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10. Kapitel

Es war am ersten Dienstag nach John Mowbrays traurigem Ende, als Joe Jannion nach Avonbridge fuhr, von wo er Mittwoch Abend zurückkehrte.

Mit dem Glockenschlag Zehn des folgenden Tages betrat er das Bureau der Herren Chancellor, Dawson & Chancellor.

»Ah, Jannion, Sie sind's?« begrüßte ihn der Chef der Firma in herzlichem Ton. »Niemand ist in Lancaster so sehr vermißt worden wie Sie.«

Jannion schmunzelte vergnügt über dieses Kompliment, während seine kleinen grauen Augen lustig zwinkerten.

»Setzen Sie sich an den Kamin,« lud ihn Chancellor ein, »und machen Sie sich's bequem. Ich möchte mancherlei mit Ihnen besprechen. Haben Sie von der schrecklichen Geschichte in Manningford gehört, die sich während Ihrer Abwesenheit zugetragen hat?«

»Ich las nach meiner Rückkehr die Zeitungsberichte,« erwiderte Jannion lakonisch.

»Ah, dann kennen Sie ja den Tatbestand; wir brauchen also nicht weiter darauf einzugehen. Leider kamen Sie zu spät, um John Mowbray, in dessen Unschuld ich nicht den geringsten Zweifel setze, zu retten; aber die Hinterbliebenen wollen alles aufbieten, den Flecken, der seinem Namen anhaftet, zu tilgen. Es gilt der Welt zu beweisen, daß John Mowbray ein Opfer der Justiz geworden ist. Sie verstehen mich?«

»Vollkommen!« nickte Jannion. »Sie möchten also den wahren Täter finden?«

»Das ist meine Absicht. Es fragt sich nur, wie fangen wir es an? Wenn Sie die Akten durchgesehen haben, muß es Ihnen aufgefallen sein, wie sehr der Umstand, man habe zu jener Zeit keinen Fremden in Manningford bemerkt, hervorgehoben wurde, da, wie es hieß, ein solcher nicht hätte kommen und gehen können, ohne Aufmerksamkeit zu erwecken. Aus diesem Grunde beschränkte die Polizei ihre Untersuchungen auf die nächste Umgebung von Manningford in der Annahme, den Mörder innerhalb des von ihr gezogenen Kreises finden zu können. Ihr weiteres Vorgehen war daher außerordentlich einfach. Wie alle Welt wußte, hegte niemand in Manningford Groll gegen Trinkall außer Herrn Mowbray, der unglücklicherweise wiederholt Drohungen gegen seinen Nachbar ausgestoßen hatte. Da er sich hartnäckig weigerte, Auskunft über sein Tun und Lassen an jenem Tage zu geben, auch von Zeugen bekundet wurde, sie hätten ihn kurz vor dem Morde mit Trinkall zusammengehen sehen, so konnte ihn nichts vor einer Verurteilung schützen, zumal er sein Alibi nicht nachwies.«

»So –« unterbrach hier Jannion, »er weigerte sich das zu tun. Gab er Ihnen privatim einen Grund dafür an?«

»Nein, er äußerte nur, daß seine Ehre ihm Schweigen auferlege; er würde sonst andere, die ihm teurer seien als sein eigenes Leben, in Gefahr bringen.«

»Einen Augenblick, bitte!« fiel Jannion ein. »Ich will mir das notieren.«

»Für seine Schwester hat er einen Brief hinterlassen, dessen Siegel nicht vor Ablauf eines Jahres geöffnet werden sollen. Doch um auf die Sache zurückzukommen. Ist John Mowbray, wie ich glaube, einem Justizmord zum Opfer gefallen, so liegt es auf der Hand, daß die Polizei von falschen Voraussetzungen ausging. So unwahrscheinlich es auch klingen mag, daß ein Fremder in Manningford auftauchte und dann spurlos verschwand, so müssen wir doch an dieser Annahme festhalten und demgemäß unsere Nachforschungen beginnen.«

»Haben Sie schon einen Plan entworfen?« fragte Jannion.

