Laurence Sterne
Tristram Shandy
Laurence Sterne

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167. Kapitel.

Die Geschichte von Le Fever.

Es war im Sommer des Jahres da Dendermonde durch die Alliirten genommen wurde, also sieben Jahre ehe mein Vater aufs Land zog, – und etwa ebenso lang nach dem Zeitpunkt, da mein Onkel Toby und Trim das Haus meines Vaters in London heimlich verlassen hatten, um eine der schönsten Belagerungen gegen eine der schönsten befestigten Städte Europas zu eröffnen, als mein Onkel Toby eines Abends sein Nachtessen verzehrte, während Trim an einem kleinen Buffet hinter ihm saß – ich sage, saß, – denn wegen seines lahmen Knies (das ihm manchmal außerordentliche Schmerzen verursachte) durfte der Corporal nie stehen, wenn mein Onkel Toby allein zu Mittag oder zu Abend speiste; und des armen Burschen Verehrung gegen seinen Herrn war so groß, daß mein Onkel Toby, wenn er nur die erforderliche Artillerie bekam, Dendermonde selbst mit weniger Anstrengung erobert haben würde, als es ihn kostete, so viel über den Corporal zu gewinnen; denn oft und viel, wenn mein Onkel Toby glaubte, das Bein des Corporals ruhe aus, sah er ihn, wenn er rückwärts blickte, in der respektvollsten Haltung hinter seinem Stuhle stehen. – Dieser Umstand erzeugte mehr kleine Streitereien zwischen ihnen, als alle anderen Ursachen, die sich in fünfundzwanzig Jahren ergaben; aber das gehört ja nicht hierher, – warum erzähle ich es denn? Nun, fragen Sie meine Feder, sie regiert mich, – ich nicht sie.

Er saß also eines Abends so bei seinem Nachtessen, als der Wirth eines kleinen Gasthauses in dem Orte mit einem leeren Fläschchen in das Zimmer trat und um ein Glas oder zwei Sekt bat. – Es ist für einen armen Herrn von der Armee, so viel ich weiß, sagte der Wirth, der vor vier Tagen krank in mein Haus kam, und seither den Kopf nicht gehoben noch zu irgend etwas Lust bezeigt hat, als gerade eben, da er ein Gelüste nach einem Glas Sekt und einer gerösteten Brodschnitte bekam. – Ich glaube, sagte er und nahm dabei die Hand von der Stirne, es würde mir gut thun.

Wenn ich es nicht erbitten, entlehnen oder kaufen könnte, setzte der Wirth hinzu, so möchte ich es beinahe für den armen Herrn stehlen, er ist so gar übel daran. Ich hoffe aber zu Gott, er wird wieder aufkommen, fuhr er fort, wir sind Alle um seinetwillen in Sorgen. Er ist ein guter Mensch, dafür stehe ich, rief mein Onkel Toby, und Er soll selbst die Gesundheit des armen Herrn in einem Glase Sekt trinken, – und ein Paar Flaschen nebst meiner Empfehlung mitnehmen und dem Herrn sagen, es freue mich sehr ihm dienen zu können, auch mit einem Dutzend weiter, wenn es ihm gut thut.

Ich bin zwar überzeugt, sagte mein Onkel Toby, als der Wirth die Thüre geschlossen hatte, daß es ein sehr gefühlvoller Bursche ist, Trim, aber ich habe dabei doch auch eine hohe Meinung von seinem Gaste bekommen. Es muß etwas Außergewöhnliches an ihm sein, daß er in so kurzer Zeit so sehr die Zuneigung seines Wirthes gewinnen konnte. – Und seiner ganzen Familie, setzte der Corporal hinzu, denn sie sind Alle um ihn besorgt. – Geh' ihm doch nach, Trim, sagte mein Onkel Toby, und frag' ihn, ob er den Namen des Herren kennt.

Ich habe ihn wahrhaftig total vergessen, sagte der Wirth, der wieder mit dem Corporal in das Zimmer zurückgekommen war; – aber ich kann seinen Sohn fragen. – Er hat also einen Sohn bei sich, sagte mein Onkel Toby. – Einen Jungen von 11–12 Jahren, erwiderte der Wirth; – der arme Mensch ißt fast ebenso wenig wie sein Vater; er klagt und trauert nur Tag und Nacht um diesen. Seit zwei Tagen ist er nicht von seinem Bette weggekommen.

Mein Onkel Toby legte Messer und Gabel hin und schob seinen Teller von sich weg, wie der Gastwirth seinen Bericht erstattete; Trim nahm hierauf ohne weiteren Befehl ab und brachte ihm ohne ein Wort zu sagen, ein Paar Minuten später seine Pfeife und seinen Tabak.

Bleib ein wenig da, sagte mein Onkel Toby.

Trim, sagte mein Onkel Toby, nachdem er seine Pfeife angezündet und ein Dutzend Züge gethan hatte. – Trim trat vor seinen Herrn und machte seine Verbeugung; – mein Onkel Toby rauchte weiter und sagte nichts. Corporal, begann mein Onkel Toby wieder. – Der Corporal machte seine Verbeugung. – Mein Onkel Toby machte nicht weiter, sondern rauchte seine Pfeife zu Ende.

