Laurence Sterne
Tristram Shandy
Laurence Sterne

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65. Kapitel.

Tagtäglich seit wenigstens zehen Jahren nahm sich Vater vor es machen zu lassen: – es ist aber noch immer nicht gemacht, keine andere Familie hätte es nur eine Stunde lang ausgehalten: – und was das Merkwürdigste an der Sache ist, es gab nichts auf der Welt, worüber mein Vater beredter werden konnte als über Thürangeln; – und doch glaube ich, war er zu gleicher Zeit einer der größten Narren derselben, den die Geschichte aufweisen kann. Seine Rhetorik und seine Praxis lagen einander ja stets in den Haaren. – Niemals wurde die Thüre zum Wohnzimmer aufgemacht – ohne daß sie seiner Philosophie oder seinen Grundsätzen ins Gesicht schlug. – Drei Tropfen Oel an einer Feder und ein ordentlicher Streich mit dem Hammer hätten seine Ehre für ewige Zeiten gerettet.

Was für ein sich selbst widersprechendes Ding ist es doch um einen Menschen! – er stöhnt unter den Wunden, die er doch die Kraft hat zu heilen! – sein ganzes Leben steht in Widerspruch zu seinem Wissen! – seine Vernunft, jene köstliche Gabe Gottes dient nur dazu, seine Erregbarkeit noch zu schärfen (statt Oel darauf zu gießen) – seine Leiden zu vermehren und ihn dadurch noch melancholischer und schwerfälliger zu machen! – armes unglückliches Geschöpf, daß du so handeln mußt! – Gibt es nicht nothwendige Ursachen des Elends genug auf der Welt, mußt du denn dein Häufchen Jammer auch noch aus freien Stücken vermehren? – gegen Uebel kämpfen, die du vermeiden könntest, und andern unterliegen, die du mit dem zehenten Theil der Qual, die sie dir schaffen, für immer vom Herzen abschütteln könntest?

Bei allem was gut und tugendhaft ist, wenn man innerhalb zehen Meilen von Shandy Hall drei Tropfen Oel und einen Hammer bekommen kann – so soll die Thürangel im Wohnzimmer noch unter der jetzigen Regierung in Ordnung gebracht werden.

66. Kapitel.

Als Corporal Trim seine zwei Mörser hergerichtet hatte, freute er sich über die Maßen an seiner Arbeit; und da er wußte, was es seinem Herrn für ein großes Vergnügen machen würde sie zu sehen, so konnte er dem Kitzel nicht wiederstehen, sie gerade zu in das Wohnzimmer zu bringen.

Neben der moralischen Lehre, die ich im Auge hatte, als ich die Geschichte der Thürangeln erwähnte, hatte ich auch noch eine speculative Betrachtung in petto, die daraus erwuchs, nämlich: –

Wenn die Thüre zum Wohnzimmer so aufgegangen und in ihren Angeln gelaufen wäre, wie eine Thüre eigentlich soll –

Oder zum Beispiel, so geschickt wie unsere Regierung sich aus ihren Angeln gedreht hat – (das heißt, falls der geneigte Leser gut dabei gefahren ist – sonst gebe ich mein Gleichniß auf) – in diesem Falle, sage ich, hätte das Hereingucken von Corporal Trim weder für den Herrn noch für den Diener irgend eine Gefahr gehabt. Sobald er meinen Vater und meinen Onkel Toby fest schlafen sah, – hätte er sich bei seinem ganzen respektvollen Wesen mäuschenstill wieder zurückgezogen und hätte jene in ihren Armstühlen so süß fortträumen lassen, wie er sie fand. Dies war aber moralisch gesprochen, ganz unthunlich, weil die Angel schon seit vielen Jahren aus Rand und Band und unter den stündlichen Plackereien, denen sich mein Vater deshalb ausgesetzt sah, namentlich auch die war, daß er nie nach Tisch die Arme übereinander schlug, um sein Schläfchen zu machen, ohne daß der Gedanke, die erste Person, welche die Thüre öffne, werde ihn unfehlbar aufwecken, immer zuoberst in seiner Phantasie stand und sich beständig zwischen ihn und die erste balsamische Schlafregung stellte, so daß er ihm, wie er oft sagte, die ganze Ruhigkeit des Schlafes raubte.

»Wenn sich die Dinge in schlechten Angeln bewegen, kann es dann anders sein, geneigter Leser?«

Was gibt's? wer ist da? rief mein Vater, der in dem Augenblick erwachte, als die Thüre zu krächzen begann. – Wenn doch der Schlosser einmal nach der verdammten Angel sehen wollte! – Es ist nichts, Euer Gnaden, sagte Trim, ich bringe da nur zwei Mörser. – Man soll mir damit hier kein Geklapper machen, rief mein Vater hastig. Wenn Dr. Slop Arzneien zurecht zu machen hat, so soll er es in der Küche thun. – Entschuldigen, Euer Gnaden, versetzte Trim, es sind zwei Mörser für eine Belagerung im nächsten Sommer, ich habe sie aus ein Paar Kanonenstiefeln gemacht, die Euer Gnaden nicht mehr tragen, wie mir Obadiah gesagt hat. – Gott im Himmel! rief mein Vater und sprang dabei von seinem Stuhl auf. Ich habe kein Möbel, auf das ich so viel halte als auf diese Kanonenstiefel: unser Großvater hat sie getragen, Bruder Toby; – es war ein Erbstück. – Dann fürchte ich, sagte mein Onkel Toby, Trim hat sie von dem Erbgut getrennt. – Ich habe nur die Stulpen abgetrennt, Euer Gnaden, sagte Trim. – Ich hasse Perpetuitäten so sehr wie irgend einer, rief mein Vater; aber diese Reitstiefel, fuhr er fort (wobei er trotz seinem wirklichen Zorn doch lächeln mußte), sind seit den Bürgerkriegen in unserer Familie gewesen; – Sir Robert Shandy hat sie in der Schlacht bei Marston-Moor getragen. – Ich hätte sie nicht für 10 Pfund hergegeben. – Ich will dir das Geld bezahlen, Bruder Shandy, sagte mein Onkel Toby, während er die zwei Mörser mit unendlichem Vergnügen betrachtete, und mit der Hand in die Hosentasche griff, wobei sich seine Augen nicht davon abwandten, – ich zahl' dir sogleich die 10 Pfund, mit dem größten Vergnügen.

