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Bei all' dieser Nasengelehrsamkeit, die beständig meinem Vater durch den Kopf ging – bei so vielen Familienvorurtheilen, – und zehn Dekaden solcher Erzählungen, die immer neben her liefen, – wie war es da möglich, daß bei einem so feinen – aber war es denn eine ächte Nase? – daß ein Mann von so seinem Gefühl wie mein Vater jenen Schlag im unteren Zimmer überhaupt, – und im oberen Zimmer in einer anderen Lage als in der oben beschriebenen durchmachen konnte?
Werfen Sie sich immerhin ein Dutzend Mal auf das Bett, – aber tragen Sie dabei Sorge, erst vorher einen Spiegel auf einen Stuhl daneben zu stellen. – Aber war denn die Nase des Fremdlings eine ächte oder eine falsche?
Wenn ich Ihnen dies jetzt schon sagen würde, Madame, so würde ich damit eine der schönsten Erzählungen in der Christenheit schwer schädigen; nämlich die zehnte in der zehnten Dekade, die unmittelbar darauf folgt.
Diese Erzählung, rief Slawkenbergius etwas triumphirend aus, ist von mir aufgespart worden, um als Schlußerzählung meines ganzen Werkes zu figuriren; denn ich weiß recht gut, daß wenn ich sie erzählt habe und wenn mein Leser ihr bis zum Schlusse gefolgt ist, – es für uns beide hohe Zeit sein wird das Buch zuzumachen; denn ich wüßte in der That nicht, fährt Slawkenbergius fort, welche Erzählung auf diese noch folgen könnte.
– Es ist dies in der That eine Erzählung –!
Sie beginnt mit der ersten Zusammenkunft in dem Gasthof in Lyon, da wo Fernandez den artigen Fremdling und seine Schwester Julia allein auf deren Zimmer läßt, und trägt die Ueberschrift:
Die Verwickelungen
des
Diego und der Julia.
Himmel! was für ein sonderbarer Mensch bist du, Slawkenbergius! welch' eine eigenthümliche Anschauung von den Verwickelungen innerhalb des weiblichen Herzens hast du uns eröffnet! wie kann dies jemals übersetzt werden! und doch wenn dieses Muster der Erzählungen des Slawkenbergius und die Vorzüglichkeit seiner Moral der Welt gefallen sollte, – so sollen ein Paar Bände davon übersetzt werden. – Im Uebrigen habe ich allerdings nicht die entfernteste Idee davon, wie dieselben jemals in einer modernen Sprache wiedergegeben werden könnten. – An einigen Stellen scheint es, als ob ein sechster Sinn nöthig wäre, um es gehörig thun zu können. Was kann er unter dem züngelnden Geäugel eines schlaffen, leisen, lechzenden Geplauders, fünf Töne unter dem natürlichen Laute verstehen, – was, wie Sie wissen, Madame, wenig mehr als ein Geflüster ist? In dem Augenblick, da ich die Worte aussprach, konnte ich den Versuch zu einer Vibrirung der Saiten in der Herzgegend bemerken – das Gehirn ging nicht darauf ein. – Es besteht oft kein gutes Einvernehmen zwischen beiden. – Es war mir, als verstehe ich es. – Ich hatte keine Ideen. – Die Bewegung konnte doch nicht ohne ihre Ursache sein. – Aber ich bin hier überfragt. – Ich vermag nichts daraus zu machen, außer etwa, wenn der geneigte Leser erlaubt, daß die Stimme, die in diesem Falle wenig mehr als ein Geflüster ist, die Augen unabweisbar zwinge sich einander nicht nur bis auf sechs Zoll zu nähern – sondern sich in die Augäpfel zu schauen. – Kann das nicht gefährlich werden? Aber es ist nicht zu vermeiden: – denn sieht man an die Decke, so müssen sich beide Kinne nothwendig begegnen; – und sieht man sich gegenseitig in den Schooß, so berühren sich die Stirnen, und die Unterhaltung nimmt sofort ein Ende, – ich meine den empfindsamen Theil derselben. – Was dann noch übrig bleibt, Madame, ist nicht werth, daß man sich deshalb länger aufhält.
Mein Vater lag anderthalb Stunden lang über das Bett hingestreckt, als ob die Hand des Todes ihn niedergeworfen hätte; dann begann er mit der großen Zehe des Fußes, der über das Bette herabhing, auf dem Boden zu spielen. Meinem Onkel Toby wurde bei diesem Anblick das Herz um ein gutes Pfund leichter. – Nach einigen Minuten kam auch die linke Hand, deren Knöchel die ganze Zeit über auf dem Henkel des Nachtgeschirrs geruht hatte, wieder zum Gefühl; – er schob letzteres etwas mehr unter das Bett; – streckte dann die Hand in den Busen – und ließ ein Hem! hören. Mein guter Onkel Toby gab ihm mit innigster Freude Antwort darauf; er würde jetzt in die eröffnete Lücke gar zu gerne eine tröstliche Bemerkung eingegossen haben; allein da er hiefür, wie bereits erwähnt, kein Talent hatte und überdies fürchtete, er möchte etwas vorbringen, was das Uebel ärger machte, so begnügte er sich damit, sein Kinn sanft auf dem Griff seiner Krücke ruhen zu lassen.
