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Gegen das Ende des fünfzehnten Jahrhunderts zog die Pest mit ihrem ganzen Gefolge von Schrecknissen und Plagen verheerend durch Deutschland. Die Felder lagen öde und unbebaut, die Städte wurden entvölkert, Sterbende schleppten die Todten zu Grabe, vor den nächsten Anverwandten verschloss man die Thür, alle geselligen Bande waren gelöst. Schon hatte in den nächsten Städten und Dörfern um Baden die furchtbare Geisel der Menschheit ihre Verheerungen begonnen. In der Stadt hatte man die Thore geschlossen, und die warmen Quellen geöffnet, dass sie dampfend und qualmend durch die Strassen strömten. Und immer näher rückte die Seuche; schon waren in dem Meiler Scheuern die Bewohner des äussersten Hauses gegen Oos davon ergriffen. Der Hausvater hatte nacheinander sein Weib und vier Kinder jämmerlich dahinsterben sehen und sie auf dem nächsten Felde verscharrt, und hülflos von aller Welt gemieden und geflohen, erwartete er jetzt sein herannahendes Ende.
Wenige Schritte von dem Verlassenen wohnte sein nächster Nachbar Diether mit Weib und Kindern. Mit Schrecken und Zagen hatten diese gesehen, wie der unglückliche Vater alle die Seinigen hinaustrug zu Grabe, als sie die Seuche dahingerafft, und wie er selbst mit wankendem Schritte und bleichem, bleifarbenem Antlitz im Hause umherschlich. Zuletzt musste ihm auch hierzu die Kraft fehlen, denn so oft sie auch nach dem Hause hinüberschauten, sie vermochten keine Spur mehr von ihm zu sehen. Endlich erschien der Kranke wieder am Fenster, öffnete es, und rief mit schwacher, sterbender Stimme herüber, indem er flehend die Hände emporhob: man möchte ihm doch um der himmlischen Barmherzigkeit Willen ein Gefäss mit Wasser vor die Thür stellen, der brennendste Durst peinige ihn mit Höllenqual. Diesen flehenden Worten des Armen vermochte Diether nicht zu widerstehen. Er nahm ein grosses Gefäss, füllte es mit frischem Wasser und stellte es vor die Thür des Pestkranken, worauf er sich eiligen Schrittes wieder entfernte. Bald darauf sah er diesen sich mühsam vor die Thür schleppen und das Wasser zu sich in das Haus ziehen. Es war das letzte Mal, dass er ihn sah.
Voll Furcht und Angst musterte Diether, ehe er sich am Abend zur Ruhe niederlegte, seine Hausgenossen, ob an keinem die Spuren der gefürchteten Krankheit sich zeigten. Obgleich sie alle gesund und munter waren, so liess ihn doch die Besorgniss vor den kommenden Tagen lange nicht einschlummern. Wie er so schlaflos im Bette lag und inbrünstig zur heiligen Jungfrau betete, dass sie ihn und die Seinen bewahren möge, da vernahm er plötzlich ein seltsames Tönen und Klingen. Bald glaubte er leisen, lieblichen Gesang zu hören, bald fern verklingende Orgeltöne. Lange lauschte er den wunderbaren Lauten, die seinen aufgeregten Geist besänftigten und ihm Ruhe über die Seele gossen.
Der nächste Tag ging abermals glücklich vorüber, aber in der Nacht hörte er wieder das liebliche Klingen. Er stand auf und öffnete das Fenster. Es däuchte ihm jetzt, als kämen die Töne aus der alten Eiche, die bei seinem Hause stand. Er weckte darauf seinen ältesten Sohn, und mit einer Leuchte gingen sie hinaus, die Sache näher zu untersuchen. Diether hatte sich nicht getäuscht. Je näher sie dem alten Baume kamen, desto deutlicher hörten sie den sonderbaren Klang. Sie besahen den Baum von allen Seiten, aber es war nirgends etwas zu bemerken; doch war es nicht anders möglich, der Schall kam aus dem Stamme der Eiche. Er hielt das Ohr an die rauhe, harte Rinde, da tönte es ganz nahe und laut. Lange standen sie horchend auf derselben Stelle und wussten nicht, was sie davon denken, noch was sie beginnen sollten. Endlich kam Diether zu einem Entschluss. Er hiess seinen Sohn eine Axt herbeiholen und fing damit an, die Rinde an jener Stelle wegzuhauen, wo der Ton am deutlichsten zu vernehmen war. Kaum aber hatte er einige Hiebe gethan, so sprang ein grosses Stück Rinde heraus und beim Schein ihrer Lampe erblickten sie jetzt in dem Baum eine Blende und darin ein Marienbild mit dem Jesusknaben, von welchem das wunderbare Singen ausging. Unwillkürlich stieg bei dem Anblick des Bildes in Diether der Gedanke auf, der Himmel habe durch dieses Wunder ein Zeichen geben wollen, dass an dieser Stelle die Pest ihr Ende erreicht habe. Dankend und in frommer Demuth knieten Vater und Sohn vor dem Bilde nieder und verrichteten ihre Andacht.
Bald verbreitete sich das Gerücht von dem wunderbaren Gnadenbilde in dem Dorfe und bis in die Stadt, und da zu gleicher Zeit aus den umliegenden Orten die Nachricht einlief, dass die Pest überall plötzlich nachgelassen habe, so bekam die Sage noch mehr Gewicht, und die gläubige Menge strömte in Scharen herbei, das Wunder zu schauen.
Als im Jahr 1650 die alte Eiche abzusterben anfing, liess die damalige Markgräfin Maria Magdalena, zweite Gemahlin Ludwig Georg's, eine geborene Gräfin von Oettingen, Kronen und Aeste abnehmen und über dem Stamme eine Kapelle erbauen. Maria-Trost nannte sie die Stifterin; aber der Name ist ausser Gebrauch gekommen und sie wird allgemein die Drei-Eichen-Kapelle genannt von den drei Eichen, die daneben gepflanzt wurden.
Noch jetzt steht der Eichstamm hinter dem Hochaltar und in seiner Blende das Marienbild. Das Gemälde am Plafond bezieht sich auf die Sage von der Entstehung des Kirchleins; es stellt die heilige Jungfrau vor, zu welcher die Pestkranken ihre Zuflucht nehmen.
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