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Großväterchen Ustin, der bucklige, ging wie ein Hahn auf die Bauern los, die auf der Rasenbank saßen: »Jetzt habt Ihr sie beraubt und seid quitt? Ach, Ihr Gottlosen!«
»Laß nur, Alterchen, laß! Ich gebe Dir für die Kirche zwei Rote und dann halte den Mund«, sagte Obabok. Er zog aus der Tasche ein Paket Geldscheine und zählte in Dreirubelscheinen, immer die ältesten und schlechtesten heraussuchend, einundzwanzig Rubel ab.
»Aber die übrigen gebt Ihr zurück, sonst wäre es Sünde … Man muß gerecht sein!«
»Na ja, wir werden sie ihnen schon zurückgeben … Geh nur erst!«
Ustin warf noch einen strengen Blick auf die Bauern und ging dann zur Kapelle mühsam die alten und steif gewordenen Beine voreinandersetzend.
Die Bauern teilten das Geld so, daß jedes Haus einen Fünfrubelschein erhielt, während der Rest gemeinsam versoffen werden sollte: der reichte für die ganze Woche Saufen.
Die kleine Akuljka lief unterdessen zu der Hütte des Starosten Prow und rief ganz außer Atem: »Tante Matrëna, bei den Landstreichern ist Geld gefunden worden!«
»Du lü … Viel?«
»Ja, ja, ja, mein Vater hat welches … Ich wollte krepieren wenn es nicht wahr wäre … Die Bauern sind nach Schnaps gegangen.«
»Du lügst!«
»Ich wollte krepieren.«
Im Galopp lief sie weiter nach ihrer Hütte um der Mutter zu sagen, daß sie rasch Väterchen die fünf Rubel wegnimmt, der würde sie sonst auch noch versaufen.
Borodulin trank gerade Tee bei Matrëna. Als er die Erzählung hörte, sprang er auf, stieß den Schemel um, riß die Mütze vom Nagel und rannte auf die Straße: »Das ist meins, das ist unbedingt mein Geld!«
In seinen Ohren dröhnte es, die Krankheit war wie verschwunden und in dem Dröhnen hörte er immer wieder: »Wenn Du das Geld findest, dann …«
Ohne die Entgegenkommenden eines Grußes zu würdigen, rannte er so schnell ihn die Füße trugen zu den Betrunkenen auf der Rasenbank, wo schon die Schnapsflasche kreiste.
»Brüderchen, mir ist Geld weggekommen!«
Es durchfuhr die Bauern wie ein Peitschenschlag. Das Trinken hörte sofort auf, Obabok setzte sich auf die Wiese, alle schwiegen, sperrten Mund und Nasen auf und blickten auf Borodulin.
»Was für Geld, Iwan Stepanytsch, und wann ist es passiert?« fragte Zygan mit geheucheltem Interesse.
Borodulin erzählte alles auf's Genaueste: wie er mit dem Beil in der Hand hinter dem Einbrecher die Straße entlang gelaufen, wie er in die Kreisstadt gefahren wäre, und von dem Traum in der Taiga: das Geld tat ihm nicht leid, er wollte nur den Dieb entdecken und das Geheimnis seines Traumes ergründen.
Die Bauern blicken ihn ganz erstaunt an: Borodulin schluckt vor Aufregung, fuchtelt mit den Händen und war ganz außer sich.
»Habt Ihr den Landstreichern Geld abgenommen? … Es ist ganz bestimmt das meine …«
Und sodann: »Keschka, mach' mal die Zelle auf!«
»Kinder, kommt heraus!«
Lechman steckte den Kopf aus der Tür und nickte den Seinen zu: »Kameraden, anscheinend ist die Obrigkeit gekommen. Wollen mal sehen …«
Einer nach dem anderen gingen erst vier hinaus. Der ausgeplünderte Anton richtete sich wieder auf und faßte neue Hoffnung: seine Augen suchten Borodulin, lächelten ihm zu und baten um Gnade und Barmherzigkeit.
»Welcher hatte es nun?«, fragte Borodulin und musterte alle vier mit einem Blick.
»Der dort«, sagte Obabok, und zeigte mit dem Fuß auf Anton. Der verbeugte sich vor Borodulin bis zur Erde und murmelte: »Herr Obrigkeit, sie haben mir mein Geld abgenommen … es waren meine blutigen Rubel!«
»Der kann es nicht gewesen sein«, unterbrach ihn Borodulin, »den hätte ich auf der Straße erwischen müssen.«
»Laßt uns frei, seid so gnädig und laßt uns unserer Wege ziehen …«, sagte Lechman in seinem Baß.
Jetzt kam Andrej aus der Zelle heraus.
Es war dem Kaufmann, als ob er einen Schlag ins Herz erhielt, als ob es in seinen Ohren schrie: er ist's!
