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Das Schreiben, wenn es richtig getrieben wird (und Sie können versichert sein, daß ich denke, dies sei bei mir der Fall), ist nur eine andere Art von Gespräch. Wie Jemand, der weiß, wie er sich in einer guten Gesellschaft zu benehmen hat, dort nicht wagen wird alles herauszuschwatzen, – so darf auch ein Schriftsteller, der die Grenzen des Anstandes und der Bildung kennt, nicht Alles denken; er erweist daher dem Geiste des Lesers keine größere Achtung, als wenn er die Sache freundschaftlich halbirt und der Einbildungskraft jenes ebenfalls Etwas überläßt.
Was mich anbelangt, so erweise ich ihm unaufhörlich Artigkeiten dieser Art und thue Alles was in meinen Kräften steht, um seine Phantasie ebenso thätig zu erhalten als meine eigene.
Die Reihe ist jetzt an ihm; – ich habe ihm eine weitläufige Schilderung von Dr. Slop's traurigem Sturz und seiner traurigen Erscheinung im hinteren Zimmer gegeben; – seine Einbildungskraft muß sich nun eine Zeitlang hiemit beschäftigen.
Stelle sich der Leser also vor, Dr. Slop habe seine Geschichte erzählt – wobei seiner Phantasie überlassen bleibt, sich dessen Worte und etwaige Uebertreibungen zu denken; – er stelle sich ferner vor, auch Obadiah habe seine Geschichte erzählt, und er verleihe diesem so klügliche Blicke scheinbarer Theilnahme, wie er es für das Geeignetste hält, um den Gegensatz der zwei Figuren, wie sie so nebeneinanderstehen, gehörig hervorzuheben. – Er denke sich, daß mein Vater die Treppe hinaufgegangen ist, um nach meiner Mutter zu sehen; und um das Werk seiner Phantasie zu vollenden, – denke er sich den Doctor jetzt gewaschen – abgerieben, bedauert, – beglückwünscht – in ein Paar von Obadiah's Hausschuhe geschlüpft und der Thüre zugehend, um in Action zu treten.
Gemach! – gemach, guter Dr. Slop! – hemme deine geburtshelferische Hand; – stecke sie ruhig wieder in deinen Busen, um sie warm zu halten; – du weißt ja nicht welche Hindernisse – welche verborgene Gründe ihre Thätigkeit lähmen. Hast du, Dr. Slop, – hast du die geheimen Artikel des feierlichen Vertrags gelesen, der dich hierher geführt hat? – Weißt du, daß in diesem Augenblick eine Tochter der Lucina dir geburtshelferisch über den Kopf gewachsen ist? Ach! – es ist nur zu wahr! – Ueber dies, du großer Sohn des Pilumnus, was könntest du denn thun? Du bist ja ohne Waffen auf dem Schlachtfeld erschienen; – du hast deinen Tire-tête zu Hause gelassen – deine neu erfundene Zange – deine Klammer, – deine Spritze, kurz alle deine Rettungs- und Entbindungsinstrumente: – beim Himmel! sie hängen ruhig in einem grünen wollenen Beutel zwischen deinen zwei Pistolen zu Häupten deines Betts. Schelle! – rufe! – schicke Obadiah in aller Eile auf dem Kutschenpferd hin.
– Eile dich, eile dich, Obadiah, sagte mein Vater, du sollst eine Krone von mir haben! – Und von mir auch, setzte mein Onkel Toby hinzu.
Ihr plötzliches und unerwartetes Erscheinen, sagte mein Onkel Toby zu Dr. Slop (alle drei setzten sich an den Kamin, als mein Onkel Toby zu sprechen begann) – erinnert mich sogleich an den großen Stevenius. Sie müssen wissen, das ist ein Lieblingsschriftsteller von mir. – Dann, bemerkte mein Vater, wobei er sich des Arguments ad crumenam bediente, – dann wette ich 20 Guineen gegen eine Krone (die du dem Obadiah geben kannst, wenn er zurückkommt), daß dieser Stevenius ein Ingenieur oder so was war, – oder etwas direct oder indirect auf die Befestigung Bezügliches geschrieben hat.
