Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Der Name dieses Pfarrers war Yorick, und was besonders merkwürdig an demselben ist, er wurde (wie aus einer alten, auf starkem Pergament geschriebenen und noch vollkommen wohl erhaltenen Familienurkunde hervorgeht) schon vor beinahe – um ein Haar hätte ich 900 Jahre gesagt, – genau so geschrieben. Doch möchte ich meinen Credit nicht durch Aussprechen einer unwahrscheinlichen Behauptung erschüttern, so unbestreitbar dieselbe auch an sich wäre; und so beschränke ich mich darauf zu sagen, er wurde ohne die geringste Aenderung oder Versetzung eines einzigen Buchstaben, vor ich weiß nicht wie langer Zeit genau so geschrieben. Das ist mehr als ich von der Hälfte der besten Namen im Königreich sagen möchte, die im Allgemeinen im Lauf der Jahre ebenso viele Püffe und Wechsel erfahren haben wie ihre Eigentümer. War hieran der Stolz oder die Scham der Besitzer schuld? Wenn wir ehrlich sein wollen, so müssen wir sagen, daß bisweilen der eine, bisweilen die andere die Schuld trug, wie eben gerade die Versuchung wirkte. Aber es ist und bleibt eine abscheuliche Sache und wird uns eines Tages Alle so unter einander bringen, daß Keiner mehr aufstehen und schwören kann, sein Urgroßvater sei der Mann gewesen, der dies oder jenes gethan habe.
Gegen einen solchen Uebelstand hat sich die kluge Vorsicht der Familie Yorick hinreichend verwahrt durch die fromme Aufbewahrung der angeführten Urkunde, die uns ferner unterrichtet, daß die Familie ursprünglich dänischer Abkunft gewesen, aber schon unter der Regierung des Königs Horwendittus von Dänemark nach England gekommen sei. Am Hofe dieses Königs hatte ein Vorfahre unseren Herrn Yorick, von dem dieser direct abstammt, einen hohen Posten bis zu seinem Tode inne. Welcher Natur dieser hohe Posten gewesen, sagt die Urkunde nicht; sie fügt nur hinzu, derselbe sei seit 200 Jahren als gänzlich unnöthig nicht nur an diesem Hofe, sondern überhaupt an jedem christlichen Hofe gänzlich abgeschafft.
Es ist mir öfter durch den Kopf gefahren, der Posten sei gewiß kein anderer gewesen, als der eines ersten Spaßmachers des Königs, und Hamlets Yorick in unserem Shakespeare, dessen Stücke ja zum großen Theil auf authentischen Thatsachen beruhen, sei gewiß jener Mann gewesen.
Ich habe nicht die Zeit, um in Saxo Grammaticus dänischer Geschichte nachzusehen, ob sich die Sache wirklich so verhält; wenn Sie aber Muße haben und das Buch leicht bekommen können, so können Sie das ja ebenso gut thun.
Auf der Reise, die ich mit Herrn Noddy's ältestem Sohn durch Dänemark machte, den ich im Jahre 1741 als Hofmeister begleitete, wobei wir eine merkwürdige Strecke durch den größten Theil von Europa mit unglaublicher Schnelligkeit zurücklegten und von welcher durch uns Zwei ausgeführten originellen Reise im Verlauf dieses Werkes eine sehr ergötzliche Beschreibung folgen soll; – auf dieser Reise also hatte ich nur so viel Zeit, um die Wahrheit einer durch einen länger dort Lebenden gemachten Bemerkung zu bestätigen – nämlich: Daß die Natur bei der Austheilung von Genie und Talenten an die Bewohner jenes Landes, weder sehr verschwenderisch noch sehr karg gewesen sei, sondern wie ein umsichtiger Vater gegen Alle mäßig freundlich gehandelt habe; indem sie die Leute hier zu Lande fast ganz gleichmäßig beschränkte, so daß man in jenem Reich nur wenige Beispiele höherer Begabung, dagegen aber in allen Klassen des Volks sehr viel gesunden Hausverstand findet, von dem ein Jeder seinen Theil bekommen hat, – was wie ich glaube, sehr richtig ist.
Bei uns ist wie Sie wissen, die Sache ganz anders: wir stehen entweder hoch oben oder tief unten – Sie sind ein großes Genie, mein Herr – oder es ist 50 gegen Eins zu wetten, daß Sie ein großer Esel und Blechschädel sind; nicht daß es hier vollständig an Zwischenstufen fehlte, nein, so außer aller Ordnung sind wir nicht; aber jene zwei Extreme sind allgemeiner und in einem größeren Maße auf dieser verschrobenen Insel vorhanden, wo die Natur bei Austheilung ihrer Gaben und Talente in dieser Richtung höchst launenhaft und bizarr verfährt; so daß das Glück selbst bei Austheilung seiner Güter nicht grillenhafter als sie sein kann.
Dieser Umstand aber war es allein, der meinen Glauben an Yoricks Abstammung wankend machte, denn nach Allem was ich von ihm weiß und was ich über ihn zusammenbringen konnte, scheint er nicht einen Tropfen dänischen Bluts in seinem ganzen Organismus besessen zu haben; in 200 Jahren mochte freilich alles davon gelaufen sein; darüber will ich mit Ihnen auch nicht einen Augenblick philosophiren; denn mochte geschehen sein was wollte, die Thatsache war die: daß statt des kalten Phlegma und der genauen Regelmäßigkeit von Geist und Gemüth, wie man sie an einem Mann solcher Abstammung finden sollte, er im Gegenteil von einem so leichtflüssigen und fein geläuterten Wesen, von einem in allen seinen Neigungen so absonderlichen Charakter, so erregt und possig und so voll gaité de coeur war, wie ihn nur das allerfreundlichste Klima schaffen und zusammen bringen konnte.