Trim, sagte mein Onkel Toby von Neuem, ich habe einen Plan in meinem Kopf, ich will, weil das Wetter heute Abend schlecht ist, meinen Ueberrock anziehen und dem armen Herrn einen Besuch machen. – Euer Gnaden, antwortete der Corporal, haben den Ueberrock nicht mehr angehabt, seit der Nacht, wo Euer Gnaden gleich darauf Ihre Wunde erhielten, als wir die Wache in den Transcheen vor dem Thor St. Nicolaus bezogen. Es ist zudem eine so kalte und regnerische Nacht, daß trotz dem Ueberrock das Wetter Euer Gnaden den Tod bringen könnte, und Ihnen jedenfalls grausame Schmerzen im Schambein verursachen würde. – Ja das fürchte ich auch, erwiderte mein Onkel Toby, aber seit der Erzählung des Wirths bin ich nicht ruhig im Gemüth. – Ich wollte, ich hätte nicht so viel von der Geschichte erfahren, setzte mein Onkel Toby hinzu, oder ich hätte mehr davon erfahren. Was fangen wir an? – Ueberlassen Euer Gnaden die Sache mir, sagte der Corporal. – Ich will meinen Hut und Stock nehmen, und in das Haus gehen und recognosciren, und nach Befinden handeln; und innerhalb einer Stunde will ich Euer Gnaden einen vollständigen Rapport erstatten. – Gut, Trim, geh hin, sagte mein Onkel Toby, und da hast du einen Schilling; den kannst du mit seinem Diener vertrinken. – Ich will schon Alles aus ihm herausbringen, sagte der Corporal und schloß die Thüre.

Mein Onkel Toby stopfte seine zweite Pfeife, und wenn er nicht hie und da etwas abgeschweift wäre und überlegt hätte, ob es nicht ganz ebenso gut wäre, wenn die Courtine einer Tenaille eine gerade Linie bildete statt einer gebogenen, so hätte man sagen können, er habe die ganze Zeit über da er rauchte an nichts Anderes gedacht als an den armen Le Fever und dessen Jungen.

168. Kapitel.

Fortsetzung der Geschichte des Le Fever.

Erst als mein Onkel Toby die Asche aus seiner dritten Pfeife klopfte, kehrte Corporal Trim von dem Wirthshause zurück und erstattete folgenden Bericht:

Ich verzweifelte anfangs daran, Euer Gnaden irgend eine Nachricht über den armen kranken Lieutenant bringen zu können, begann der Corporal. – Er steht also bei der Armee? fragte mein Onkel Toby. – So ist's, sagte der Corporal. – Und in welchem Regiment? fragte mein Onkel Toby. – Ich will Euer Gnaden Alles der Reihe nach erzählen, wie ich es erfahren habe, erwiderte der Corporal. – Dann will ich mir eine neue Pfeife stopfen, Trim, sagte mein Onkel Toby, und dich nicht mehr unterbrechen, bis du fertig bist. So, setz' dich jetzt nach deiner Bequemlichkeit auf die Fensterbank, Trim, und fang' deine Geschichte von Neuem an. – Der Corporal machte seinen alten Bückling, der im Allgemeinen so deutlich, als ein Bückling es sagen konnte, aussprach: Euer Gnaden sind sehr gütig. – Als er das gethan, setzte er sich wie man ihn geheißen hatte, und begann die Geschichte meinem Onkel Toby aufs Neue fast mit den gleichen Worten zu erzählen.

Ich verzweifelte anfangs daran, sagte der Corporal, Euer Gnaden irgend eine Nachricht von dem Lieutenant und seinem Sohne bringen zu können; – denn als ich nach seinem Diener fragte, von dem ich gewiß Alles, was sich passender Weise erfragen ließ, herausgebracht hätte – (was sich passender Weise erfragen ließ, da hast du einen ganz guten Ausdruck gebraucht. Trim, sagte mein Onkel Toby), – da hörte ich, er habe gar keinen Diener; er sei mit Miethspferden an das Wirthshaus gekommen, habe aber, als er sich außer Stande sah weiter zu reisen (wahrscheinlich, um bei seinem Regiment einzurücken), jene am Morgen nach seiner Ankunft wieder zurückgeschickt. – Wenn ich wieder wohler bin, mein Lieber, sagte er. als er seinem Sohn seine Börse gab um den Mann zu bezahlen, so können wir ja von hier aus Pferde miethen. – Aber ach! der arme Herr wird nie mehr von hier fortkommen, sagte die Wirthin zu mir, denn ich habe seither jede Nacht die Todtenuhr gehört; und wenn er stirbt, so wird der Junge, sein Sohn, gewiß mit ihm sterben; denn dem ist das Herz bereits gebrochen.

Das sagte sie mir gerade, fuhr der Corporal fort, als der junge Mensch in die Küche kam, um die dünne geröstete Brodschnitte zu bestellen, von der der Wirth gesprochen hatte; – ich will's aber selbst für meinen Vater herrichten, sagte der Junge. – Bitte, lassen Sie mich Ihnen die Mühe abnehmen, junger Herr, sagte ich, griff nach einer Gabel und rückte ihm meinen Stuhl hin, damit er so lange, als ich damit beschäftigt wäre, am Feuer sitzen könnte. – Ich glaube, mein Herr, sagte er sehr bescheiden, es wird ihm von mir am besten schmecken. – Ich bin überzeugt, entgegnete ich, die Brodschnitte wird Seiner Gnaden nicht schlechter schmecken, wenn sie ihm ein alter Soldat geröstet hat. – Der Junge ergriff meine Hand und brach alsbald in Thränen aus. – Der arme Junge! sagte mein Onkel Toby; er ist von Kind auf in der Armee herangewachsen, und der Name eines Soldaten, Trim, klang ihm wie der Name eines Freundes ins Ohr! – Ich wollte, ich hätte ihn hier.

Nach dem längsten Marsch, sagte der Corporal, hatte ich niemals eine solche Lust zu meinem Essen, als jetzt mit ihm in Gesellschaft zu weinen. Was war denn das mit mir, Euer Gnaden? – Nichts auf der Welt, Trim, sagte mein Onkel Toby, indem er sich schnäuzte, als daß du ein gutmüthiger Kerl bist.

