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20.

Der Rand der Sonne erschien über der Taiga. Aber das trunkene Dorf schläft immer weiter.

Prow hatte sich spät gelegt, aber jetzt war er doch schon wieder auf den Beinen. Er legt sein Blechschild um und ging finsteren Blickes zum Kaufmann Fedot. Fedot schlief noch, er weckte ihn und weckte auch alle anderen im Hause: »Es ist Zeit … die Sonne ist schon aufgegangen.«

Die Sonne stieg höher, sie fraß den Nebel und er verschwand. Die Bauern erwachten einer nach dem andern, ein Tor quietschte nach dem andern und sie versammelten sich alle bei Fedot, wie es ausgemacht war.

Viel Volk hatte sich versammelt, alle Bauern waren erschienen. Sie fühlten sich sämtlich sehr elend. Alle blickten sie zu Boden und wagten nicht einander in die Augen zu sehen. Ihre Köpfe wackelten, ihre Gesichter waren verschwollen, ihre Nasen rußgeschwärzt, unter ihren Augen zogen sich dicke Ringe. Schweigend sogen sie an ihren Pfeifen, fuhren sich in das wirre Haar, räusperten sich und spuckten.

»Nun, wie ist das, Kinder?« wackelte Prow mit seinem Bart. Schweigen. Zygan antwortet als einziger: »Eine verzwickte Geschichte … Gevatter, eine schwierige Sache.«

Aber schon bringt Fedot ein Fäßchen Schnaps, stellt es auf den Tisch und seine Frau bringt eine Schüssel frischer Sülze. »Hier … Hebt mal erst einen … Einen Kleinen.«

Sie räusperten sich, traten von einem Bein auf's andere, spuckten. Der Schnaps bei Fedot war wirklich ausgezeichnet, viel besser als der von Moschna, dem Geldsack, wie er in der Gurgel brannte, och!

»Nein, ich bin nicht mit dabei …« sagte schließlich der pockennarbige Bauer, an einem Stück Sülze kauend.

»Ich auch nicht«, knurrte Obabok.

»Wieso denn nicht mehr dabei?« fragte Prow und Fedot wie mit einer Stimme.

»Wir wollen so was nicht machen … Als wir das beschlossen, waren wir doch alle besoffen … Wir wollen sie lieber in die Kreisstadt schleppen«, meinte der Pockennarbige.

»In die Kreisstadt?« schrie ihn der Kaufmann an. »Du Kahlarsch, hast gut reden … In die Kreisstadt reiten, daß sie dort freigelassen werden … Zum Teufel … Wenn sie dann wieder hierher kommen und an uns Rache nehmen? Nein, Kinder … Das geht wirklich nicht … Ich bin meines Gutes Wirt. Die Lumpen schrecken vor nichts zurück, ihnen wird die Hand nie zittern … Wieviel Vieh haben sie mir und Prow niedergestochen … Habt Ihr vergessen, daß sie den, wie hieß er nur … Kusjma mit dem Messer bearbeitet haben … A? Nu–ka, noch ein Zweites.«

Ein zweites Gläschen ging die Runde. Es war guter, kalter Schnaps.

Prow führte jetzt seine Gründe an: »Lukjan, Du hast wirklich nur Quatsch geredet, aber nicht ernstlich nachgedacht … Aber Du nennst Dich immer noch mein Gevatter … Hast Du denn gar kein Mitleid mit meiner Tochter Anna? … Wer hat sie denn verführt? Einer von dieser Bande, war es wirklich ein Politischer? Was zum Teufel war er für ein Politischer? Ein gemeiner Dieb.«

»Nu–ka, gießt hinter, Kinder!«

Ein drittes Glas ging die Runde.

»Nun, was denn, Ihr Bauern«, knurrte ein nasenloser Bauer, das linke Bein weitgespreizt und seine Arme in die Seiten stemmend. »Es hat doch keinen Sinn sie noch in die Kreisstadt zu schleppen, wo sie so schon halbtot geschlagen sind? Ha! … Wie denn?«

Jetzt redeten die Bauern schon durcheinander, räusperten sich, schnallten ihre Gürtel auf, saßen mit roten Köpfen da, der Schnaps war ihnen ins Hirn gestiegen und hatte ihren Verstand verwirrt.