Bruder Toby, erwiderte mein Vater und änderte nun seinen Ton, du bekümmerst dich nicht darum, wie viel Geld du verschwendest und wegwirfst, wenn's nur für eine Belagerung geht. – Hab' ich nicht außer meinem Halbsold 120 Pfund jährlich? rief mein Onkel Toby. – Was will das heißen, entgegnete mein Vater schnell, wenn du 10 Pfund für ein Paar Stulpstiefel ausgibst, zwölf Guineen für deine Pontres, und halbsoviel für deine holländische Zugbrücke? Von dem Zug kleiner Bronzekanonen will ich gar nicht reden, die du letzthin bestellt hast, noch von den zwanzig andern Vorbereitungen für deine Belagerung von Messina! Glaube mir, lieber Bruder Toby, fuhr mein Vater fort und nahm ihn dabei freundlich bei der Hand, – diese militärischen Operationen übersteigen deine Kräfte; – du meinst es gut, Bruder, – aber sie stürzen dich in größere Ausgaben als du Anfangs beabsichtigt hast; – und glaube mir, Bruder Toby, sie werden dir am Ende dein ganzes Vermögen kosten und dich zum Bettler machen. – Was thut das, Bruder, erwiderte mein Onkel Toby, wenn ich nur weiß, daß es zum Besten des Landes ist?

Mein Vater mußte unwillkürlich darüber lächeln; – sein Aerger war ohnedem nie mehr als ein Aufflammen und der Eifer und die Einfalt Trims, sowie die edle (wenn auch steckenpferdliche) Auschauungsweise meines Onkels Toby söhnte ihn sofort wieder vollkommen mit ihnen aus.

Edle Seelen! – Gott segne euch und eure Mörser dazu! sagte mein Vater zu sich selbst.

67. Kapitel.

Alles ist still und ruhig, sagte mein Vater, wenigstens im Zimmer droben: – ich höre keinen Fuß gehen. – Wie ist es denn in der Küche, Trim? – Es ist keine Seele in der Küche, erwiderte Trim, indem er eine tiefe Verbeugung machte, außer Dr. Slop. – Diese Confusion! – rief mein Vater und sprang von Neuem empor – heute geht auch kein einziges Ding seinen rechten Weg! Wenn ich an Astrologie glauben würde, Bruder (was übrigens mein Vater wirklich that), so hätte ich geschworen, es müsse irgend ein rückläufiger Planet über meinem unglückseligen Hause stehen und jeden einzelnen Gegenstand von seinem richtigen Platz vertreiben. – Ich glaubte doch fest, Dr. Slop sei droben bei meiner Frau; und Sie sagten es auch. – Was hat der Mensch jetzt in der Küche zu thun! – Euer Gnaden, erwiderte Trim, er ist damit beschäftigt eine Brücke zu machen. – Das ist sehr freundlich von ihm, sagte mein Onkel Toby; – sag' Dr. Slop mein unterthäniges Compliment, Trim, und ich lasse ihm herzlich danken.

Mein Onkel Toby mißverstand natürlich die Brücke – wie mein Vater die Mörser mißverstanden hatte: – damit der Leser aber verstehe, wie mein Onkel Toby die Brücke mißverstehen konnte – muß ich wohl den Weg genau beschreiben, der ihn dahin führte; – oder um mein Gleichniß fallen zu lassen (denn nichts ist unartiger von einem Geschichtsschreiber, als wenn er sich solcher Gleichnisse bedient), – damit der Leser die Wahrscheinlichkeit dieses Irrthums von Seiten meines Onkels begreife, muß ich erst, obwol sehr gegen meinen Willen, ein Abenteuer von Trim erzählen; ich sage, sehr gegen meinen Willen, weil die Geschichte in einer Beziehung hier gar nicht an ihrem Platze ist; denn von Rechtswegen sollte sie entweder bei der Liebesgeschichte meines Onkels Toby mit der Wittwe Wadman, wobei Corporal Trim keine kleine Rolle spielte – oder aber bei seinen und meines Onkel Toby's Feldzügen auf dem Rasenplatze kommen; sie würde recht gut an die eine wie an die andere Stelle passen; – spare ich sie aber für diesen oder jenen Theil meiner Geschichte auf – so ruinire ich das Kapitel an dem ich gerade bin; – und erzähle ich sie hier – so überstürze ich die Dinge und schädige dort.

– Was wünscht der geneigte Leser, daß ich in diesem Falle thun soll?

Erzählen Sie, Herr Shandy, immer zu! – Sie sind ein Esel, Tristram, wenn Sie es thun.