Als ich ihm die Brodschnitte gab. fuhr der Corporal fort, hielt ich es für passend ihm zu sagen, ich sei der Diener des Kapitains Shandy, und Euer Gnaden nähmen (obschon ein Fremder) großen Antheil an seinem Vater; und wenn er irgend etwas aus Euer Gnaden Haus oder Keller bedürfte – (du hättest auch wohl die Börse erwähnen dürfen, bemerkte mein Onkel Toby) – so würde es Euer Gnaden herzlich freuen, ihm dienen zu können. – Er machte eine sehr tiefe Verbeugung (die Euer Gnaden galt), gab aber keine Antwort; – sein Herz war zu voll; – dann ging er mit der Brodschnitte hinaus. – Seien Sie versichert, lieber Herr, sagte ich zu ihm, als ich ihm die Küchenthüre öffnete, Ihr Herr Vater wird wieder besser werden. – Herrn Yoricks Vikar rauchte am Küchenfeuer eine Pfeife, sagte aber kein Wort des Trostes zu dem jungen Menschen. – Das hielt ich nicht für recht, setzte der Corporal hinzu. – Ich halte es auch nicht dafür, sagte mein Onkel Toby.

Als der Lieutenant sein Glas Sekt und die Brodschnitte zu sich genommen hatte. fühlte er sich etwas gestärkt und ließ mir in die Küche herunter sagen, es würde ihn freuen, wenn ich nach etwa zehn Minuten zu ihm heraufkäme. – Ich glaube, sagte der Wirth, er betet jetzt; denn auf einem Stuhl neben seinem Bett lag ein Buch, und als ich Thüre zumachte, sah ich, wie sein Sohn ein Kissen aufnahm.

Ich glaubte, sagte der Vikar, ihr Herren von der Armee betetet niemals, Herr Trim. – Ich hörte den armen Herrn vergangene Nacht sein Gebet sehr fromm sprechen, bemerkte die Wirthin; wenn ich es nicht mit eigenen Ohren gehört hätte, würde ich es nicht glauben. – Sind Sie wirklich überzeugt davon? versetzte der Vikar. – Euer Hochwürden, sagte ich zu ihm, ein Soldat betet aus eigenem Antrieb so oft wie ein Pfarrer; und wenn er für seinen König, und für sein eigenes Leben und seine Ehre dazu kämpft, so hat er mehr als irgend Jemand Ursache zu Gott zu beten. – Das war schön von dir gesagt, Trim, sagte mein Onkel Toby. – Aber Euer Hochwürden, sagte ich, wenn ein Soldat seine zwölf Stunden bis an die Knie im kaltem Wasser in den Laufgräben gestanden hat – oder, sagte ich, Monate lang auf langen und gefährlichen Märschen begriffen ist; vielleicht heute im Rücken beunruhigt, morgen Andere beunruhigend; hierhin detaschirt; – dorthin durch Gegenbefehl abgerufen, – heute Nacht unter dem Gewehr, – morgen im Hemd alarmirt, – in seinen Gelenken ganz erstarrt, – vielleicht ohne Stroh in seinem Zelt, auf dem er knieen könnte; – ja dann muß er eben beten, wann und wo er kann. – Ich glaube, sagte ich, – denn ich war wegen des Rufs der Armee etwas gereizt, sagte der Corporal, – ich glaube, Euer Hochwürden, sagte ich, daß, wenn ein Soldat Zeit bekommt um zu beten, – er ebenso von Herzen betet wie ein Pfarrer, – wenn auch nicht mit so viel Wesen und Scheinheiligkeit. – Das hättest du nicht sagen sollen, Trim, sagte mein Onkel Toby, – denn Gott allein weiß, wer ein Scheinheiliger ist, – und wer nicht. – Bei der großen Generalmusterung, Corporal, am Tage des Gerichts, (und erst dann) – wird man sehen, wer seine Schuldigkeit auf dieser Welt gethan hat, – und wer nicht; und je nachdem, Trim, werden wir dann avanciren. – Ich hoffe, das werden wir, sagte Trim. – So steht es in der heiligen Schrift, sagte mein Onkel Toby; ich will es dir morgen zeigen. – Einstweilen können wir uns zu unserem Trost darauf verlassen, Trim, sagte mein Onkel Toby, daß Gott der Allmächtige ein so guter und gerechter Lenker der Welt ist, daß, wenn wir nur unsere Pflicht auf derselben gethan haben, – Er niemals darnach fragen wird, ob wir sie in einem rothen Rock gethan haben oder in einem schwarzen. – Ich hoffe nicht, sagte der Corporal. – Jetzt aber mach' weiter mit deiner Geschichte, Trim, sagte mein Onkel Toby.