Das hat er auch, erwiderte mein Onkel Toby. – Das wußte ich ja, sagte mein Vater, aber so wahr ich lebe, ich kann nicht begreifen, in welchem Zusammenhang das plötzliche Erscheinen des Dr. Slop mit einer Abhandlung über Befestigung steht. Ich habe es aber gleich gefürchtet. – Wir mögen ja sprechen von was wir wollen – die Sache mag diesem Stoff noch so fremd sein, dazu passen wie eine Faust auf ein Auge – du weißt es doch darauf zu bringen. O Bruder Toby, fuhr mein Vater fort, – ich möchte meinen Kopf nicht so voll von Courtinen und Hornwerken haben wie du. – Ja, das glaub' ich wohl, rief Dr. Slop dazwischen, und lachte unmäßig über sein Wortspiel.
Der Kritiker Dennis konnte ein Wortspiel oder die Andeutung eines solchen nicht gründlicher hassen und verachten als mein Vater es that; – er gerieth alle Mal darüber in Zorn: – aber bei einer ersten Unterhaltung durch ein solches unterbrochen zu werden, das, pflegte er zu sagen, sei so schlimm wie ein Nasenstüber; – er sehe keinen Unterschied.
Mein Herr, sagte mein Onkel Toby zu Dr. Slop – die Courtinen, von denen mein Bruder Shandy hier spricht, sind etwas ganz anderes als Bettvorhänge; – allerdings sagt Du Cange die Bettcourtinen haben sehr wahrscheinlich ihren Namen von jenen bekommen; auch haben die Hornwerke, die er erwähnt hat, durchaus nichts mit den Hornwerken im Ehestand zu thun. Courtine, mein Herr, ist vielmehr ein Ausdruck der Befestigungskunst, den wir für denjenigen Theil des Walles oder Rampart gebrauchen, der zwischen zwei Bastionen liegt und sie miteinander verbindet. – Der Belagerer treibt seinen Angriff selten direct gegen die Courtine vor, weil dieselbe so gut flankirt ist (Gerade wie bei den andern Courtinen, sagte Dr. Slop lachend). Um sie jedoch ganz sicher zu stellen, legen wir gewöhnlich Ravelins davor, wobei wir Sorge tragen, daß sie über die Fossé oder den Graben hinausreichen. – Gewöhnliche Leute, welche nichts von Befestigung verstehen, verwechseln das Ravelin mit dem Halbmond; – das sind aber zwei ganz verschiedene Dinge, nicht sowol in Betreff ihrer Form oder Construction, denn wir machen beide in allen Theilen gleich; sie bestehen nämlich immer aus 2 Facen, die einen ausspringenden Winkel bilden und deren Kehle keine enge ist, sondern die Form eines Halbmonds hat. – Worin liegt dann der Unterschied? fragte mein Vater etwas ärgerlich. – In ihrer Lage, erwiderte mein Onkel Toby; – denn wenn ein Ravelin vor der Courtine liegt, Bruder, so ist es ein Ravelin; liegt es aber vor einer Bastion, so ist das Ravelin kein Ravelin – sondern ein Halbmond; ebenso ist ein Halbmond nur solange ein Halbmond, als er vor seiner Bastion liegt, und nicht länger; wenn er aber seinen Platz wechseln und vor die Courtine kommen könnte – dann wäre es kein Halbmond mehr; ein Halbmond ist in diesem Falle kein Halbmond – er ist nur noch ein Ravelin. – Mir scheint, bemerkte mein Vater, diese edle Befestigungskunst hat so gut ihre schwachen Seiten – wie jede andere Wissenschaft.