»Wer ist das?!«
Lechman, der sich umdrehte wohin Borodulin zeigte, antwortete: »Das ist Andrej, ein Politischer, der erst ganz kürzlich in der Taiga zu uns stieß!«
Borodulin schwankte und kniff die Augen zusammen: so hell brannte in seinen Augen das Feuer, daß es sein ganzes Denken überschattete: »Er ist's!!«
»Borodulin, Iwan Stepanytsch!«, hörte er eine frohgemute Stimme und sah, wie Andrej auf ihn zutrat. »Iwan Stepanytsch!«
»Er ist es! Kinder, haut ihn!«
Borodulin schrie und sprang auf Andrej los: trach! – der erste Schlag ging vorbei, Andrej wand sich zur Seite; Borodulin holte wieder aus – aber jemand hing an seinem Arm.
»Haut ihn! … Wer ist das? Messer, Messer, Messer, fangt, haltet ihn, stecht ihn!«
Da flog er vor ihnen aus Leibeskräften den Berg hinauf, er, der Feind, der Unselige, noch am Leben, wieder auferstanden! »Ha-a-al-tet ihn!!«
Hinterher die Bauern mit Zaunlatten, Messern, Fäusten!
»Haltet ihn! Haltet ihn!!«
Der Weg führte im Bogen in die Taiga. Von Andrej war nichts mehr zu sehen, er war hurtig gesprungen, war ihm doch der Tod auf den Hacken.
»Ihm nach, ihm nach!! Haltet ihn!!«
Zweige krachen, Geschrei, Fluchen: das ganze Dorf bricht in die Taiga ein, die Bauern rasen. Borodulin voran, leichter als eine Feder, er fühlt sich selbst nicht mehr.
»Er hat die Schuh weggeworfen, der Hund … Mir nach!!«
Der Weg schlängelt sich einen offenen Hügel hinauf, er ist ein größeres Stück zu übersehen, aber von dem Feinde keine Spur, er ist verschwunden …
»Hierher, Kinder! … Hier hat er seine Mütze verloren!«
In einem dichten Busch verborgen hört Andrej, nach Atem ringend, wie dicht neben ihm, dem unsichtbaren Menschen, unsichtbare Leute vorbeijagen: er hat sie irre geführt, er hat seine Mütze vorwärts geworfen, den Weg entlang, ist aber selbst in einen Busch gesprungen und hat sich dort verkrochen.
Die wilde Horde rast vorbei, drei kleine Jungen laufen am Schluß.
An die Erde geschmiegt, kriecht Andrej quer seitab durch die Taiga zum Flusse, arbeitet sich mit Mühe durch die Furt, fällt drüben in einen Strauch und verliert das Bewußtsein.
Die bei der Zelle zurückgebliebenen Bauern haben sich inzwischen wie ein Wirbelwind auf die Landstreicher gestürzt.
»Haut sie! Bearbeitet sie!!«, schmissen sie zu Boden und begannen ihr Strafgericht.
Alles wälzte sich in einem einzigen Knäuel. Heulen und Stöhnen erfüllte die Luft: es heulten die Hunde, es kreischten und weinten die Weiber, mit wildem Krächzen prügelten sich die trunkenen Bauern. Sie hieben auf die Landstreicher mit Fäusten und Stöcken ein, traten sie mit ihren großen eisenbeschlagenen Stiefeln, holten von irgendwo Ziegelsteine und schlugen mit diesen zu.
Plötzlich: »Halt! Was tut Ihr, Ihr Verworfenen! … Haltet ein!« Der kahlköpfige Ustin trat, flammenden Zorn in den Augen, auf den Haufen der sich am Boden wälzenden Leiber zu und drohte mit großer Gebärde: »Haltet! Haltet ein! ..«
Sie erwachten nicht sofort aus ihrem Rausch: die Hände waren nun einmal im Gang, die wilden Augen waren blutunterlaufen, aber jetzt hoben sie doch die Landstreicher mit ihren Fäusten auf und schmissen sie in die Zelle, schlugen die Tür fluchend zu und rannten außer Atem in die Taiga, um die anderen auf ihrer Jagd nach Andrej zu unterstützen.
Aber der alte Ustin lief eilig in seinen großen Stiefeln, auf seinen wackligen Knickebeinen den Bauern nach und rief unaufhörlich: »Kehrt um, Ihr Wahnsinnigen! … Ich verfluche Euch! … Hört Ihr? … Haltet ein!!«
Im Handgemenge hatte Lechman einen braunlockigen Burschen mit dem Messer durchbohrt. Der Junge lag vor der Zelle auf der Erde, das Gesicht nach unten, und stöhnte, während die anderen Quellwasser auf ihn gossen. Seine Mutter kniete über ihn gebeugt und schluchzte herzzerbrechend, ein paar Bauern, die bei ihm geblieben waren, ächzten und fluchten, aber der betrunkene Vater, der den Spitznamen Krysan erhalten hatte, prügelte sich mit dem Schließer Keschka und brüllte mit wilder Stimme durch das ganze Dorf, mit einem großen Beile fuchtelnd: »Mach' auf, sage ich Dir! … Ich werde sie allein alle erschlagen … Alle zusammen!!«
Es war inzwischen Mittag geworden.