Laurence Sterne
Tristram Shandy
Laurence Sterne

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300. Kapitel.

Es gibt fünfzig verschiedene Zwecke (wenn man alle Zwecke, sowol die bürgerlichen als die religiösen mit einrechnet), wegen deren eine Frau einen Mann nimmt. Sie geht deshalb zuerst her und wägt sorgfältig in ihrem Geiste ab, trennt und unterscheidet, welcher von all diesen Zwecken der ihrige sei. Dann erforscht sie durch Gespräch, Frage, Beweisführung und Folgerung, ob sie den richtigen gefunden hat; und wenn sie ihn hat, dann zieht sie ihn sachte nach dieser und jener Richtung und bildet sich dabei ein Urtheil, ob er nicht abbricht.

Das Gleichniß, womit Slawkenbergius dies zu Anfang seiner dritten Dekade der Phantasie des Lesers vor Augen führt, ist so muthwillig, daß die Achtung, die ich vor dem schönen Geschlecht habe, mir nicht gestattet es anzuführen, – sonst ist es nicht ohne Humor.

Sie hält den Esel zuerst an, sagte Slawkenbergius; dann hält sie seine Halfter mit der linken Hand (damit er nicht durchgeht) und langt mit der rechten bis auf den Grund seines Korbs und sucht – Was? – Sie erfahren es nicht früher, wenn Sie mich unterbrechen, sagte Slawkenbergius.

Ich habe nichts als leere Flaschen, gute Dame, sagt der Esel.

Ich bin nur mit Kutteln beladen, sagt der Zweite.

Und du bist nicht viel besser, sagt sie zu dem dritten; denn du hast nichts in deinen Körben als Pumphosen und Pantoffeln; – und so geht es fort zum vierten und fünften und immer weiter durch die ganze Koppel, bis sie zu dem Esel kommt, der es hat; sie kehrt den Korb um, – betrachtet es, – überlegt, – vergleicht, – mißt, – streckt es aus, – macht es naß, – trocknet es, – und prüft Zettel und Gewebe mit den Zähnen.

Von was denn? Um der Liebe Christi willen?

Ich bin fest entschlossen, erwiderte Slawkenbergius, daß alle Mächte der Erde mir niemals dies Geheimniß entreißen sollen.

301. Kapitel.

Wir leben in einer Welt, die nach allen Seiten hin mit Geheimnissen und Räthseln erfüllt ist, – und somit hat das nichts zu sagen. Im Uebrigen aber ist es sonderbar, daß die Natur, die alle Dinge so erschafft, daß sie ihrem Zweck entsprechen, und die selten oder nie irre geht, außer etwa einmal zum Zeitvertreib, die Allem, was durch ihre Hände geht, solche Formen und Eigenschaften verleiht, daß, mag sie nun für den Pflug, die Karavane oder den Karren arbeiten, – mag sie ein Geschöpf, welches es immer sei modelliren und wäre es nur ein Eselfüllen, man gewiß sein darf, daß man das erhält was man braucht; sonderbar sage ich, ist es, daß sie doch zugleich immer so pfuscherhaft arbeitet, wenn sie ein so einfaches Ding zu machen hat, wie ein Ehemann ist.

Ob es nun in der Wahl des Thons liegt, oder daran, daß dieser häufig beim Backen verdorben wird (wobei der Ehemann das eine Mal zu stark gebacken wird und zu krustig ausfällt, – das andere Mal aus Mangel an Hitze in das Gegentheil umschlägt), – oder ob die große Künstlerin nicht aufmerksam genug für die kleinen platonischen Anforderungen desjenigen Theils des Menschengeschlechts ist, zu dessen Gebrauch sie jenen bildet; – oder ob es daher rührt, daß die Dame oft selbst nicht recht weiß, welche Sorte von Ehemann für sie paßt, – das weiß ich nicht. Wir wollen nach dem Essen mehr darüber reden.

Genug, daß weder diese Beobachtung selbst noch das Sprechen darüber irgend etwas hilft – im Gegentheil eher noch mehr verwirrt. Was namentlich die Geeignetheit meines Onkels Toby für den Ehestand anbelangt, so konnte nichts entsprechender sein; die Natur hatte ihn aus ihrem besten, weichsten Thon gebildet, – sie hatte ihn mit ihrer eigenen Milch versehen – und ihm das zarteste Gemüth eingehaucht, – sie hatte ihn durchaus mild, edel und menschlich gemalt; – sie hatte sein Herz mit Glauben und Vertrauen erfüllt, und jeden Weg dahin zur Mittheilung der zärtlichsten Botschaften eingerichtet; – hatte auch die andern Dinge, wegen deren die Ehe eingesetzt ist, in Betracht gezogen –

Und demgemäß *   *   *   *   *   *   *   *   *   *   *   *   *   *   *

Und diese Gabe war durch die Wunde meines Onkels Toby nicht beeinträchtigt worden.

Dieser letzte Punkt war nun aber etwas zweifelhaft, und der Teufel, welcher den Glauben auf dieser Welt so oft zerstört, hatte auch im Kopf der Frau Wadman Bedenklichkeiten in dieser Beziehung hervorgerufen, und als wahrer Teufel sein Werk zugleich dadurch ausgeübt, daß er meines Onkels Toby Fähigkeit in genannter Richtung in leere Flaschen, Kutteln, Pluderhosen und Pantoffeln verwandelte.

302. Kapitel.

Jungfer Brigitte hatte den ganzen kleinen Vorrath von Ehre, der einer armen Kammerjungfer auf dieser Welt zugetheilt ist, dahin verpfändet, daß sie in zehn Tagen die Sache heraushaben wolle. Sie baute hiebei auf eines der annehmbarsten Postulate in der Natur: Darauf nämlich, daß während mein Onkel Toby ihrer Gebieterin den Hof machte, der Corporal nichts Besseres werde thun können, als ihn ihr zu machen. – Und ich will ihn soweit kommen lassen als er will, sagte Brigitte, wenn ich es nur herauskriege.

Die Freundschaft hat zwei Kleider, ein oberes und ein unteres. Brigitte diente den Interessen ihrer Gebieterin in dem einen, – und that zugleich was sie selbst am liebten hatte in dem andern; sie hatte somit so viele Einsätze auf die Wunde meines Onkels Toby gemacht als der Teufel selbst. – Frau Wadman hatte nur einen einzigen, – und da es vielleicht ihr letzter war, so war sie entschlossen (ohne deshalb Jungfer Brigitte entmuthigen oder ihr Talent gering schätzen zu wollen), ihr Spiel selbst zu machen.

