Arthur Schurig
Die Eroberung von Mexiko durch Ferdinand Cortes
Arthur Schurig

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V

Die Überrumpelung des Narvaez (im Mai 1520)

Aus den Denkwürdigkeiten des Bernal Diaz. (Vgl. den Bericht des Cortes auf Seite 162 ff.)

Am Kanoefluß, etwa eine Wegstunde vor Cempoalla, machten wir Rast auf einem schönen Wiesengrund und stellten unsere Vorposten und Wachen aus. Cortes befahl sämtliche Offiziere und Soldaten vor sich, und als wir alle beieinander waren, gebot er Stille und hub eine Rede an voll süßer Schmeichelei und eindringlicher Verführung.

Er begann mit einem Rückblick auf die Geschehnisse seit unserer Abfahrt von der Insel Kuba, wobei er uns alle die Mühsale wieder vor Augen führte, die wir bis jetzt hatten ausgestanden. Sodann fuhr er fort:

»Meine Herren, es ist euch gar wohlbekannt, daß mich der Statthalter von Kuba nicht etwa darum zum Generalkapitän ernannt hat, weil ich der einzige gewesen wäre, dem er die Führung des Unternehmens hätte anvertrauen können. Es ist mancher unter euch, der dessen nicht minder würdig wäre. Ebenso steht es euch klar in der Erinnerung, daß wir von der Insel sind abgezogen, alle in der Meinung, eine Siedelung in diesem Lande begründen zu sollen. Keiner von uns hat unseren Zug je anders angesehen. Aber trotz alledem hat man in der Folge erklärt, ich sei mit keiner sonstigen Aufgabe ausgesandt, als daß an der Küste ein wenig Tauschhandel zu betreiben sei. Ich ergab mich darein – was sollte ich anderes tun? – und war bereit, nach Kuba zurückzufahren, um Herrn Diego Velasquez die befehlsgemäße Erfüllung unseres Auftrags zu vermelden. Da fordertet ihr von mir, ja ihr zwangt mich, in Seiner Kaiserlichen Majestät Namen eine Stadt in diesem Lande anzulegen, was mit Gottes Beistand alsbald auch vollbracht worden ist. Darauf habt ihr mich zu eurem General und zum Oberrichter von Neu-Hispanien erwählt, welch hohe Würde ich hab angenommen, bis unseres Kaisers und Herrn allergnädigste Verfügung hierüber einträfe. Eine Zeitlang bereitete man uns noch allerlei Schwierigkeiten, um uns zur Umkehr zu veranlassen. Alles das steht euch im besten Gedächtnis. Schließlich aber war man doch allgemein der Meinung, es sei des Allmächtigen Wille, daß wir im Lande verbleiben sollen, denn alles, was wir im Dienste Seiner Majestät und zu Ehren Gottes hier haben unternommen, war sichtlich vom Glücke gesegnet. Ihr wißt ferner, daß ich in meinem genauen Bericht über dies Land unserem Kaiser habe versprochen, daß wir nicht eher ruhen und rasten wollen, als bis das große Werk völlig wäre vollendet, und daß wir sodann dies Reich, das groß und reich genug ist, um von einem Fürsten beherrscht und verwaltet zu werden, in seine Hände legen werden, seiner Allerhöchsten Entscheidung harrend, um selbige in tiefster Ehrfurcht und Untertänigkeit zu achten. Eines Anderen Willkür aber würden wir nie und nimmermehr respektieren. Wir deuteten dabei an, daß wir Ursach hätten zu befürchten, der mächtige Bischof von Burgos könne dem Diego Velasquez oder sonst einem seiner Schützlinge oder Verwandten die Statthalterschaft von Neu-Hispanien verschaffen. Zugleich mit diesem Bericht haben wir dem Kaiser all das Gold und Silber, alle die Edelsteine und anderen Kostbarkeiten, die wir bis dahin hatten zusammengebracht, gehorsamst übersandt. Sie waren unser einziger Lohn für tausend Mühsale und Gefahren. Wie oft hatten wir dem Tod auf dem Schlachtfeld ins Angesicht geblickt! Wind und Wetter, Schnee und Regen, Hunger und Durst hatten wir bei Tag und bei Nacht ertragen, immer die Waffen in den Händen. Erinnern wir uns einmal so recht aller dieser in Geduld und Unverzagtheit überstandenen Anstrengungen des Krieges! Mehr denn fünfzig brave Kameraden haben dabei ihr Leben gelassen. Wir anderen alle aber haben Wunden und Krankheiten davongetragen, die manchem noch heute zu schaffen machen. Gedenken wir der Gefahren zur See, der Schlacht am Tabasko, des Kleinkriegs auf dem Vormarsch in den Bergen und Engen, der Kämpfe mit Tlaskala! Wie nah waren wir da der völligen Vernichtung. Und gar in Cholula, wo schon die Töpfe über dem Feuer standen, in denen unser Fleisch und unsere Knochen gekocht und geschmort werden sollten! Und dann, als wir allen Schrecknissen zum Trotz in Temixtitan eingezogen waren, und wir mitten in der Stadt unser Quartier genommen, haben wir da nicht allezeit Tod und Verderben vor Augen gehabt? Im Rückblick auf dies alles dürfen wir wohl sagen: wir haben Übermenschliches geleistet. Und jetzt, nachdem wir Leben, Gesundheit und Vermögen auf das Spiel gesetzt, kommt uns dieser Pamfilo Narvaez wie ein toller Hund in den Weg und fällt uns heimtückisch an. Er nennt uns Spitzbuben und Meuterer und spinnt mit Montezuma Verrat, um uns und unseren Getreuen den Untergang zu bereiten. Wie unbesonnen ist solche Kriegführung eines Hispaniers Hispaniern gegenüber im Lande einer wildfremden Rasse! Nicht wir, sondern er ist der Aufwiegler, der Rebell wider Kaiser und Vaterland! Er kündigt uns die Vernichtung an, als seien wir Mauren oder sonstwelche Heiden.«