Als ich, fuhr der Corporal fort, in das Zimmer des Lieutenants hinauf ging, was ich erst nach Ablauf der zehn Minuten that, – fand ich ihn in seinem Bette, den Kopf in der Hand und den Ellbogen auf dem Kissen, und ein reines weißes Batistsacktuch daneben. – Der Knabe bückte sich eben, um das Kissen aufzuheben, auf dem er, wie ich glaube, gekniet hatte; – das Buch lag auf dem Bette, – und als er aufstand und mit der einen Hand das Kissen aufhob, streckte er die andere aus, um auch jenes wegzunehmen. – Laß es liegen, mein Sohn, sagte der Lieutenant. Er machte keine Miene mit mir zu sprechen, bis ich dicht an sein Bett getreten war. – Wenn Er Kapitain Shandy's Diener ist, sagte er, so muß Er seinem Herrn meinen Dank für dessen Freundlichkeit gegen mich aussprechen, wie auch den Dank meines kleinen Jungen. – Wenn er derselbe ist, der bei Levens stand, sagte der Lieutenant. – Ich sagte ihm, Euer Gnaden haben dort gestanden. – Dann, sagte er, habe ich mit ihm drei Feldzüge in Flandern mitgemacht, und erinnere mich seiner wohl; – da ich aber nicht die Ehre hatte mit ihm näher bekannt zu sein, so weiß er sehr wahrscheinlich nichts von mir. – Sag Er ihm jedoch, daß die Person, die seine Güte sich verpflichtet hat, ein gewisser Le Fever sei, Lieutenant im Regiment Angus, – aber er wird mich nicht kennen, – wiederholte er nachdenklich, – doch hat er möglicher Weise meine Geschichte gehört, setzte er hinzu. – Bitte, sag Er dem Kapitain, ich sei der Fähnrich gewesen, dem bei Breda die Frau höchst unglücklicher Weise durch eine Musketenkugel getödtet wurde, als sie in meinem Zelt in meinen Armen lag. – Ich erinnere mich der Geschichte sehr gut, Euer Gnaden, sagte ich. – Wirklich? sagte er und wischte sich die Augen mit seinem Taschentuch, – dann darf ich wohl – Als er dies sagte, zog er einen kleinen Ring hervor, den er an einem schwarzen Band um den Hals hängen hatte und küßte ihn zwei Mal. – Hier, Billy, sagte er; – der Knabe flog nach dem Bette, – fiel auf die Kniee, nahm den Ring und küßte ihn ebenfalls. – Dann küßte er auch seinen Vater, setzte sich auf das Bett und weinte.

Ich wollte, sagte mein Onkel Toby mit einem tiefen Seufzer, – ich wollte, Trim, ich schliefe.

Euer Gnaden, erwiderte der Corporal, haben sich zu sehr alterirt. – Soll ich Euer Gnaden ein Glas Sekt zu Ihrer Pfeife eingießen? – Thu das, Trim, sagte mein Onkel Toby.

Ich erinnere mich der Geschichte von dem Fähnrich und seiner Frau, sagte mein Onkel Toby und seufzte von Neuem, aber seine Bescheidenheit hat einen Umstand weggelassen, – und besonders erinnere ich mich noch, daß sowol er als sie aus einer besonderen Ursache (ich habe aber vergessen was es war) – vom ganzen Regiment allgemein beklagt wurden. – Doch bring' deine Geschichte zu Ende. – Sie ist zu Ende, sagte der Corporal, – denn ich konnte nicht länger bleiben, und wünschte seiner Gnaden eine gute Nacht. – Der junge Le Fever erhob sich vom Bette und geleitete mich die Treppe hinunter, und erzählte nur im Hinuntergehen, sie kämen aus Irland und seien auf dem Weg, um zu dem Regiment in Flandern zu stoßen. – Aber ach! sagte der Corporal, – der Lieutenant hat seinen letzten Tagmarsch gethan! – Was soll dann aus dem armen Jungen werden? rief mein Onkel Toby.

169. Kapitel.

Fortsetzung der Geschichte von Le Fever.

Es gereicht meinem Onkel Toby zur ewigen Ehre – ich sage das nur Derer wegen, die, wenn sie zwischen ein natürliches und ein positives Gesetz gestellt werden, ums Leben nicht wissen, welchen Weg sie einschlagen sollen, – daß ungeachtet mein Onkel Toby damals so sehr mit der Belagerung von Dendermonde beschäftigt war, und zwar in gleicher Höhe mit den Alliirten, die so energisch vorwärts drückten, daß sie ihm kaum zum Mittagessen Zeit ließen, er nichts desto weniger Dendermonde aufgab, obgleich er sich bereits in der Contreescarpe einlogirt hatte, – und alle seine Gedanken dem Elend in dem Wirthshause zuwendete. Ja, er ließ nicht nur das Gartenthor zusperren, wodurch er so zu sagen die Belagerung von Dendermonde in eine Blokade verwandelte, – sondern gab Dendermonde überhaupt auf – und kümmerte sich nichts mehr darum, ob der König von Frankreich entsetzen wollte oder nicht; und dachte nur noch darüber nach, wie er dem armen Lieutenant und seinem Sohn helfen könne.

Jenes gütige Wesen, welches der Freund der Freundlosen ist, möge es dir lohnen.

Du hast diese Sache nur halb gethan, sagte mein Onkel Toby zu dem Corporal, als dieser ihn zu Bett brachte, – und ich will dir sagen in wie fern, Trim. – Erstens, als du Le Fever meine Dienste anbotest, – da hast du ihm nicht auch meine Börse angeboten – und doch sind Krankheit und Reisen beide kostspielig, und du wußtest auch, daß er als armer Lieutenant mit seinem Sohn lediglich von seiner Gage leben muß; – du weißt aber, Trim, wenn er meiner Börse bedurfte, so stand sie ihm ebenso zu Gebot, wie mir selbst. – Euer Gnaden wissen, ich hatte hierüber keine Befehle. – Das ist richtig, versetzte mein Onkel Toby, – du hattest ganz Recht als Soldat, Trim, – aber gewiß sehr Unrecht als Mensch.

Zweitens, und dabei hast du freilich die gleiche Entschuldigung, fuhr mein Onkel Toby fort – hättest du, als du ihm Alles anbotest was sich in meinem Hause befinde, – ihm auch mein Haus selbst anbieten sollen. – Ein kranker Kamerad sollte das beste Quartier haben, Trim, und wenn er bei uns wäre, – könnten wir ihn pflegen und nach ihm sehen. – Du selbst bist ein trefflicher Krankenwärter, Trim, – und durch deine Sorgfalt und die der alten Frau und des Jungen und die meinige dazu könnten wir ihn wieder herrichten und auf die Beine bringen.