Chancellor wiegte nachdenklich den Kopf hin und her. »Das ist nicht so leicht,« erwiderte er nach einer Pause. »Könnten wir ausfindig machen, wie Trinkall, wenn er verreist war, seine Zeit verbrachte, wohin er ging und mit wem er verkehrte, so würden wir vielleicht jemand entdecken, der Trinkall nach dem Leben trachtete. Eine merkwürdige Erscheinung ist Trinkalls unbestrittene Beliebtheit. Seine Freundlichkeit gegen Untergebene, seine gute Behandlung der Arbeiter, seine gewinnende Art und Weise machten ihn überaus populär. Das bestärkte die Polizei und viele andere in der Mutmaßung, daß nur Mowbray der Mörder sein könne. Doch diesen Gedanken wollen wir ganz fallen lassen. Nehmen wir vielmehr an, die Tat sei von einem Fremden verübt worden. Würde dessen heimliches Kommen und Gehen nicht darauf hindeuten, daß Trinkall durch die Hand der Vendetta gefallen ist?«

»Ah, Sie meinen, es steckt ein Weib dahinter?« fragte Jannion.

»Unmöglich wäre es wohl nicht, treibt die Vendetta ihr Wesen doch immer im Verborgenen. Auf jeden Fall ist es von größter Wichtigkeit, die Vergangenheit Trinkalls zu erforschen. Es mag dies eine langwierige Arbeit sein, die uns aber sicher unserem Ziele nahe bringen dürfte. Ich möchte daher vorschlagen, daß Sie in Avonbridge und Manningford diesbezügliche Erkundigungen einziehen. Ich weiß, daß Trinkall manchmal verreiste; es wird sicher nicht schwer fallen zu erfahren, wohin er ging.«

»Das ist keine schlechte Idee,« stimmte Jannion bei. »Ich bin ganz Ihrer Ansicht, je mehr wir über Trinkall erfahren, je schneller gelangen wir ans Ziel.«

»Gleichzeitig aber müßten wir noch eine andere Spur verfolgen, die vielleicht nicht weniger wichtig ist,« fuhr Chancellor fort. »Die Geschichte mit dem Armband erscheint doch sehr merkwürdig. Nicht etwa deshalb, weil man es so nahe dem Schauplatz des Verbrechens fand – das könnte, wie die Polizei auch annahm – ein Zufall sein; es lag möglicherweise schon seit dem Herbst da, nein, das Merkwürdige an der Sache ist, daß es die Initialen von Frau Trinkalls Mädchennamen trägt.«

»Pah, das will nichts sagen,« warf Jannion ein. »Wie viele Leute haben gleichlautende Initialen.«

»Wohl wahr,« gab Chancellor zu. »Mir ist das auch schon eingefallen. Ich kenne zum Beispiel eine junge Dame hier in Lancaster, die dieselben Anfangsbuchstaben in ihrem Namen hat: A. S. L.«

»Wie heißt sie?« fragte Jannion interessiert.

»Sie kennen doch Frau Pritchard, die an der Kathedrale wohnt?«

»Sie meinen die Witwe des Archidiakonus?«

»Ganz recht. Sie hat eine Nichte als Gesellschafterin bei sich und deren Name ist Alice Scobell Lester.«

»Könnte das Armband ihr gehören?«

»Unmöglich! Ich erwähnte die Dame ja nur inbezug auf Ihre Äußerung über gleichlautende Initialen. Sie sehen also, Frau Trinkall wie Fräulein Lester haben dieselben Anfangsbuchstaben und doch gehört keiner von beiden das Armband. Fräulein Lester unterhält überhaupt keinen Verkehr in Manningford, das weiß ich genau. Sie ist die älteste Tochter einer zahlreichen, durch den frühen Tod des Vaters unversorgt gebliebenen Familie und lebt schon mehr als zehn Jahre mit ihrer Tante zusammen.«

»Haben Sie das Armband gesehen?«

»Gewiß. Dr. Gazabee besichtigte es während der Gerichtsverhandlung. Ich sah es auch.«

»Und untersuchten es genau?«

»Nein, es war ja nichts Auffallendes daran: ein einfacher Goldreif mit erhabenem Monogramm in Rubinen und Saphiren.«

»Wenn ich nicht irre, zeigte es viele Schrammen,« bemerkte Jannion.