Was aber das Hornwerk anbelangt (O Jerum! seufzte mein Vater), von welchem mein Bruder sprach, fuhr mein Onkel Toby ruhig fort, so ist das ein sehr wichtiges Außenwerk; – es wird von den französischen Ingenieuren ouvrage à cornes genannt; wir legen es im Allgemeinen an, um solche Stellen zu decken, die wir für schwächer halten als die übrigen. Es wird aus 2 Epaulements oder Halbbastionen gebildet – es sieht sehr hübsch aus – und wenn Sie einen kleinen Gang machen wollen, so getraue ich mir Ihnen Eins zu zeigen, das schon der Mühe verlohnt. – Wenn wir es krönen, fuhr mein Onkel Toby fort, dann ist es allerdings viel stärker; allein es wird dann auch sehr kostspielig und bedarf einen großen Raum. Ich bin deshalb der Ansicht, daß es am besten dazu taugt, den Zugang zu einem Lager zu decken oder zu vertheidigen; sonst möchte ich der doppelten Tenaille – bei der Mutter, die uns gegeboren hat, Bruder Toby! rief mein Vater, der es nicht mehr aushalten konnte, – du könntest einen Heiligen außer sich bringen; – da hast du uns plötzlich, ich weiß nicht wie, wieder mitten in die alte Geschichte hineingebracht – und so voll ist dein Kopf von diesen verdammten Werken, daß trotzdem meine Frau mitten in ihren Wehen ist und du sie schreien hörst, du doch an nichts denkst als den Geburtshelfer spazieren zu führen. – Den Accoucheur, wenn ich bitten darf, sagte Dr. Slop. – Sehr gern, erwiderte mein Vater, es ist mir gleich, wie man Sie nennt; – aber ich wollte die ganze Befestigungskunst mit allen ihren Erfindern wäre beim Teufel; – sie hat schon Tausenden den Tod gebracht – und wird ihn mir auch noch bringen. – Ich möchte mein Gehirn nicht so voll von Sappen, Minen, Blendirungen, Schanzkörben, Palissaden, Ravelins, Halbmonden und wie das Zeug alles heißt, haben, Bruder Toby, und wenn man mir Namur und alle flanderischen Städte dafür schenkte!
Mein Onkel Toby ertrug Kränkungen mit Geduld; – nicht aus Mangel an Muth – ich habe Ihnen in einem früheren Kapitel gesagt, daß er Muth hatte; und ich füge hier bei, daß wo ein kritischer Fall eintrat, oder es nöthig machte – ich Niemand kannte, bei dem ich lieber Zuflucht genommen hätte; – auch war es nicht Folge von Unempfindlichkeit oder intellectuelle Stumpfheit – denn er fühlte diese Kränkung von Seiten meines Vaters so tief, als man nur konnte; – aber er besaß ein sanftes, friedliches Naturell – es war durchaus kein bissiges Element in ihm – alles war da so freundlich, so gutherzig gemischt, daß mein Onkel Toby es kaum über's Herz bringen konnte, einer Fliege wehe zu thun.
Geh – sagte er eines Tags beim Mittagessen zu einer recht dicken, die ihm das ganze Essen über um die Nase geschwirrt war und ihn gepeinigt hatte – und die er nach zahllosen vergeblichen Versuchen endlich erwischt hatte; – ich will dir nichts thun, sagte mein Onkel Toby und stand auf und ging mit der Fliege in der Hand aus Fenster – ich will dir kein Haar auf deinem Haupte verletzen: – Geh, sagte er und schob das Fenster zurück und öffnete dabei die Hand, damit sie fortfliegen konnte – geh, armes Ding, mach' daß du fort kommst, warum sollte ich dir was thun? – Die Welt ist groß genug, um dir und mir Raum zu gewähren.