Bei all diesem Segelwerk führte der arme Yorick nicht ein Loth Ballast bei sich; er war durchaus unbekannt in der Welt, und mit 26 Jahren wußte er gerade nur so viel davon, wie er seinen Curs in derselben zu steuern habe, wie ein argloses Mädchen von dreizehen, das sich im Spiele herumbalgt; so daß ihn wie man sich denken kann, gleich bei seiner ersten Ausfahrt der lebhafte Wind seines Geistes zehen Mal im Tage in das Takelwerk eines Andern trieb; und da, wie man sich gleichfalls leicht denken kann, gerade die ernsteren und bedächtigeren ihm am öftesten in den Weg kamen, so hatte er in der Regel das Mißgeschick mit diesen sich am meisten zu verstricken.
Indessen mochte jedem solchem Zusammenstoß auch eine Beimischung von schlechtem Witze mit zu Grunde liegen, denn offen gestanden, hatte Yorick einen unüberwindlichen Widerwillen gegen die Gravität, seine ganze Natur lehnte sich dawider auf; das heißt nicht gegen den Ernst an sich, denn wo der Ernst wirklich am Platze war, da war er gewiß Tage und Wochen lang der ernsthafteste, gesetzteste Mann von der Welt; aber er konnte es nicht leiden, wenn man nur die Maske des Ernstes vornahm und dieser Unsitte erklärte er offen den Krieg, da er in ihr nur eine Bemäntelung der Unwissenheit oder Albernheit erblickte; wenn diese ihm aber in den Weg kam, so gab er ihr selten Pardon, mochte sie nun noch so sehr verschanzt und gedeckt sein.
In seiner extravaganten Art sich auszudrücken, pflegte er bisweilen zu sagen, die Gravität sei eine Erzspitzbübin und zwar, pflegte er hinzusetzen, von der aller gefährlichsten Art, weil sie zugleich schlau sei, und er glaube wirklich, es werden durch sie in einem Jahre mehr ehrliche wohlmeinende Leute um Hab und Gut geprellt, als durch Taschen- und Ladendiebe in sieben. In der offenen Laune eines heiteren Gemüths, pflegte er zu sagen, liege nichts Gefährliches, höchstens für dieses selbst; dagegen sei das eigentliche Wesen der Gravität Absichtlichkeit, und somit Betrug; es sei ein wohl überlegter Kunstgriff, um von der Welt für klüger und gebildeter angesehen zu werden, als man eigentlich sei. Bei all ihren Ansprüchen aber sei sie doch nicht mehr, wol aber oft weniger als wie sie ein französisches Witzwort schon vor langer Zeit bezeichnet habe, nämlich: ein geheimnißvolles Gehaben des Leibes, um die Mängel des Gemüths zu verdecken – welche Definition der Gravität, wie Yorick höchst unklug hinzuzusetzen pflegte, man in goldenen Lettern setzen sollte.
Er war aber wirklich in der Welt ganz unerfahren und ungewohnt; und auch bei jedem anderen Gegenstand der Unterhaltung, wo die Klugheit Zurückhaltung gebietet, ebenso unbesonnen und närrisch. Yorick besaß nur eine Art Eindruck, den nämlich der für ihn aus der Natur der besprochenen Sache hervorging; und diesen Eindruck übersetzte er gewöhnlich in gutes Englisch ohne alle Umschreibung, und nur zu oft, ohne auf Person, Zeit oder Ort die mindeste Rücksicht zu nehmen; so daß wenn die Rede auf eine niederträchtige oder unedle Handlung kam, er sich nie auch nur einen Augenblick Zeit nahm, zu überlegen, wer der Held des Stückes, welches seine gesellschaftliche Stellung sei, oder in wie weit derselbe die Macht besitze, es ihm nachher einzutränken – sondern wenn es eine schmutzige Handlung war – ohne Umschweif aussprach: Der Mensch sei ein schmutziger Bursche – und sofort. Und da seine Aussprüche gewöhnlich das Mißgeschick hatten, entweder mit einem Witz zu schließen oder durch irgend einen drolligen, humoristischen Ausdruck gewürzt zu sein, so bekam Yoricks Unbesonnenheit hierdurch Schwingen. Mit einem Wort, er suchte zwar nie einen Anlaß, ließ aber auch selten eine Gelegenheit vorübergehen etwas herauszusagen, was ihm gerade auf der Zunge lag, und zwar ohne lange Umstände, und fand so nur zu viele Versuchungen im Leben, seinen Witz und Humor, seine Späße und Possen los zu lassen. Sie gingen nicht verloren, denn es gab immer Leute, die sie sammelten.
Was die Folge hievon war, und wie Yorick schließlich daran scheiterte, werden Sie im nächsten Kapitel finden.
Der Schuldner und der Gläubiger unterscheiden sich in Beziehung auf die Größe des Geldbeutels nicht mehr von einander, als der Spötter und der Verspottete in Beziehung auf die Güte des Gedächtnisses. Hiebei kriecht der Vergleich, wie die Scholiasten sagen, auf allen Vieren; was beiläufig ein oder zwei Beine mehr ist, als sich einige der besten Vergleiche Homers rühmen können; es erhebt nämlich der Eine eine Summe und der Andere ein Gelächter auf Ihre Kosten und denkt nicht mehr daran. In beiden Fällen aber laufen Zinsen auf; die periodische oder zufällige Bezahlung derselben dient dann dazu die Erinnerung an die Sache frisch zu erhalten, bis endlich in einer bösen Stunde – hupp! der Gläubiger da steht, und das Kapital nebst den vollen Zinsen bis auf den Tag einverlangt und so den Schuldner die ganze Größe seiner Verbindlichkeit fühlen läßt.