»Ganz recht, an der inneren Seite sah es sehr zerkratzt aus.«

»Kam Ihnen nie der Gedanke, diese Schrammen könnten eine besondere Bedeutung haben?« fragte Jannion.

»Ich dachte einmal, sie seien vielleicht aus Mutwillen oder um das Schmuckstück zu verunstalten, gemacht worden.«

»Das ist alles?«

»Ja. Dr. Gazabee wußte auch nichts damit anzufangen. Er versuchte zwar ein Zugeständnis von den Ärzten zu erlangen, daß die Tat möglicherweise von einem Weibe verübt worden sei; allein sie bestritten dies energisch, und so wollte er den Geschworenen gegenüber nicht zuviel Gewicht darauf legen. Er bemerkte nur, das Armband sei vielleicht ein Anhaltspunkt, den die Polizei übersehen habe.«

»Dr. Gazabee ist ein sehr kluger Mann, aber es war ein Fehler, der Sache nicht auf den Grund zu gehen.«

»Meinen Sie?«

»Ganz sicher. Ich werde Ihnen setzt eine kleine Überraschung bereiten, Herr Chancellor, Ihnen etwas mitteilen, was Sie wahrscheinlich sehr in Erstaunen setzen wird. Ich war gestern in Avonbridge.«

»In Avonbridge?« wiederholte Chancellor verwundert. »Was taten Sie dort?«

»Ich wollte das Armband sehen, bevor ich mit Ihnen zusammentraf.«

»Und – was entdeckten Sie?« fragte der Advokat gespannt.

»Nur Geduld, ich werde Ihnen alles erzählen. Da ich vermutete, die Schrammen könnten doch eine Bedeutung haben, so nahm ich etwas Gips mit mir und machte einen genauen Abdruck.«

Chancellor lehnte sich weit vor, als Jannion einen Gipsabdruck hervorzog, auf dem die innere Seite des Armbandes eingeprägt war.

»Können Sie diese Hieroglyphen entziffern?« fragte Jannion vergnügt lächelnd.

»Ich gestehe nein,« erwiderte Chancellor, nachdem er den Abdruck genau besichtigt hatte. »Es würde jedenfalls viel Zeit beanspruchen, aus diesem Gemisch von Strichen und Kreuzen eine Bedeutung herauszufinden.«

»Das denke ich nicht,« widersprach Jannion gelassen. »Drehen Sie das Ding mal um, betrachten Sie die Hieroglyphen durch dies Vergrößerungsglas,« er reichte ihm ein solches, »und sagen Sie mir, was Sie sehen.«

Chancellor prüfte den Abdruck sorgfältig, dann antwortete er kopfschüttelnd: »Ich bemerke wohl eine Anzahl sehr kleiner Buchstaben; sie sind aber zu verkratzt, um sie unterscheiden zu können.«

Jetzt war der Augenblick des Triumphes für Jannion gekommen. Er zog einen Abdruck in schwarzem Siegellack hervor, von dem sich eine Inschrift in kleinen weißen Buchstaben abhob, die mit Hilfe des Linsenglases deutlich erkennbar war. Eine dunkle Röte stieg Chancellor ins Gesicht, als er die folgenden Worte las:

»Mag trennen uns des Meeres Weiten,
Der Tod allein kann Frank und Nany scheiden.

Frank Trinkall 18..«

Wie versteinert blickte Chancellor auf dieses wichtige Beweisstück in seinen Händen. Eine heftige Erregung bemächtigte sich seiner, während Joe Jannion schmunzelnd dreinschaute, die Brust geschwellt von Stolz über seinen Geniestreich.

»Welch unseliges Versehen!« murmelte Chancellor, noch immer fassungslos. »Wie konnten wir alle so blind sein?«

»Sie brauchen sich keinen Vorwurf zu machen,« beschwichtigte ihn Jannion. »Es war nur die Geschichte des Kolumbus mit dem Ei. Wenn es gemacht ist, sieht's leicht aus. Man muß eben darauf kommen.