In vierzehn Tagen, in drei Wochen, setzte mein Onkel Toby lächelnd hinzu, wäre er marschfähig. – Euer Gnaden, der wird in dieser Welt nie mehr marschfähig, sagte der Corporal. – Er wird marschfertig, sagte mein Onkel Toby, und stand von der Bettseite auf, mit nur einem Schuh am Fuß. – Euer Gnaden, versetzte der Corporal, er wird nirgends mehr hinmarschiren als nach seinem Grab. – Und er soll marschiren, rief mein Onkel Toby und streckte den Fuß, an dem er einen Schuh hatte, aus, ohne jedoch einen Zoll weit vorwärts zu kommen, – er soll zu seinem Regiment marschiren. – Er kann's nicht durchmachen, sagte der Corporal. – Man wird ihn stützen, rief mein Onkel Toby. – Er wird abfahren, sagte der Corporal, und was wird dann aus dem Jungen werden? – Er soll nicht abfahren, sagte mein Onkel Toby fest. – Ach du meine Güte! wir mögen für ihn thun, was wir wollen, sagte Trim, der seinen Satz festhielt, die arme Seele wird doch sterben. – Und er soll nicht sterben, bei Gott! rief mein Onkel Toby.

Der anklagende Geist, der diesen Schwur in die Kanzlei des Himmels trug, erröthete, als er ihn vorlegte, – und der einregistrirende Engel, ließ, als er ihn niederschrieb, eine Thräne auf das Wort fallen, die es für immer auslöschte.

170. Kapitel.

Mein Onkel Toby ging nach seinem Schreibtisch, – steckte seine Börse in seine Hosentasche, und ging, nachdem er dem Corporal befohlen hatte, morgen in aller Frühe nach einem Doctor zu gehen, – zu Bett, wo er alsbald in Schlaf verfiel.

171. Kapitel.

Fortsetzung der Geschichte Le Fever's.

Am nächsten Morgen leuchtete die Sonne hell in Jedermanns Auge in dem Dorfe, nur nicht in Le Fever's und seines betrübten Sohnes. Die Hand des Todes drückte schwer auf die Augenlider des Ersteren; und das Rad des Ziehbrunnens drehte sich mit Mühe herum, – als mein Onkel Toby, der eine Stunde vor seiner gewohnten Zeit aufgestanden war, in das Zimmer des Lieutenants trat und sich ohne Vorrede oder Entschuldigung auf den Stuhl am Bette setzte und unbekümmert um alle Moden und Bräuche den Vorhang öffnete, wie es ein alter Freund und Kamerad gethan haben würde, und ihn fragte, wie er sich befinde? – wie er diese Nacht geruht habe? – worüber er zu klagen habe? – wo er Schmerzen fühle? – und was er für ihn thun könne? Und ohne ihm Zeit zu lassen, eine dieser Fragen zu beantworten, fuhr er fort und theilte ihm den kleinen Plan mit, den er am Abend vorher mit dem Corporal entworfen hatte.

Sie müssen sofort in mein Hans übersiedeln, Le Fever, sagte mein Onkel Toby, – wir schicken dann nach einem Arzt, damit der untersucht was zu thun ist; – wir holen auch einen Apotheker – und der Corporal wird Sie verpflegen, – und ich werde Sie bedienen, Le Fever.

In meinem Onkel Toby lag eine gewisse Offenheit und Freimüthigkeit, die nicht die Wirkung einer vertrauten Bekanntschaft war, aber eine solche sofort herbeiführte; – indem sie Einen mit einem Sprung in seine Seele einführte und Einem die Gutherzigkeit seiner Natur zeigte. Hiezu kam ein gewisses Etwas in seinen Blicken, seiner Stimme, seiner ganzen Art, was den Unglücklichen unbedingt einlud zu ihm zu kommen und sich unter seinen Schutz zu begeben, so daß ehe mein Onkel Toby die freundlichen Anerbietungen, die er dem Vater machte, zur Hälfte beendigt hatte, der Sohn sich bereits unwillkürlich an seine Kniee preßte, das Bruchstück seines Rockes ergriff und gegen sich zog. Das Blut und die Lebensgeister Le Fevers, die schon kalt und matt in ihm geworden waren und sich nach ihrer letzten Citadelle, dem Herzen, zurückgezogen hatten, – kehrten noch einmal zurück, – das Fell auf dem Auge hob sich für einen Moment, – er sah meinem Onkel Toby sehnsuchtsvoll in das Gesicht, warf dann einen Blick auf seinen Knaben, und dieses Bindemittel so zart es war, – wurde niemals zerrissen.

Gleich darauf ebbte die Natur wieder in ihm; – das Fell fiel wieder herab, – der Puls flatterte, – hielt an, – ging weiter, – schlug heftig, – stockte wieder, – ging – stockte nochmals. – Soll ich weiter machen? – Nein.

172. Kapitel.

Es treibt mich so sehr, zu meiner eigenen Geschichte zurückzukehren, daß das, was noch von der des jungen Le Fever erübrigt, nämlich von jener Wendung seines Schicksals bis zu der Zeit, da ihn mein Onkel Toby als meinen Hofmeister empfahl, mit einigen wenigen Worten im nächsten Kapitel gesagt werden soll. – Alles, was obigem Kapitel noch beigefügt werden muß, besteht in Folgendem:

Daß mein Onkel Toby mit dem jungen Le Fever an der Hand den armen Lieutenant als Hauptleidtragende zu Grabe geleiteten. –