Es fehlte ihr nicht an Aufmunterung; ein Kind hätte ihm in die Karten sehen können, – er zeigte eine solche Offenheit und Einfalt im Ausspielen seiner Trümpfe, – besaß eine so arglose Unkenntniß von Zehn und Aß – und saß so entblößt und schutzlos auf dem gleichen Sopha mit Frau Wadman, daß ein edles Herz geweint haben würde, wenn es ihm das Spiel abgewann.

Wir wollen das Gleichniß fallen lassen.

303. Kapitel.

Und die Geschichte ebenfalls, wenn es Ihnen genehm ist, verehrter Leser. Ich habe mich zwar allerdings beeilt, an diesen Punkt zu gelangen, und zwar alles Ernstes, da ich wohl weiß, daß es das feinste Stück der Geschichte ist, das ich hier der Welt bieten kann, und doch wäre mir jetzt, da ich soweit gekommen bin, ein Jeder willkommen, der mir die Feder abnehmen und die Geschichte für mich fortsetzen wollte. Ich sehe ein, wie schwierig die Schilderungen sein werden, die ich jetzt zu machen habe, – und fühle, daß mir die Kräfte dazu mangeln.

Ein Trost wenigstens bleibt mir hiebei: daß ich in dieser Woche etliche und achtzig Unzen Blut in einem sehr unkritischen Fieber verloren habe, das mich zu Anfang dieses Kapitels erfaßte; so daß mir noch einige Hoffnung bleibt, die Krankheit stecke mehr in den schleimigen oder kugeligen Theilen des Bluts als in der feinen Aura des Gehirns. Mag dem nun sein wie ihm wolle, – eine Anrufung kann nichts schaden, – und ich überlasse es ganz dem Angerufenen, je nachdem er es für gut hält, mich zu inspiriren oder zu injiciren.

Die Anrufung.

Du edler Geist des feinsten Humors, der du einst auf der leichten Feder meines geliebten Cervantes saßest! – Der du täglich durch sein Gitter schlüpftest und durch deine Gegenwart die Dämmerung seines Kerkers in Mittagshelle wandeltest, – der du seinen kleinen Wasserkrug mit himmlischem Nektar färbtest, und die ganze Zeit über als er von Sancho und seinem Herrn schrieb, deinen mystischen Mantel über seinen verschrumpften StummelEr verlor seine Hand in der Schlacht bei Lepanto. warfst und ihn über alles Mißgeschick seines Lebens ausbreitetest –

Kehre bei mir ein, ich flehe dich darum an! – betrachte nur diese Hosen! – sie sind die einzigen, die ich auf dieser Welt besitze, – diesen grausamen Riß haben sie in Lyon erhalten. Und erst meine Hemden! schau welch' ein tödtliches Schisma über sie gekommen ist; – denn die Schöße befinden sich in der Lombardei und der Rest ist hier. – Ich hatte überhaupt nur sechs und eine verschmitzte Betrügerin von Wäscherin in Mailand schnitt mir an fünfen die vorderen Schöße weg. – Sie that es allerdings nicht ohne Ueberlegung, – denn ich kehrte aus Italien zurück.

Und trotz alle dem, und trotzdem mir überdies in Siena eine Zunderbüchse für Pistolen gestohlen wurde, und ich zwei Mal fünf Paoli für zwei harte Eier bezahlen mußte, das eine Mal zu Raddicoffini, das andere Mal in Capua, – halte ich doch eine Reise durch Frankreich und Italien, vorausgesetzt man bleibt stets guter Laune, für keine so schlimme Sache, als uns die Leute glauben machen wollen. Es muß ein Hinauf und Hinunter geben, wie zum Henker sollte man denn sonst in Thäler gelangen, wo die Natur so viele Gastmähler vor uns ausgebreitet hat! – Unsinn, wenn man glaubt, sie werden uns ihren Wagen leihen, um gratis zusammengerüttelt zu werden; und wenn ihr nicht zwölf Sous für das Schmieren der Räder bezahlt, wie soll dann der arme Bauer die Butter zu seinem Brode bekommen. – Wir machen wirklich gar zu viel Ansprüche! – und was das Livre oder zwei über Pari betrifft, welche Nachtessen und Bett kosten, – so macht das doch höchstens ein Schilling 9½ Pence, – wer möchte deshalb mit seiner Philosophie in Zwiespalt gerathen? Zahlt es um's Himmels- und um eurer selbst willen – zahlt lieber mit beiden Händen, als daß düstere Enttäuschung auf den Augen eurer schönen Wirthin und ihrer Jungfern drückt, wenn ihr unterm Thorweg Abschied von ihnen nehmt; – und überdies, mein lieber Freund, erhältst du ja von einer Jeden noch einen schwesterlichen Kuß, der ein Pfund werth ist: – ich wenigstens hab' einen bekommen.

Da mir die ganze Zeit über die Liebschaft meines Onkels Toby durch den Kopf ging, so hatte das auf mich dieselbe Wirkung, als ob es meine eigene gewesen wäre. Ich war im Zustand vollkommenster Güte und Wohlwollens, fühlte die menschenfreundlichste Harmonie in mir, die bei jeder Schwingung der Chaise dieselbe blieb; so daß es mir keinen Unterschied machte, ob die Straßen holperig oder glatt waren. Alles was ich sah oder womit ich zu thun bekam, berührte eine geheime Feder der Empfindung oder des Entzückens.

– Es waren die süßesten Töne, die ich jemals gehört; sofort ließ ich das Kutschenfenster nieder, um sie besser zu hören. – Es ist die Maria, sagte der Postillon, als er bemerkte, daß ich lauschte. – Die arme Maria, fuhr er fort (und drehte sich zur Seite, damit ich sie sehen konnte, denn er saß zwischen uns), da sitzt sie auf einer Bank und spielt ihr Abendlied auf der Pfeife, mit ihrer kleinen Ziege neben sich.

Und wer ist denn die arme Maria? fragte ich.

