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56. Ein Wogengrab.

. Nicht weit von dem altersgrauen Schlosse Gottlieben, in welchem, zur Zeit der Konstanzer Kirchenversammlung, Papst Johann XXIII. und der glaubensmuthige Huss gefangen sassen, lag auf einer schmalen Erdzunge, die sich in den Untersee hinausstreckte, die einsame Hütte eines Fischers, der zwar arm, aber doch im Besitz einer Perle war, um deren Schönheit ihn Viele beneideten. Dieses Kleinod war sein einziges Töchterlein Unna; die Leute in der Gegend munkelten sich aber in die Ohren, das Mädchen, welches sich durch seltenen Liebreiz und Adel in ihrer Erscheinung vor allen andern Jungfrauen ihres Standes auszeichnete, sei nicht seine rechte Tochter, sondern das natürliche Kind einer vornehmen Dame, die, nachdem sie es nebst einer bedeutenden Summe Geldes unter dem Siegel des Geheimnisses dem Fischer zur Erziehung übergeben, sich als strenge Büsserin in ein Kloster zurückgezogen habe, wo sie jedoch kurze Zeit darnach gestorben.

Einer der einsamen Spaziergänge, die der jüngere, zum Kloster bestimmte Sohn des bischöflichen Vogtes, welcher das Schloss Gottlieben bewohnte, öfters am Strande des See's unternahm, führte den, in düsterm Hinbrüten über die seiner wartende, freudenlose Zukunft versunkenen Jüngling zufällig zu der Fischerhütte, gerade an einem Abend, an dem die holde Unna auf der Bank vor der Thüre die Netze ihres Vaters, die ein schwerer Fischzug zerrissen hatte, mit ihren feinen, weissen Händchen ausbesserte.

Sie sehen und in glühender, aber reiner Liebe zu der Jungfrau entbrennen, die als Verkünderin eines ganz andern Himmels, als dem er im Kloster entgegenreifen sollte, ihm erschienen, war das Werk eines Augenblicks. Die erste Bekanntschaft war, schon gelegentlich der Netze, bald angesponnen, und schon einige Abende darauf, von welchen Erwin von Salenstein, so hiess der junge Mann, keinen versäumte, seine Besuche zu wiederholen, auch Unna's Herz auf's Innigste mit dem seinigen verwoben. Erwin schwur, eher alles Andere, als ein Klosterbruder zu werden, und die geliebte Unna so bald als möglich als seine Gattin heimzuführen.

Eines Abends, als er eben wieder hinausfliegen wollte zu dem Ankerplatze seiner Liebe, liess ihn sein Vater, der alte Vogt Jost von Salenstein, vor sich rufen. »Unglücklicher«, sprach er mit finsterer Miene zu dem bestürzten Jüngling, »was muss ich von Dir vernehmen? Statt Dein Herz zu Deinem grossen Berufe vorzubereiten, Messest Du es von den Netzen einer jungen Dirne umstricken – still, kein Wort zur Entschuldigung! Der alte Fischer hat mir, Gott sei's gedankt, noch nicht zu spät, um einem entsetzlichen Verbrechen vorzubeugen, Alles entdeckt, ja sogar Dein Gelöbniss, Dich heimlich mit seiner Tochter zu vermählen. So wisse denn, welchem Abgrund des Verderbens Deine Seele nahe war: Unna ist Deine leibliche Schwester, das Kind meiner Jugendverirrung mit der Freiin von Wolfsberg.

Im tiefsten Mark erschüttert, taumelte Erwin der Thüre zu. »Wohin, Unbesonnener?« ruft ihm der Vater nach. »Auf ewig von der Schwester Abschied nehmen!« antwortet der Jüngling mit tonloser Stimme, und stürzt unaufhaltsam hinaus.

Als der letzte Scheidekuss der Sonne auf der Fläche des See's glühte, brannte auch Erwins von allem Irdischen geläuterter Flammenkuss auf Unna's Lippen. Bruder und Schwester haben keine Worte mehr. Sie halten sich lautlos fest umschlungen. Plötzlich wallt der See mit dumpfem Schäumen empor; mit donnerndem Getöse, beginnt das Ufer zu beben, es wankt, und mit furchtbarem Krachen versinkt Erdzunge, Hütte und das unglückliche Paar in das gähnende Wogengrab.

Es geht die Sage, die Fische hätten allmälig den lockern Grund jener Erdzunge unterhöhlt und so deren Einsturz vorbereitet, den ein Erdbeben vollends ausgeführt.

Noch zeigen die Bewohner der Umgegend die Stelle, wo die Fischerhütte gestanden, und erzählen ihre traurige Geschichte. Vergl. Sohnetzler, Bad. S. B. I.

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