Nun ist aber nicht schwer zu entscheiden, ob dieser Druck das Gesicht meines Onkels Toby zu einem freundlicheren Oval verkürzte, – oder ob sein menschenfreundliches Herz, als er seinen Bruder allmählich aus jenem Meer der Trübsal emportauchen sah, seine Muskeln angespannt hatte, – so daß der Druck auf sein Kinn das Wohlwollen, welches schon vorher darin lag, nur verdoppelte. – Als mein Vater den Kopf nach ihm drehte, traf ihn ein solcher Sonnenstrahl, daß die Starrheit seines Kummers im Nu daran schmolz.
Er brach das Stillschweigen mit folgenden Worten:
Bruder Toby, rief mein Vater, indem er sich auf seinem Ellbogen erhob und sich nach der entgegengesetzten Seite des Bettes herumdrehte, wo mein Onkel Toby auf seinem alten befranzten Stuhle mit dem Kinn auf der Krücke saß, – Bruder Toby, rief er, hat je ein armer unglücklicher Mann so viele Hiebe erhalten? – Die meisten, die ich austheilen sah, erwiderte mein Onkel Toby und zog dabei die Glocke am oberen Ende des Bettes, damit Trim kommen möchte – erhielt ein Grenadier, soviel ich mich erinnere, von Mackay's Regiment.
Wenn mein Onkel Toby meinem Vater eine Kugel durchs Herz geschossen hätte, hätte er nicht jäher mit der Nase auf die Decke fallen können.
Herr, du meine Güte! sagte mein Onkel Toby.
War es nicht bei Mackay's Regiment, fragte mein Onkel Toby, daß der arme Grenadier wegen der Dukaten so unbarmherzig in Brügge gepeitscht wurde? – O Jesus! rief Trim mit einem tiefen Seufzer, und er war erst noch unschuldig, und wurde fast zu Tode gepeitscht, halten zu Gnaden! Es wäre besser für ihn gewesen, sie hätten ihn gleich todt geschossen, wie er bat, und er wäre gerades Weges in den Himmel gekommen, denn er war so unschuldig wie Euer Gnaden. – Ich danke dir, Trim, sagte mein Onkel Toby. – Ich denke nie an sein und meines armen Bruder Toms Unglück, fuhr Trim fort, denn wir waren alle drei Schulkameraden, ohne, daß ich heule wie ein Feigling. – Thränen sind kein Beweis von Feigheit, Trim; – ich vergieße selbst bisweilen welche, versetzte mein Onkel Toby. – Das weiß ich, Euer Gnaden, erwiderte Trim, und deshalb schäme ich mich auch ihrer nicht. – Aber denken zu müssen, Euer Gnaden, fuhr Trim fort und eine Thräne stahl sich ihm dabei in den Augenwinkel, – denken zu müssen daß zwei brave Burschen mit so warmen Herzen im Leibe und so ehrlich, wie Gott einen nur erschaffen kann, die Kinder ehrlicher Leute, – die so froh und muthig in die Welt gingen um drin ihr Glück zu machen, – daß sie so übel fahren mußten! – daß der arme Tom wegen eines Nichts – weil er eine Judenwittwe, die Würste verkaufte, geheirathet hatte, – auf die Folter gespannt wurde! – daß dem ehrlichen Dick Johnson wegen der Dukaten, die ein Anderer in seinen Tornister geschoben hatte, die Seele aus dem Leibe gepeitscht wurde! – O! das sind Schicksale, rief Trim und zog sein Taschentuch heraus – das sind Schicksale, Euer Gnaden, wegen der man sich wohl nieder werfen und laut schreien dürfte.
Mein Vater wurde unwillkürlich roth.