Der Liebling, der bemitleidete Liebling aller Orte hier herum; sagte der Postillon. – Noch vor drei Jahren beschien die Sonne kein schöneres, klügeres und liebenswürdigeres Mädchen; und Maria verdiente auch wirklich ein besseres Schicksal, als daß ihr durch die Intriguen des Pfarrers, der ihr Aufgebot verkünden sollte, die Ehe verboten wurde.

Er wollte weiter erzählen, als Maria, die eine kleine Pause gemacht hatte, die Pfeife wieder an den Mund brachte und die Melodie von neuem begann; – es waren dieselben Töne aber noch zehn Mal süßer. – Es ist der Abendgottesdienst der h. Jungfrau, sagte der junge Mann; – Niemand weiß, wer ihn ihr gelehrt hat oder wie sie zu ihrer Pfeife kam: wir glauben, daß ihr der Himmel zu beidem verholfen hat; denn seit ihr Geist zerrüttet ist, scheint dies ihr einziger Trost zu sein; sie hat seitdem die Pfeife nicht aus der Hand gelegt, spielt aber Tag und Nacht nur diese geistliche Melodie.

Der Postillon erzählte dies mit so viel Takt und natürlicher Beredsamkeit, daß ich nicht umhin konnte, etwas in seinem Gesicht zu entdecken, das über seinen Stand hinausging. Ich würde ihn deshalb über seine eigene Geschichte ausgeholt haben, wenn nicht die arme Maria meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch genommen hätte.

Wir waren inzwischen der Bank nahe gekommen, wo Maria saß; sie hatte eine dünne weiße Jacke an, ihr Haar steckte bis auf zwei Zöpfe in einem seidenen Netze, in das auf der einen Seite ein Paar Olivenblätter etwas phantastisch eingeschoben waren: – sie war schön, und wenn ich je die ganze Kraft eines aufrichtigen Herzeleids empfunden habe, so war es in dem Augenblick da ich sie sah.

Gott stehe dem armen Mädchen bei, sagte der Postillon; man hat in den verschiedenen Kirchspielen und Klöstern hier herum über hundert Messen für sie gelesen, – aber ohne Erfolg. Da sie in kurzen Zwischenräumen vernünftig ist, so haben wir immer noch die Hoffnung, daß die heilige Jungfrau sie endlich wieder herstellen werde; ihre Eltern aber, die sie am besten kennen, haben alle Hoffnung aufgegeben und glauben, daß sie ihren Verstand für immer eingebüßt habe.

Während der Postillon sprach, machte Maria eine so melancholische, zärtliche und klagende Cadenz, daß ich aus der Chaise sprang, um ihr zu helfen; und ehe ich von meiner Aufregung zu mir selbst kam, saß ich zwischen ihr und ihrer Ziege.

Maria sah mich eine Weile gedankenvoll an und dann wieder ihre Ziege, – und dann wieder mich, – und abermals ihre Ziege – und so fort.

Nun, Maria, sagte ich sanft, findest du einige Aehnlichkeit?

Ich bitte den arglosen Leser mir zu glauben, wenn ich ihn versichere, daß ich diese Frage nur in der demüthigsten Ueberzeugung davon that, welch' eine Bestie eigentlich der Mensch ist; und daß ich in der ehrwürdigen Gegenwart des Unglücks mir keinen unzeitigen Scherz hätte erlauben mögen, und wenn ich dadurch auf all den Witz ein Anrecht bekommen hätte, den Rabelais um sich streute; – und doch gestehe ich, das Herz schlug mir und ich empfand solches Wehe, nur wenn ich das dachte, daß ich mir schwur all den Rest meiner Tage der Weisheit zu huldigen und nur Ernsthaftes von mir zu geben; – nie aber, – nie wieder zu versuchen, so lange ich lebte, mit einem Mann, Weib oder Kind zu scherzen.

Was das Schreiben von Unsinn betrifft, so glaube ich, machte ich einen Vorbehalt, – doch darüber mag die Welt entscheiden.

Leb wohl, Maria! – leb wohl, armes unglückliches Mädchen! – einst, aber nicht jetzt, höre ich vielleicht deinen Kummer von deinen eigenen Lippen; – doch ich täuschte mich; denn in diesem Augenblick ergriff sie ihre Pfeife und erzählte mir damit eine solche Schmerzensgeschichte, daß ich aufstand und mit schwankenden Schritten langsam nach meinem Wagen ging.

Welch' ein treffliches Wirthshaus in Moulins!

304. Kapitel.

Wenn wir an den Schluß dieses Kapitels gekommen sind (aber nicht früher), müssen wir zu den zwei leergelassenen Kapiteln zurückkehren; wegen deren meine Ehre seit einer halben Stunde blutet. Ich stille dies Blut, indem ich einen meiner gelben Pantoffel ausziehe und ihn mit aller Kraft nach der entgegengesetzten Wand meines Zimmers schleudere, mit folgender Erklärung an dessen Absatz: – daß, welche Ähnlichkeit dies Kapitel auch mit der Hälfte der Kapitel haben mag, die in der Welt schon geschrieben wurden, oder so viel ich weiß, eben jetzt geschrieben werden, – es sich gleichwol so zufällig gestaltete, wie der Schaum von Zeuxis Roß. Ueberdies betrachte ich ein Kapitel, das nur nichts enthält, mit besonderer Hochachtung; und wenn man bedenkt, daß es weit schlimmere Dinge auf der Welt gibt, – so ist dies keines Wegs ein passender Gegenstand für die Satire.

Warum aber ist es so ausgefallen? Und wenn man mir hier, ohne daß man meine Antwort abwartet, so viel Dummköpfe, Blechschädel, Einfaltspinsel, Gimpel, Tröpfe, Narren, Schafsköpfe, und Bettsch—r und andere geschmacklose Benennungen an den Kopf wirft, als die Kuchenbäcker von Lerne jemals den Hirten des Königs Garangantan ins Gesicht schleuderten, – so mögen sie es thun, wie Brigitte sagte, solange es ihnen Vergnügen macht: denn wie hätten sie voraussehen können, daß ich das 304. Kapitel meines Buchs vor dem 297. u. s. w. schreiben müßte?

Ich nehme es ihnen somit nicht übel. – Alles was ich wünsche, ist, daß es der Welt eine Lection sein möchte, damit sie die Leute ihre Geschichten auf ihre eigene Weise erzählen läßt.

Das 297. Kapitel.

