetzt aber hoffe ich, die Gesellschaft meiner schönen Nichte recht oft genießen zu können.«

Chancellor lachte über die Naivität des Grafen, hielt jedoch den Grund, den er für sein Fernbleiben von Manningford angegeben, für durchaus glaubwürdig. Er konnte sich Wohl denken, daß Helen mit ihrem praktischen Sinn des Bruders Freigebigkeit gegenüber dem Grafen etwas eingeschränkt hatte.

»Sie dürfen mich nicht für egoistisch oder gewinnsüchtig halten,« äußerte Fiesoli, dem Chancellors Lächeln nicht entgingen war. »Ich handelte nur im Interesse meines Vaterlandes. Evviva Italia!« – –


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