Ich war erst zehen Jahre alt, als dies geschah; aber mochte nun die Handlung an sich in jenem Alter der Weichheit mehr mit meinen Empfindungen zusammenstimmen, so daß sie mein ganzes Wesen von dem süßesten Gefühl erbeben machte; – oder mochte die Art wie sie geschah, der Ausdruck in dem sie erfolgte, mir besonders sympathisch sein; – oder mochte der Ton der Stimme, die Harmonie der vom Mitleid gestimmten Bewegung durch irgend einen geheimen Zauber den Weg zu meinem Herzen finden – ich weiß nicht was es war – aber soviel ist gewiß, daß die Lehre von einem Alles beherrschenden Gesetz der Güte, die mir mein Onkel Toby damals gab und einprägte, sich seither nie mehr in mir verwischt hat; und wenn ich auch nicht verkennen will, was das Studium der literae humaniores auf der Universität in dieser Richtung mir nützte, noch auch die andern Hilfsmittel einer kostspieligen Erziehung zu Hause und auswärts zu gering anschlagen möchte; – so muß ich doch oft denken, daß ich die Hälfte meiner Menschenfreundlichkeit jenem zufälligen Eindruck verdanke.
Dies möge Eltern und Erziehern statt eines ganzen Buches über diesen Gegenstand dienen.
Ich konnte diesen Zug im Bilde meines Onkels Toby dem Leser nicht mit dem Griffel geben, mit welchem ich die übrigen Theile desselben zeichnete – indem dieser nur die Steckenpferdähnlichkeit behandelt – während jener Zug zu seinem moralischen Charakter gehört. In Beziehung auf dieses geduldige Hinnehmen von Kränkungen war mein Vater ganz anderer Art, wie der Leser längst bemerkt haben wird; er besaß eine weit schärfere und raschere Empfänglichkeit, die einen ätzenden Beigeschmack hatte. Wenn ihn sein Temperament auch nie zu etwas hinriß, was wie Bosheit aussah: – so benahm er sich doch bei den kleinen Reibungen und Aergernissen des Lebens mit einer gewissen drolligen und witzigen Herbigkeit. – Er besaß jedoch eine offene, edle Natur; – und war stets der Ueberzeugung zugänglich; und bei den kleinen Ausbrüchen seines sauren Humors gegen Andere, besonders aber gegen meinen Onkel Toby, den er wahrhaft liebte – empfand er selbst mehr Pein, zehen Mal mehr (ausgenommen bei der Geschichte mit meiner Tante Dinah oder wenn es sich um eine Hypothese handelte) als er jemals verursachte.
Die Charaktere der beiden Brüder setzten einander in dieser Beziehung gegenseitig in ein vorteilhaftes Licht, was sich besonders bei dem Handel zeigte, der wegen Stevenius anging.
Ich brauche dem Leser, wenn er selbst ein Steckenpferd besitzt, nicht zu sagen, – daß eines Menschen Steckenpferd zu den kitzlichsten Dingen gehört, die er besitzt; und daß diese durch nichts hervorgerufenen Hiebe auf das Steckenpferd meines Onkels Toby nicht spurlos an diesem vorüber gingen – Nein! – wie ich schon oben bemerkte, mein Onkel Toby fühlte sie, und zwar sehr tief.
Und was sagte er dazu? – Wie benahm er sich? – O mein Herr! das war großartig. Sobald mein Vater sein Steckenpferd so verletzt hatte – wendete er seinen Kopf ohne die geringste Aufregung von Dr. Slop weg, an den er seine Rede gerichtet hatte, und sah meinem Vater ins Gesicht mit einer Miene, in der so viel Gutmütigkeit – so viel Sanftmuth – so viel Brüderlichkeit – so unaussprechlich viel Zärtlichkeit lag, daß es meinem Vater einen Stich durch's Herz gab. Er sprang auf, faßte meinen Onkel Toby bei beiden Händen und sprach: – Bruder Toby, sagte er – ich bitte dich um Verzeihung – vergib mir dieses jähe Wesen, das ich von meiner Mutter habe. – Lieber, lieber Bruder, erwiderte mein Onkel Toby, indem er sich mit meines Vaters Hilfe erhob, sprich nichts mehr davon – beruhige dich, es hat nichts auf sich, und wenn es zehen Mal ärger gewesen wäre. – Aber es ist unedel, fuhr mein Vater fort, irgend Jemand zu beleidigen – vollends einen Bruder – aber gar einen Bruder zu beleidigen, der so sanft ist wie du – der so wenig Anlaß gibt – so gar nicht nachträgt – das ist schlecht, – bei Gott, es ist feig. – Beruhige dich doch, lieber Bruder, es hat nichts auf sich, wiederholte mein Onkel Toby – und wenn es fünfzig Mal ärger gewesen wäre. – Und was gehen mich denn deine Unterhaltungen und Vergnügungen an, lieber Toby, rief mein Vater, außer wenn es in meiner Macht stünde sie zu vermehren (was nicht der Fall ist)? – Bruder Shandy, erwiderte mein Onkel Toby, indem er ihm ernst ins Gesicht sah, – in dieser Beziehung täuschest du dich sehr – denn du vermehrst wirklich mein Vergnügen, indem du, so lang' du am Leben bist, Kinder für die Familie Shandy zeugst. – Aber damit vermehrte Herr Shandy sein eigenes Vergnügen, sagte Dr. Slop. – Nicht im geringsten, versetzte mein Vater.