Als Jungfer Brigitte die Thüre öffnete, ehe noch der Corporal geklopft hatte, war der Zwischenraum zwischen diesem Ereigniß und der Einführung meines Onkels Toby in das Besuchzimmer so kurz, daß Frau Wadman kaum noch Zeit hatte, hinter ihrem Vorhang vorzukommen, eine Bibel auf den Tisch zu legen und ein Paar Schritte nach der Thüre hin zu machen, um ihn zu empfangen.

Mein Onkel Toby grüßte Frau Wadman in der Art, wie Damen im Jahr unseres Herrn Ein Tausend Sieben Hundert Dreizehn von den Herren begrüßt wurden; – machte dann rechtsum, marschirte mit und neben ihr nach dem Sopha und erklärte ihr dann mit drei kurzen Worten, – doch nicht ehe er sich gesetzt hatte – und nicht nachdem er schon saß, – sondern währenddem er sich niedersetzte, daß er verliebt sei; er beeilte sich somit mit seiner Erklärung mehr als nöthig war.

Frau Wadman sah natürlich auf einen Riß in ihrer Schürze herab, an dem sie gerade gestopft hatte; und erwartete, daß mein Onkel Toby weiter machen würde; da er aber nicht das Talent hatte viele Worte zu machen, und die Liebe überdies der Gegenstand war, in dem er am allerwenigsten zu Hause war, so ließ er es, nachdem er Frau Wadman einmal gesagt hatte, daß er sie liebe, dabei bewenden, und glaubte, es müsse jetzt von selber weitergehen.

Mein Vater war immer entzückt über dieses System meines Onkels Toby, wie er es fälschlich nannte, und pflegte oft zu sagen, – wenn sein Bruder Toby sein Verfahren nur noch mit einer Pfeife Tabak verstärkt hätte, – so hätte er damit gewiß den rechten Weg zum Herzen der Hälfte der Frauenzimmer des Erdballs gefunden, wenn anders das spanische Sprichwort Recht habe.

Mein Onkel Toby begriff nie, was mein Vater damit sagen wollte; auch will ich nicht mehr daraus herauslesen, als die Verdammung eines Irrthums, dem die meisten Menschen unterliegen; – die Franzosen aber sammt und sonders, die daran fast ebenso fest glauben, als an die wirkliche Gegenwart Christi im Abendmahl, nämlich: daß von Liebe sprechen so viel sei als lieben.

Nach diesem Recept wollte ich gerade so gut eine Blutwurst machen.

Fahren wir fort! – Frau Wadman saß also da und wartete, was mein Onkel Toby nun weiter sagen würde, sie wartete fast bis zum ersten Pulsschlag der Minute, wo das Schweigen von der einen oder andern Seite unanständig wird; nun aber rückte sie etwas näher zu ihm hin, blickte empor, erröthete dabei ein wenig, – und hob den Handschuh auf – oder das Gespräch, wenn man lieber will, und wendete sich mit folgenden Worten an meinen Onkel Toby:

Die Sorgen und Unruhen des ehelichen Standes, sprach sie, sind sehr groß.

Das glaube ich wohl, bemerkte mein Onkel Toby.

Wenn es daher Jemand so gut hat wie Sie, Kapitain Shandy, fuhr Frau Wadman fort, – so glücklich ist durch sich selbst, durch seine Freunde und seine Beschäftigung, so möchte ich wohl wissen, was für Gründe Sie dazu veranlassen?

Sie stehen in dem Trauungsritual, sagte mein Onkel Toby.

Soweit ging mein Onkel Toby vorsichtig vor und blieb in seinem Fahrwasser, während er Frau Wadman nach Belieben im Golf herumsegeln ließ.

Was nun die Kinder betrifft, sagte Frau Wadman, so sind sie ja wohl ein Hauptzweck dieser Einrichtung und ohne Zweifel der natürliche Wunsch aller Eltern, – aber ist es nicht Erfahrungssache, daß man von ihnen sichern Kummer und sehr unsichere Freuden hat? Was entschädigt uns für so manches Herzeleid, lieber Herr, – wo liegt die Vergeltung für die vielen zärtlichen und beunruhigenden Besorgnisse einer duldenden und schutzlosen Mutter, die sie zur Welt bringt?

Das weiß ich wirklich nicht, sagte mein Onkel Toby voll Mitleid; vielleicht durch das Vergnügen, das der gütige Gott in –

Nicht der Rede werth! fiel sie ein!

Das 298. Kapitel.

Es gibt so unendlich viele Tonarten, Melodien, Rhythmen, Accente und Blicke, womit dieses: Nicht der Rede werth! in solchen Fällen ausgesprochen werden kann, und eine jede dieser Tonarten gibt einen so verschiedenen Sinn, einen von der andern so abweichenden Begriff wie Schmutz von Reinlichkeit, – daß Casuisten (denn in dieser Beziehung gehört die Redensart zu den Gewissensfällen) nicht weniger als 14,000 Fälle aufzählen, in denen man es recht oder unrecht aussprechen kann.

Frau Wadman hatte mit ihrem: Nicht der Rede werth: meinem Onkel Toby all sein keusches Blut in die Wangen getrieben. Er fühlte, daß er irgendwie über sein Fahrwasser hinausgerathen sein müsse, und hielt deshalb schnell inne. Dann legte er, ohne weiter auf die Freuden und Leiden des Ehestands einzugehen, die Hand aufs Herz, und sprach sich dahin aus, daß er sie nehmen wolle wie sie eben kämen, und sie mit ihr zu theilen wünsche.

Nachdem mein Onkel Toby dies einmal gesagt hatte, wollte er es nicht nochmals sagen, und da sein Auge auf die Bibel fiel, welche Frau Wadman auf den Tisch gelegt hatte, nahm er sie in die Hand. Die gute Seele erwischte gerade eine Stelle, die für ihn die allerinteressanteste war, nämlich die Belagerung von Jericho; er begann daher sie zu lesen und ließ seinen Heirathsantrag, wie anfangs seine Liebeserklärung, von selbst weiter wirken. – Er wirkte aber weder in festziehender noch in auflösender Weise, weder wie Opium, noch wie Chinarinde, noch wie Merkur, noch wie Wegedorn oder irgend sonst ein Heilmittel, das die Natur der Welt geschenkt hat; kurz er wirkte eben gar nicht. – Der Grund hievon war aber, daß schon vorher etwas Anderes in ihr wirkte. – Ich Schwätzer habe schon ein Dutzend Mal darauf hingedeutet, der Gegenstand ist aber immer noch nicht erschöpft. – Allons!