Sodann rühmte Cortes unsere so oft bewiesene Tapferkeit. Aber bisher hätten wir als Eroberer gefochten. Jetzt gälte es den Kampf über Sein oder Nichtsein, über Freiheit und Eigentum. Weiterhin sagte er: »Narvaez wird uns alle zu Gefangenen machen und wie Verbrecher richten, nachdem er uns unser Hab und Gut genommen hat. Wir sollen uns vor den Spießgesellen des Bischofs von Burgos wegen Mord, Brand und Plünderung verantworten! Leute, die ohne des Kaisers Geheiß und Befehl wider uns sind, verdammen uns, die wir Seiner Majestät in Todesverachtung ein großes Reich erobert haben. Meine Herren, alles das ist klar wie die Sonne. Wir aber als Kavaliere und Kaiserliche Kriegsleute haben die Pflicht, Seiner Majestät dies Land, uns aber Ehr und Eigentum zu verteidigen. In diesem Glauben und Willen bin ich mit euch aus der Hauptstadt gezogen, um im Vertrauen auf Gottes Hilfe und auf euren Mut solch frevlerischem Unrecht unser heiliges Recht und unsere ganze Kraft entgegenzustellen.«

Laut riefen wir dem Feldherrn zu, er könne sich auf uns verlassen. Es gelte: Sieg oder Tod!