Mein Bruder thut es aus Grundsatz, warf mein Onkel Toby ein. – Der Familie zu Liebe, denke ich, bemerkte Dr. Slop. – Ach was. sagte mein Vater, es ist nicht der Rede werth.
Wir haben am Schlusse des Kapitels meinen Vater und meinen Onkel Toby stehen lassen, wie Brutus und Cassius, wo sie am Schluß des Stückes ihre Rechnungen ausgleichen.
Als mein Vater die letzten Worte gesprochen hatte, setzte er sich wieder nieder; – mein Onkel Toby folgte genau seinem Beispiel, nur schellte er, ehe er sich setzte, dem Corporal Trim, der außen wartete, und befahl ihm nach Hause zu gehen und den Stevenius zu holen: – das Haus meines Onkels Toby lag nämlich nur gerade über.
Manche würden jetzt die Geschichte mit Stevenius haben fallen lassen; – allein mein Onkel Toby hatte ja keinen Groll im Herzen, und so fuhr er ruhig in der Sache fort, um meinem Vater zu zeigen, daß er keinen Groll hatte.
Ihr plötzliches Erscheinen, Dr. Slop, sagte mein Onkel, indem er die Rede wieder aufnahm, erinnerte mich sogleich an Stevenius. (Meinem Vater fiel es natürlich nicht ein, nochmals auf Stevenius zu wetten.) Denn, fuhr mein Onkel Toby fort, jener berühmte Segelwagen, der dem Prinzen Moritz gehörte und der so merkwürdig construirt war und eine solche Schnelligkeit besaß, daß er ein Halb Dutzend Mann ich weiß nicht mehr in wie viel Minuten dreißig deutsche Meilen weit führte – war von dem großen Mathematiker und Ingenieur Stevenius erfunden.
Sie hätten Ihrem Diener, der ja lahm ist, die Mühe ersparen können, den Stevenius zu holen, sagte Dr. Slop, denn als ich von Leiden über das Haag heimkehrte, ging ich eigens um den Wagen zu sehen vom Haag zu Fuß nach Scheveningen, was zwei gute Meilen weit ist. – Das ist noch nichts gegen das was der gelehrte Peireskius that, erwiderte mein Onkel Toby, denn der ging nur um diesen Wagen zu sehen, 500 Meilen zu Fuß, nämlich von Paris nach Scheveningen und von Scheveningen wieder nach Paris.
Es gibt Leute, die es nicht ertragen können, wenn ihnen Jemand etwas zuvor thut.