Da (die Wenn's kann ich nicht leiden) der geneigte Leser die menschliche Natur zur Genüge kennt, so brauche ich nicht hinzuzufügen, daß mein Held unmöglich in diesem Tempo fortfahren konnte, ohne seine kleinen Erfahrungen zu machen und gelegentlich einmal derartige Mahnungen zu erhalten. Offen gesagt, er hatte sich leichtsinnigerweise eine Menge kleiner Buchschulden dieser Art zugelegt, die er trotz Eugenius häufiger Warnungen all zu sehr vernachlässigte, weil er dachte, es sei ja keine in böslicher Absicht gemacht worden, sondern im Gegentheil aus ehrlichem Herzen und lediglich im heiteren Humor, und deshalb würden sie sich auch alle im Lauf der Zeit verwischen.
Eugenius wollte dies nie zugeben und sagte oft, man würde gewiß früher oder später mit ihm abrechnen; und setzte er oft in einem Tone kummervoller Besorgniß hinzu, – bis auf den Heller hinaus. Mit seiner gewöhnlichen Sorglosigkeit pflegte dann Yorick mit einem: Ah bah! darauf zu erwiedern, und wenn die Sache im Freien verhandelt wurde – mit einem Luftsprung, Satz und Hupf am Ende; ging die Unterhaltung aber in einer geselligen Kaminecke vor sich, wo der Maleficant durch einen Tisch und ein Paar Armstühle eingesperrt war, und nicht so leicht in einer Tangente durchgehen konnte, so fuhr Eugenius in seiner Vorlesung über Lebensklugheit und Vorsicht in geeigneten Worten fort – die übrigens etwas besser gewählt waren als die folgenden:
Glaub' mir, lieber Yorick, diese deine unüberlegten Späße werden dich früher oder später in Verlegenheiten und Schwierigkeiten bringen, aus denen dich dann keine nachträgliche Klugheit mehr herauswinden wird. Ich sehe oft, daß sich bei solchen Possen der Ausgelachte als ein Beleidigter betrachtet und sich alle mit einem solchen Verhältnisse verbundenen Rechte beimißt; und wenn du ihn ebenfalls in diesem Lichte betrachten und seine Freunde, seine Familie, seine Verwandtschaft noch dazu zählen – und die vielen Recruten hinzu rechnen wolltest, die sich im Gefühl einer allgemeinen Gefahr unter seine Fahnen stellen – so würdest du, ohne Uebertreibung gesprochen, für zehen Witze immer auf hundert Feinde rechnen können, die du dir durch jene zugezogen hast; aber du wirst dich nie davon überzeugen lassen, bis dir einmal der Wespenschwarm, den du aufgestachelt, um die Ohren schwirrt und dich halb zu Tode sticht.
Ich kann von dem Manne, den ich hochachte, nicht glauben, daß in diesen Späßen auch nur eine Spur von Bitterkeit oder boshafter Absicht liege; ich glaube und weiß viel mehr, daß sie ehrlich gemeint und eben nur scherzhafter Natur sind; aber bedenke doch, mein lieber Freund, daß die Dummköpfe dies nicht zu unterscheiden wissen, und die Schelme es nicht unterscheiden wollen; du aber weißt gar nicht was es heißt die Einen herauszufordern oder sich über die Anderen lustig zu machen. Wenn sie sich einmal zu gegenseitiger Vertheidigung verbinden, so kannst du dich darauf verlassen, daß sie den Krieg gegen dich, mein lieber Freund, in einer Weise führen werden, daß es dir das Leben entleiden wird.
Aus irgend einem giftigen Winkel wird die Rache eine ehrenrührige Geschichte gegen dich schleudern, welche keine Unschuld des Herzens, keine Reinheit des Wandels verwischen wird. Das Glück deines Hauses wird wanken, dein Charakter, der es aufbaute, wird von allen Seiten bluten; man wird deine Redlichkeit in Frage stellen, deine Handlungen verleumden, deinen Witz vergessen, dein Wissen mit Füßen treten. Und in der letzten Scene deines Trauerspiels werden Grausamkeit und Feigheit, diese Zwillingsschufte, welche Bosheit dazu angestiftet und im Dunkel gegen dich gesandt hat, einen Schlag gegen deine Schwächen und Irrthümer führen; die besten von uns haben ihre Blößen, mein lieber Freund, und glaube mir – glaube mir, Yorick, wenn man einmal, um eine geheime Lust zu befriedigen, beschlossen hat, ein unschuldiges und hilfloses Geschöpf zu Grunde zu richten, so wird man mit größter Leichtigkeit aus jedem Gehölz, wo es herum geirrt hat, Holz genug zu einem Feuer finden, auf dem es geopfert wird. –
Yorick hörte diese traurige Weissagung seines Geschickes nie mit an, ohne daß sich ihm eine Thräne aus dem Auge stahl, und daß sein Blick zugleich versprach, er wolle gewiß künftig sein Steckenpferd mit größerer Mäßigung reiten. – Aber es war leider, zu spät! – Schon ehe die erste Prophezeiung dieser Art ausgesprochen wurde, hatte sich eine große Verschwörung, mit X und Y an der Spitze, gebildet. – Der ganze Angriffsplan gerade so wie Eugenius ihn voraus gesagt, wurde auf einmal ins Werk gesetzt – und zwar mit so wenig Erbarmen von Seite der Verbündeten, und so wenig Argwohn von Seiten Yoricks in Betreff dessen, was gegen ihn vorging – daß, als der gute leichtgläubige Mann wähnte, eine Beförderung könne ihm nicht entgehen – sie bereits die Wurzel unter ihm abgesägt hatten, und er nun fiel, wie mancher Biedermann vor ihm gefallen war.
