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16. Das Friedhofskreuz zu Baden.

. Wer jemals in frühern Tagen die stolze Quellenstadt des Grossherzogthums besuchte, sei es, um ein langes Siechthum durch die warme Heilflut zu stillen oder um zu seinem Vergnügen eine Zeit lang in diesem Gottesgarten zu wandeln, dem wird der »alte Friedhof« gewiss in freundlicher Erinnerung geblieben sein. Der Strom der Zeit ist über diesen stillen Erdfleck dahingerauscht und moderne Anlagen sind an seine Stelle getreten. Aber das alte Friedhofskreuz ist stehen, geblieben und mit ihm hat sich die tiefergreifende Sage erhalten, die die schaffende Phantasie des Volks an dasselbe knüpfte.

Zu alten Zeiten hatte sich ein Meister der Steinmetzkunst, der aus der Fremde hierher gewandert war, zum Bürger der Stadt aufnehmen lassen; er war seiner Kunst mächtig wie nicht leicht ein anderer, und dabei ein strenger und gerechter Mann. In Strassburg, wo er früher wohnte, hatte er eine Tochter zurückgelassen unter der Obhut eines vieljährigen Freundes, welchem er nach einiger Zeit, da er sein Hauswesen bestellt hatte, schrieb, dass er die Tochter nach Baden herüberbrächte, wo der Steinbildner viele kunstreiche Zierrathen in der Stiftskirche zu vollenden hatte, die ihm von der Stadt und dem Markgrafen übertragen waren.

Lange wartete der alte Meister mit Ungeduld seines Freundes und Töchterleins. Endlich nach wiederholten Aufforderungen kamen beide. Des Meisters Tochter war bleich und krank, bebend empfing sie des Vaters Willkommen, der nichts Gutes ahnte. Er hatte sich nicht getäuscht, der betrogene Vater, als er immer mehr finstern Gedanken Raum gab. Die Blüte seiner Tochter war verrätherisch geraubt, die Schuld hatte sich im Gewand der Liebe in ihre Seele geschlichen. Des alten Meisters ehrlicher Name war verunglimpft durch seiner Tochter Schande, und der verrätherische Freund wusste, nachdem die Tochter in namenloser Reue dem Vater den Frevel gestand, kein anderes Mittel, als im feigen Schuldbewusstsein heimlich zu entfliehen, einige Wochen vor der Zeit, als des Meisters Tochter Mutter werden sollte.

Es war, als ob die Schuld der Unglücklichen schon zeitlich gestraft werden sollte. Ihrem Schosse entwandt sich ein todter Knabe, die Schmerzen der Geburt kosteten ihr selbst das Leben. Der alte Meister stand wie ein Wahnsinniger an dem offenen Sarg.

Nach zwei Tagen trug man die Leiche auf den Friedhof und senkte sie ins Grab. Der alte Meister sprach kein Wort und vergoss keine Thräne. Eine Nacht lag er vom Starrkrampf gefesselt auf dem Grabe; am andern Morgen schnitt er sich im Steinwald eine junge Eiche zum Wanderstab und ging in die weite Welt.

*

Es mochten einige Monde nach jener Begebenheit verstrichen sein, als zwei Männer auf dem Gernsbacher Weg herwandelten, schweigend, wie unter einem finstern Bann. Zum Kirchhofthor traten sie hinein und knieten auf einem Grabe, welches ein schwarzes Kreuz als jenes bezeichnete, worin des Meisters Tochter lag.

Nach einer Weile sprach der Meister zum treulosen Freunde: »Ich habe dir versprochen, dich zu den Meinen zu führen. Wir sind zur Stelle, hier ruht alles, was ich noch habe. Im Kampf mit mir selbst habe ich gerungen, dir zu vergeben, Gott im Himmel ist mein Zeuge.«

Aus des alten Meisters Augen brach's wie dumpfe Glut, als er jetzt den Räuber seines einzigen Glückes vor sich sah.

Mit angstvollem Beben, schaute der andere auf ihn, der als ein furchtbarer Rächer jetzt vor ihm stand.