305. Kapitel.

Es ist sehr natürlich, daß jemand, der vollkommen fremd im Lande ist, und von London nach Edinburgh reisen will, vor seiner Abreise fragt, wie viele Meilen es bis York sei, was ungefähr in der Mitte des Weges liegt, – auch wird sich Niemand wundern, wenn er dann weiter nach den Einrichtungen jener Stadt u. s. w. fragt.

Ebenso natürlich war es, daß Frau Wadman, deren erster Mann die ganze Zeit mit Hüftweh behaftet gewesen, zu wissen wünschte, wie weit es von der Hüfte nach dem Schambein sei; und ob sie wohl dies Mal ebenso in ihren Gefühlen benachteiligt werden würde wie das erste Mal.

Zu dem Ende hatte sie die Anatomie von Drake von einem Ende zum andern durchgelesen. Sie hatte in Wharton über Gehirnkrankheiten geblättert und Graaf über Knochen und MuskelnHerr Shandy muß sich hier irren; Graaf schrieb über den Brustdrüsensaft und die Zeugungstheile. entlehnt; aber sie vermochte nichts damit anzufangen.

Sie hatte dann in selbstständiger Weise über die Sache nachgesonnen, – Theorien abgestellt, – Schlüsse gezogen, – war aber zu keinem rechten Ergebniß gelangt.

Um sich endlich ganz klar zu werden, hatte sie Dr. Slop zwei Mal gefragt: Ob der arme Kapitain Shandy wohl jemals von seiner Wunde hergestellt würde?

Er ist hergestellt, pflegte Dr. Slop zu sagen.

Vollständig?

Vollständig, Madame.

Was verstehen Sie unter hergestellt? pflegte dann Frau Wadman zu fragen.

Dr. Slop verstand sich auf nichts weniger als auf Definitionen; so konnte Frau Wadman nichts von ihm erholen.

Kurz es blieb schließlich nichts übrig als es aus meinem Onkel Toby selbst heraus zu bringen suchen.

Man kann bei einer Nachforschung dieser Art etwas so Menschenfreundliches in den Ton legen, was jeden Verdacht einschläfert; – und ich bin überzeugt, die Schlange im Paradiese kam in ihrer Unterhaltung mit Eva diesem Ton ziemlich nahe; denn der Hang, den das schöne Geschlecht besitzt, sich täuschen zu lassen, konnte doch nicht so groß sein, daß sie (Eva) die Kühnheit gehabt haben sollte mit dem Teufel zu plaudern, wenn jenes nicht gewesen wäre. – Aber es gibt einen so menschenfreundlichen Ton: – wie soll ich ihn beschreiben? – es ist ein Ton, der den fraglichen Theil gewissermaßen mit einem Gewande bedeckt und dem Frager ein Recht gibt, darin so ins Detail zu gehen wie unser Leibarzt.

Ob es später nicht nachgelassen habe?

Ob es im Bett besser sei?

Ob er auf beiden Seiten gleich gut liegen könne?

Ob er im Stande sei ein Pferd zu besteigen?

Ob ihm Bewegung schädlich sei?

Diese und ähnliche Fragen wurden so zartfühlend gestellt und so auf das Herz meines Onkels Toby gemünzt, daß jeder Theil derselben zehn Mal tiefer in dieses Herz eindrang als das Uebel selbst. Als aber Frau Wadman um Namur herumging, um nach dem Schambein meines Onkels Toby zu gelangen; als sie ihn veranlaßte die vorgelegte Contrescarpe anzugreifen, und pêle mêle mit den Holländern die Contregarde von St. Roche mit dem Degen in der Faust zu nehmen, – als sie ihn dann in Tönen, die so zärtlich in sein Ohr klangen, mit Blut bedeckt aus der Transchée zog, sich die Augen wischte, als er nach seinem Zelt getragen wurde – Himmel! Erde! Meer! – Da erhob sich Alles in ihm – die Quellen der Natur liefen über, – ein Engel der Barmherzigkeit saß ja neben ihm auf dem Sopha, – sein Herz glühte wie Feuer; – und wenn er ihrer 1000 gehabt hätte, er hätte sie alle an Frau Wadman verloren. Und wo herum denn, mein lieber Herr, erhielten Sie diese böse Wunde? fragte Frau Wadman, etwas kategorisch. – Dabei warf Frau Wadman einen leichten Blick nach dem Bund von meines Onkels Toby rothen Plüschhosen. Sie erwartete natürlich, daß mein Onkel Toby statt aller Antwort den Zeigefinger auf die Stelle legen werde. – Es fiel aber ganz anders aus; – denn da mein Onkel Toby seine Wunde vor dem Thor von St. Nicolaus in einer der Transchéetraversen gegenüber von dem ausspringenden Winkel der Halbbastion von St. Roche erhalten hatte, – so konnte er jeder Zeit eine Stecknadel auf den Punkt stecken, wo ihn der Stein getroffen hatte. Dieser Gedanke kam meinem Onkel Toby im Moment, – und zugleich fiel ihm ein, daß er ja einen großen Plan der Stadt und Citadelle von Namur und Umgebung besaß, den er gekauft und mit Hilfe des Corporals während seiner langen Krankheit auf ein Bret geleimt hatte. Seither lag er mit anderem militärischen Plunder in der Bodenkammer; er schickte daher den Corporal dahin, um ihn zu holen.

Mein Onkel Toby maß jetzt mit Frau Wadmans Scheere dreißig Toisen vom einspringenden Winkel vor dem Thor von St. Nicolaus; und legte ihren Finger mit einer so jungfräulichen Bescheidenheit auf die Stelle, daß die Göttin der Züchtigkeit – wenn es damals eine gab – wo nicht, ihr Schatten – den Kopf schüttelte und mit einem Finger über ihre Augen fuhr und ihr verbot das Mißverständniß aufzuklären.

Unglückliche Frau Wadman!