Es sollte mir leid thun, Trim, sagte mein Onkel Toby, wenn du je dein eigenes Geschick beklagen müßtest; – du fühlst so zart für Andere. – Ach Gott! erwiderte der Corporal und sein Gesicht hellte sich auf, Euer Gnaden wissen ja, ich habe weder Weib noch Kind; – ich kann ja keinen Kummer auf der Welt haben. – Mein Vater mußte unwillkürlich lächeln. – Ja, ja, Trim, so wenig als irgendeiner, versetzte mein Onkel Toby; ich könnte auch gar nicht begreifen, wie ein Mensch von deinem leichten Herzen zu einem Leiden kommen sollte, außer, wenn in deinem hohen Alter die Noth der Armuth über dich käme, wenn du keinen Dienst mehr leisten kannst, Trim, – und deine Freunde todt sind. – O fürchten das Euer Gnaden nicht, entgegnen Trim heiter. – Ich möchte aber, daß du nichts zu fürchten hättest, Trim, erwiderte mein Onkel Toby; und deshalb, fuhr mein Onkel Toby fort, warf die Krücke weg und stellte sich auf seine eigenen Beine, als er das Wort »deshalb« aussprach, – sollst du, Trim, als Belohnung für deine vieljährige Treue gegen mich und für die Herzensgüte, von der ich so viele Beweise hatte, – solang dein Herr noch einen Schilling hat, – Niemand auch nur um einen Pfennig ansprechen, Trim. – Trim versuchte meinem Onkel Toby zu danken; – er vermochte es aber nicht, – die Thränen flossen ihm so schnell die Wange herab, daß er nicht damit fertig wurde sie abzuwischen. – Er legte die Hände auf sein Herz, – machte eine Verbeugung bis auf den Boden hinab, – und schloß die Thüre.
Ich habe Trim meinen Schanzplatz vermacht, sagte mein Onkel Toby. – Mein Vater lächelte. – Und außerdem habe ich ihm eine Pension ausgesetzt, fuhr mein Onkel Toby fort. – Mein Vater wurde ernsthaft.
Ist das jetzt eine passende Zeit, um von Pensionen und Grenadieren zu sprechen? sagte mein Vater zu sich selbst.
Als mein Onkel Toby zuerst des Grenadiers erwähnte, fiel mein Vater wie gesagt mit der Nase flach auf die Decke und zwar so jählings, wie wenn mein Onkel Toby ihn niedergeschossen hätte. Ich habe jedoch nicht beigefügt. daß auch jedes andere Glied meines Vaters gerade wie die Nase genau wieder dieselbe Stellung annahm, in der er zuerst dalag; so daß, als Corporal Trim das Zimmer verlassen hatte und mein Vater sich geneigt fühlte, sich vom Bett zu erheben, – er all' die kleinen vorbereitenden Bewegungen wieder durchmachen mußte, ehe er es vermochte. – Stellungen an sich bedeuten nichts, Madame! – aber der Uebergang von einer Stellung zur anderen, – wie die Vorbereitung und Auflösung der Mißstimmung in Harmonie, bedeutet Alles.
Deshalb führte mein Vater wieder dasselbe Zwischenspiel mit der großen Zehe auf dem Boden auf, – stieß den Nachttopf noch etwas weiter von der Bettkante zurück, – ließ ein Hem! ertönen, – erhob sich auf dem Ellbogen und war eben im Begriff sich an meinen Onkel Toby zu wenden, – als er sich erinnerte, wie wirkungslos seine erste Anstrengung in dieser Stellung gewesen war. Er stand deshalb vollends auf, ging drei Mal im Zimmer auf und ab und blieb dann scharf vor meinem Onkel Toby stehen. Hierauf legte er die drei ersten Finger seiner rechten Hand in die geöffnete Linke, bückte sich ein wenig vor und sprach dann also zu meinem Onkel Toby:
Wenn ich über den Menschen nachdenke, Bruder Toby, und jene dunkle Seite von ihm betrachte, welche sein Leben darstellt, wie es so vielen Ursachen der Wirrsal Preis gegeben ist; – wenn ich bedenke, Bruder Toby, wie oft wir das Brod der Betrübniß essen, und daß wir hiefür geboren sind, als einem Theil unserer Erbschaft – Ich war zu nichts als zu meiner Offiziersstelle geboren, unterbrach mein Onkel Toby meinen Vater. – Ei daß dich! sagte mein Vater, hinterließ dir nicht mein Onkel 120 Pfund jährlich? – Was hätte ich ohne sie anfangen können? fragte mein Onkel Toby. – Das ist eine andere Frage, sagte mein Vater trocken; aber ich sage dir, Toby, wenn man die Liste all' der Querstriche und traurigen Hems überblickt, womit das menschliche Herz belastet ist, so muß man sich nur wundern, vermöge welcher verborgenen Hilfsmittel das Gemüth im Stande ist, Alles das auszuhalten und mit all den Lasten, die ihm unsere Natur auferlegt, so fertig zu werden, wie es wirklich thut. – Das geschieht eben unter dem Beistand des allmächtigen Gottes, sagte mein Onkel Toby, indem er zum Himmel empor schaute und die flachen Hände gegen einander preßte, – aus unserer eigenen Stärke vermögen wir das nicht, Bruder Shandy; – ebensogut könnte es eine Schildwache in einem hölzernen Schilderhause mit einer Abtheilung von 50 Mann aufzunehmen wagen. – Die Gnade und der Beistand des Besten aller Wesen hält uns aufrecht.