Prow sprach mit fester Stimme, als ob er jedes Wort mit einem Beile in ihre Köpfe hieb: »Diese Lumpen, diese Landstreicher  … Weshalb soll man Mitleid mit ihnen haben … Wer sind sie denn? Pfui Teufel! – das sind sie … Hunde sind sie, in Rußland haben sie die Leute ermordet, deshalb hat man sie hierher geschickt … Ist das etwa eine Sache? Daß sie nun auch hier unsere Gegend verschweinigeln? A? Nein, das gibt's nicht! Das ist kein Gesetz … Das ist keine Torheit! … Wir brauchen das nicht, daß sie hier alles in den Dreck ziehen … Wir haben sie gefangen, nun wohin mit ihnen? Sollen wir es auf unsere Art abmachen? Oder sollen wir sie nach Rußland zurückschicken? … Wollen sie sie denn etwa wiederhaben, die Schweinehunde … Wohin also mit ihnen, den Halunken?«

»Ai–da!« brüllt Obabok. »Hast Du die Grütze gefressen, mußt Du auch den Teller in die Ecke schmeißen! … Ai–da!«

»Aber der ganze Mir muß sich beteiligen, und kein Wort verlauten lassen … Alles einig tun.«

»Ein Exempel statuieren!« goß Fedot Öl ins Feuer.

»Daß hundert Werst weit die Landstreicher einen großen Umweg um uns machen und nie wieder einer sich hierher getraut.«

»Wir werden es ihnen schon zeigen! … Dem Gesindel!«

»Oho–ho–o–o!«

»Erst trinkt noch einen von wegen der Tapferkeit.«

»Nun, Kinder, aber wenn vielleicht Ustin …«

»Ustin?«

Betretenes Schweigen.

»Er hat sich gar nicht in unsere Angelegenheiten hineinzumischen!« schrie als erster Zygan und spuckte durch die Zähne.

»Was … Der Heilige? … Der will sich wohl zu den Urvätern rechnen? Gibt's nicht!« donnerte Obabok wie aus einem Fasse, schwankte und drohte jemand mit seinem verbundenen Finger.

»Was geht das Ustin an … Ustin lebt für sich«, sagte der Kaufmann Fedot, »er ist ein Gläubiger!«

»Ein Gläubiger?« sprang Obabok auf und setzte sich wieder. »Kennen wir! Nein, sündige Du ruhig mit dem ganzen Mir … Was ist er denn. Euer Ustin … Ein Pope! Das ist er … Ha–ha … Nein, gegen den ganzen Mir kannst Du nichts unternehmen  … Wohin der Mir geht, dahin mußt Du mitgehen …? Das ist Sache … Aber er? … Pfui!«

Ganz unvermittelt gab Obabok dem Fedot eins vor den dicken Bauch: »Laß, Du Blutsauger! Gib uns erstmal jedem ein Gläschen Schnaps, unsere Seele brennt.«

Prow gab Obabok den Befehl, die jungen Leute des Dorfes zusammenzurufen und Fahrzeuge fertig zu machen, die versammelten Bauern waren zu wenige: man mußte die Landstreicher weit von Kedrowka wegschaffen, mußte den entsprungenen Andrjuschka suchen und mußte Borodulin in sein Dorf überführen.

Prow war böse: die Bauern hatten viel zu lange geschlafen. Man hätte das alles vor Tagesanbruch erledigen müssen, ganz ohne Aufsehen, in aller Stille, aber jetzt war schon das ganze Dorf auf den Beinen: die Kinder liefen in einer ganzen Herde auf der Dorfstraße umher als erwarteten sie etwas.

»Fort mit Euch, Ihr Teufelsbrut!« knurrte sie Obabok an, ergriff einen Stock und rannte ihnen nach. Aber er wirbelte nur Staub auf.


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