O ihr Mächte! (denn Mächte seid ihr und dazu noch große Mächte) – die ihr den Sterblichen befähigt, eine hörenswerthe Geschichte zu erzählen, – die ihr ihm freundlich zeigt, wo er damit anzufangen hat – und wo er sie schließen soll – was er in dieselbe hineinbringen soll – und was er lieber außen läßt – welche Theile er im Schatten halten – und über welche er wieder Licht verbreiten soll! – Ihr, die ihr jenem großen Reiche biographischer Freibeuter vorsteht und seht, in wie viele Nöthen und Verlegenheiten eure Unterthanen stündlich gerathen – darf ich euch um Eines bitten?

Ich bitte und flehe euch an, daß ihr (falls ihr nichts Besseres für uns thun wollt) überall da, wo ein Theil eures Gebietes so gestaltet ist, daß drei verschiedene Straßen nach einem Punkte führen, wie in dem vorliegenden Falle – wenigstens aus Mitleid einen Wegweiser in die Mitte derselben stellt, der einem unsichern armen Teufel zeigt, welche derselben er einschlagen soll.

68. Kapitel.

Obwohl der Stoß, den mein Onkel Toby ein Jahr nach der Schleifung von Dünkirchen in seiner Geschichte mit der Wittwe Wadman erhielt, den Entschluß in ihm befestigt hatte, nie mehr an das schöne Geschlecht – oder was dazu gehörte – zu denken, so hatte doch Corporal Trim mit sich selbst keinen derartigen Vertrag abgeschlossen. – Im Falle meines Onkels Toby waren mehrere merkwürdige und unvorhergesehene Umstände zusammengekommen, welche ihn unmerklich dahin führten, jene schöne und starke Citadelle zu belagern. – Bei Trim dagegen war nichts auf der Welt zusammengekommen als er selbst und Brigitte in der Küche; – denn die Liebe und Verehrung, die er für seinen Herrn hegte, war so groß, und er so darauf erpicht ihn in Allem nachzuahmen was er that, daß wenn mein Onkel Toby seine Zeit und seinen Geist dazu angewendet hätte, Spitzen zu klöppeln – ich überzeugt bin, der ehrliche Corporal würde die Waffen niedergelegt haben und seinem Beispiel mit Vergnügen gefolgt sein. Als daher mein Onkel Toby sich vor der Herrin lagerte, – nahm Corporal Trim sofort Stellung vor deren Mädchen.

Nun, mein lieber Freund Garrick, den ich so viel Ursache habe zu schätzen und zu verehren – (warum oder weshalb, gehört nicht hierher) – es ist Ihrem Scharfsinn – ich appellire an ihn – wohl nicht entgangen, daß eine Menge von Schauspielschreibern und Verfassern von Schnickschnack seither nach dem Muster Trimms und meines Onkels Toby gearbeitet haben? – Ich kehre mich nicht daran, was Aristoteles oder Pacuvius oder Bossu oder Riccaboni sagen – (ich habe auch niemals einen derselben gelesen) – aber der Unterschied zwischen einem Einspänner und einem Madame-Pompadour- vis-à-vis ist gewiß nicht größer als der zwischen einer Einzelliebe und einer auf so edle Art gedoppelten, die durch ein ganzes großes Drama auf allen Vieren tanzt. – Ja mein Herr, eine einfache, einzelne dumme Geschichte dieser Art – verliert sich vollständig in 5 Acten, – das ist aber weder hier noch dort der Fall.

Nach einer Reihe von Angriffen und Zurückweisungen, die meines Onkels Toby Hauptquartier im Laufe von neun Monaten durchmachte, wovon eine höchst genaue Detailbeschreibung an dem geeigneten Orte gegeben werden soll, hielt es mein Onkel Toby, der brave Mann, für nothwendig seine Streitkräfte zurückzuziehen und die Belagerung einigermaßen ärgerlich aufzuheben.

Corporal Trim hatte, wie gesagt, keinen derartigen Handel abgeschlossen weder mit sich selbst – noch mit sonst Jemand – da es jedoch sein treues Herz nicht über sich vermochte, ein Haus zu betreten, das sein Herr mit Verdruß verlassen hatte, – so begnügte er sich damit seinen Theil der Belagerung in eine Blokade zu verwandeln; – das heißt, er hielt Andere davon fern; – denn wenn er auch niemals wieder in das Hans kam, so begegnete er doch Brigitte niemals im Dorfe ohne ihr zuzuwinken, oder zuzunicken, oder zuzulächeln, oder sie freundlich anzusehen – oder je nach Umständen ihr auch die Hand zu drücken – oder sie liebreich zu fragen, wie es ihr gehe – oder ihr auch ein Band zu schenken; – zuweilen sogar, wenn es mit Anstand geschehen konnte, gab er Brigitte einen –

So standen die Sachen etwa fünf Jahre lang, das heißt von der Schleifung Dünkirchens im Jahr Dreizehn bis ans Ende der Feldzüge meines Onkels Toby im Jahr Achtzehn, somit sechs bis sieben Wochen vor der Zeit, von der ich spreche – als Trim, wie es seine Gewohnheit war, nachdem er meinen Onkel Toby zu Bette gebracht hatte, in einer mondhellen Nacht hinunterging, um nachzusehen, ob bei der Schanze alles in Ordnung sei, – und in dem Weg, der durch blühende Büsche und Stechpalmen von dem Rasen getrennt war – seine Brigitte erspähte.