Das heißt den Knoten zerhauen, statt ihn aufzulösen, erwiderte mein Vater. – Aber erlaube, Bruder Toby, daß ich dich etwas tiefer in das Geheimniß einführe.
Herzlich gern, erwiderte mein Onkel Toby.
Mein Vater tauschte sofort die Stellung, die er eingenommen hatte, mit derjenigen, in welcher Rafael den Socrates in seiner Schule von Athen so schön gemalt hat; der geneigte Leser weiß, daß diese so geistreich erfunden ist, daß sogar die besondere Art und Weise, wie Socrates zu raisonniren pflegte, dadurch ausgedrückt wird; – denn er hält den Zeigfinger seiner linken Hand zwischen dem Zeigfinger und Daumen der Rechten; gerade als ob er zu dem Wüstling, dem er ins Gewissen redet, sagen wollte: Ihr gebt mir dies – und dies zu; um das und das frage ich euch gar nicht – das folgt ganz von selbst daraus.
So stand mein Vater da, hielt den einen Zeigefinger fest zwischen dem Daumen und dem anderen Zeigefinger, und raisonnirte mit meinem Onkel Toby, der noch immer auf dem alten befranzten Stuhle saß, welcher mit abgebleichten gesponnenen Troddeln besetzt war. – O Garrick! – welch' eine reiche Scene würde dein gewaltiges Talent daraus machen und wie gerne würde ich sie beschreiben, um mich deiner Unsterblichkeit zu bedienen und meine eigene dadurch zu sichern!
Obschon der Mensch das merkwürdigste aller Fuhrwerke ist, sagte mein Vater, so ist er doch zugleich von einem so schwachen Gestell und so lotterig zusammengesetzt, daß die jähen Stöße und schweren Puffe, die er auf seinem holperigen Gange unvermeidlich durchmachen muß, ihn alle Tage ein Dutzend Mal umwerfen und in Stücke brechen würden, – wenn es nicht eine geheime Federkraft in uns gäbe, Bruder Toby. – Und diese Federkraft, sagte mein Onkel Toby, ist nichts Anderes als die Religion. – Kann die meinem Kind wieder eine Nase einsetzen? fragte mein Vater, ließ die Finger los und schlug mit der einen Hand gegen die andere. – Sie machte Alles vor uns gerade und eben, antwortete mein Onkel Toby. – Figürlich gesprochen, lieber Toby, mag dies der Fall sein, soviel ich weiß, versetzte mein Vater; die Feder aber, von der ich spreche, ist die große und elastische Kraft in uns, welche dem Unheil die Waage hält; die wie die geheime Feder in einem gutgemachten Wagen den Stoß zwar nicht abwenden – aber wenigstens unser Gefühl darüber täuschen kann.
Nun siehst du, mein lieber Bruder, sagte mein Vater und erhob seinen Zeigefinger wieder in die vorige Lage, da er jetzt dem Punkte näher kam, – wäre mein Kind richtig zur Welt gekommen und nicht an seinem kostbarsten Theile verstümmelt worden, so ist der Himmel mein Zeuge, daß ich, – so sonderbar und wunderlich ich der Welt wegen meiner Ansicht über Taufnamen und jenen magischen Stempel, den gute oder schlimme Namen unserem Charakter und Benehmen einprägen, erscheinen mag – gleichwol in meinen höchsten Wünschen für das Glück meines Kindes niemals sein Haupt mit mehr Ruhm und Ehre zu krönen gewünscht hätte, als die Namen George oder Edward darüber hätten ausstreuen können.
Aber ach! fuhr mein Vater fort, jetzt, da ihm das größte Uebel zugestoßen ist – muß es nothwendig durch das größte Gut ausgeglichen und beseitigt werden.
Er soll den Namen Trismegistus erhalten, Bruder.
Ich wünsche von Herzen, daß das helfen möge, erwiderte mein Onkel Toby und stand auf.
Welch' eine Reihe von Zufällen, sprach mein Vater und drehte sich auf dem ersten Treppenabsatz um, während er mit meinem Onkel Toby wieder hinunterging, – welch' eine lange Reihe von Zufällen breiten die Ereignisse dieser Welt vor uns aus. Nimm einmal Tinte und Feder zur Hand, Bruder Toby, und berechne sie genau. – Ich verstehe vom Rechnen so wenig wie dies Geländer, sagte mein Onkel Toby und schlug mit seiner Krücke daran, wobei er aber auch meinem Vater einen heftigen Streich auf das Schienbein versetzte. – Es war hundert gegen eins, rief mein Onkel Toby. – Ich glaubte, sagte mein Vater und rieb sein Schienbein, du verstehest nichts vom Rechnen, Bruder Toby. – Es war reiner Zufall, sagte mein Onkel Toby. – Dann ist es einer mehr in jener langen Reihe, versetzte mein Vater.