Yorick kämpfte zwar eine Zeit lang mit aller erdenklichen Tapferkeit dagegen an; aber endlich überwältigte ihn die Uebermacht, die Unfälle des Kampfes nützten ihn ab, – noch mehr freilich die unedle Art, wie derselbe geführt wurde – er warf das Schwert weg, und blieb zwar scheinbar bis zum letzten Moment aufrecht, starb aber doch wie man allgemein glaubte, am gebrochenen Herzen. Was Eugenius veranlaßte, dies ebenfalls zu glauben, war folgender Vorfall:
Wenige Stunden ehe Yorick den letzten Athemzug that, trat Eugenius bei ihm ein, um ihn zum letzten Mal zu sehen und Abschied von ihm zu nehmen. Als er Yoricks Vorhang bei Seite zog und ihn fragte, wie es ihm sei, blickte ihn Yorick an, ergriff seine Hand und dankte ihm für seine vielfachen Beweise von Freundschaft, und sagte, wenn es ihr Schicksal sein sollte, sich dereinst wieder zu begegnen, so würde er ihm wiederholt dafür danken; denn, setzte er hinzu, in wenigen Stunden werde er seinen Feinden für immer entrinnen. Ich hoffe noch nicht, erwiderte Eugenius, während ihm Thränen die Wange herabliefen, und im zärtlichsten Tone, in dem je gesprochen wurde, ich hoffe noch nicht, Yorick, sagte er. Die einzige Antwort Yoricks war ein Blick nach Oben und ein sanfter Druck der Freundeshand. Aber es schnitt Eugenius durch's Herz. – Komm, komm, Yorick! sagte Eugenius, indem er sich die Augen wischte und seine ganze Manneskraft zusammen nahm – sei stark, mein alter Freund – laß deinen Muth, deine Kraft in dieser Krisis, wo du sie am meisten brauchst, nicht sinken – wer weiß, was es noch Alles für Mittel gibt, und was Gottes Wille noch für dich thun kann! –
Yorick legte die Hand aufs Herz und schüttelte sachte den Kopf. – Aber ich, fuhr Eugenius fort und weinte laut bei diesen Worten – ich muß sagen, ich weiß nicht, wie ich es ohne dich werde aushalten können, Yorick; und ich möchte mir gar zu gerne mit der Hoffnung schmeicheln, fuhr Eugenius fort, und gab seiner Stimme wieder einen heitereren Anstrich, es sei noch genug von dir da, um einen Bischof daraus zu machen, und ich werde das noch erleben. – Ich bitte dich, Eugenius, sprach Yorick und nahm so gut es mit der linken Hand ging seine Nachtmütze ab – mit der Rechten hielt er noch Eugenius Hand fest – ich bitte dich, seh' dir einmal meinen Kopf an. – Ich sehe nichts, was ihm fehlen soll, erwiederte Eugenius. – Ach dann, mein Freund, versetzte Yorick, muß ich dir sagen, daß die Streiche, die X und Y und einige Andere so unschön im Dunkel dagegen geführt haben, ihn so gebrochen und mißstaltet haben, daß ich mit Sancho Pansa sagen könnte: wenn ich je wieder gesund würde, und es würden Bischofsmützen vom Himmel fallen, so dicht wie Hagel, so würde mir keine mehr passen. – Als Yorick so sprach, hing ihm bereits der letzte Athemzug an den zitternden Lippen, – doch lag in seinem Tone noch etwas vom Geist des Cervantes, und während er so sprach, konnte Eugenius wohl bemerken, wie in seinen Augen für einen Moment ein Feuerstrahl aufflackerte; – ein schwacher Abglanz jener Geistesblitze, die (wie Shakespeare von seinem Ahnherrn sagte) die ganze Tafel in der Regel in ein lautes Gelächter versetzte!
Aber Eugenius gewann daraus die Ueberzeugung, daß das Herz seines Freundes gebrochen sei: er drückte ihm noch einmal die Hand und verließ dann unter Thränen leise das Zimmer. Yorick folgte Eugenius mit den Augen bis zur Thüre – und schloß sie dann – und öffnete sie nicht wieder.
Er liegt in einer Ecke seines Kirchhofs im Kirchspiel —, unter einem flachen Marmorstein, den ihm sein Freund Eugenius mit Erlaubniß der Testamentsvollstrecker auf seinem Grabe hatte setzen lassen, und worauf nur die folgenden drei Worte standen, die zugleich als Grabschrift und Klagelied dienen konnten:
Ach, armer Yorick!
Zehen Mal im Tage hat Yoricks Geist die tröstliche Beruhigung, diese Inschrift mit einer solchen Mannigfaltigkeit des klagenden Ausdrucks zu vernehmen, daß daraus hervorgeht, wie allgemein das Bedauern um ihn und die Hochachtung für ihn ist; da nämlich ein Fußweg hart an seinen Grabe vorbei über den Kirchhof führt, – so wandelt Keiner vorüber, ohne einen Augenblick stehen zu bleiben, einen Blick darauf zu werfen – und im Weitergehen zu seufzen:
Ach, armer Yorick!