Da der Corporal der Ansicht war, es gebe auf der Welt nichts Sehenswürdigeres, als die herrlichen Werke, die er und mein Onkel Toby gemacht hatten, so nahm Trim sie artig und galant bei der Hand und führte sie hinein. Dies geschah jedoch nicht so sehr im Geheimen, daß es nicht die schmutzmäulige Trompete der Fama von Ohr zu Ohr getutet hätte, bis es endlich auch an das meines Vaters gelangte, und zwar mit dem widerwärtigen Zusatz, daß die merkwürdige auf holländische Art construirte und bemalte Zugbrücke meines Onkels Toby, die über den Graben ging, in derselben Nacht hinuntergebrochen und ganz in Stücke gegangen sei.

Wie der geneigte Leser bereits bemerkt hat, besaß mein Vater eben keine große Achtung vor dem Steckenpferd meines Onkels Toby; er hielt es für das lächerlichste Pferd, das ein Cavalier je bestiegen; er konnte nie daran denken ohne zu lächeln, außer wenn mein Onkel Toby ihn damit langweilte; – und wenn es je einmal lahm ging oder irgend ein Pech hatte, so kitzelte es meines Vaters Phantasie über die Maßen. Da jener Unfall aber mehr als irgend ein anderer, der es befallen, etwas für seinen Humor war, so wurde er eine unerschöpfliche Quelle des Vergnügens für ihn. – Schön, schön – aber lieber Toby, pflegte mein Vater zu sagen, jetzt erzähle mir einmal ernstlich, wie das Ding war, was mit der Brücke geschah. – Wie magst du mich nur soviel damit langweilen, erwiderte dann mein Onkel Toby; ich habe es dir ja schon zwanzig Mal erzählt, und Wort für Wort, wie es mir Trim berichtete. – Bitte, Corporal, wie war es nur? rief dann mein Vater und wendete sich gegen Trim. – Es war ein reines Mißgeschick, Euer Gnaden. – Ich zeigte Jungfer Brigitte unsere Schanze; und als ich dabei zu nahe an den Rand des Fossé kam, glitschte ich unglücklicherweise hinein. – Sehr gut, Trim! rief dann mein Vater (während er geheimnißvoll lächelte und nickte – ohne ihn jedoch zu unterbrechen) – und da ich dabei Arm in Arm mit Jungfer Brigitte stand, zog ich sie mir nach, wobei sie mit dem Rücken gegen die Brücke zu fallen kam – und Trim's Fuß (fiel hier in der Regel Onkel Toby ein und nahm diesem die Geschichte aus dem Munde) gerieth dabei in die Cuvette, so daß er ebenfalls mit aller Macht gegen die Brücke fiel. – Es war noch ein großes Glück, pflegte dann mein Onkel Toby hinzuzusetzen, daß der arme Bursche nicht sein Bein brach. – Ja wahrhaftig, rief dann mein Vater, – ein Bein ist unter solchen Umständen leicht gebrochen, Bruder Toby. – Und so brach die Brücke, die wie Euer Gnaden wissen sehr schwach war, unter uns zusammen und ging in tausend Stücke.

Zu anderen Zeiten, besonders aber wenn mein Onkel Toby so unglücklich war, eine Sylbe von Kanonen, Bomben oder Petarden verlauten zu lassen, – pflegte mein Vater alle Hilfsquellen seiner Beredtsamkeit (die in der That bedeutend waren) zu erschöpfen, um die Widderböcke der Alten – die Vinea, deren sich Alexander bei der Belagerung von Tyrus bediente – zu rühmen. – Er pflegte dann meinem Onkel Toby von den Katapulten der Syrer zu erzählen, welche ungeheure Steine viele hundert Fuß weit schleuderten und die stärksten Bollwerke in ihren Grundfesten erschütterten; – ging dann weiter und beschrieb den wundervollen Mechanismus der Ballista, von der Marcellinus soviel Lärm macht! – die furchtbaren Wirkungen der Pyraboli, welche Feuer schleuderten; – die Gefahr der Terebra und des Scorpio, welche Speere warfen. – Was sind diese Dinge aber, pflegte er zu sagen, gegen Corporal Trim's Zerstörungsmaschine? – Glaube mir, Bruder Toby, keine Brücke, kein Bollwerk, keine Ausfallspforte, die jemals auf dieser Welt erbaut wurde, vermag sich gegen eine solche Artillerie zu halten.

Mein Onkel Toby versuchte nie eine andere Vertheidigung gegen die Macht dieser Ironie, als daß er seinen Tabaksqualm noch einmal so stark emporblies. Bei einem solchen Anlaß machte er einmal nach dem Abendessen einen derartigen Rauch, daß mein Vater, der etwas lungenleidend war, einen heftigen Hustenanfall bekam, und fast erstickte; mein Onkel Toby sprang alsbald auf, ohne der Schmerzen an seinem Schambein zu achten – stellte sich mit unendlichem Mitleid hinter den Stuhl meines Bruders und klopfte ihm mit der Hand auf den Rücken, wobei er ihm mit der andern den Kopf hielt, und ihm von Zeit zu Zeit mit einem reinen Batistsacktuch, das er aus der Tasche zog, die Augen wischte. – Die liebevolle, gutherzige Art, wie mein Onkel Toby diese kleinen Dienste verrichtete – schnitt meinem Vater durchs Herz, es peinigte ihn, daß er ihm eben wehe gethan hatte. – Man soll mir das Gehirn mit einem Widderbock oder einem Katapult einschlagen, sagte mein Vater zu sich selbst – wenn ich diese edle Seele je wieder kränke!