Cortes freute sich über unsere Bereitwilligkeit und Entschlossenheit und erklärte, er habe es nicht anders erwartet. Es werde uns auch gewiß nicht gereuen, denn Ruhm und Reichtum solle der wohlverdiente Lohn unseres Mutes und unserer Tapferkeit sein. Hierauf bat er aufs neue um Ruhe und Gehör und fuhr alsdann fort. Im Kriege und auf dem Gefechtsfelde käme es nun aber nicht bloß auf Herzhaftigkeit an, sondern ebenso auf Erfahrung, Klugheit und Umsicht. Er kenne seine Soldaten. Er wisse, jeder rechne es sich zur Ehre an, als Erster vor den Feind zu treten. Zuvörderst jedoch brauche er nicht alle. Die nächste Aufgabe wäre die: mit einem erlesenen kleinen Trupp das feindliche Hauptquartier nächtlicherweile zu überfallen und in den Besitz der 18 Geschütze des Narvaez zu kommen. Dies solle durch sechzig jüngere Leute unter Führung des Hauptmanns Pizarro vollbracht werdenDieser Pizarro war ein Verwandter des Cortes mütterlicherseits. Vgl. auch Einleitung S. 10 u. 64.. Alsdann sei der hohe Tempel zu erstürmen, auf dessen Zinne Narvaez schlafe, und selbiger im Namen des Kaisers festzunehmen. Dazu habe er den Obristen Sandoval nebst sechzig Mann bestimmt. Hierzu überreichte er ihm eine schriftliche Vollmacht.

Zugleich setzte Cortes drei Belohnungen aus, zu 3000, 2000 und 1000 Piaster, für die drei, die zuerst Hand an den feindlichen Oberführer legten. Fernerhin bekam der Hauptmann Juan Velasquez von Leon mit sechzig Mann den Auftrag, einen Hauptmann namens Velasquez, der bei der vorherigen Verhandlung hochverräterische Reden geführt hatte, gefangenzunehmen. Cortes selbst behielt zwanzig Mann für sich, um im Falle der Not zur Hand zu sein.

Nachdem die Hauptleute ihre Befehle schriftlich erhalten hatten, redete Cortes weiter:

»Meine Herren, ich weiß sehr wohl, daß Narvaez viermal stärker ist denn wir. Indessen sind seine Truppen zum großen Teil nicht kriegserfahren. Manche davon sind gegen ihren Führer feindlich gesinnt und viele obendrein krank. Alle aber sollen von uns überrumpelt werden. Ihre Gegenwehr wird gering sein. Und Gott der Allmächtige wird uns sicherlich den Sieg verleihen. Zudem wissen die Leute des Narvaez, daß sie nichts verlieren, wenn sie von ihm zu uns übergehen, vielmehr größere Vorteile bei uns zu erwarten haben. Genug! Meine Herren, nach Gott hängt unser aller Leben und Ehre von eurer Tapferkeit ab. In euren Händen liegt es, ob uns die Nachwelt bewundern oder verachten wird. Es ist würdiger und ruhmvoller, im Felde zu sterben, als ein Leben voller Schande heimzutragen!«

Hiermit schloß Cortes, dieweil es zu dunkeln und regnen anfing.

Späterhin habe ich mir manchmal Gedanken gemacht, warum Cortes in seiner Rede mit keinem Worte das geheime Einverständnis erwähnt hat, das er mit etlichen Offizieren und Leuten im Heere des Narvaez angeknüpft hatte, und nur von der Notwendigkeit gesprochen hat, sich tapfer zu schlagen. Mit der Zeit aber ist es mir immer klarer geworden, daß sich gerade hierin die Besonnenheit des wahren Feldherrn zeigt, denn nicht auf List und Politik, sondern auf Gott, auf die Waffen und die eigene Kraft soll der einfache Soldat sein Vertrauen und seine Zuversicht stützen.

Ich gehörte zum Trupp des Hauptmanns Pizarro. Die Geschütze wegzunehmen, die im Hofe vor der großen Tempeltreppe standen, war ein gefährlich Stück Arbeit. Wir mußten als erste losbrechen und gerade auf die Mündungen der Kanonen stürzen. Deshalb richtete Pizarro auch noch eine kräftige Ermahnung an uns und zeigte uns, wie wir die neuen Piken zu halten hätten und daß wir nicht nachlassen sollten, bis wir im Besitz der Geschütze seien. Sodann aber sollten wir die Kanonen sogleich als unsere eigenen laden und richten. Und fürwahr, wir hatten die Waffen unserer Feinde höchst nötig. In jener Nacht hätte mancher all sein Gold mit Freuden hingegeben für einen guten Brustharnisch, eine feste Sturmhaube oder einen eisernen Kinnkragen.