Der doppelte Erfolg, den mein Vater mit seinen Antworten hatte, nahm alsbald den Schmerz am Schienbein weg: – es war gut, daß dies geschah – (wieder ein Zufall!) – denn sonst würde die Welt den Gegenstand niemals erfahren haben, mit dem mein Vater rechnete; – ihn zu errathen, war keinerlei Hoffnung da. – Welch' ein glückliches Kapitel von Zufällen ist dies geworden! es erspart mir die Mühe ein besonderes Kapitel hierüber zu schreiben, da ich doch wahrhaftig Arbeit genug ohne das vor mir habe. – Habe ich nicht der Welt ein Kapitel über Knoten versprochen? ferner zwei Kapitel über das richtige und falsche Ende eines Weibes? ein Kapitel über Bärte? ein Kapitel über Wünsche? – ein Kapitel über Nasen – Nein, damit wäre ich fertig; – ein Kapitel über die Züchtigkeit meines Onkels Toby, und dann noch ein Kapitel über Kapitel, das ich beenden will, ehe ich schlafen gehe. – Beim Backenbart meines Großvaters, ich werde in diesem Jahre nicht mit der Hälfte davon fertig.
Nimm Tinte und Feder zur Hand, Bruder Toby, und rechne es genau aus, sagte mein Vater; und du wirst finden, es war wie eine Million gegen Eins, daß die scharfe Kante der Zange von allen Teilen des Körpers unglückseligerweise gerade auf denjenigen fallen und ihn zertrümmern würde, in dem zugleich das Glück unseres Hauses zertrümmert werden konnte
Es hätte noch schlimmer gehen können, erwiderte mein Onkel Toby. – Das verstehe ich nicht, sagte mein Vater. – Nimm nur einmal an, die Hüfte hätte sich vorgeschoben, wie Dr. Slop vermuthete, versetzte mein Onkel Toby.
Mein Vater dachte eine halbe Minute nach; – dann blickte er zu Boden und berührte die Mitte seiner Stirne leicht mit dem Finger.
Du hast Recht, sagte er.
Ist es nicht eine Schande, daß ich von etwas, was beim Herabsteigen von ein Paar Treppen passirte, zwei Kapitel mache? Denn wir sind erst beim ersten Absatz angelangt und es sind noch 15 Stufen bis herab; und da mein Vater und mein Onkel Toby offenbar in einer Schwatzlaune sind, so kann es noch soviel Kapitel geben als Stufen. Dem mag nun sein wie ihm wolle, ich kann es ebenso wenig abwenden, lieber Leser, als mein Schicksal. – Da kommt mir eine plötzliche Eingebung: – laß den Vorhang fallen, Shandy: – ich lasse ihn fallen. – Ziehe eine Linie hier quer über das Papier, Tristram: – ich ziehe die Linie – heisa! ein neues Kapitel.
Ich habe mich bei dieser Sache den Henker um andere Verordnungen zu kümmern; – und wenn ich es hätte – wie bei mir Alles außer der Ordnung geht – so würde ich die Verordnung zerknittern, in Fetzen reißen und ins Feuer werfen. – Bin ich etwa hitzig? Ja ich bin es und habe auch alle Ursache dazu; – ein hübsches Geschichtchen! hat denn der Mensch Verordnungen zu folgen – und nicht vielmehr die Verordnung dem Menschen?