69. Kapitel.

Da die Zugbrücke nicht mehr herzustellen war, so erhielt Trim sofort den Befehl, eine neue anzufertigen, – aber nicht mehr nach dem nämlichen Modell; denn da um diese Zeit die Intriguen des Cardinals Alberoni an den Tag kamen und mein Onkel Toby richtig voraus sah, daß ein Kampf zwischen Spanien und dem römischen Reich unvermeidlich sei, und daß wahrscheinlich Neapel oder Sicilien der Operationsschauplatz des künftigen Feldzugs sein werde – entschied er sich für eine italienische Brücke – (mein Onkel Toby traf beiläufig gesagt mit seinen Conjecturen so ziemlich das Richtige); – aber mein Vater, der bei weitem der bessere Politicus und im Cabinet meinem Onkel Toby ebenso weit voraus war, als dieser ihm im Feld – überzeugte ihn, daß wenn der König von Spanien und der Kaiser einander an den Ohren nehmen sollten, – England, Frankreich und Holland kraft ihrer früher eingegangenen Verbindlichkeiten gleichfalls in die Kampfbahn treten müßten. – Ist dies aber der Fall, Bruder Toby, so werden die Kämpfenden, so gewiß als wir beide leben, wieder auf dem alten Tummelplatze, in Flandern, übereinander herfallen – was willst du dann mit deiner italienischen Brücke anfangen?

So wollen wir sie also wieder nach dem alten Modell machen, rief mein Onkel Toby.

Als Corporal Trim sie in diesem Stil etwa halbfertig hatte – entdeckte mein Onkel Toby einen Hauptfehler daran, den er sich vorher nicht gehörig klar gemacht hatte. Sie drehte sich nämlich auf beiden Seiten in Angeln und öffnete sich in der Mitte, so daß die eine Hälfte auf dieser, die andere auf jener Seite des Grabens aufgezogen wurde; der Vorteil dieser Vorrichtung bestand darin, daß durch das Vertheilen des Gewichts der Brücke in zwei gleiche Theile mein Onkel Toby im Stande war, sie mit dem Ende seiner Krücke zu heben oder niederzulassen und zwar mit einer Hand, was bei der Schwäche seiner Garnison alles war, was er dazu abgeben konnte; – aber der Nachtheil dieser Construction war überwältigend; – denn auf diese Art, pflegte er zu sagen, überlasse ich die Hälfte meiner Brücke dem Feinde; – wozu nützt mir dann der andere Theil?

Die natürlichste Abhilfe wäre ohne Zweifel gewesen, wenn er seine Brücke nur an dem einen Ende mit Angeln befestigt hätte, so daß das Ganze zumal in die Höhe gehoben und senkrecht aufgestellt werden konnte, – dies wurde aber aus dem oben angegebenen Grunde verworfen.

Eine ganze Woche lang war er entschlossen eine Brücke von jener eigenthümlichen Construction zu erbauen, daß sie horizontal zurückgezogen wenden konnte, um den Uebergang zu hindern, und die dann wieder hereingezogen wurde, um den Uebergang zu ermöglichen – von dieser Art Brücken hätte der geneigte Leser in Speier vor dessen Schleifung drei sehen können – wovon sich die eine jetzt, soviel ich weiß, in Breisach befindet. – Mein Vater rieth aber meinem Onkel Toby alles Ernstes, sich nicht mehr mit Zugbrücken zu befassen – und da mein Onkel überdies voraus sah, daß dies die Erinnerung an Corporal Trim's Mißgeschick verewigen würde – so entschied er sich für die Erfindung des Marquis d'Hôpital, welche der jüngere Bernoulli so schön und gelehrt beschrieben hat, wie der geneigte Leser in Act. Erud. Lips. an. 1695 lesen kann. Bei dieser Art Brücken wird durch ein Bleigewicht ein beständiges Gleichgewicht hergestellt, und jenes hält so gut Wache wie eine Doppelschildwache, indem diese Brücke in einer Curve construirt ist, die sie einer Cykloide (Radlinie) nähert, oder wirklich eine Cykloide bildet.

Mein Onkel Toby kannte die Natur der Parabel, so gut als irgend ein Mann in England; – eine Cykloide hatte er jedoch nicht so gut los: – er sprach zwar alle Tage darüber – aber die Brücke machte darum keine Fortschritte. – Wir müssen Jemand darüber befragen, sagte mein Onkel Toby zu Trim.

70. Kapitel.

Als Trim hereinkam und meinem Vater sagte, Dr. Slop sei in der Küche und damit beschäftigt eine Brücke zu machen, – so nahm mein Onkel Toby – in dessen Gehirn die Geschichte mit den Stulpstiefeln eben eine Reihe militärischer Gedanken erweckt hatte – sofort für ausgemacht an, daß Dr. Slop ihm ein Modell der Brücke des Marquis d'Hôpital herstelle. – Das ist sehr freundlich von ihm, sagte mein Onkel Toby; – sei so gut, Trim, und mache Dr. Slop mein Compliment dafür und sag' ihm, ich lasse ihm herzlich danken.

Wäre der Kopf meines Onkels Toby ein Savoyardenkasten gewesen, und hätte mein Vater die ganze Zeit über auf der einen Seite hereingesehen – so hätte er keine genauere Kenntniß von den Operationen gewinnen können, die in meines Onkels Toby Phantasie vor sich gingen, als durch diese Aeußerung. Trotz der Katapulte und des Widderbocks und seiner bitteren Verwünschung derselben wollte er daher eben wieder triumphirend beginnen, –

Als ihm Trims Antwort in einem Nu den Lorbeer von der Schläfe riß und ihn in Stücke zerpflückte.

