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21. Die Yburg.

. Die vielen zerstörten und zerfallenen Burgen und Schlösser, welche die dunkeln Höhen des Schwarzwaldes in so grosser Anzahl schmücken und mit ihren grauen, moosbewachsenen Thürmen und Warten so ernst und mahnend in die grünen Thäler hinabschauen, verleihen den ohnehin so herrlichen Gegenden einen eigenen Reiz mehr. Die Geschichte einer thatenreichen Vergangenheit spricht zu uns aus vielen dieser Trümmer, während man von andern kaum mehr als den Namen weiss. Zahlreich waren die edeln Geschlechter, die in unsern Gauen in kräftiger Blüte gestanden und jetzt längst ausgestorben und verschollen sind, zum Theil noch vor dem Verfall oder der Zerstörung ihrer Stammschlösser. Von vielen weiss die Geschichte herrliche Thaten zu erzählen; andere gingen spurlos durchs Leben hin und liessen kein anderes Andenken zurück als ihren oder ihres Burgsitzes Namen, sei es, dass sie ruhmlos oder in Dunkelheit ihr Dasein verbrachten oder dass die Chronisten aufzuzeichnen unterliessen, was sie Ruhmvolles gethan. In die Reihe der unbekannten Geschlechter gehören die ehemaligen Besitzer der Yburg, die unstreitig unter den mancherlei Ruinen in der Umgegend von Baden, auf der steilen, abschüssigen Höhe eines düstern Tannenberges, die mit herrlichste Aussicht bietet. Diese ist besonders von dem 70 Fuss hohen, mächtigen Thurme unermesslich. Wenn das Auge zuerst diese herrliche, reiche Landschaft überblickt, so schweift es lange unstet von einem Punkte zum andern, es bedarf einiger Zeit, bis es sich an diese Fülle von Reichthum gewöhnt und mit Musse und Ruhe sich das reizende Bild in allen seinen Einzelheiten beschauen kann. Vor etwa einem halben Jahrhundert standen noch zwei solcher gewaltigen Steinthürme, aber der eine derselben ward vom Blitz zerschmettert und nur noch einige Ueberreste davon sind vorhanden. Die übrigen Ruinen, besonders die Umfassungsmauern, sind von sehr beträchtlichem Umfange, der darauf schliessen lässt, dass die Yburg einst der Sitz eines mächtigen Geschlechts gewesen sein muss. Ueber Erbauung, Zerstörung und erste Besitzer des Schlosses ist nichts bekannt. Es wird seiner in Geschichten und Urkunden selten gedacht, und dies nur von der Zeit an, wo das alte Geschlecht längst ausgestorben und die Besitzung in die Hände der Markgrafen von Baden gekommen war. Je weniger aber die Geschichte von diesen Burgtrümmern zu erzählen weiss, desto mehr hat sich die Sage derselben bemächtigt, und noch leben im Munde des Volks manche hierher gehörige Erzählungen, von welchen folgende die interessantesten sein dürften.

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A. Das goldene Kegelspiel.