»Und vergeben will ich dir«, rief der Alte, »aber erst thaue mit deinem Blute die Blumen im Rasen, wie ich sie mit Thränen bethaute.«

Und zu gewaltigem Schlage hob er den Stab und schmetterte ihn auf das Haupt des Treulosen.

Taumelnd sank dieser nieder. Aber auch der alte Meister brach in namenlos erneutem Schmerze zusammen: »Du bist gerächt, mein herzig Kind!« rief er und presste das Antlitz, überströmend von Thränen, an das Grab.

Am andern Morgen fanden ihn die Wächter, die die Frührunde machten, noch in dieser Lage, sahen die Leiche daneben in frischem Blut, hoben den alten Meister auf und führten ihn ins Gefängniss.

*

Der Stab war über den Mörder gebrochen; die peinlichen Richter, die des Mannes sich erbarmten seiner grossen Kunst halber und seines gewaltigen Unglücks, hätten ihn gern gerettet, aber er bekannte offen und frei die That und sprach sich also selbst das Urtheil.

Als man ihm den Spruch verkündigte, hörte er ihn gelassen an, und bat sich nur noch eine Gnade vor seinem letzten Ende aus. Die Richter gelobten ihm deren Gewährung.

Der alte Meister sprach hierauf: »Meine einzige Bitte auf Erden ist nur noch die, mir so viel Frist zu vergönnen, dass ich zum Andenken meiner Missethat und andern zur Warnung ein steinernes Bild des Gekreuzigten, der uns durch sein Blut vom ewigen Tode erlösste, fertigen möge.«

Die peinlichen Richter vergönnten ihm die Frist.

Man hatte den alten Meister in ein grosses Gewölbe gebracht, worin er an dem Steinbilde bequem schaffen konnte. Er that's in Ketten und vom frühen Morgen meisselte er bis spät in die Nacht. Seine Thränen fielen auf den kalten Stein während der Arbeit, und wenn er Feierabend machte, schlief er nicht, sondern weinte kniend die lange Nacht hindurch. Solange er am Werke schuf, hat man kein anderes Wort von ihm gehört als den Ruf: »Mein armes Kind!« Speise und Trank rührte er wenig an, fast hätte man glauben sollen, er müsse vom vielen Wachen und Fasten verschmachten; aber das Werk schien ihm übermenschliche Kräfte zu verleihen.

Endlich, nach geraumer Frist, war es fertig. Die Richter der Stadt und der Markgraf selber kamen, um das vollendete Werk zu besehen; denn er hatte es während der Arbeit niemand zeigen wollen. Als sie dessen ansichtig wurden, riefen sie, von Bewunderung und Andacht ergriffen, aus: »Das hat nicht Menschenhand allein gefertigt, übernatürliche Kräfte haben dabei geholfen.«

Der Markgraf aber sprach: »Wahrlich, das Haupt, welches dieses Kunstwerk ausersonnen, soll nicht durch Henkershand fallen! Der Meister lebe und schaffe noch viele Werke mit reumüthiger Andacht diesem gleich. Er hat genug gebüsst.« Der Meister lag schwach und kraftlos auf seinem Strohlager daneben, und hörte des Markgrafen Lob und Gnadenspruch. Man trat zu ihm hin und nahm ihm die schweren Fesseln ab. Er sprach: »Ich danke Euch, edler Herr! Nehmt den Dank eines Sterbenden. Ich fühle es, der Kern meines Lebens ist verfault; die Schale wird bald abfallen.«

Am andern Morgen fand man den Meister büssend im Herrn entschlafen. Man begrub ihn auf dem Friedhof neben sein Kind. Das steinerne Kreuz aber wurde neben seinem Grabe aufgestellt, und noch heute, wenn einer des Meisters letztes Werk, das Steinbild des sterbenden Heilands an dem Kreuze erblickt, denkt er: »Christus ist gestorben, auf dass unsere Sünden hinweggenommen werden.«

* * *


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