Der Leser dieses rhapsodischen Werkes hat die Hebamme schon solange verlassen, daß es hohe Zeit sein dürfte, dieselbe ihm wieder in Erinnerung zu bringen, nur um ihm zu Gemüthe zu führen, daß noch so Jemand auf der Welt ist, den ich, so weit ich meinen Plan gegenwärtig übersehe, im Begriff bin, alles Ernstes bei ihm einzuführen. Da aber ein neuer Gegenstand in Angriff genommen werden soll, und zwischen dem Leser und mir viele unerwartete Geschäfte zu Tage kommen werden, die eine sofortige Abwickelung erheischen, so mußte Sorge getragen werden, daß die arme Frau in der Zwischenzeit nicht verloren ging – weil, wenn man sie brauchte, wir ohne sie nicht fertig werden könnten.
Ich glaube, ich habe Ihnen bereits gesagt, daß diese gute Frau eine Person von nicht geringem Ansehen oder Bedeutung in unserem ganzen Dorf und Ortsgebiete war; daß ihr Ruf sich bis zum äußersten Rand des Wichtigkeitskreises erstreckte, mit dem sich jedes lebende Wesen, mag es nun ein Hemd auf dem Leibe tragen oder nicht, zu umgeben pflegt; welch' besagter Kreis übrigens, – wenn man irgend Jemand als einen Mann von großem Gewicht und Bedeutung in der Welt bezeichnet, – von Euer Wohlgeboren nach Belieben erweitert oder verengert werden kann, je nach der Stellung, dem Amt, den Kenntnissen, Fähigkeiten, der Höhe und Tiefe (die beide zu bemessen sind) der Ihnen vorgeführten Person.
Wenn ich mich recht erinnere, so habe ich denselben im gegenwärtigen Falle auf 4–5 Meilen festgestellt, so daß nicht nur das ganze Kirchspiel, sondern auch noch 2–3 Meilen innerhalb der Grenzen des anstoßenden Sprengels mit einbegriffen waren, wodurch derselbe sehr an Bedeutung gewann. Ich muß hinzufügen, daß sie noch überdies in einem großen Meierhof und in einigen andern Häusern und Höfen auf 2–3 Meilen Entfernung von dem Rauch ihres Kamins gerne gesehen war; doch muß ich Sie hier ein für alle Mal benachrichtigen, daß alles dies auf einer Karte, welche sich gegenwärtig in den Händen des Kupferstechers befindet, genauer dargestellt und bezeichnet sein wird, welche Karte nebst vielen anderen Beweisstücken und Beilagen dem 20. Bande dieses Werks angefügt werden soll, nicht um das Werk dickleibiger zu machen – ich verabscheue den Gedanken an so etwas, sondern in der Form eines Commentars, Anhanges, einer Erläuterung oder eines Schlüssels zu solchen Stellen, Punkten oder Andeutungen, in welchen ein geheimer Sinn, eine dunkle oder zweifelhafte Meinung gefunden werden sollte, nachdem alle Welt mein Leben und meine Meinungen durchgelesen haben wird (ich sage »durchgelesen«, man vergesse den Sinn dieses Wortes nicht); – was unter uns gesagt, trotz aller Herren Kritiker in Großbritannien und trotz Allem was diese Würdigen dagegen sagen, oder schreiben werden, wie ich fest beschlossen habe, wirklich geschehen soll. Ich brauche wol Euer Wohlgeboren nicht erst zu sagen, daß ich Ihnen das ganz im Vertrauen mittheile.
Als ich in meiner Mutter Heirathscontract nachsah, um mich und meine Leser über einen Punkt, der nothwendig der Aufklärung bedurfte, ins Klare zu setzen, ehe wir in dieser Geschichte weiter gehen konnten – hatte ich das Glück gerade auf die Sache, die ich suchte, zu stoßen, noch ehe ich 1½ Tag darin fortgelesen hatte; es hätte mich ebenso gut einen Monat lang beschäftigen können; – woraus klar hervorgeht, daß wenn ein Mann sich hinsetzt, um eine Geschichte zu schreiben – und wenn es nur die Geschichte von Jack Hickathrift oder Tom Tumb wäre, er so wenig als sein Schuhabsatz eine Idee davon hat, was für Hindernisse und verwünschte Zufälle ihm in den Weg kommen können – oder zu was für einem Tanze ihn diese oder jene Abschweifung führen kann, ehe Alles glücklich vorüber ist. Wenn ein Geschichtsschreiber seine Geschichte so vorwärts treiben könnte, wie ein Maulthiertreiber sein Maulthier – nämlich in gerader Richtung, – zum Beispiel von Rom gerade nach Loretto, ohne einmal den Kopf zur Seite zu drehen, weder zur Rechten noch zur Linken – so könnte er es allerdings wagen, Ihnen bis auf die Stunde hin vorauszusagen, wann er mit seiner Reise zu Ende kommen werde, – aber das ist, moralisch gesprochen, unmöglich; denn wenn er auch noch so wenig Geist besitzt, wird er mit dieser oder jener Gesellschaft fünfzig Abstecher von der geraden Linie machen, die er durchaus nicht vermeiden kann. Es werden sich ihm beständig Anblicke und Ausblicke bieten, die sein Auge in Anspruch nehmen, so daß er es nicht wird vermeiden können, stille zu stehen, und sie zu betrachten; überdies hat er verschiedene
Berichte zu vergleichen,
Anekdoten aufzulesen,
Anschriften zu entziffern,
Geschichten mit zu verweben,
Traditionen umzukleiden,
Personen zu besuchen,
Lobpreisungen an dieser Thüre anzukleben,
Pasquille an jener: –
was Alles weder bei dem Treiber noch bei dem Maulthier nothwendig ist. Dazu muß er noch bei jedem Abschnitt in Archiven nachsehen, Listen, Tagebücher, Urkunden und endlose Genealogien nachlesen, zu deren gründlicher Lectüre ihn da und dort die Billigkeit veranlaßt: kurz die Sache nimmt gar kein Ende. – Ich für meinen Theil erkläre hier feierlich, daß ich seit 6 Wochen mit diesen Dingen beschäftigt bin, und mich nach Thunlichkeit beeilt habe – und doch bin ich immer noch nicht geboren; – ich kam gerade nur so weit, und das ist Alles, um Ihnen zu sagen, wann es geschah, aber nicht wie; – so daß die Sache noch weit von ihrer Vollendung ist.