Denn nichts vermag dieses Kapitel mit einigem Geist zu Ende zu bringen als ein solcher Anruf; und doch sagt mir zugleich mein Herz, daß in einer solchen Krisis ein Anruf nur ein versteckter Hohn sei; und ehe ich einer unglücklichen Frau das anthue – soll lieber das Kapitel zum Teufel fahren; vorausgesetzt, daß irgend ein verdammter dort angestellter Kritiker sich die Mühe nehmen wird, es mit zu nehmen.

306. Kapitel.

Der Plan meines Onkels Toby wird in die Küche hinabgetragen.

307. Kapitel.

Und hier ist die Maas – und da die Sambre, sagte der Corporal, und deutete mit der rechten Hand auf den Plan, während seine linke auf der Schulter der Jungfer Brigitte lag, – doch nicht auf derjenigen, die ihm zunächst war; – und dies, sagte er, ist die Stadt Namur, – und dies die Citadelle, – und hier lagen die Franzosen, – und da lag Seine Gnaden und ich; – und in dieser verdammten Transchée, Jungfer Brigitte, sagte der Corporal und nahm sie bei der Hand, erhielt er die Wunde, die ihn hier so elend zerquetschte. – Bei diesen letzten Worten drückte er den Rücken ihrer Hand leicht gegen den Theil, für den er so tief fühlte, – und ließ sie dann fallen.

Wir glaubten, Herr Trim, es sei mehr nach der Mitte zu gewesen, sagte Jungfer Brigitte.

Das hätte uns ja für Zeit unseres Lebens zu Grunde gerichtet, erwiderte der Corporal.

Und meine Frau ebenfalls, setzte Brigitte hinzu.

Der Corporal beantwortete diese Bemerkung mit einem Kusse.

Kommen Sie, kommen Sie, sagte Brigitte und hielt die Fläche der linken Hand parallel mit der des Horizontes, während sie die Finger der andern so darüber hingleiten ließ, wie sie es nicht hätte thun können, wenn nur die geringste Warze oder sonstige Erhöhung da gewesen wäre. – Daran ist auch nicht eine Sylbe wahr, rief der Korporal, ehe sie mit ihrem Satz noch zur Hälfte fertig war.

Ich habe es von glaubwürdigen Zeugen, versetzte Brigitte.

Auf meine Ehre! sagte der Corporal und legte die Hand aufs Herz, während er vor ehrlicher Entrüstung erröthete, – die Geschichte ist so falsch wie die Hölle, Jungfer Brigitte. – O, unterbrach ihn Brigitte, weder ich noch meine Frau legen den mindesten Werth darauf, ob es so ist oder nicht; – nur möchte man, wenn man einmal verheirathet ist, wenigstens so ein Ding bei Einem haben.

Es war etwas ungeschickt von Jungfer Brigitte, daß sie den Angriff mit Handgriffen begonnen hatte, denn sofort that der Corporal *   *   *   *

308. Kapitel.

Es war wie der momentane Kampf in den feuchten Augenlidern eines April Morgens: – Sollte Brigitte lachen oder weinen? Sie raffte schnell ein Wellholz auf, – es war zehn gegen eins zu wetten, daß sie gelacht hatte.

Sie legte es wieder nieder, – jetzt weinte sie; aber hätte eine einzige ihrer Thränen nach Bitterkeit geschmeckt, so würde das Herz des Corporals voll Kummer darüber gewesen sein, daß er sich jenes Beweismittels bedient. Jedoch der Corporal verstund sich wenigstens um eine Quart major gegen eine Terz besser auf das schöne Geschlecht als mein Onkel Toby und faßte deshalb Jungfer Brigitte auf folgende Art:

Ich weiß Brigitte, sprach der Corporal, indem er ihr einen sehr respectvollen Kuß gab, du bist von Natur gut und bescheiden, und zugleich ein so edles Mädchen, daß, wenn ich dich recht kenne, du keinen Wurm verletzen, viel weniger die Ehre einer so braven und würdigen Seele wie mein Herr ist angreifen würdest, und wenn man dich dafür zur Gräfin machte; – aber man hat dich aufgehetzt und zum Besten gehabt, liebe Brigitte, wie es oft bei Frauenzimmern geschieht, mehr um Andere zu befriedigen als sich selbst –

Brigittens Augen strömten bei den Empfindungen, die der Corporal in ihr erregte.

Sag' mir, – sag' mir also, meine liebe Brigitte, fuhr der Corporal fort, indem er ihre Hand, die wie todt herabhing, faßte, und ihr einen zweiten Kuß gab, – wer hat dir diesen Floh ins Ohr gesetzt?

Brigitte schluchzte ein Paar Mal, – dann öffnete sie die Augen, – der Corporal wischte sie ihr mit dem Zipfel ihrer Schürze, – und nun öffnete sie ihr Herz und sagte ihm Alles.

309. Kapitel.

Mein Onkel Toby und der Corporal hatten den größten Theil der Campagne über ihre Operationen abgesondert ausgeführt, und waren bei ihren Manövern so vollkommen außer Verbindung miteinander, als ob sie durch die Maas oder die Sambre von einander getrennt wären.

Mein Onkel Toby hatte sich jeden Nachmittag abwechselungsweise in Roth mit Silber, und in Blau mit Gold eingestellt und darin zahllose Angriffe bestanden, ohne zu wissen, daß es Angriffe waren, – und hatte deshalb keine Mittheilung zu machen.

Der Corporal seinerseits hatte durch die Einnahme von Brigitte beträchtliche Vortheile errungen und – somit viel mitzutheilen. Die Schilderung dieser Vortheile aber, sowie der Art wie er sie errungen, erforderte einen so feinen Darsteller, daß sich der Corporal nicht daran wagte; und so empfänglich er auch für den Ruhm war, hätte er sich doch lieber damit zufrieden gegeben für immer baarhäuptig und ohne Lorbeeren zu gehen, als seines Herrn Sittsamkeit auch nur einen Augenblick auf die Folter zu spannen.

Bester, ehrlichster und galantester Diener! – Doch ich habe dich schon einmal angesprochen, Trim, – und könnte ich dich in guter Gesellschaft unter die Götter versetzen, – so würde ich es ohne Ceremonie gleich auf der nächsten Seite thun.

