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24.

»Wollt Ihr uns nicht wieder umkehren lassen, Kinder?« fragten unterwegs die Brüder Wlasow schüchtern.

»He!« fletschte Zygan seine weißen Zähne wie ein Hund. »Ihr seid wirklich Klugärsche … Ich werde Euch so entlassen, daß Ihr …«

Die Wlasows bissen sich auf die Zunge. Naumenko hielt sein Pferd an.

»Heb' Dich mal ein wenig, Alter!« sagte er und schob seinen Rock unter Lechman's zerschossenes, blutiges Bein.

Lechman stöhnte, blickte Naumenko durchdringend an und sagte: »Trinken!«

Der holte eine Flasche mit Kwas aus seinem Wagenkasten.

»He, Du, halt!«

»Nun, nun, Krysan … Willst Du es wirklich verbieten?« fragte Naumenko.

»Sie kriegen doch alle eins über den Schädel!«

»Nun, da will ich als Pope fungieren … das erlaubst Du doch gewiß … so etwas wie letztes Abendmahl«, sagte Naumenko und lachte bitter.

Auch Zygan mußte lachen. Die Landstreicher tranken gierig von dem Kwas.

Nach einer Weile begann Naumenko wieder, die Bauern zu bitten: »Kinder, Ihr geht jetzt mit Gott nach Hause, ich und mein Kamerad, der nicht weit von mir wohnt, spannen die Pferde ein und fahren die Kerle in die Kreisstadt.«

»In die Kreisstadt?!«, höhnte Krysan, und sträubte sich wie ein Igel. »Und von dort wohin? Nach Rußland etwa … Die bleiben schon hier in Sibirien, daß sie weiter morden können«, sagte er, und die Adern auf seinen Backen sprangen sichtbar auf und ab.

»Dann sündigt allein, Ihr Teufel!«, antwortete Naumenko und warf die Zügel hin.

»Aber hast Du das gesehen?!«, fuhr Zygan ihn an und zog sein Beil aus dem Gürtel.

Die Telega zog an. Sie gingen weiter.

Tulja war in besserer Verfassung als die anderen. Sie hatten ihn nicht mit Füßen getreten, wie Wanjka und Andrej … Deshalb, und weil noch viel ungebändigte Kraft in Tulja war, hatte er einen unbändigen Lebenswillen.

Die Angst in ihm war langsam geschwunden, und seine verquollenen Augen suchten in den Mauern des Waldes nach einem Schlupf.

Aber Krysan paßte gut auf, er fühlte etwas von seiner Absicht, ging ihm dicht auf den Fersen und durchbohrte seinen Rücken mit scharfen Blicken. Tulja packte die Wut.

»Es hat keinen Zweck, daß Du Dich so in der Taiga umsiehst!«, fährt Krysan ihn an und kichert höhnisch.

Tulja ballte die Faust, er will am liebsten Krysan eins vor die Schläfe geben, aber er beherrscht sich und fühlt wollüstig das Messer, das immer noch in seinem linken Stiefelschaft steckt. »Du brauchst Dir gar keine Mühe zu geben!«, gibt er Krysan zur Antwort, tritt zur Seite und versucht ihn vorzulassen, aber der gibt Tulja einen Stoß und fährt ihn an: »Geh rascher!«

Tulja macht sich nichts daraus. Ein breites Grinsen geht über sein Gesicht: in Gedanken sprang er schon längst in wilden Sprüngen durch die Taiga. In Gedanken ist er schon längst wieder frei … Uch ty …

Wanjka Swiftopljas tut alles weh, auch die Augenwimpern kleben ihm zusammen. Er weiß nicht mehr, ob er lebt oder nicht mehr, ob er noch lebt oder schon tot ist, er will es nicht wissen, er kann es auch nicht wissen. Stimmen streiten um etwas, zanken sich. Er versucht die Augen aufzureißen, daneben quietscht die Telega. Auf ihr liegt Lechman, neben ihm sitzt, ganz zusammengesunken, Anton. Er stöhnt … Wieder kleben Wanjka die Wimpern zusammen … Er zittert, versucht sich umzublicken, seine Beine gehen ihren Weg weiter, im Gesträuch sieht er eine rote Kuh … ein, eine schwarze …

»Eine Kuh … eine Kuh« … – denkt er und stürzt plötzlich, als ob ihm jemand einen Stoß in den Rücken gegeben hätte, zu Boden.

»Tprru!« ruft Zygan und hält das Pferd an. »Du bist wohl blind geworden. Du Teufel?«

»Halt, Zygan … Wir machen jetzt Schluß«, sagte Krysan, nimmt das Gewehr von der Schulter. Auch die anderen geraten in Aufregung.

Wanjka läuft der Schweiß über die Stirn, vor seinen Augen wird es dunkel.