71. Kapitel.

Eure unglückselige Zugbrücke, begann mein Vater. – Ich bitte um Entschuldigung, Euer Gnaden, sagte Trim, es ist eine Brücke für die Nase des jungen Herrn. Wie er ihn mit seinen schlechten Instrumenten zur Welt brachte, hat er ihm, wie Susanne sagt, die Nase so platt wie einen Pfannkuchen in das Gesicht gedrückt; deshalb macht er ihm jetzt eine Brücke oder einen falschen Nasenrücken aus einem Stückchen Baumwolle und einem Fischbein aus Susannah's Corset, um die Nase wieder aufzurichten. – Führe mich gleich auf mein Zimmer, Bruder Toby, rief mein Vater.

72. Kapitel.

Von dem ersten Augenblick an, da ich mich niedersetzte, um mein Leben zur Unterhaltung der Welt und meine Meinungen zu ihrer Belehrung niederzuschreiben, hat sich allmählich eine Wolke über meinem Vater zusammengezogen. – Eine Flut von kleinen Uebeln und Widerwärtigkeiten hat sich gegen ihn in Bewegung gesetzt. Nicht ein einziges Ding ist, wie er selbst bemerkte, seinen gewiesenen Weg gegangen; und nun hat sich das Gewölk verdichtet, das Wetter ist am Losbrechen, um sich vollständig über seinem Haupte zu entladen.

Ich beginne diesen Theil meiner Geschichte in der nachdenklichsten, schwermüthigsten Gemüthsverfassung, die je über eine sympathetische Seele kam. – Meine Nerven lassen nach, während ich sie erzähle. – Bei jeder Linie, die ich schreibe, fühle ich ein Schwächerwerden meines Pulses und zugleich jener sorglosen Heiterkeit, in Folge deren jeder Tag meines Lebens mich dazu drängt, tausend Dinge zu sagen und zu schreiben, die ich eigentlich nicht erwähnen sollte: – und eben jetzt, da ich die Feder in mein Tintenfaß tauchte, konnte ich nicht umhin zu bemerken, mit welch' behutsamer Miene betrübter Fassung und Feierlichkeit ich dies that. – Gott! wie verschieden von dem raschen Ruck und wildem Gespritz, womit du, Tristram, das sonst thatest, wenn du in anderer Laune warst – wo du deine Feder hinwarfst – deine Tinte über Tisch und Bücher kleckstest – als ob deine Feder und deine Tinte, deine Bücher und deine Möbel dich nichts kosteten!

73. Kapitel.

Ich will nicht lange mit Ihnen darüber streiten: – aber es ist so; – und ich bin so sehr als möglich davon überzeugt, Madame, daß Mann wie Frau Schmerzen und Kummer (und soviel ich weiß auch ein Vergnügen) nirgends besser ertragen als in einer horizontalen Lage.

Sobald mein Vater auf sein Zimmer gelangt war, warf er sich in der denkbar wildesten Unordnung auf sein Bett, zugleich aber auch in der jammerwürdigsten Haltung des vom Kummer niedergeschmetterten Mannes, um den je ein mitleidiges Auge eine Thräne vergoß. – Während er auf das Bett fiel, faßte die rechte Hand nach der Stirne, bedeckte den größten Theil seiner Augen und sank langsam mit dem Kopf hinab (wobei der Ellbogen sich nach rückwärts bog), bis seine Nase das Polster fühlte; der linke Arm hing schlaff über das Bett herunter, wobei das Handgelenk auf den Griff des Nachttopfs zu lehnen kam, das unter dem Bettüberwurf hervorsah; – sein rechtes Bein (das linke hatte er gegen den Körper hinaufgezogen) hing halb über die Bettseite herab, wobei die scharfe Kante derselben sein Schienbein traf. – Er fühlte es nicht. Ein tiefer, unerschütterlicher Kummer lagerte sich in jeder Linie seines Gesichts. – Er seufzte einmal – seine Brust hob sich zum öftern – aber er sprach kein Wort.

Ein alter abgenähter, bordirter und ringsherum mit abgebleichten gesponnenen Troddeln eingefaßter Stuhl stand am Kopfende des Bettes, gegenüber der Seite, wo der Kopf meines Vaters lehnte. – Mein Onkel Toby setzte sich darauf.

Ehe man einen Schmerz verdaut hat, – kommt das Trösten immer zu frühe; – ist er aber überwunden, – so kommt es zu spät; hieraus ergibt sich, Madame, daß es nur eine kaum haarbreite Linie zwischen diesen beiden Zuständen gibt, wo ein Tröster wirken kann. – Mein Onkel Toby befand sich immer entweder auf der einen oder der andern Seite dieser Linie, und pflegte oft zu sagen, er glaube wahrlich, er könnte ebensogut die geographische Länge finden. Als er sich deshalb in den Stuhl setzte, zog er den Vorhang ein wenig zu – und da er stets für Jeden eine Thräne bereit hatte, – zog er ein Battistsacktuch hervor – that einen tiefen Seufzer, – blieb aber ruhig sitzen.