310. Kapitel.

Mein Onkel Toby hatte eines Abends seine Pfeife auf den Tisch gelegt und beschäftigte sich nun damit, alle Vollkommenheiten der Frau Wadman an den Fingern herzuzählen (wobei er mit dem Daumen anfing); und da es ihm ein Paar Mal geschah, daß er eine vergaß oder eine andere zwei Mal zählte, so war er, ehe er über den Mittelfinger hinauskam, vollständig daraus gekommen. – Bitte, Trim, sagte er und nahm seine Pfeife wieder, bring' mir einmal Feder und Tinte. – Trim brachte auch Papier.

Nimm einen ganzen Bogen, Trim, sagte mein Onkel Toby und machte ihm ein Zeichen mit der Pfeife, daß er einen Stuhl nehmen und sich neben ihn an den Tisch setzen solle. Der Corporal gehorchte, – legte das Papier gerade vor sich hin, – nahm eine Feder und tunkte sie in die Tinte.

Sie hat tausend Tugenden, Trim, sagte mein Onkel Toby.

Soll ich sie niederschreiben, Euer Gnaden? fragte der Corporal.

Sie müssen aber nach ihrem Rang aufnotirt werden, erwiderte mein Onkel Toby, denn von ihnen allen, Trim gewinnt mich am meisten das Mitgefühl und die hervorragende Menschenfreundlichkeit in ihrem Charakter; sie ist eine Bürgschaft für alles Uebrige. – Wahrlich! setzte mein Onkel Toby hinzu und sah bei dieser Betheurung gegen die Zimmerdecke empor, wahrlich, wenn ich tausend Mal ihr Bruder wäre, Trim, hätte sie sich nicht öfter, eindringlicher, zartfühlender nach meinen Leiden erkundigen können, – obschon diese vorüber sind.

Der Corporal erwiderte nichts auf die Betheurung meines Onkels Toby, hustete nur ein Paar Mal, – tauchte dann seine Feder nochmals in das Tintenfaß, und schrieb, als mein Onkel Toby mit der Spitze seiner Pfeife in die linke Ecke des Bogens und soweit oben als möglich deutete, – das Wort Menschenfreundlichkeit – mit Frakturbuchstaben nieder.

Hör, Corporal, sagte mein Onkel Toby, sobald Trim damit fertig war, – wie oft fragt dich Jungfer Brigitte nach der Wunde auf deiner Kniescheibe, die du in der Schlacht bei Landen erhieltst?

Sie hat noch gar nicht darnach gefragt, Euer Gnaden.

Siehst du, Corporal, sagte mein Onkel Toby, in so triumphirender Weise als sich dies mit der Gutherzigkeit seines Wesens vertrug, – daraus geht der Unterschied im Charakter der Gebieterin und ihres Mädchens deutlich hervor. – Hätte das Kriegsgeschick ein solches Unglück mir zugetheilt, so würde sich Frau Wadman hundert Mal nach jedem einzelnen Umstand erkundigt haben. – Aber zehn Mal mehr hätte sie sich doch nach Euer Gnaden Schambein erkundigt. – Ei Trim, der Schmerz ist gleich martervoll, – und für ein fühlendes Herz ist die eine Wunde gleich der andern.

Gott segne Euer Gnaden! rief der Corporal, – aber was hat denn das Mitgefühl eines Frauenzimmers mit einer Wunde auf eines Mannes Kniescheibe zu schaffen? Wenn Euer Gnaden Knie in der Schlacht bei Landen zu zehntausend Splittern zerschossen worden wäre, so würde sich Frau Wadman ebensowenig den Kopf darüber zerbrochen haben wie Brigitte; denn, setzte der Corporal mit leiserer Stimme aber sehr deutlich hinzu –

Das Knie ist ziemlich weit vom Mittelpunkt entfernt, – während das Schambein, wie Euer Gnaden wohl wissen, gerade in der Courtine der Festung liegt.

Mein Onkel Toby that einen langen Pfiff, – aber so gedämpft, daß man ihn kaum über den Tisch hinüber hören konnte.

Der Corporal war zu weit vorgegangen, um sich zurückziehen zu können; – in drei Worten hatte er das Uebrige erzählt.

Mein Onkel Toby legte seine Pfeife so sachte auf das Kamin, als ob sie aus den Fäden eines Spinnengewebes gemacht wäre.

Wir wollen zu meinem Bruder Shandy hinüber, sagte er.

311. Kapitel.

Während mein Onkel Toby und Trim zu meinem Vater hinüber spazieren, kann ich dem geneigten Leser mittheilen, daß Frau Wadman schon einige Monate vor diesem Ereigniß meine Mutter ins Vertrauen gezogen hatte; und daß Jungfer Brigitte, welche die Last ihres eigenen Geheimnisses, sowie desjenigen ihrer Gebieterin zu tragen hatte, diese beiden hinter der Gartenmauer glücklich an Susanna losgeworden war.

Was meine Mutter anbelangt, so fand sie nicht den mindesten Grund, deshalb einen Lärm aufzuschlagen; – Susanna dagegen war für sich allein vollkommen genügend, um ein Familiengeheimniß zu all den Zwecken und Absichten, die man etwa dabei haben konnte, in Umlauf zu setzen; denn sie theilte es sofort durch Zeichen Jonathan mit; – Jonathan brachte es bei der Köchin an, während sie eine Hammelslende beträufelte; die Köchin verkaufte es nebst einigem Bratenfett für einen Groschen an den Postillon; dieser verhandelte es für etwas von dem gleichen Werth an das Milchmädchen; – und obschon es nur auf dem Heuboden geflüstert wurde, fing doch Fama die Töne in ihrer metallenen Trompete auf und posaunte sie vom Giebel des Hauses herab. – Mit einem Wort, es gab kein altes Weib im Dorfe oder fünf Meilen in der Runde, welches nicht genau wußte, welche Schwierigkeiten mein Onkel bei seiner Belagerung zu überwinden hatte, und welches die geheimen Artikel waren, die die Uebergabe bis dahin verzögert hatten.

Mein Vater, der jedes Ereigniß in der Natur in eine Hypothese zu zwängen pflegte, und hiebei die Wahrheit wie kein Mensch auf der Welt kreuzigte, – hatte gerade von der Sache gehört, als mein Onkel Toby aufbrach; und da er sofort daran Feuer fing, daß man seinem Bruder so übel mitspielte, demonstrirte er Yorick, ungeachtet meine Mutter dabei saß, – nicht nur: »daß der Teufel in allen Weibern stecke und daß der Kern der Sache lediglich Lüsternheit sei,« sondern auch daß jedes Uebel, jede Unordnung auf der Welt, welcher Natur oder welchen Charakters sie auch sei, von dem Fall Adams bis zu dem meines Onkels Toby (inclusive) auf die eine oder die andere Art der gleichen unordentlichen Begierde zuzuschreiben sei.