»So was dummes, verflucht!«, sagte Krysan, und suchte in seinen Taschen herum. »Hast Du Kugeln?«

»Nein«, antwortete Zygan.

»Pfui, Teufel!«, fluchte Krysan und wurde grün. Er hatte im ganzen nur zwei Kugeln, das war für die vier Landstreicher zu wenig.

»Du hast doch eine gute »Turka«, die durchbohrt zweie auf einmal!«, meinte Zygan.

Krysan zitterten die Hände. Seine eingefallenen, rötlich schimmernden Augen dachten an irgend etwas, überlegten. Krysan seufzte. »Kinder, wollt Ihr mal rauchen?«, fragte Zygan. »Ja, Väterchen, gern … gib rasch her!« Wanjka Swistopljas würgte den Speichel herunter, trat auf Zygan zu und blickte ihn freundlich an.

Ein Gedanke blitzte in seinem Gehirn auf: das Mitleid der besoffenen Bauern zu erregen, sie zu beschwören und weich zu stimmen, sie einzuölen.

»Väterchen … Zyganuschko …«, sagte Wanjka und sog gierig an der Pfeife. Er hatte drei Tage nicht geraucht; sofort drehte sich alles in seinem Kopfe, die Taiga tanzte, alles schwankte rings und verschwamm.

Anton zog einen Zettel aus dem Gürtel hervor.

»Hier«, sagte er, »ist eine Adresse … schreibt um Christi willen dahin und benachrichtigt sie. Es ist meine Tochter … So und so … Er ist gestorben … An einer Krankheit, vielleicht z.+B. an Typhus.«

»Schön, schön … Wir werden schreiben«, knurrte Krysan, hielt das Papier vor seine schielenden Augen, zerriß es dann in Stücke und trat es mit den Füßen in die Erde. Anton erbleichte und zitterte.

»Ai!!«, rief Krysan plötzlich und machte einen Satz. »Kinder, seht!!«

Mit Gepolter und Gekrach stürzte Tulja in die Taiga.

»Haltet ihn, haltet ihn!!«

Die Bauern rannten durcheinander.

»Rasch hinterher!«

Krysan zielte auf den entfliehenden Schatten und betäubte alle durch den Abschuß seiner Bärenflinte.

»Feste!«

Die beiden Brüder Wlasow und Naumenko nahmen ihre Schaufeln und ergriffen aufatmend die Flucht.

Aber Tulja machte einen Satz wie ein Hase, überschlug sich dann und kroch mit heiserem Geheul in ein Dickicht.

»Getroffen, Getroffen!«, heulte Krysan wütend, als er Tulja einholte.

Sie fielen in eine Bärengrube, Tulja kam auf den Rücken zu liegen, zog die Beine an den Leib und fuchtelte verzweifelt mit den Armen: »Rühr' mich nicht an! Ich bin ein – Russe! … Ich flehe Dich an!«

Krysan saß wie ein Bär auf dem verwundeten Tulja, aber der umarmte ihn trotz des Blutverlustes, versuchte sich ihm zu entwinden und schwang plötzlich das Messer über ihm. Krysan griff rasch entschlossen in die Schneide des Messers und biß mit den Zähnen Tulja das Handgelenk durch. Wie zwei wilde Wölfe balgten sie sich knurrend und heulend in ihrer Grube. Noch kurze Zeit, und Tulja, der sein Ende ahnte, stieß einen schrecklichen Schrei aus.

»Du willst ein Russe sein?!«, zischte Krysan, warf das Messer weg, bäumte sich auf wie eine Schlange auf ihrem Schwanz und fuhr blitzschnell mit dem Kopf an Tuljas Kehle und biß ihm die Gurgel durch.

Anton und Wanjka standen wie angewurzelt.

»Nun, wie ging's?!« rief Zygan dem aus dem Walde tretenden Krysan ungeduldig zu. Der kam mit langsamen unsicheren Schritten. Seine Kiefern arbeiteten aufgeregt, als ob sie eben einen Knochen durchgebissen hätten.

»Hast Du ihn erwischt?«

»Erledigt«, knirscht Krysan und holte tief Atem.

Anton bekreuzigte sich; Wanjka verzog den Mund und zwinkerte mit den Augen, aber Lechman hustete und bewegte sich.

»Stell' sie alle in eine Reihe!«, kommandierte Krysan mit tonloser heiserer Stimme, wischte sich seine zerschnittenen von Blut triefenden Hände am Grase ab und machte sich, am ganzen Leibe zuckend, mit seinem Gewehr zu schaffen.

»Man muß zwei auf einmal nehmen«, sagte Zygan und trat auf Anton zu. »Komm hieher.«

Anton knickten die Knie vor Angst ein.

Zygan packte ihn unter den Arm und schleppte ihn an eine Fichte.