Diese unvorhergesehenen Aufenthalte, von denen ich, aufrichtig gestanden, noch keine Ahnung hatte, als ich mich auf den Weg machte, – die aber, wie ich jetzt überzeugt bin, beim Weitergehen eher wachsen als abnehmen werden, haben mir einen Wink gegeben, den ich entschlossen bin zu beachten – nämlich – mich nicht zu übereilen – sondern in aller Muße vorwärts zu schreiten, und alljährlich 2 Bände meines Lebens zu schreiben und herauszugeben – was ich dann, wenn man mich ruhig gehen läßt und ich einen annehmbaren Vertrag mit meinem Buchhändler abschließen kann, bis an mein Lebensende so fortsetzen werde.
Der Artikel im Heirathscontract meiner Mutter, den ich, wie ich dem Leser mittheilte, so eifrig suchte, und den ich, nach dem ich ihn gefunden, für passend halte ihm vorzulegen, – drückt sich über die Sache um so viel vollständiger aus, als ich selbst es zu thun hoffen könnte, daß es eine Barbarei wäre, wenn ich dem Manne des Rechts nicht das Wort lassen würde. Er lautet:
»Und diese Urkunde bezeugt ferner, daß der besagte Walter Shandy, Kaufmann, in Anbetracht der beabsichtigten Verheirathung, die zwischen besagtem Walter Shandy und vorbesagter Elisabeth Mollineux geschlossen und mit Gottes Hilfe wohl und wahrhaft gefeiert und vollzogen werden soll, wie auch in Anbetracht verschiedener anderer guter und gewichtiger Ursachen und Betrachtungen, die ihn noch besonders dazu bewegen – folgendes nebst den obengenannten Gewährsmännern den Herren John Dixon und James Turner, gewährt, zugibt, erlaubt, gestattet, festsetzt, und darüber Handels einig ist und zustimmt: – nämlich – daß falls es künftig so geschehen, sich zutragen, sich ereignen oder sonst eintreten sollte – daß besagter Walter Shandy, Kaufmann, sein Geschäft aufgeben sollte, vor der Zeit oder den Zeiten, da besagte Elisabeth Mollineux nach dem Lauf der Natur oder sonst aufgehört haben wird – Kinder zu empfangen und zu bekommen – und daß in Folge davon, daß besagter Walter Shandy sein Geschäft aufgegeben, er trotz und gegen den freien Willen, Zustimmung und Belieben der besagten Elisabeth Mollineux – die Stadt London verlassen sollte, um sich zurückzuziehen oder zu wohnen, auf seinem Gut Shandy Hall in der Grafschaft Z. oder auf irgend einem anderen Landsitz, Burg, Halle, Herrenhaus, Gut oder Weinhof, den er bereits erworben hat oder künftig erwerben wird, oder auf einem Theil oder Nebengebäude eines solchen, daß dann, und so oft als besagte Elisabeth Mollineux mit einem Kind oder Kindern schwanger gehen wird, die gesetzlich erzeugt wurden, oder die in dem Körper der besagten Elisabeth Mollineux, während ihres besagten Frauenstandes erzeugt werden – er der besagte Walter Shandy gehalten sein solle, auf seine eigenen Kosten und Lasten und von seinem eigenen Vermögen, auf sichere und vernünftige Nachricht, welche hiermit auf die Zeit innerhalb sechs Wochen nach ihrer der besagten Elisabeth Mollineux angestellten Berechnung, oder Zeit der angenommenen und berechneten Niederkunft festgestellt wird – zu bezahlen, oder bezahlen zu lassen, die Summe von Einhundert und Zwanzig Pfund guten und gesetzlichen Geldes an die Herren John Dixon und James Turner, oder deren Bevollmächtigte – auf Glauben und Vertrauen und zu dem hienach bezeichneten Zweck und Zwecken, Absicht, Ende und Ziel: – Nämlich – damit besagte Summe von Einhundert und Zwanzig Pfund in die Hände der besagten Elisabeth Mollineux ausbezahlt, oder sonst durch sie die besagten Gewährsmänner dazu verwendet werde, um eine Kutsche mit den hiezu nöthigen und geeigneten Pferden ordentlich und richtig zu miethen, welche den Körper der besagten Elisabeth Mollineux, nebst dem Kind oder den Kindern, mit welchen sie dann und dort schwanger und in der Hoffnung sein wird – nach der Stadt London fahren und verbringen sollen; wie auch zur weiteren Bestreitung und Bezahlung aller anderer zufälliger Kosten, Lasten und Ausgaben irgend welcher Art, – bei und für und in Beziehung auf besagte bezeichnete Niederkunft und Wochenbett in besagter Stadt oder den Vorstädten derselben: und daß besagte Elisabeth Mollineux von Zeit zu Zeit, und zu jeder solchen Zeit und Zeiten, wie hier ausgemacht und übereingekommen ist – in Frieden und Ruhe besagte Kutsche und Pferde miethen könne und solle, wie auch freien Eintritt, Austritt und Wiedereintritt, während ihrer ganzen Reise in und aus besagter Kutsche habe, gemäß dem Wortlaut, wirklichen Inhalt und Sinn dieses Gegenwärtigen, ohne irgend ein Hemmniß, Proceß, Beunruhigung, Störung, Belästigung, Bezahlung, Hinderniß, Buße, Enthebung, Behelligung, Unterbrechung oder Unannehmlichkeit irgend