Von der Yburg sagt man, dass sie von Tempelherren erbaut sei; aber diese Chorherren sollen alle in einer Nacht umgebracht und ihr Haus zerstört worden sein. Seitdem gehen, so lautet die Sage, die Geister in der Burg, Riesen und Zwerge sind auf diesem Berg, man hört darin Kriegsgeschrei, und Leute, die dann in die Nähe kommen, werden mit Steinen geworfen. Man hört darin auch lachen, jammern und weinen. Die Yburg war auch der Ort, wohin man aus der Umgebung die gebannten Geister brachte; die Geisterbanner sollen sie zuerst in Säcke stecken und dann um Mitternacht aus den Häusern tragen. In Vollmondnächten sollen die Geister sich oft am Kegelspiel ergötzen. Ein Knabe, welcher Holz sammelte, ging aus Neugierde an das Schlossthor; dort stand ein alter Mann und führte ihn zu dem Wohnhaus. Da sassen zwölf Männer mit schwarzen Kleidern und weissen Bärten, und einer winkte dem Knaben, die gelben Kegel aufzusetzen, das that er auch; ihm kam aber die Kugel gar zu schwer vor; da schlug es zu Steinbach zwölf Uhr, die Männer hörten zu spielen auf und gaben ihm zum Lohn einen der Kegel in seinen Holzkorb, worauf alles mit dem letzten Glockenschlag vor seinen Augen verschwand. Der Kegel war dem Knaben zu schwer und als er bei einem Stamme einen, schönen Haufen Leseholz fand, da warf er den gelben Kegel weg und füllte seinen Rückkorb mit dem Holz. Das trug er dann nach Varnhalt und erzählte seinem Vater, wie ihm geschehen war. Dieser aber schalt den Sohn, dass er den schweren gelben Kegel nicht behalten habe, denn er müsse von Gold gewesen sein. Da lief der Knabe seinem Vater zu Liebe wieder in den Wald und kam auch an den Stamm, wo er das Leseholz gefunden, aber der gelbe Kegel war fort. Nur ein Stück dürres Holz lag an der Stelle.

Wenn die Leute in dem die Burg umgebenden Walde zu thun haben, so bleiben sie gern beisammen oder warten am Wege aufeinander, um gemeinschaftlich nach Hause zu gehen, denn einzeln werden sie oft irregeführt und nach der Burg gebracht; dort muss sich jeder dreimal im Ring herumwenden, bevor er weggeht, und wenn er weiss, wie er sich gewendet hat, dann findet er wieder den rechten Weg.

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B. Eduard Fortunatus.

Gegen Ende des 16. Jahrhunderts wurde die Yburg von einem Castellan bewohnt, und der unglückliche Markgraf Eduard Fortunatus, ein Sohn der schönen Cäcilie von Schweden und Enkel Gustav Wasa's, hatte hier sein alchymistisches und magisches Laboratorium, worin namentlich zwei Italiener, Paul Pestalozzi von Chiavenna und Franz Muscatello von Chio, mit ihm arbeiteten und auch anderweit ihrem Herrn in seinem verbrecherischen Treiben zu Diensten waren. Unter anderm verfertigte Pestalozzi aus Wachs ein Bildniss des Markgrafen Ernst Friedrich von Durlach, dem geschworenen Feinde Eduard Fortunat's, wobei allerlei Zauberformeln gesprochen wurden. Dies sollte die Wirkung haben, dass eine Kugel oder ein Pfeil, die auf das Bild geschossen wurden, das Urbild träfen. Als das Bild fertig war, heftete man es an die Thür und ein Pistol wurde darauf abgedrückt. Die Kugel zerschmetterte zwar das Bild, drang aber zugleich durch die dünnen Bretter der Thür, und man vernahm augenblicklich einen durchdringenden Schrei. Die schöne achtzehnjährige Tochter des Castellans, die das Herz des Markgrafen gewonnen hatte, lag, von dem Schuss in die Brust getroffen, in ihrem Blute am Boden. Seit der Zeit verfolgte Unheil auf Unheil den Markgrafen.

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C. Ritter Georg Ehinger von Yburg.

Die Yburg soll unter anderm auch eine Zeit lang Eigenthum des adeligen Geschlechts der Ehinger gewesen sein. Von einem dieses Geschlechts, der ausdrücklich als Besitzer dieser Burg genannt wird, erzählt eine italienische Curiositätensammlung vom Jahre 1533 Folgendes:

Georg von Ehinger, ein schwäbischer Ritter, focht in den Kriegen, welche Portugal im 15. Jahrhundert gegen die Mauren führte, mit mehrern deutschen Rittern im Heere des erstern. Denn allenthalben, wo es Krieg und Kampf gab, waren auch Deutsche zu finden.