74. Kapitel.

»Es ist nicht Alles Profit, was in den Beutel kommt.« – Obschon mein Vater das Glück hatte, die seltsamsten Bücher auf der Welt gelesen zu haben, und überdies in sich selbst den seltsamsten Gedankengang besaß, womit je ein Mann gesegnet war, so hatte das doch auch die Schattenseite, – daß ihm manchmal daraus die seltsamsten, wunderlichsten Mißgeschicke erwuchsen; und das besondere Mißgeschick, dem er eben jetzt erlag, war das stärkste Beispiel davon.

Ohne Zweifel würde das Zerquetschen des Nasenbeins eines Kindes mittelst einer Zange – wenn dieselbe auch noch so wissenschaftlich applizirt worden – einen Jeden unangenehm berührt haben, dem schon das Zeugen eines Kindes so vielerlei Beschwerden gemacht hatte, wie dies bei meinem Vater der Fall war; – doch läßt sich daraus noch nicht das Außerordentliche seines Schmerzes erklären, noch die unchristliche Art rechtfertigen, womit er sich ihm hingab und unterlag.

Um dies zu erklären, muß ich ihn für eine halbe Stunde auf dem Bette liegen und meinen Onkel Toby in seinem alten befranzten Stuhl neben ihm sitzen lassen.

75. Kapitel.

Das halte ich für eine ganz ungerechtfertigte Forderung – rief mein Urgroßvater, band das Papier zusammen und warf es auf den Tisch. – Nach diesem Ueberschlag, Madame, besitzen Sie nur 2000 Pfund Vermögen, nicht einen Schilling mehr; – und doch verlangen Sie ein jährliches Wittwengeding von 300 Pfund.

Das kommt daher, erwiderte meine Urgroßmutter, weil Sie nur eine ganz kleine oder eigentlich gar keine Nase haben, mein Herr.

Ehe ich mich jedoch ein zweites Mal des Wortes Nase bediene, dürfte es, um jedes Mißverständniß in dem, was in diesem interessanten Theil meiner Geschichte hierüber gesagt werden soll, zu beseitigen, angezeigt sein, meine eigene Ansicht hierüber auszusprechen und möglichst genau und bestimmt festzustellen, was ich unter jenem Ausdruck verstanden haben möchte; denn ich bin der Meinung, daß es nur von der Nachlässigkeit und dem Eigensinn der Schriftsteller, welche diese Vorsichtsmaßregel verachten, und von nichts Anderem herrührt, – daß alle polemische Schriften über Göttlichkeit nicht so klar und deutlich sind wie die über einen Irrwisch oder sonst einen gesunden Theil philosophischer und naturhistorischer Forschung. Man sollte daher – wofern man nicht die Absicht hat, die Welt bis zum jüngsten Tag zu verwirren – ehe man anfängt, stets eine gute Definition von dem Schlagwort, mit dem man am meisten zu thun hat, geben und daran festhalten – es gewissermaßen wie eine Guinee in Scheidemünze umsetzen. – Wenn dies geschehen ist, – so möge der Vater der Verwirrung einen Untereinander drin machen, wenn er kann; oder in unsere oder des Lesers Kopf einen anderen Sinn hineinbringen, wenn er weiß wie?

In Büchern strengster Sittlichkeit und schärfster Logik wie dasjenige ist, an dem ich schreibe – ist eine Vernachlässigung dieser Art gar nicht zu entschuldigen; und der Himmel ist mein Zeuge, wie sich die Welt schon dafür an mir gerächt hat, daß ich soviele Gelegenheiten zu zweideutigen Auflösungen gegeben, – und mich immer so sehr auf die reine Einbildungskraft meiner Leser verlassen habe.

Hier ist ein Doppelsinn, rief Eugenius, als wir miteinander spazieren gingen, und zeigte dabei mit dem Zeigfinger der rechten Hand auf das Wort »Spalte« im 32. Kapitel dieses Buchs der Bücher, – hier steckt ein Doppelsinn, – sagte er. – Und hier sind zwei Wege, erwiderte ich, indem ich mich scharf gegen ihn kehrte, ein schmutziger und ein reiner – welchen wollen wir einschlagen? – Den reinen, natürlich! erwiderte Eugenius. – Eugenius, sagte ich zu ihm, indem ich vor ihn hintrat und ihm die Hand auf die Brust legte, – erklären – heißt mißtrauen. – So triumphirte ich über Eugenius; aber ich triumphirte über ihn wie ein Thor, wie ich immer thue. – Es ist jedoch mein Trost, daß ich kein eigensinniger bin: deshalb erkläre und bestimme ich jetzt eine Nase wie folgt: – wobei ich nur zum Voraus meine Leser, männliche wie weibliche, von welchem Alter, Temperament und Stand sie immer sein mögen, um der Liebe Gottes und ihrer eigenen Seelen willen bitte und ersuche, sich gegen die Verlockungen und Einflüsterungen des Teufels vorzusehen und nicht zu dulden, daß er durch irgend welche Kunst oder List ihnen andere Gedanken in den Kopf setze, als ich es durch meine Erklärung thue; – denn was das Wort Nase anbelangt, so erkläre ich, daß ich in diesem ganzen langen Nasenkapitel und in jedem anderen Theil meines Werks, wo das Wort Nase vorkommt, – mit diesem Wort eine Nase und nichts mehr oder weniger meine.