welcher Art; – und daß es ferner besagter Elisabeth Mollineux gestattet sein solle, von Zeit zu Zeit, und so oft sie in ihrer besagten Schwangerschaft gut und getreulich vorgeschritten sein wird, bis zu der hier zuvor ausgemachten und übereingekommenen Zeit, – leben und zu wohnen an einem solchen Ort oder Orten, und in solcher Familie oder Familien, und bei solchen Verwandten, Freunden und sonstigen Personen in besagter Stadt London, wie sie es nach ihrem eigenen Willen und Belieben, unerachtet ihres gegenwärtigen Frauenstandes, und wie wenn sie eine für sich lebende und unverheiratete Frau wäre – es für gut finden wird. – Und dieser Vertrag beurkundet ferner, daß zur wirksameren Durchführung der besagten Uebereinkunft der besagte Walter Shandy, Kaufmann, hierbei gewährt, verhandelt, verkauft, überträgt und bestätigt den besagten Herren John Dixon und James Turner, deren Erben, Vollstreckern und Bevollmächtigten ihren gegenwärtigen wirklichen Besitz kraft eines Handels- und Verkaufsvertrags auf ein Jahr, der zu ihren, der besagten Herren John Dixon und James Turner's Gunsten durch ihn den besagten Walter Shandy, Kaufmann, hierüber abgeschlossen wurde; welcher besagter Handel und Verkauf auf ein Jahr das Datum des Tages zunächst vor dem Datum dieses Gegenwärtigen trägt, und kraft und in Vollmacht des Gesetzes für Uebertrag von Nutzungen in Besitz – und zwar die Grundherrschaft und Lordschaft von Shandy, in der Grafschaft Z mit allen Rechten, Theilen und Zugehör, und alle und jede Güter, Häuser, Gebäude, Schuppen, Ställe, Obstgüter, Gärten, Hintergebäude, Rasenplätze, Einzäunungen, Einfriedigungen, Hütten, Ländereien, Wasen, Futterplätze, Weiden, Moorland, Allmenden, Wälder, Unterholz, Abzugsgräben, Fischereien, Gewässer und Wasserläufe – zunebst allen Zinsen, Heimfällen, Servituten, Annuitäten, Erbzinslehen, Ritterlehen, Sicherheitsämtern, Rückfällen, Lehensgebühren, Bergwerke, Steinbrüche, Hab und Gut von Verbrechern und Flüchtlingen, Selbstmördern und Vorgeladenen, verfallene Güter, Lehensfreiheiten, und alle andere königliche und gutsherrliche Rechte und Gerichtsbarkeiten, Privilegien und Erbschaftsrechte irgend welcher Art – und auch das Patronatsrecht, Schenkung, Antrag und freie Verfügung über die Pfarrei, oder Seelsorge des vorbesagten Shandy und alle und jede Zehenten, Antheil und geistlichen Grundeigenthum. –
Mit drei Worten: meine Mutter konnte (wenn es ihr beliebte) ihr Wochenbett in London abhalten. Um aber jedem unlautern Spiel von Seiten meiner Mutter, dem durch einen Artikel dieser Art gar zu offenbar Thür und Thor geöffnet wurde, und an dessen Bedenklichkeit Niemand gedacht hatte als mein Onkel Toby Shandy, einen Riegel vorzuschieben, – wurde eine Klausel zur Sicherung meines Vaters angehängt, die also lautete. – »Daß falls meine Mutter künftig zu irgend einer Zeit auf den Grund falscher Zeichen und Betheurungen meinen Vater in die Unlust und die Unkosten einer Reise nach London versetzen sollte – sie für jeden solchen Fall aller Rechte und Ansprüche, welche ihr der Vertrag gab, für das nächste Mal verlustig gehen sollte, – aber nicht weiter – und so fort, toties quoties, gerade so, wie wenn ein derartiger Vertrag zwischen ihnen gar nicht bestünde. – Dies war offenbar nicht mehr als billig, allein so billig es auch war, so war es doch sehr hart für mich, daß die ganze Last dieses Artikels auf mich fallen mußte, wie dies in der That geschah.
Allein ich war nun einmal zum Unheil gezeugt und geboren; – denn meine arme Mutter, mochte nun Wind oder Wasser – oder eine Mischung beider – oder keines von Beiden daran Schuld sein, – oder war es nur eine Blase der Einbildung, der Phantasie, – oder eine Mißleitung ihrer Urtheilskraft durch das heftige Verlangen und Wünschen, daß es so sein möchte – kurz, mochte sie hiebei sich selbst oder andere getäuscht haben, was mir nicht zu entscheiden zukommt, – aber die Thatsache war die, daß meine Mutter gegen Ende September 1717, also gerade ein Jahr ehe ich geboren wurde, meinen Vater sehr gegen dessen Willen und Neigung nach der Stadt genöthigt hatte, – und er nun ganz entschieden auf der Klausel bestand, so daß ich auf Grund eines Heirathscontracts dazu verurtheilt ward, eine Nase zu bekommen, die mir so platt auf das Gesicht gequetscht wurde, wie wenn die Parzen mich überhaupt ohne Nase gesponnen hätten.
Wie dies kam – und welch' ein Schweif von Widerwärtigkeiten und Enttäuschungen mir in jeder Lage meines Lebens, nur wegen des Verlustes oder vielmehr der Zusammenquetschung dieses einzigen Gliedes nachschleppte, – das wird der Leser Alles seiner Zeit genau erfahren.