Nun müssen Sie wissen, daß das da mein Kapitel über Kapitel gibt, welches ich noch vor Schlafengehen zu schreiben versprochen habe, und daß ich es für passend erachtet habe, mein Gewissen vollständig zu erleichtern, ehe ich mich niederlege, indem ich der Welt auf einmal Alles erzähle, was ich von der Sache weiß. Ist dies nicht zehn Mal besser als dogmatisch mit einer sentenziösen Auskramung von Weisheit zu beginnen und der Welt die Geschichte von einem gebratenen Pferde zu erzählen? Neue Kapitel erheben den Geist, – sie unterstützen die Einbildungskraft – oder täuschen sie wenigstens – und sind in einem so dramatisch angelegten Werk wie dieses ist, so nothwendig wie die Verwandlung der Scenen, – nebst 50 andern kalten Gedanken, welche genügen um das Feuer zu löschen, woran jenes gebraten wurde! – O um dies zu verstehen, was ein Windstoß beim Brand des Dianentempels ist, – müssen Sie Longinus lesen: – lesen Sie immer zu: – wenn Sie beim ersten Durchlesen nicht um ein Jota klüger werden, – lassen Sie es sich nicht anfechten – lesen Sie ihn nochmals. – Avicenna und Licetus lasen die Metaphysik des Aristoteles 40 Mal durch und verstanden niemals ein einziges Wort! – Aber hören Sie die Folgen: – Avicenna wurde ein wüthender Schreiber von allen Arten von Schriften; – denn er schrieb Bücher de omni scribili und was den Licetus (Fortunio) betrifft, so wuchs er – obschon Jedermann weiß, daß er als ein FötusCe fötus n'était pas plus grand que la peaume de la main; mais son père l'ayant examiné en qualité de médecin, et ayant trouvé que c'était quelque chose de plus qu'un embryon, le fit transporter tout vivant à Rapallo, où il le fit voir à Jérôme Bardi et à dautres médecins du lieu. On trouva qu'il ne lui manquait rien d'essentiel à la vie: et son père pour faire voir un essai de son expérience, entreprit d'achever l'ouvrage de la nature, et de travailler à la formation de l'enfant avec le même artifice que celui dont on se sert pour faire éclorer les poulets en Egypte. Il instruisit une nourisse de tout ce qu'elle avait à faire, et ayant fait mettre son fils dans un jour proprement accommodé, il réussit à l'élever et à lui faire prendre ses accroissements nécessaires, par l'uniformité d'une chaleur étrangère mesurée exactement sur les dégrés d'un thermomètre ou d'un autre instrument équivalent. (Vide Mich. Giustinian, ne gli Scritt. Liguri à Cart. 223. 448).
On aurait toujours été très satisfait de l'industrie d'un père si expérimenté dans l'art de la génération, quand il n'aurait pu prolonger la vie à son fils que pour quelques mois ou pour peu d'années. Mais quand on se représente que l'enfant a vécu près de quatrevingts ans, et qu'il a composé quatrevingts ouvrages différentes, tous fruits d'une longue lecture – il faut convenir que tout ce qui est incroyable n'est pas toujours du côté de la Vérité.
So viel von meinem Kapitel über Kapitel, welches ich für das beste Kapitel in meinem ganzen Werke halte; und ich gebe mein Wort, daß wer es liest, seine Zeit gerade so gut anwendet, als wenn er Stroh hackte.
Wir werden die Sachen schon noch in Ordnung bringen, sagte mein Vater, indem er den Fuß vom Treppenabsatz auf die erste Stufe weiter abwärts stellte. – Dieser Trismegistus, fuhr mein Vater fort, zog sein Bein wieder zurück und wendete sich gegen meinen Onkel Toby, – war das größte aller irdischen Wesen, Toby; – er war der größte König, – der größte Gesetzgeber, – der größte Philosoph, – und der größte Priester; – und Ingenieur, sagte mein Onkel Toby.
Und wie geht es deiner Herrin? rief mein Vater, während er den nämlichen Schritt vom Treppenabsatz aus nochmals herab machte, er hatte es Susanna zugerufen, die er unten an der Treppe mit einem ungeheuern Nadelkissen in der Hand vorbeigehen sah. – Wie geht es deiner Herrin? – So gut als man unter den Umständen erwarten kann, erwiderte Susanna und trippelte ohne aufzuschauen weiter. – Was für ein Esel bin ich doch, sagte mein Vater und zog das Bein abermals wieder zurück, – es mag ja gehen wie es will, man bekommt ja doch immer die nämliche Antwort. – Und wie geht es dem Kind? – Keine Antwort. – Und wo ist Dr. Slop? setzte mein Vater mit gehobener Stimme hinzu und blickte über das Geländer. – Aber Susanna war schon so weit, daß sie nichts mehr hörte. Von allen Räthseln im ehelichen Leben, sprach mein Vater, schritt über den Treppenabsatz und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand, während er meinem Onkel Toby vordemonstrirte – von all den wunderlichen Räthseln im Ehestand, sprach er – und ich sage dir, Bruder Toby, es gibt deren mehr Eselslasten als alle Esel Hiobs hätten tragen können, – ist doch keines merkwürdiger als das: – daß von dem Augenblick an, wo die Frau in die Wochen kommt, jedes weibliche Wesen im Hause von der Kammerjungfer an bis zum Küchenpudel herab um einen Zoll größer wird, und sich mit diesem einen Zoll ein größeres Ansehen gibt, als mit allen ihren übrigen Zöllen zusammen.