Unter den Mauren befand sich ein tapferer, waffenkundiger Krieger von riesiger Stärke. Dieser forderte einen der christlichen Ritter zu einem Zweikampfe auf einem freien Platze in der Mitte zwischen beiden Heeren heraus. Ritter Ehinger war nicht der Mann, der sich einer solchen Herausforderung gegenüber lange bedachte. Er hatte vom König ein vortreffliches Pferd zum Geschenk erhalten, auf dessen Kraft und Behendigkeit er sich verlassen konnte; der Kraft seines Armes war er sich nicht minder bewusst. Er hielt also bei dem Heerführer um die Erlaubniss an, sich mit dem Heiden messen zu dürfen, und erhielt sie. Die Erwartung beider Heere war aufs höchste gespannt, denn nach der Denkart der Zeit betrachtete man diesen Zweikampf als eine Entscheidung des ganzen Streites.

Beide Kämpfer fanden sich zur bestimmten Zeit auf dem Kampfplatze ein. Ehinger nicht ohne vorher mit seiner Lanze ein Kreuz gemacht zu haben. Jetzt rannten sie mit den Speeren gegeneinander, jeder nach der Sitte seines Volkes, der Maure seinen Speer in den Arm gelegt, der Deutsche den Schaft der Lanze auf der Hüfte. Ehinger traf seines Gegners Schild, und der Maure, vom gewaltigen Stosse überwältigt, stürzte mit dem Pferde zu Boden, während sein Speer in Ehinger's Stahlhandschuhen stecken blieb. Beide sassen nun ab und fochten zu Fuss. Der Kampf war äusserst heftig, aber lange unentschieden, weil beide gut gepanzert waren. Da warfen sie ihre Schwerter weg und fingen zu ringen an. Bald stürzten beide nieder – durch seine gewaltige Stärke aber riss sich der Maure von Ehinger los und richtete sich auf den Knien auf. Ehinger mochte die Ueberlegenheit seines Gegners im Ringen fühlen, er suchte daher Gelegenheit, sich seines Schwertes wieder zu bemächtigen. Er passte auch glücklich den rechten Zeitpunkt ab, ergriff mit der Rechten sein Schwert, stiess, um ausholen zu können, mit der Linken seinen Gegner von sich und verwundete ihn im Gesichte, sodass ihm das herabströmende Blut den Gebrauch der Augen raubte. Ein zweiter Stoss durchstach dem Mauren die Kehle und er fiel todt nieder. Ehinger nahm nun die Waffen des Besiegten und sein Pferd und ritt unter dem Jubelgeschrei der Portugiesen triumphirend in das Lager zurück. Zur Verherrlichung dieses Sieges wurden öffentliche Feste abgehalten und Ehinger selbst erhielt von dem Könige reiche Geschenke. Die maurische Armee nahm die Niederlage ihres Kämpfers für eine üble Vorbedeutung und zog sich zurück.

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D. Der Yburg Untergang.

Der letzte Besitzer der Burg führte, wie die Sage geht, ein wüstes Leben, wodurch er in mancherlei Bedrängnisse gerieth. Seine Güter wurden verpfändet und er musste sich eine Zeit lang seinen Unterhalt raubritterlich mit dem Schwert erkämpfen, bis er in einem Gefechte den rechten Arm verlor und ihn der grösste Theil seiner Knechte verliess. Jetzt sass er voll finstern Unmuths auf seiner einsamen Burg und brütete über allerlei schlimmen Anschlägen. Da kehrte eines Abends ein Pilger bei ihm ein, der vorgab, er wisse verborgene Schätze zu finden und wolle ihn von aller Noth befreien. Der Ritter war darob höchlich erfreut und vertraute ihm: »Ich habe mehrmals von meinen Aeltern gehört, dass mein Urgrossvater, als einst dieses Schloss von einer schweren Belagerung bedroht war, einen grossen Reichthum an Gold und Edelsteinen darin vergraben, gleich beim ersten Ansturm des Feindes aber das Leben eingebüsst habe. Könnt Ihr mir zu diesem Schatze verhelfen, so sollt Ihr auf fürstliche Weise belohnt werden.« »Das kann mir nicht schwer fallen«, erwiderte der Fremde, »war ich doch selbst dabei, als Euer Ahn, den man nur den Isegrimm nannte, seine Kleinodien in Sicherheit brachte.« »Ihr wäret dabei?« fragte der Yburger und sah ihn mit grossen Augen an, »mein Urgrossvater ist ja schon seit mehr als hundert Jahren todt!«