76. Kapitel.

Weil, sagte meine Urgroßmutter und wiederholte die Worte, – Sie eine ganz kleine oder eigentlich gar keine Nase haben, mein Herr. Tod und Verdammniß! rief mein Urgroßvater, und schlug mit der Hand auf seine Nase – sie ist nicht so klein, wie Sie thun! sie ist um einen ganzen Zoll länger als die meines Vaters. – Nun war aber meines Urgroßvaters Nase gerade so wie die Nase aller Männer, Frauen und Kinder, welche Pantagruel auf der Insel Ennasin fand. – Wenn der geneigte Leser den seltsamen Weg kennen lernen will, wie man unter einem so flachnasigen Volke einen Schwager bekommen kann, so muß er eben das Buch lesen; – er selbst wird niemals darauf kommen.Siehe Rabelais, livre IV. chap. 9.

Sie hat eine Form wie das Kreuzaß, mein Herr.

Um einen ganzen Zoll, fuhr mein Urgroßvater fort, indem er mit Daumen und Zeigefinger auf den Rücken seiner Nase drückte und seine Behauptung wiederholte – um einen ganzen Zoll ist sie länger als die meines Vaters, Madame.

Sie müssen die ihres Onkels meinen, erwidert meine Urgroßmutter.

Mein Urgroßvater war überzeugt. – Er band das Papier wieder auf, und unterschrieb den Artikel.

77. Kapitel.

Was zahlen wir da für ein unverantwortlich großes Wittwengeding von unserem kleinen Vermögen, mein Lieber? sagte meine Großmutter zu meinem Großvater.

Mein Vater, versetzte mein Großvater, hatte nicht mehr Nase, meine Liebe, als ich auf dem Rücken meiner Hand, – sie war nur markirt.

Nun muß der geneigte Leser wissen, daß meine Urgroßmutter meinen Urgroßvater um 12 Jahre überlebte, so daß mein Großvater diese ganze Zeit über das Witthum mit 150 Pfund halbjährlich – an Michaelis und Mariä Verkündigung – zu bezahlen hatte.

Niemand erledigte Geldverbindlichkeiten auf eine liebenswürdigere Art als mein Großvater; – und bis zu 100 Pfund pflegte er das Geld Guinee für Guinee mit jenem geistreichen Ruck ehrlicher Willfährigkeit auf den Tisch zu werfen, wie noble Seelen, aber nur noble Seelen zu thun im Stande sind; sobald er aber an die weiteren 50 kam – ließ er in der Regel ein lautes Hem! hören, rieb sich die Nase mit dem flachen Theil des Zeigefingers, – schob die Hand vorsichtig zwischen Kopf und Perrückennetz – betrachtete jede Guinee auf beiden Seiten, ehe er sich von ihr trennte – und kam selten bis an das Ende der 50 Pfund, ohne daß er das Taschentuch zog und sich die Schläfe wischte.

Gütiger Himmel! schütze mich vor jenen Quälgeistern, welche keine Nachsicht mit solchen inneren Regungen haben. – Laß mich niemals – niemals in dem gleichen Zelte mit denen liegen, welche beständig den Bogen spannen, und kein Gefühl für die Macht der Erziehung und vorgefaßter von den Vorfahren ererbter Meinungen haben!

Seit wenigstens drei Generationen hatte dieser Satz zu Gunsten langer Nasen allmählich Wurzel in unserer Familie gefaßt. – Die Tradition stand ihm zur Seite, und das Interesse war alle Halbjahr dazu getreten, um ihn zu verstärken; so daß man diese Anschauung keineswegs allein auf Rechnung des wunderlichen Geistes meines Vaters setzen konnte, wie dies fast bei allen seinen andern seltsamen Ansichten der Fall war; – ja man durfte in hohem Maße behaupten, er habe jene mit der Muttermilch eingesogen. Gleichwol that er das Seinige dazu. – Wenn Erziehung diese Schrulle (falls es eine war) pflanzte, so bewässerte mein Vater sie und brachte sie zur Reife.

Oft, wenn er seine Gedanken über diesen Gegenstand aussprach, sagte er, er könnte nicht begreifen, wie die größte Familie in England eine ununterbrochene Folge von 6 bis 7 kurzer Nasen durchmachen könnte. – Und aus dem entgegengesetzten Grunde pflegte er in der Regel hinzuzusetzen, müßte es eines der größten Probleme im bürgerlichen Leben sein, ob nicht die gleiche Zahl langer und schöner Nasen, die in directer Linie aufeinander folgten, eine solche Familie zu den höchsten Ehrenstellen des Landes emporheben würde. – Er rühmte sich dabei oft, daß die Familie Shandy zu den Zeiten des Königs Heinrich VIII. eine sehr hohe Stellung eingenommen, dies aber keiner Staatskunst verdankt habe, – sondern lediglich diesem Umstand; – wie bei mancher anderen Familie aber – pflegte er hinzuzusetzen – habe sich auch hier das Rad gedreht und die Familie sich nie mehr von dem Schlage erholt, den ihr die Nase meines Urgroßvaters beigebracht. – Es war wahrhaftig ein Kreuzaß, pflegte er zu sagen und den Kopf zu schütteln; – und ein so niederträchtiges, als je eines für eine unglückliche Familie Trumf wurde.

Schöne, sanfte, edle Leserin! – wohin verirrt sich deine Phantasie! – So wahr der Mensch ein Geschöpf der Wahrheit ist, ich verstehe unter der Nase meines Urgroßvaters das äußere Organ des Riechens, oder jenen Theil des menschlichen Körpers, der ihm im Gesicht steht – und der, wie Maler behaupten, bei guten schönen Nasen und wohlproportionirten Gesichtern ein volles Drittel desselben beträgt; – vom Anwuchs des Haares an nach abwärts gemessen.

– Was hat doch ein Schriftsteller nicht Alles durchzumachen!


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