Jedermann kann sich leicht vorstellen, in welch' verdrießlicher Laune mein Vater mit meiner Mutter wieder auf das Land zurückreiste. Die ersten 20 oder 25 Meilen that er nichts, als daß er sich und natürlich meine Mutter ebenfalls mit Betrachtungen über die verwünschte Auslage plagte und quälte, die wie er sagte, bis auf den Schilling hinaus hätte erspart werden können. Was ihn aber mehr als alles Andere ärgerte, war die empörende Jahreszeit, – es war wie ich bereits sagte, gegen Ende September, wo gerade sein Spalierobst und seine grünen Reineclauden, auf die er besonders versessen war, zum Abnehmen reif waren – »Wenn er in irgend einem anderen Monat im Jahr durch die Botschaft eines Hansnarren nach London gejagt worden wäre, würde er nicht drei Worte deshalb verloren haben.«
Während der ganzen nächsten Stationen wurde nichts abgehandelt als der schwere Schlag, der ihm durch den Verlust eines Sohnes zugefügt worden, auf den er im Geiste bereits sicher gerechnet und den er bereits in sein Taschenbuch eingetragen hatte als zweiten Stab seines Alters, falls Bobby nicht einschlagen sollte. »Diese Enttäuschung« bemerkte er, »falle für einen weisen Mann noch zehn Mal schwerer in die Wagschaale als alles Geld, das ihn die Reise gekostet, zusammen; – mögen die 120 Pfund darauf gehen – er scheere sich keinen Pfifferling darum.«
Die ganze Strecke von Stilton bis Grantham ärgerte ihn nichts so sehr auf der Welt, als die Aussicht auf die Beileidsbezeigungen seiner Freunde und der Gedanke an die lächerliche Figur, die er und seine Frau bei ihrem ersten Kirchgang am nächsten Sonntag spielen würden. In der satyrischen Heftigkeit seines Witzes, der jetzt noch durch den Aerger geschärft war, entwarf er so humoristische und haarsträubende Schilderungen hievon, und versetzte sich selbst und seine Hälfte in so peinliche Situationen und Beleuchtungen vor der ganzen Gemeinde, daß meine Mutter nachher sagte, diese 2 Stationen seien wirklich tragikomische gewesen, und sie habe von einem Ende des Weges bis zum andern nur immer in einem Athem geschrieen vor Lachen und Weinen.
Von Grantham bis sie den Trent passirt hatten, verlor mein Vater endlich alle Geduld über den gemeinen Possen und Betrug, den ihm, wie er meinte, meine Mutter in dieser Angelegenheit gespielt habe. – Ich bin überzeugt, sagte er das eine Mal über das andere zu sich selbst, die Frau hat sich nicht so selbst getäuscht – wenn das möglich wäre – welche Schwäche! – Dieses unselige Wort riß seine Phantasie in einen dornenvollen Tanz und machte ihn, ehe noch Alles vorüber war, ganz des Teufels! – denn sobald einmal das Wort Schwäche ausgesprochen war und sich in seinem Gehirn festgesetzt hatte, so begann dieses seine Variationen über die verschiedenen Arten von Schwächen auf der Welt – – da gab es körperliche Schwächen und dann wieder Schwächen des Geistes und Herzens – und dann begann er ein Paar Stationen hindurch in sich selbst darüber zu philosophiren, in wie weit die Endursache aller dieser Widerwärtigkeiten in ihm selbst zu suchen wäre oder nicht.
Kurz, er fand so viele kleine Ursachen zu innerer Unruhe in dieser einen Angelegenheit, womit er sich nach einander quälte und peinigte, daß meine Mutter, wie angenehm auch die Hinreise gewesen sein mochte, nur eine sehr ungemüthliche Herreise hatte – kurz er hätte, wie sie zu meinem Onkel Toby klagend sagte, die Geduld jeder lebenden Seele erschöpfen können.
Obschon mein Vater, wie ich eben erzählte, nicht in der besten Laune heimwärts reiste – und den ganzen Weg über brummte und schnaubte – so hatte er doch die Freundlichkeit den schlimmsten Theil der Geschichte für sich zu behalten – nämlich den festen Entschluß den er gefaßt hatte, sich diejenige Genugthuung zu verschaffen, zu der ihn die von meinem Onkel Toby dem Heirathscontract angehängte Klausel berechtigte; und erst in der Nacht, da ich gezeugt ward, also 13 Monate später, bekam meine Mutter die erste Ahnung von seinem Vorhaben. Mein Vater war damals, wie Sie sich erinnern werden, etwas verdrießlich und außer Fassung und nahm deshalb, als sie nachher so im Bette lagen und noch eine Weile ernsthaft über das plauderten, was etwa kommen könne – die Gelegenheit wahr, ihr zu Gemüth zu führen, daß sie sich darauf gefaßt zu machen habe, die Consequenzen ihres Heirathscontracts zu tragen: nämlich mit ihrem nächsten Kinde auf dem Lande nieder zu kommen, um die Reise im vorigen Jahre auszugleichen.
Mein Vater besaß mancherlei Tugenden – er hatte aber auch einen starken Beigeschmack von einer Eigenschaft in seinem Wesen, die man je nach dem, zu den Tugenden rechnen konnte oder auch nicht. – Dieselbe heißt bei einer guten Sache Beharrlichkeit, und bei einer schlimmen Eigensinn. Meine Mutter war hierüber so weit im Klaren, daß sie wußte, es würde lediglich zu nichts führen, wenn sie Vorstellungen dagegen erheben wollte – sie beschloß deshalb die Sache ruhig abzuwarten und sie nach Kräften zu ihrem Vortheil zu wenden.