»Steh' grade!«

Krysan packte Wanjka und sagte: »Wehe, wenn Du auch … Du Bestie!«

Dann nahmen sie Lechman und trugen ihn zu Anton. Anton konnte jedoch nicht stehen, er saß unter der Fichte, bekreuzigte sich und bewegte die bleichen Lippen.

Sie stellten Anton auf die Beine, lehnten ihn wiederum an die Fichte und stellten Lechman gegen. Der riesige Lechman bedeckte den kleinen mageren Anton völlig.

Krysan begann diesen doppelten Menschenleib mit den Zügeln an den Baum zu schnüren. Lechman spuckte in einem Wutanfall Krysan in die haßerfüllten schielenden Augen. Der holte aus und gab dem Alten einen Schlag vor die Nase.

»Gut getroffen. Kleiner!«, wackelte Lechman mit dem Kopf; aus der zerschlagenen Nase drang ein Blutstrom.

Die Sonne schien von dem wolkenlosen heiteren Himmel. In der Nähe rief ein Kuckuck. Der Wind strich über die Bäume und rauschte in den Wipfeln und überschüttete Lechman's Haupt mit vergoldeten Fichtennadeln.

Das Pferd blickte sich plötzlich um, bewegte die Ohren und wieherte.

Zygan rief: »Mach' die Augen zu, Alter!«

Krysan spannte den Hahn. Wanjka fiel vor Schreck vorüber und jammerte weibisch.

»Leb wohl, schöne Welt … Verzeiht mir, Brüder … Danke«, sagte Lechman mit lauter und deutlicher Stimme zu den Bauern. Dann wandte er den Kopf zurück, berührte mit den Ellenbogen den hinter ihm stehenden halbtoten Anton und verabschiedete sich von ihm unter Tränen mit zitternder Stimme: »Antonuschka, mein Täubchen, leb wohl … Lieber Kamerad, leb wohl!«

Der Schuß dröhnte. Lechman fuhr mit dem Kopf vornüber, als ob ihn jemand auf den Schädel geschlagen hätte. Baumelte noch einmal mit dem Kopfe und dann noch einmal … bewegte die Lippen und dann hing sein Kopf schon nach unten.

Zygan und Krysan liefen zu Lechman.

»Mitten ins Herz«, sagte Krysan kaltblütig.

Als sie die Zügel losbanden und Lechmans Leichnam wegstießen, fiel Anton gleichfalls zur Erde.

»Den hat es überhaupt nicht getroffen«, sagte Zygan, nachdem er die Brust des ohnmächtig daliegenden Anton untersucht hatte. »Die Kugel, die verfluchte, ist in dem da, in dem Alten, stecken geblieben.«

»Dann gib rasch das Beil her … Oder gib Du ihm selbst noch eins auf den Schädel.«

»Nein, mach Du's lieber … Ich werde derweile diesen Schweinehund hier kaltmachen«, schielte Krysan auf Wanjka, und wühlte einen schweren Stein aus der Erde.

»Nun, Du Teufelsschwanz, halte mal Deinen Kopf her!«

Da, plötzlich kam Anna auf ihrem Pferde im Galopp angesprengt und ritt sie fast über den Haufen. Schweigend sprang sie vom Pferd und flog zu Lechman und Anton: »Mutter Gottes!«

In der Hand hielt sie eine Weste, die sie in der Taiga gefunden, Andrej's Weste.

Sie holte damit aus und klatschte sie Zygan mit voller Wucht rechts und links ins Gesicht. Vor diesen unerwarteten Schlägen und den wilden Augen Anna's sank Zygan zur Erde.

»Oi, ty! Laß sein …laß sein!«, murmelte er und kroch auf allen Vieren davon, den Arm über den Kopf haltend. Annas Lippen zitterten, in ihrem Zorn wandte sie sich gegen Krysan. »Reiß' aus!!«, heulte Zygan. »Sie ist wahnsinnig … Oi, oi!« Krysan hielt abwendend die Hände vor's Gesicht, ging langsam rückwärts, krächzte: »Anna Prowna … Was willst Du hier … Was ist mit Dir los, Annuschka?«, aber dann wandte er sich zur Flucht und rannte den Berg hinab.

Anna schwankte, schüttelte ihr aufgelöstes Haar, griff sich an die Schläfen und stöhnte so qualvoll und schrecklich, daß Wanjka Swistopljas erschreckt ausrief: »Aber Du kluges Mädchen! Du Kluge!«

»Oi, mein Blut!«, rief Anna, sank in sich zusammen, wälzte sich auf der Erde, und lachte und heulte wild durcheinander. Wanjka saß mit offenem Munde da, schweißgebadet, hüpfte dann mit zusammengebundenen Füßen zu ihr und suchte sie zu beruhigen: »Du bist doch so ein tüchtiges, kluges Mädchen! … Komm doch zu Dir!«


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