Ich glaube vielmehr, erwiderte mein Onkel Toby, daß wir um einen Zoll kleiner werden. – Mir wenigstens geht es so, wenn ich nur einer Frau begegne, die in der Hoffnung ist. – Es ist das doch eine schwere Last, welche dieser Hälfte unserer Mitgeschöpfe auferlegt ist, Bruder Shandy, sagte mein Onkel Toby. – Es ist eine mitleiderregende Bürde für sie, fuhr er kopfschüttelnd fort. – Ja, ja, es ist eine peinliche Sache, versetzte mein Vater und schüttelte gleichfalls den Kopf: – aber seitdem man Köpfe schüttelte, sind gewiß nie zwei Köpfe zu gleicher Zeit aus so verschiedenen gründen geschüttelt worden.
{Gott segne / Der Teufel hole} sie Alle, sagte mein Onkel Toby und mein Vater, ein Jeder für sich.
Heda! – Sänftenträger! – Hier ist ein Sechspencestück: – geht mir doch zu dem Buchhändler dort und holt mir einen unserer großen Kritiker. Ich will ihm gerne eine Krone geben, wenn er mir mit seinem Handwerkzeug helfen will, meinen Vater und meinen Onkel Toby von der Treppe weg und ins Bett zu bringen.
Es ist aber auch hohe Zeit; denn außer dem kurzen Schlummer, den sie genossen, während Trim die Stulpstiefel anbohrte, – und der noch dazu meinem Vater wegen der Thürangel gar nicht gut bekam, – haben sie ihre Augen schon seit neun Stunden von dem Augenblick, da Obadiah den Dr. Slop in jenem schmutzigen Aufzug in das hintere Zimmer brachte, nicht geschlossen.
Wäre jeder Tag meines Lebens so voll Geschäfte, wie dieser, – und nähme er – doch still!
Ich will diesen Satz nicht schließen, ohne vorher eine Bemerkung über das eigenthümliche Verhältniß des Lesers zu mir während des gegenwärtigen Standes der Dinge zu machen, – eine Bemerkung, die seit Erschaffung der Welt auf keinen Biographen anwendbar war als auf mich: – die, wie ich glaube, auch auf keinen andern mehr bis zu ihrem schließlichen Untergange anwendbar sein wird; – und die deshalb schon wegen ihrer Neuheit der Aufmerksamkeit des Lesers würdig sein dürfte.
Ich bin in diesem Monat um ein ganzes Jahr älter, als ich heute vor zwölf Monaten war; und da ich in dieser Zeit, wie Sie bemerken werden, fast bis in die Mitte meines dritten BandesNach der 1. Auflage gerechnet. gekommen bin, – und es doch nicht weiter gebracht habe als bis zu meinem ersten Lebenstage, so folgt daraus klar, daß ich jetzt 364 Tage mehr von meiner Lebensbeschreibung zu schreiben habe, als da ich anfing; so daß ich statt wie jeder andere Schriftsteller mit dem, was ich bis jetzt daran gethan, weiter vorwärts zu kommen, – ich im Gegentheil um ebensoviel Bände zurückgekommen bin.
Wäre jeder Tag meines Lebens so voll Geschäfte wie dieser, – und warum sollte er es nicht sein? – und nähme die Schilderung seiner Ereignisse und Meinungen ebensoviel Raum in Anspruch, – und weshalb sollten sie abgekürzt werden? – so würde daraus folgen, daß, da ich nach diesem Tempo gerade 364 Mal schneller leben als schreiben würde, – ich, je mehr ich schriebe, desto mehr zu schreiben hätte, – und daß deshalb auch der geneigte Leser um so mehr zu lesen haben würde, je mehr er läse.
Wäre dies wohl gut für die Augen des geneigten Lesers?
Für die meinigen wäre es gut; und wenn mich meine »Meinungen« nicht den Hals kosten, so wird mich gerade dieses mein »Leben« in den Stand setzen, ein sehr angenehmes Leben damit zu führen; oder mit andern Worten ein Paar angenehme Leben zu gleicher Zeit zu führen.
Wollte man den Vorschlag machen, ich solle jährlich 12 Bände oder einen Band im Monat schreiben, so würde dies nichts an meiner Aussicht ändern: – ich mag schreiben wie ich will und mich noch so rasch in die Mitte der Dinge stürzen, wie Horaz anräth, – ich werde doch niemals mich selbst einholen, und wenn ich aufs Aeußerste gepeitscht und gejagt würde. Im schlimmsten Falle bliebe ich meiner Feder doch immer um einen Tag voraus – und ein Tag genügt für zwei Bände – und zwei Bände für ein Jahr.
Der Himmel segne die Papierfabrikanten unter der glücklichen Regierung, die sich jetzt eben vor uns eröffnet hat! – wie ich hoffe, daß die Vorsehung auch jedes andere Ding, das unter dieser Regierung vorgenommen wird, segnen werde.