»Und dennoch«, fuhr der Pilger fort, »hab' ich mehr als einmal mit ihm gezecht. Indessen lasst ab, nach Dingen zu forschen, die Euch unbegreiflich vorkommen, und folgt meinem Rathe. Heute ist Walpurgisnacht. Sobald die Glocke Mitternacht schlägt, begebt Euch hinunter in die Kapellengruft, worin Eure Väter beigesetzt sind, öffnet ihre Särge und tragt die Gebeine hinaus in das Freie, damit der Mond sie bescheine. Während sie nun draussen liegen, kehrt ihr sodann in die Gruft zurück und holt die Kostbarkeiten aus den Särgen, wobei kein Hinderniss sein kann, sobald die Todten davon entfernt sind. Nachher mögt Ihr die Gerippe wieder in ihren Särgen zur Ruhe bringen.«

Zwar überlief es den Ritter kalt bei diesem Vorschlage, aber seine Begier nach Reichthum und Lebensgenuss war so gross, dass sie bald all seine Furcht überwog. Um Mitternacht begab er sich in die Kapelle, bis zu deren Eingang der Pilger ihn begleitete, dort stehen blieb und sich beharrlich weigerte, das Innere derselben zu betreten.

Der Ritter öffnete die Särge, einen nach dem andern, und trug, wie geheissen, sämmtliche Gebeine hinaus auf einen hell vom Vollmond beschienenen Rasenplatz. In dem Sarg aber, den er zuletzt aufschloss, fand er den noch unverwesten Leichnam seines eigenen Kindes. Als er auch dieses hinaustrug und zu den übrigen Todten gesellen wollte, richteten sich alle mit einem Mal empor und riefen mit hohler Stimme: »Trag' uns in unsere Ruhestätten zurück, damit wir nicht umgehen müssen auf dieser Burg!«

Kaum war die Schreckensmahnung ergangen, als der Fremde vor dem Ritter stand. Das Pilgergewand rauschte von seinem Leibe nieder und er wuchs empor, höher und immer höher, bis sein Haupt, dessen Haare wie Flammen loderten, den Mond zu berühren schien. Schon streckte die Riesengestalt ihre gespreizten Krallen nach dem Ritter aus, dessen Blut zu Eis gerann, da regte sich der Leichnam des Kindes, das er noch auf seinen Armen trug, eine Glorie umfloss das feine Gesichtchen und von seinen Lippen ertönten die Worte: »Flieh'! mein Vater soll nicht dein Opfer werden, sondern den Rest seines Lebens der Reue und Busse widmen!« Mit wildem Gebrülle versank die Riesengestalt in den sich unter ihr spaltenden Felsenboden. Der Ritter aber eilte, das wieder zur starren Leiche gewordene Kind und die Gerippe seiner Ahnen nebst allen geraubten Kostbarkeiten von neuem zu verschliessen, und verliess gleich am nächsten Morgen im härenen Gewand und Muschelhute seine Burg. Er wallfahrtete von einer heiligen Stätte zur andern unter beständigen Gebeten und Bussübungen, bis man ihn einst an den Stufen eines Altars todt liegen fand. Seine Burg verfiel, sein Geist aber soll noch jetzt unter den Trümmern umherirren.

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