Um so närrischer war dieser Peireskius, versetzte Dr. Slop. – Jedoch wohl verstanden, damit wollte er keine Geringschätzung des Peireskius aussprechen; – er sagte es vielmehr nur, weil diese weite Fußwanderung des Peireskius aus reiner Liebe zur Wissenschaft die Heldenthat des Dr. Slop gewaltig herunterstimmte. – Um so närrischer war der Peireskius, widerholte er. – Wie so? fragte mein Vater, der jetzt meines Onkels Partei ergriff, jedoch nicht allein, um die Kränkung, die er jenem angethan und die meinen Vater noch drückte, wieder gut zu machen; – sondern theilweise weil sich mein Vater wirklich für die Sache zu interessiren begann. – Wie so? fragte er, weshalb sollte Peireskius oder irgend Wer verunglimpft werden, weil ihn nach diesem oder jenem Trunk gesunder Kenntniß dürstete? denn wenn ich von dem fraglichen Wagen auch nichts Näheres weiß, fuhr er fort, so muß der Erfinder desselben doch ein sehr mechanischer Kopf gewesen sein; und wenn ich auch nicht errathen kann, nach welchen Grundsätzen der Philosophie er dabei verfahren ist, – so muß seine Maschine doch einen sehr soliden Grund gehabt haben, sonst hätte sie nicht so wie mein Bruder anführt, arbeiten können.
Sie arbeitete wirklich so wie ich sagte, wo nicht noch besser, sagte mein Onkel Toby; denn wie sich Peireskius elegant ausdrückt, wo er von der Schnelligkeit ihrer Bewegung spricht tam citus erat, quam erat ventus; was, wenn ich mein Latein nicht ganz vergessen habe, heißt: Sie war so geschwind wie der Wind.
Aber bitte, Dr. Slop, sagte mein Vater, meinen Onkel unterbrechend, den er jedoch zugleich deshalb um Verzeihung bat, nach welchen Grundsätzen wurde dieser Wagen in Gang gesetzt? – Nach sehr netten Grundsätzen, erwiderte Dr. Slop; und ich habe, fuhr er fort, indem er jene Frage umging, mich oft gewundert, weshalb unsere Herrn Gutsbesitzer, die in großen Ebenen leben wie hier die Umgegend, (besonders wenn sie Frauen haben, die noch Kinder bekommen können) nicht den Versuch machen, etwas Aehnliches in Gang zu bringen. Es würde sich nicht nur bei plötzlichen Berufungen, wie sie bei dem Geschlecht vorkommen, außerordentlich praktisch erweisen – vorausgesetzt, es wehte der Wind – sondern es wäre auch sehr ökonomisch, sich der Winde zu bedienen, die nichts kosten und nichts fressen wie die Pferde, die (hol sie der Teufel!) sehr viel kosten und viel fressen.
Gerade deshalb, entgegnete mein Vater, weil die Winde nichts kosten und nichts fressen – ist der Plan schlecht; – denn der Verbrauch unserer Produkte und die Herstellung derselben gibt eben den Hungrigen Brod, treibt den Verkehr um, bringt Geld ein und hält den Werth unserer Güter aufrecht; – wenn ich ein Fürst wäre, würde ich deshalb den wissenschaftlichen Kopf, der eine solche Erfindung gemacht hätte, reichlich belohnen, – aber ich würde den Gebrauch derselben auf das bestimmteste verbieten.
Mein Vater war hier in sein Element gerathen und schon im Begriff sich jetzt ebenso gedeihlich über den Handel zu verbreiten, wie mein Onkel Toby es vorhin über die Befestigungskunst gethan hatte; allein zum Schaden der Wissenschaft, hatten die Parzen an diesem Morgen bestimmt, daß mein Vater heute keinerlei Abhandlung zu Ende spinnen sollte, – denn gerade wie er den Mund öffnete, um den nächsten Satz zu beginnen,
Trat Corporal Trim mit dem Stevenius ein: – Aber jetzt war es zu spät – der ganze Stoff war ohne ihn erschöpft worden und die Unterhaltung lief bereits in einem anderen Kanal.
Du kannst das Buch wieder heimtragen, Trim, sagte mein Onkel Toby, und nickte ihm zu.
Bitte, Corporal, sagte mein Vater scherzend, – sehen Sie doch erst einmal hinein, ob Sie nicht einen Segelwagen drin bemerken.