Die ausgegebene Losung, um uns im Gefecht gegenseitig zu erkennen, lautete: Heiliger Geist! Heiliger Geist! – die bei Narvaez: Heilige Maria! Heilige Maria!

Den ersten Teil der Nacht verhielten wir uns ruhig. Die Zeit ging hin mit Zurüstungen und unter Gedanken an das heiße Geschäft, das unsrer wartete. Von einem Nachtmahl war keine Rede. Wir hatten nichts zu beißen. Es waren Vorposten ausgestellt, und ich kam auch hinaus. Dann marschierten die Trupps los. Die Trommeln und Pfeifen schwiegen auf Befehl des Cortes, und in gemessenem Schritt zogen wir in der Finsternis vorwärts bis an den Fluß, an dessen Ufer zwei feindliche Posten standen. Da sie an nichts weniger dachten als an unseren Besuch, so bemächtigten wir uns des einen. Der andere aber entkam uns, lief in sein Quartier und machte Lärm.

Den Übergang über den Fluß werde ich mein Lebtag nicht vergessen. Er war angeschwollen vom Regen, der in den letzten Tagen gefallen war. Die Steine, auf die wir traten, waren infolgedessen locker und schlüpfrig, und die Waffen, die wir auf dem Rücken trugen, uns recht hinderlich.

Vor dem Quartier des Narvaez kam sogleich der Befehl zum Angriff. Wir senkten unsere Piken und rannten wie die Teufel auf die Geschütze los, so daß die Kanoniere kaum die Zeit hatten, vier Stück abzufeuern. Von den Kugeln sausten drei über unsere Köpfe hinweg. Nur eine fuhr in uns hinein und brachte drei Kameraden zur Strecke. Im nämlichen Augenblick drangen schon die anderen Trupps unter Pfeifen- und Trommelschall in den Hof ein. Etliche Ritter des Narvaez stellten sich entgegen, hielten aber nur kurz stand. Sechs oder sieben von ihnen fielen. Trotzdem wir die Geschütze hatten, durften wir sie doch nicht allein den unbeharnischten Kanonieren überlassen, da uns von der Tempelhöhe herab mit Armbrüsten und Musketen noch arg zugesetzt ward.

Nun aber stürmte Sandoval mit seiner Mannschaft hinauf. Ein Regen von Bolzen und Kugeln empfing ihn. Er drang durch die ihm entgegengestreckten Piken die breiten Stufen hinauf. Jetzt konnten wir die Geschütze den Artilleristen lassen. Unseren Hauptmann Pizarro an der Spitze, eilten wir in ansehnlicher Zahl dem Sandoval und den Seinen zu Hilfe. Wir erschienen gerade recht, denn er kam an den letzten fünf oder sechs Stufen nicht mehr vorwärts. Wir brachten frische Kraft in das Gefecht, und Sandoval setzte von neuem an. Fürwahr, unsere langen Piken hatten feste Arbeit, ehe sie uns Bahn brachen!

Auf einmal hörten wir eine Stimme, ohne Zweifel die des Narvaez: »Heilige Mutter Gottes! Mein Auge! Man hat mir ein Auge ausgestochen!« – Im selbigen Augenblick riefen wir: »Viktoria! Viktoria! Cortes Sieger! Narvaez gefallen!«

Gleichwohl währte es noch geraume Zelt, ehe wir die Herren aller Gebäude auf dem Tempel waren. Dies gelang uns erst, als Martin Lopez, der Erbauer unserer Rennschiffe, auf den Einfall geriet, die Häuser mit Strohfeuer zu umräuchern. Jetzt kamen sie heraus, und Narvaez ward ergriffen. Der erste, der Hand an ihn legte, war Petro Sanchez Farfan. Im Augenblick erscholl es aus hundert Kehlen zum Himmel: »Hoch lebe der Kaiser! Hoch Cortes, unser Feldherr! Heil und Sieg! Narvaez ist hin!«


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