Daß der Gouverneur von Dendermonde dem Leichenbegängniß alle militärischen Ehren erwies; – und daß Yorick, um nicht zurückzubleiben. – ihm alle kirchlichen erwies, – denn er beerdigte ihn unter seinem Altar. – Auch hielt er ihm nachweislich eine Leichenrede – ich sage »nachweislich« – denn Yorick hatte die Gewohnheit (die wie ich glaube in seinem Beruf sehr verbreitet ist), auf dem ersten Blatt jeder von ihm verfaßten Rede, Zeit, Ort und Gelegenheit ihrer Abhaltung zu bemerken, außerdem pflegte er eine kurze Erläuterung oder Bemerkung über die Rede selbst beizufügen, – die übrigens selten zu deren Lob lautete. – So zum Beispiel: »Dies ist die Rede über die mosaische Vertheilung der Gewässer, – sie gefällt mir durchaus nicht, – es liegt allerdings eine ganze Welt voll Wasser- und Landes-Wissen darin; – aber sie ist viel zu hausbacken und auch höchst hausbacken zusammengestellt. – Ein geistloses Machwerk. Was hatte ich nur im Kopf, als ich sie verfaßte!«

– »NB. Die Trefflichkeit dieses Textes besteht darin, daß er zu jeder Rede paßt; – und die Trefflichkeit dieser Rede, – daß sie zu jedem Texte paßt.«

– »Für diese Rede verdiene ich gehenkt zu werden, – denn ich habe den größten Theil derselben gestohlen. Dr. Paidagune hat es entdeckt. * ** Ein Dieb fängt den anderen.«

Auf dem Rücken von einem halben Dutzend Reden finde ich geschrieben: So so! – weiter nichts; – auf ein Paar anderen Moderato, woraus man nach Altieris' italienischem Wörterbuch, – noch mehr aber nach einem Stückchen grüner Schnur, offenbar einer Ausfaserung von Yorick's Peitschenschlinge, womit er die zwei mit Moderato bezeichneten Reden und die sechs mit So so! in ein Bündel zusammengebunden hatte – ziemlich sicher schließen darf, daß er von beiden ungefähr dasselbe sagen wollte.

Diese Vermuthung bietet nur eine einzige Schwierigkeit, nämlich die, daß die Moderatos fünf Mal besser sind als die So so's; – zehn Mal mehr Kenntniß des menschlichen Herzens zeigen; – siebzig Mal mehr Witz und Geist besitzen; – (und um mich passend zu steigern) tausend Mal mehr Genie verrathen, – und um der Sache die Krone aufzusetzen, unendlich unterhaltender sind als die mit ihnen zusammengebundenen. Wenn daher einmal Yoricks dramatische Reden der Welt übergeben werden, werde ich nur eine einzige von den So so's zulassen, dagegen beide Moderato's ohne das leiseste Bedenken zum Abdruck bringen.

Was Yorick mit den Wörtern lentamente, – tenute, – grave, und bisweilen adagio meinte, – als er dieselben auf theologische Schriften anwendete und damit einige jener Reden charakterisirte, vermag ich nicht zu errathen. – Noch mehr hat es mich verblüfft, auf der einen a l'octava alta, auf dem Rücken einer anderen con strepito, – auf einer dritten Siciliana, – auf einer vierten alla Capella, – auf dieser con l'arco, – auf jener Senza l'arco zu finden. – Ich weiß nur, daß dies musikalische Ausdrücke sind, die eine gewisse Bedeutung haben – und da er selbst musikalisch war, so zweifle ich nicht, daß durch die hübsche Anwendung solcher Metaphern auf die fraglichen Schriften seinem Geist eine sehr bestimmte Idee von ihrer verschiedenen Charakteristik eingeprägt wurde, – mochten sie nun auf Andere wirken wie sie wollten.

Unter diesen Reden befindet sich nun auch jene besondere, die mich seltsamerweise zu dieser Abschweifung geführt hat, – nämlich die Leichenrede auf den armen Le Fever, die sehr schön angeschrieben ist, wie wenn sie von einem flüchtigen Manuscript abgenommen wäre. – Ich nehme um so mehr Notiz von ihr, da sie seine Lieblingsrede gewesen zu sein scheint. – Sie handelt von der Sterblichkeit, und ist in die Länge und Breite mit Garn umwickelt, dann aufgerollt und in einen halben Bogen schmutzigen blauen Papiers gewickelt, der einmal die Ueberdecke eines kritischen Journals gewesen zu sein scheint und noch heutigen Tages entsetzlich nach Roßarzeneien riecht. – Ich zweifle einigermaßen, ob diese Merkmale der Demüthigung absichtlich angebracht waren; denn am Ende der Rede (und nicht zu Anfang derselben) – hatte er ganz verschieden von der Art, wie er die anderen behandelte,

Bravo!

geschrieben. – Uebrigens nicht sehr auffallend, – denn es steht wenigstens um 2½ Zoll von der Schlußlinie der Rede entfernt, ganz unten an der Seite und in der rechten Ecke derselben, die man in der Regel mit dem Daumen bedeckt; und ist, um ihr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, mit einer so schwachen Rabenfeder in kleiner italienischen Schrift geschrieben, daß das Auge dadurch kaum auf die Stelle gelenkt wird, mag nun der Daumen darauf sein oder nicht. So ist es schon durch die Art des Schreibens halb entschuldigt, und da es überdies in sehr blasser Tinte geschrieben ist, verwässert es sich fast zu nichts, – es ist mehr ein ritratto des Schattens der Eitelkeit, als der Eitelkeit selbst, – und sieht mehr aus wie ein schwacher Gedanke vorübergehender Befriedigung, der im Geheimen im Herzen des Verfassers auftauchte, als eine dicke, der Welt in plumper Weise sich aufdrängende Bezeichnung.