Wegen der Fortdauer der Gänse – habe ich keine Sorge, – die Natur ist allgütig; – es wird mir gewiß nie an Handwerkszeug fehlen.
Sie haben also meinen Vater und meinen Onkel Toby die Treppe herunter und zu Bette gebracht, mein Freund? – Und wie fingen Sie das an? – Sie ließen am Ende der Treppe einen Vorhang fallen. – Ich dachte mir wohl, daß Sie kein anderes Mittel wüßten. – Hier ist eine Krone für Ihre Mühe.
So gib mir meine Hosen vom Stuhl herüber, sagte mein Vater zu Susanna. – Es reicht nicht mehr zum Anziehen, Herr! schrie Susanna, – das Kind ist im Gesicht bereits so schwarz wie mein – Wie dein Was? fragte mein Vater, der wie alle Redner sehr auf Gleichnisse aus war. – Ach Herr! sagte Susanna, das Kind hat einen Anfall von Gichtern. – Und wo ist Herr Yorick? – Nicht da wo er sein sollte, erwiderte Susanna, aber sein Vikar ist im Besuchzimmer mit dem Kind auf dem Arm und wartet nur auf den Namen; – und meine Herrin befahl mir so schnell als möglich hieher zu laufen, da Kapitain Shandy der Pathe ist, und zu fragen, ob es nicht nach ihm genannt werden solle?
Wenn man sicher wäre, sagte mein Vater zu sich selbst, indem er sich in den Augbraunen kratzte, daß das Kind stürbe, so könnte man meinem Bruder Toby schon die Artigkeit erweisen, – in einem solchen Fall wäre es sogar Schade, wenn ein so großer Name wie Trismegistus daran vergeudet würden – aber es könnte sich auch erholen.
Nein, nein, – sagte mein Vater zu Susanna, – ich will aufstehen. – Dazu reicht es nicht, rief Susanna, das Kind ist schon so schwarz wie mein Schuh. – Also Trismegistus, sagte mein Vater. – Aber Halt – du bist ein leckes Schiff, Susanna, setzte mein Vater hinzu; kannst du auch den Namen Trismegistus in deinem Kopf über den Gang tragen, ohne ihn zu verschütten? – Was werd' ich's nicht können! schrie Susanna und warf die Thüre zu. – Wenn sie's kann, so laß ich mich todt schießen, sagte mein Vater und sprang im Finstern aus dem Bette und suchte nach seinen Hosen.
Susanna rannte wie besessen über den Gang.
Mein Vater eilte möglichst rasch die Hosen anzubekommen.
Aber Susanna hatte einen Vorsprung und behielt ihn. – 's ist etwas wie Tris – rief Susanna. – Es gibt keinen christlichen Vornamen der mit Tris anfängt, als Tristram, sagte der Vikar. – Dann ist es Tristram-gistus, sagte Susanna.
Es gistus't sich nichts, Sie Gans! – es ist ja mein eigener Name, versetzte der Vikar und tauchte die Hand in das Becken; Tristram! sprach er, im Namen u. s. w. – So wurde ich Tristram getauft und werde so heißen bis an mein seliges Ende.
Mein Vater eilte Susanna nach, den Schlafrock im Arm und nichts am Leib als die Hosen, die er in der Eile nur mit einem einzigen Knopf zugemacht hatte, und der Knopf war in der Hitze nur halb in das Knopfloch gekommen.
Sie hat doch den Namen nicht vergessen? rief mein Vater noch unter der Thüre. – Nein, nein, sagte der Vikar in einem verständnißvollen Tone. – Und mit dem Kinde geht es besser, rief Susanna. – Und mit deiner Herrin? – So gut wie es nach Umständen sein kann, versetzte Susanna. – Ei, daß dich! sagte mein Vater, und in diesem Augenblick schlüpfte ihm der Hosenknopf aus dem Loch, – so, daß es ungewiß bleibt, ob der Ausruf Susannen oder dem Knopfloch galt – ob es ein Ausruf des Aergers oder der Verlegenheit war, und in dieser Ungewißheit muß es bleiben, bis ich Zeit haben werde folgende drei Lieblingskapitel zu schreiben: mein Kapitel über Kammerjungfern, mein Kapitel über die »Daß dich!«, und [mein] Kapitel über Knopflöcher.
Alles was ich dem Leser einstweilen zu seiner Aufklärung sagen kann, ist, daß in dem Augenblick, da mein Vater: Daß dich! rief, er sich rasch umdrehte, – und die Hosen in der einen Hand haltend und den Schlafrock über den andern Arm geworfen, durch den Gang nach dem Bette zurückkehrte, aber etwas langsamer, als er gekommen war.