»Und die Ehre fällt Ihnen zu,« entgegnete Chancellor in ehrlicher Anerkennung. »Erzählen Sie mir bitte, wie Sie das herausfanden.«

»Ein anderes Mal sollen Sie die Geschichte hören,« wehrte Jannion ab, »bleiben wir jetzt bei der Sache. Die Polizei ging von der Annahme aus, es habe sich zur Zeit des Mordes kein Fremder in Manningford befunden. Diese Theorie ist falsch. Sie behauptet ferner, nur John Mowbray habe Ursache zur Feindschaft gegen Trinkall und somit ein Motiv für das Verbrechen gehabt. Auch das ist falsch. Die Ärzte behaupten, die Stichwunden könnten nicht von der Hand eines Weibes herrühren. Mir scheint, auch das ist nicht stichhaltig.«

»Für letzteres haben wir noch keine Beweise,« unterbrach ihn Chancellor. »Es kann doch die Vendetta gewesen sein und in dem Fall würde ein Weib seine Rache der starken Hand eines Mannes übertragen.«

»Nein, nein,« widersprach Jannion, »ich glaube nicht an eine Vendetta, mag auch das Armband, das sich als ein ausländisches Fabrikat erweist, diese Theorie befürworten. Doch sehen wir weiter. Eine Fremde kam nach Manningford und ließ als Zeugen ihrer Anwesenheit ein Armband und den ermordeten Francis Trinkall am Tatort zurück. Ihr Vorname war Nany, vielleicht eine Verstümmelung von Annie. Das klingt englisch genug. Trinkall und Nany kannten sich von früher her, sie waren ein Liebespaar, wie der Vers auf dem Armband zeigt. Trinkall hatte sich vor nicht langer Zeit verheiratet. Was sagte die ehemalige Geliebte dazu? Hatte er ihr die Ehe versprochen und sie betrogen? War die Entdeckung seiner Heirat die Veranlassung zu ihrer Reise nach Manningford? Trinkalls Verletzungen wurden ihm mit einer zweischneidigen Waffe, das heißt mit einem Dolch beigebracht. Von der Dolchspitze können auch die Schrammen auf dem Armband herrühren.«

»Das klingt ganz wahrscheinlich,« warf Chancellor ein.

»Ganz wahrscheinlich?« wiederholte Jannion eifrig, »die Geschichte ist klar wie das Sonnenlicht. Sie spielte sich im Verlauf von zwei Jahren ab. In dieser Zeit wurde Nany umworben, gewonnen, betrogen und gerächt. Sie sehen, weshalb ich Ihrem Vorschlag, uns über Trinkalls Vergangenheit zu informieren, so bereitwillig zustimmte. Ich werde also nochmals nach Avonbridge gehen und wenn wir nur erst wissen, wo sich Trinkall während seiner Abwesenheit von Manningford aufhielt, und diese Nany aufgespürt haben, so ist das übrige ein Kinderspiel.«

Die Entdeckung der Inschrift auf dem Armband, das einen Zusammenhang mit dem Mord verriet, weil es unzweifelhaft ein Geschenk Trinkalls an eine Geliebte war, hatte Arthur Chancellor aufs höchste überrascht. Er wunderte sich jetzt, daß es ihm nicht eingefallen war, Joe Jannions Untersuchungsmethode zu befolgen, um festzustellen, ob das Armband nicht mit dem Mord in Verbindung stehe. Zugleich aber rief ihm diese Entdeckung den seltsamen Zwischenfall mit der Fremden ins Gedächtnis zurück, die ihn nach seinem Abschiedsbesuch bei John Mowbray am Wege angesprochen hatte. Wer war das Weib gewesen, das ihm so kurz vor der Hinrichtung in so geheimnisvoller Weise entgegengetreten? Eine Irrsinnige, die, ihren Wächtern entschlüpft, unter die Menge geraten war und in zeitweisem Verständnis dem tragischen Ereignis, das sie besprechen hörte, eine echt weibliche Teilnahme für den Verurteilten an den Tag legte? Oder entsprang diese Teilnahme einer fremden Augen verborgenen Ursache? Kannte sie John Mowbray? War es vielleicht um ihretwillen, daß er, getreu bis in den Tod, geschwiegen hatte und daß sie, von Angst um ihn getrieben, aber zu spät, einen Versuch zu machen beabsichtigte, das Opfer zu verhindern, das er ihr brachte? Chancellor hatte die mysteriöse Begegnung mit der Fremden von allen Seiten beleuchtet, ohne jedoch eine Erklärung dafür zu finden.