Yorick war eben damit beschäftigt die Hypothese meines Vaters etwas zu mäßigen, als mein Onkel Toby mit so unendlicher Güte und Vergebung in seinen Blicken in das Zimmer trat, daß die Beredsamkeit meines Vaters sich daran von neuem zur Leidenschaft entzündete; – und da er, wenn einmal ärgerlich, nicht sehr fein in der Wahl seiner Worte war, – so brach mein Vater, sobald mein Onkel Toby am Feuer Platz genommen und seine Pfeife gefüllt hatte, in folgender Weise los:

312. Kapitel.

Ich bin weit entfernt davon läugnen zu wollen, daß Vorkehrungen getroffen sein müssen. um die Rasse eines so großen, erhabenen und gottähnlichen Wesens wie der Mensch ist, fortpflanzen, – allein die Philosophie darf über Alles frei sprechen, und so denke und behaupte ich, es sei eine traurige Sache, daß jenes Ziel mittelst einer Leidenschaft erreicht werden muß, welche die geistigen Fähigkeiten niederdrückt, und alle Weisheit, Beschaulichkeit und Seelenthätigkeit über den Haufen wirft, – eine Leidenschaft, mein Schatz, fuhr mein Vater fort, indem er sich gegen meine Mutter wandte, die weise Männer mit Narren paart und gleichstellt, und uns aus unseren Höhlen und Verstecken mehr wie Satire und vierfüßige Bestien als wie Menschen hervortreibt.

Ich weiß wohl, fuhr mein Vater in vorbeugender Weise fort, daß man mir entgegen halten kann, die Sache sei an und für sich und einfach genommen weder gut noch schlimm, – noch schmählich oder sonst etwas – vielmehr etwas wie Hunger oder Durst oder das Bedürfniß des Schlafs. – Warum aber empörte sich das Zartgefühl eines Diogenes und Plato so gegen sie? warum löschen wir das Licht, wenn wir uns anschicken einen Menschen zu machen? und weshalb sind alle einzelnen Momente dieser Geschichte, – das Aneinanderkommen, – die Vorbereitungen, – die Instrumente und was man sonst dazu braucht, der Art gestaltet, daß sie einem reinen Gemüth weder durch Sprache noch durch Uebersetzung oder Umschreibung deutlich gemacht werden können?

Wenn man einen Menschen tödtet, vernichtet, fuhr mein Vater mit gehobener Stimme fort – indem er sich gegen meinen Onkel Toby wandte, – so kann das bekanntlich ruhmvoll sein, – und die Waffen, womit wir es vollbringen, sind ehrenwürdige Geräthe; – wir marschiren mit ihnen auf der Schulter, – wir stolziren mit ihnen an der Seite, – wir vergolden sie – wir ciseliren sie – wir legen sie mit Gold ein, – wir schmücken sie; – ja sogar einer schuftigen Kanone setzen wir Zierrathen auf das Bodenstück.

Mein Onkel Toby legte seine Pfeife nieder, um der Kanone ein besseres Beiwort herauszuschlagen, – und Yorick erhob sich, eben um die ganze Hypothese nieder zu kanoniren, –

Als Obadiah in das Zimmer trat und eine Klage vorbrachte, die augenblickliche Anhörung erheischte.

Der Fall war dieser:

Mein Vater war nach altem gutsherrlichem Brauch oder als Besitzer großer Zehentgüter verpflichtet, einen Stier für die Bedürfnisse des Sprengels zu halten, und Obadiah hatte ihm an einem gewissen Tag im vorigen Sommer seine Kuh auf einen Dienstbesuch zugeführt; – ich sage an einem gewissen Tage – weil es zufällig derselbe Tag war, an welchem er meines Vaters Zimmermädchen heirathete; – so daß dieselbe Berechnung für beide galt. Als daher Obadiah's Frau in die Wochen kam, – dankte Obadiah Gott.

Jetzt bekomme ich ein Kalb, sagte Obadiah, und besuchte von da an täglich die Kuh.

Sie wird am Montag kalben, – oder am Dienstag, – spätestens am Mittwoch.

Aber die Kuh kalbte nicht; – nein, – sie kalbte auch in der nächsten Woche nicht, – sie schob es entsetzlich hinaus; – endlich in der sechsten Woche fiel Obadiah's Verdacht (als eines guten Ehemanns) auf den Stier.

Da nämlich das Kirchspiel sehr groß war, so war meines Vaters Stier, um die Wahrheit zu gestehen, der Sache nicht ganz gewachsen; er war jedoch auf eine oder die andere Art in dieses Amt gedrängt worden, und da er das Geschäft mit einer ernsten Miene versah, hatte mein Vater eine hohe Meinung von ihm.

Die meisten Ortsbürger meinen, die Schuld liege an dem Stier, Euer Gnaden, sagte Obadiah.

Kann denn aber nicht auch die Kuh unfruchtbar sein, fragte mein Vater, indem er sich gegen Dr. Slop wendete.

Das kommt nie vor, erwiderte Dr. Slop; aber die Frau des Mannes kann vor ihrer Zeit niedergekommen sein. – Hat das Kind Haare auf dem Kopf? setzte Dr. Slop hinzu.

Es ist so haarig wie ich, sagte Obadiah. – Obadiah war seit drei Wochen nicht rasirt worden. – Hui–i–i! rief mein Vater und begann seinen Satz mit einem Pfiff, somit Bruder Toby, könnte dieser mein armer Stier, der doch ein so guter Stier ist, als je Einer p—st und der in reineren Zeiten die Europa hätte besorgen können, – wenn er zwei Beine weniger besäße, vor das Civilgericht gebracht werden und seinen Charakter verlieren; – was für einen Fleckenbullen so viel ist als wenn er sein Leben verlöre, Bruder Toby.

Herr Gott! sagte meine Mutter, von was handelt denn eigentlich diese ganze Geschichte?

Von einem Hahn und einem Bullen, sagte Yorick, und zwar ists eine der schönsten Geschichten, die ich jemals hörte.


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