Trotz all dieser Abschwächung bin ich mir wohl bewußt, daß ich durch Veröffentlichung dieses Zugs Yoricks Charakter als bescheidener Mann keinen Dienst leiste, – aber alle Menschen haben ihre Schwächen! was diese aber noch mehr abschwächt und fast ganz verwischt, ist der Umstand, – daß das Wort einige Zeit später (wie aus der anderen Tinte hervorgeht) quer durchgestrichen war – wie wenn er die Ansicht, die er früher darüber gehabt, zurücknähme oder sich ihrer schämte.

Diese kurzen Charakterisirungen seiner Reden waren mit Ausnahme dieses Falles immer auf dem ersten Blatt der Rede, das als Ueberdecke diente, geschrieben, und zwar gewöhnlich auf der inneren dem Text zugekehrten Seite; – am Ende seiner Rede aber, wo er vielleicht 5–6 Seiten, bisweilen auch etliche und zwanzig weißes Papier übrig hatte, – machte er eine größere und lebhaftere Abschweifung, – als ob er die Gelegenheit ergriffe sich in einigen ausgelasseneren Schraubenzügen gehen zu lassen, als die Enge der Kanzel erlaubte. – Diese schwärmen zwar husarenmäßig und außer aller Ordnung umher, sind aber gleichwohl Hilfstruppen der Tugend. – Sagen Sie mir doch, Mynheer Van der Blonederdondergewdenstronke, warum sie nicht ebenfalls abgedruckt wurden?

173. Kapitel.

Nachdem mein Onkel Toby Alles in Geld verwandelt und die Abrechnung zwischen dem Zahlmeister des Regiments und Le Fever und zwischen Le Fever und der übrigen Menschheit abgeschlossen hatte, blieb in den Händen meines Onkels Toby nur noch eine alte Uniform und der Degen; so daß mein Onkel Toby wenig oder keine Opposition bei der Welt fand, als er die Restverwaltung übernahm. Die Uniform gab mein Onkel Toby dem Corporal. – Trag sie zu Ehren des armen Lieutenants, Trim, sagte mein Onkel Toby, so lang sie noch zusammenhält. – Diesen aber, sagte mein Onkel Toby, indem er den Degen in die Hand nahm, und ihn aus der Scheide zog, – diesen, Le Fever, will ich für dich aufbewahren; – dies ist das ganze Vermögen, fuhr mein Onkel Toby fort, während er den Degen an einen Nagel hängte und darauf deutete, – dies ist das ganze Vermögen, mein lieber Le Fever, das dir Gott beschieden hat; wenn er dir aber zugleich ein Herz gegeben hat, um dir damit deinen Weg auf der Welt durchzukämpfen, – und du thust das als ein Ehrenmann, – so ist es genug für uns.

Sobald mein Onkel Toby den ersten Grund bei ihm gelegt und ihn gelehrt hatte, ein regelmäßiges Vieleck in einen Kreis zu beschreiben, schickte er ihn in eine öffentliche Schule, wo er – mit Ausnahme von Pfingsten und Weihnachten, zu welchen Zeiten der Corporal regelmäßig geschickt wurde um ihn zu holen, – bis zum Frühjahr des Jahres Siebenzehn blieb. Um diese Zeit entflammte die Nachricht, daß der Kaiser seine Armee durch Ungarn gegen die Türken schicke, einen Funken in seiner Brust; er verließ sein Griechisch und Latein ohne Erlaubniß, warf sich meinem Onkel Toby zu Füßen und bat um seines Vaters Degen und die Erlaubniß mit demselben sein Glück unter Prinz Eugenius versuchen zu dürfen. – Zwei Mal vergaß mein Onkel Toby seine Wunde und rief: Le Fever, ich will mit dir gehen, du sollst an meiner Seite fechten, – und zwei Mal fuhr er mit der Hand nach dem Schambein und ließ traurig den Kopf hängen.

Dann nahm mein Onkel Toby den Degen von dem Haken herab, wo er seit des Lieutenants Tode hing und gab ihn dem Corporal, um ihn zu putzen. Vierzehn Tage behielt er Le Fever noch bei sich, um ihn auszurüsten und seine Ueberfahrt nach Livorno zu vermitteln, worauf er ihm den Degen übergab. – Wenn du brav bist, Le Fever, sprach mein Onkel Toby, wird dieser dich nicht im Stiche lassen, – wohl aber, sprach er, indem er ein wenig nachsann, – wohl aber kann es das Glück; – und wenn dies geschieht, – setzte mein Onkel Toby hinzu und umarmte ihn, dann komm zu mir zurück, Le Fever, und wir wollen dir dann eine andere Laufbahn gestalten.

Die größte Kränkung hätte das Herz Le Fevers nicht mehr bedrücken können als es die väterliche Güte meines Onkels Toby that. Er schied von meinem Onkel wie der beste der Söhne von dem besten der Väter; – beide vergossen Thränen; – und als mein Onkel Toby ihm den letzten Kuß gab, steckte er ihm noch sechzig Guineen in einem alten Geldbeutel seines Vaters, in dem sich auch der Ring seiner Mutter befand, in die Hand – und flehte Gottes Segen auf ihn herab.

174. Kapitel.

Le Fever stieß zeitig genug zur kaiserlichen Armee, um das Korn seines Degens bei der Niederlage der Türken vor Belgrad zu versuchen; aber von diesem Augenblick an verfolgten ihn zahlreiche unverdiente Unfälle und bedrängten ihn vier Jahre nach einander. Er hatte diese Schicksalsschläge standhaft ertragen, bis ihn in Marseille Krankheit niederwarf. Nun schrieb er meinem Onkel Toby, daß er seine Zeit, seinen Dienst, seine Gesundheit, kurz Alles verloren habe, bis auf sein Schwert, – und daß er nur auf das nächste Schiff warte, um heimzukehren.