Corporal Trim hatte im Dienst gelernt zu gehorchen – und niemals eine Widerrede zu erheben; – er nahm daher das Buch auf einen Nebentisch und durchlief die Blätter. Halten zu Gnaden, sagte Trim, ich sehe nichts der Art, will mich aber, fuhr der Corporal fort, nun seinerseits einen Scherz machend, doch vergewissern, halten zu Gnaden. – Er nahm also das Buch bei beiden Deckeln, bog sie rückwärts, ließ die Blätter nach unten hängen und schüttelte sie ordentlich.
Da ist doch was herausgefallen, halten zu Gnaden, sagte Trim; – 's ist aber kein Wagen oder etwas derart. – Was ist's denn, Corporal, fragte mein Vater lächelnd. – Ich glaub', erwiderte Trim und bückte sich, um es aufzuheben – es ist so was wie eine Predigt – denn es fängt mit einer Stelle aus der Bibel an, nebst Kapitel und Vers – und geht dann weiter, nicht wie ein Wagen, sondern gerade wie eine Predigt.
Die Gesellschaft lächelte.
Ich begreife nicht, sagte mein Onkel Toby, wie eine Predigt in meinen Stevenius hinein kommen konnte.
Ich glaube doch, daß es eine Predigt ist, versetzte Trim; – wenn aber Euer Gnaden gestatten, so will ich eine Seite lesen; es ist eine schöne Handschrift. – Denn Trim, müssen Sie wissen, hörte sich ebenso gerne vorlesen wie sprechen.
Es kitzelt mich immer sehr, sagte mein Vater, Dinge, die mir so ganz zufällig in den Weg kommen, näher ins Auge zu fassen; – und da wir im Augenblick nichts Besseres zu thun haben, wenigstens bis Obadiah zurück ist, so wäre ich dir sehr verbunden, Bruder, wenn nämlich Dr. Slop nichts dagegen hat, wenn du den Corporal veranlassen wolltest, uns ein Paar Seiten zum Besten zu geben – wenn er es ebenso gut kann wie er es gerne zu thun scheint. – Halten zu Gnaden, bemerkte Trim, ich habe zwei volle Feldzüge in Flandern hindurch Schreibersdienste beim Kaplan unseres Regiments versehen. – Er kann so gut lesen wie ich selbst, sagte mein Onkel Toby. – Ich versichere dich, Trim hatte den besten Schulsack in meiner ganzen Compagnie; und er hätte die nächste Unteroffiziersstelle erhalten, wenn den armen Burschen nicht das Unglück betroffen hätte. – Corporal Trim legte die Hand aufs Herz und machte eine demüthige Verbeugung gegen seinen Herrn; – dann legte er seinen Hut auf den Boden und nahm die Predigt in die linke Hand, um seine rechte frei zu behalten; – hierauf trat er ohne Bedenken in die Mitte des Zimmers, wo er am besten sehen konnte und wo auch er von seinen Zuhörern am besten gesehen wurde.
Wenn Sie irgend etwas dagegen haben sollten, sagte mein Vater zu Dr. Slop. – Nicht das Mindeste, erwiderte Dr. Slop: – es läßt sich ja noch gar nicht sagen, für welche Seite der Frage die Predigt geschrieben ist – sie kann ebensogut von einem Priester unserer Kirche sein, als Ihrer; so daß unser Risiko das Gleiche ist. – Sie ist für keine von beiden Seiten geschrieben, sagte Trim, denn sie handelt vom Gewissen, wenn Euer Gnaden erlauben.
Trims Erklärung versetzte seine Zuhörerschaft in gute Laune – mit Ausnahme des Dr. Slop, der seinen Kopf nach Trim herumdrehte und etwas ärgerlich drein sah.
Jetzt fang an, Trim – und lies recht deutlich, sagte mein Vater. – Das will ich, halten zu Gnaden, erwiderte der Corporal, machte eine Verbeugung und dann eine Bewegung mit der rechten Hand, womit er um Aufmerksamkeit bat.