Nun aber, nach Jannions Entdeckung, durchzuckte es ihn wie eine Erleuchtung. Wie, wenn die Heldin seines Abenteuers die Besitzerin des Armbandes war? Hatte er dann nicht der Mörderin Trinkalls Auge in Auge gegenübergestanden? Es erschien durchaus nicht unmöglich, daß die Schuldige, von Gewissensbissen verfolgt und wie durch einen Zauberbann angezogen, die Nähe des Schafotts aufsuchte, vielleicht mit dem unbestimmten Entschluß, sich im letzten Augenblick, wenn eine Begnadigung ausblieb, selbst dem Richter zu stellen und so das Leben des Mannes, der für ihr Verbrechen büßen sollte, zu retten.

»Halten Sie es für denkbar, daß der Mord von einer Frau verübt werden konnte?« fragte er nach einer Pause.

»Gewiß,« nickte Jannion. »Immerhin wollen wir Ihre Vermutung betreffs der Vendetta nicht beiseite legen, bis wir Genaueres über Trinkall in Erfahrung gebracht haben.«

Chancellor erzählte ihm nun seine Begegnung mit der Fremden, wobei er nicht vergaß, deren eigenartige Kleidung zu beschreiben.

Jannion hörte aufmerksam zu. »Grauen Hut und Schleier und langen grauen Mantel?« sagte er, als Chancellor seinen Bericht beendet hatte. »Das will ich mir notieren. Diese Frau in Grau müssen wir ausfindig machen. War es etwa eine Quäkerin?«

»Das weiß ich nicht. Ihr Anzug sah allerdings wie eine Art Uniform aus.«

»Könnte wohl richtig sein. Wäre so recht nach Weibermanier. Die Männer brechen ihnen das Herz und sie nehmen sofort den Schleier oder was Ähnliches. War sie groß?«

»Etwa fünf Fuß und sechs Zoll.«

»Fünf Fuß, sechs Zoll,« notierte Jannion. »Sahen Sie ihr Gesicht?

»Ganz deutlich. Der Mond schien sehr hell.«

»Würden Sie sie wiedererkennen?«

»Das wage ich nicht zu behaupten. Die Begegnung war eine zu plötzliche und ich selbst zu sehr in Gedanken vertieft, da ich von einer letzten aufregenden Unterredung mit John Mowbray kam. Zudem erschienen ihre Züge durch die heftige Angst, die aus ihnen sprach, gewissermaßen entstellt. Ich würde das Gesicht aber sofort wiedererkennen, wenn ich es mit demselben Ausdruck vor mir sähe. Es war sehr schön, ähnlich einem Bild der heiligen Cäcilia.«

»Sie sagten, es habe den Ausdruck höchster Seelenangst gehabt. Konnte das Weib irrsinnig sein?«

»Den Gedanken hatte ich damals und meine auch jetzt noch, daß es eine entflohene Geisteskranke war.

»Das läßt sich leicht feststellen,« äußerte Jannion, indem er sich eine Notiz in sein Buch machte. »Und nun, denke ich, begebe ich mich nochmals nach Avonbridge.«

»Darf ich die Gipsabdrücke behalten?« fragte Chancellor. »Ich möchte sie Fräulein Mowbray zeigen.«

»Behalten Sie sie nur, ich habe keine Verwendung mehr dafür.«

»Besten Dank!« entgegnete Chancellor. »Sie ahnen nicht, welche Wohltat Sie einem traurigen Herzen erwiesen haben, das über Ihre Entdeckung glücklicher sein wird, als wenn es alle Schätze Golcondas erhalten hätte.«

»Sagen Sie Fräulein Mowbray, sie möge nicht verzweifeln. Wir fangen erst an. Aber Joe Jannion hofft zuversichtlich, daß seine Arbeit kein Mißerfolg sein wird.«


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