Dieser Brief kam etwa sechs Wochen vor Susannes Mißgeschick an; Le Fever wurde deshalb stündlich erwartet und schwebte während der ganzen Zeit, daß mein Vater meinem Onkel Toby und Yorick eine Schilderung von der Art Persönlichkeit gab, die er für mich als Lehrer wählen wolle, meinem Onkel beständig vor Augen. Da er aber Anfangs der Meinung war, mein Vater mache gar zu sonderbare Anforderungen, vermied er es den Namen Le Fever's zu nennen, – bis die Charakterbezeichnung durch Yoricks Dazwischenkunft ganz unerwartet damit schloß, daß es ein edelgearteter, braver Mensch sein müsse. Dadurch wurde das Bild Le Fever's und sein Interesse für ihn so mächtig in meinem Onkel Toby, daß er augenblicklich von seinem Stuhle aufstand, seine Pfeife niederlegte und meinen Vater bei beiden Hände faßte. – Ich bitte dich, Bruder Shandy, rief mein Onkel Toby, dir den Sohn des armen Le Fever empfehlen zu dürfen. – Ich bitte Sie gleichfalls darum, setzte Yorick hinzu. – Er hat ein gutes Herz, sagte mein Onkel Toby. – Und ein tapferes dazu, Euer Gnaden, sagte der Corporal.

Die besten Herzen sind immer die tapfersten, Trim, erwiderte mein Onkel Toby. – Und die größten Feiglinge, Euer Gnaden, waren auch immer die größten Spitzbuben in unserem Regiment. – Da erinnere ich mich eines Sergeanten Humber, und eines Fähnrichs – Wir wollen ein ander Mal davon reden, sagte mein Vater.

175. Kapitel.

Was für eine vergnügte, lustige Welt könnte dies sein, meine verehrten Leser, wenn dieses undurchdringliche Labyrinth von Schulden, Sorgen, Leiden, Mängeln, Kummer, Unzufriedenheit, Schwermuth, großen Witthümern, Betrüglichkeiten und Lügen nicht wäre!

Dr. Slop, dieser H—sohn, wie ihn mein Vater deshalb nannte, – hatte, um sich selbst dadurch ein Relief zu geben, – mich auf das nichtswürdigste verleumdet – und Susannes Unfall tausend Mal größer gemacht als er war; so daß es in Zeit von acht Tagen oder noch weniger in Jedermanns Munde war, dem armen kleinen Shandy sei *   *   *   *   *   * vollständig weggeschlagen; – und die Fama, die Alles zu verdoppeln liebt, – hatte drei Tage später darauf geschworen, sie habe es selbst gesehen; – und alle Welt glaubt ihr wie gewöhnlich, – daß das Fenster im Kinderzimmer nicht nur *   *   *   *   *   *   * habe; – sondern das *   *   *   * gleichfalls.

Hätte man die Welt wie eine Körperschaft gerichtlich verfolgen können, so hätte mein Vater deshalb einen Rechtsstreit angefangen, und jene gehörig vorgenommen; einzelne Individuen aber deshalb zu packen, hätte – da Jeder, der von der Sache sprach, dies mit dem denkbar größten Mitleiden that, – seinen besten Freunden ins Gesicht geschlagen. Nahm man andererseits die Gerüchte schweigend hin, so hieß dies sie offen anerkennen, – wenigstens in der Meinung der einen Hälfte der Welt; einen Lärm dagegen aufschlagen und ihnen widersprechen, – das würde sie in der Ansicht der anderen Hälfte wesentlich bestärkt haben.

Ist je einem armen Gutsbesitzer so mitgespielt worden? sagte mein Vater.

Ich würde ihn öffentlich auf dem Marktplatz sehen lassen, sagte mein Onkel Toby.

Das würde nichts helfen, sagte mein Vater.

176. Kapitel.

Ich will ihn aber in Hosen stecken, sagte mein Vater, – mag dann die Welt dazu sagen was sie will.

177. Kapitel.

Es gibt tausend Entschließungen in Kirche und Staat, mein lieber Leser, wie auch in Privatangelegenheiten, meine verehrte Leserin – die, trotzdem sie in einer übereilten, unbesonnenen und unüberlegten Weise gefaßt worden zu sein scheinen, gleichwohl (und wenn Sie oder ich in dem Cabinet oder hinter dem Vorhang gestanden wären, würden wir gefunden haben, daß es wirklich so war) von allen Seiten erwogen, abgewogen, – besprochen, – erörtert, durchgenommen und geprüft worden sind, und zwar mit so viel kühler Ueberlegung, daß die Göttin der Kühle selbst (ich nehme es jedoch nicht auf mich ihr Dasein nachzuweisen) es nicht besser hätte wünschen oder thun können.

Hierher gehört der Entschluß meines Vaters mich in Hosen zu stecken; der zwar in einem Anfall von Aufbrausen und von Zorn über die ganze Menschheit zum Vollzug gebracht wurde, der aber nichts desto weniger zwischen ihm und meiner Mutter schon einen Monat vorher in zwei besonderen Lits de justice,Wörtlich Gerichtsbett, in Frankreich der k. Throne im Parlament, wenn der König feierlichen Gerichtstag hielt, hier Wortspiel. die mein Vater eigens zu dem Ende abhielt, mit allen Pro's und Contra's gerichtlich festgestellt worden war. Ich werde die Natur dieser Lits de justice in meinem nächsten Kapitel auseinandersetzen, und in dem darauf folgenden, sollen Sie, verehrte Leserin, mit mir hinter den Vorhang treten, um zu hören, auf welche Art und Weise mein Vater und meine Mutter diese Hosengeschichte zwischen einander erörterten; – woraus Sie sich dann eine Idee davon bilden können, wie sie alle geringeren Angelegenheiten zu behandeln pflegten.


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