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22.

Die Landstreicher zogen mit auf dem Rücken zusammengebundenen Händen den Weg entlang.

»Wo führt Ihr uns hin?« fragte Lechman.

»In die Kreisstadt.«

Wanjka Swistopljas war in dem Handgemenge außer dem abgerissenen Ohr auch der Fuß beschädigt worden, deshalb hinkte Wanjka. Das Auftreten tut ihm sehr weh, er stöhnte.

Tulja hätte wacker ausgeschritten, wenn nicht die Stimmung so unglücklich gewesen wäre, wie Bleiklumpen hing die an ihm, zog ihn zur Erde, krümmte ihm den Rücken. Sein linkes Auge war ganz verschwollen und hatte sich geschlossen, das rechte blickte durch einen schmalen Spalt aus einem großen Bluterguß; wie ein Blinder schritt Tulja, den Kopf zur Seite geneigt.

Anton hatten sie die Hände nicht gefesselt, sie achteten ihn:

»Ihr Lieben, mir ist die Hüfte so beschädigt worden.«

Er trug ein Bündel mit seinen neuen Stiefeln, unter den Augen waren schwarze Schatten, seine Wangen waren eingefallen, er ging ohne Mütze, die Haare klebten ihm in der Stirn, sein Rock war aufgeknöpft und auf seiner bloßen Brust sah man eine Seidenschnur mit einem Taufkreuz.

Die Sonne stieg höher, ihre Strahlen fuhren zärtlich über die stille Morgenluft, die sich freundlich wärmend über die Erde ausbreitete.

Sie gingen zunächst durch Felder, in denen viele Blumen blühten, lebt wohl ihr Blumen.

Sie gehen langsam, der Weg strengt an. Sie reden nicht zusammen, besprechen sich nicht, aber fühlen doch einer die Nähe des anderen, ihre Seelen sind in eins zusammengeflossen. So war es leichter: nicht einer allein, sondern vier zusammen trugen sie ihre Last.

Sie gingen durch einen Faulbeerhain, der Faulbaum blühte über und über. Man spürte die Luft kaum mehr, so süß und angenehm war der Geruch.

Sie gingen durch die Taiga, es war schön in der Taiga. Sie war wie ein stiller nachdenklicher Tempel, ein Gotteshaus und der Geruch des Wachholders schwebte drin, wie Weihrauch in der Kirche.

Da war eine grüne Wiese, ganz in Sonnenlicht getaucht: hier könnte man schön Tee trinken.

»Ja, das wäre schön, Tulja«, versuchte Lechman zu scherzen. »Wäre ausgezeichnet«, versuchte Tulja auf den Scherz zu antworten.

Lechman geht mit schweren Schritten, in seiner Brust knackt und raschelt es, er geht gebeugt und sein Gesicht ist finster. Einundeinhalb Werst sind sie jetzt schon vom Dorfe gegangen, sie können schon kaum mehr vorwärts. Die Kraft reicht nicht mehr.

Der Eskorte der Landstreicher hatte sich Krysan angeschlossen. Die Bauern waren wie alle Bauern: sie gingen und scherzten. Zygan holte eine Schnapsflasche aus seinen Samthosen, nahm einen kräftigen Zug, gab sie einem Zweiten, einem Dritten; nur Krysan verliert kein Wort, er hat seine Wintermütze mit den Pelzohren bis fast über die Augen gezogen, auf seinen Backen zuckt es unwillkürlich, seine Zähne knirschen ab und zu und seine Augen verfolgen die Landstreicher mit verzehrendem Haß.

Er geht schweigend etwas abseits, auf seinen Schultern hängt seine gute Büchse, sie heißt »Turka« und ist eine Bärenbüchse.

»Bindet uns doch los, die Mücken fressen uns ja auf.«

Die Bauern gaben überhaupt keine Antwort. Die Landstreicher schüttelten mit den Köpfen, aber die Mücken lassen sich nicht verscheuchen und trinken gierig ihr Blut.

Sie gehen nur bis zum Kreuzweg, wo die Taigawege sich begegnen. Sie blicken in den Querweg, da kommt eine Telega angequietscht, es ist der Waldbauer Naumenko, ein früherer Zuchthäusler, der Baumrinde nach Hause fährt.

»Wohin, Kinder?«

»Da … Die Landstreicher … Aber hast Du keinen Schnaps?«

»Den habe ich … Kommt mit in meine Waldhütte, ich werde Euch bewirten!«

Als die Bauern zu der Waldhütte kamen, fragte Krysan:

»Naumenko, hast Du nicht eine gute Schaufel oder zwei?«

»Wozu?«

»Die Landstreicher eingraben«, knurrte Krysan.

Naumenko's bärtiges Gesicht wurde plötzlich lang: »Was wollt Ihr, Kinder?«

Die Landstreicher überfiel ein Zittern.

Die Bauern gingen in die Hütte. Der Zuchthäusler Naumenko trat dicht an die Landstreicher heran: »Flieht, Brüder, so rasch als möglich … Ich binde Euch los!«

»Nein«, antwortete Lechman. »Es verlangt uns so wie so endlich nach Ruhe … Uns haben sie alle Knochen zerschlagen …« – Seine Lippen zitterten, seine Augenlider fielen ihm immer wieder schwer über die Augen.

Als die Bauern jeder ein Gläschen Schnaps getrunken hatten, machten sie sich wieder auf den Weg.

Wenn sich Naumenko auch zuerst geweigert hatte, sich ihnen anzuschließen, so hatten sie ihn doch mit Gewalt dazu gezwungen.

»Du wirst es bereuen, wir stecken Dein ganzes Anwesen in Brand!« hatte Krysan gedroht. »Wir kommen mit dem ganzen Dorf angerückt.«

Schweren Herzens folgte Naumenko dem Zuge mit seinem Gespann und versuchte bei den Brüdern Wlasow zu erfahren, worin die Schuld der Landstreicher bestände.

Anton ging, wie abwesend um sich blickend, er wollte am liebsten in die Taiga hinausschreien, oder den Kopf zurückwerfen und ein tierisches Gebrüll anstimmen.

Wanjka Swistopljas und Tulja waren bereit, sich vor den Bauern niederzuwerfen, ihnen die Füße zu küssen und sie um Schonung und Gnade zu bitten.

Nur Lechman hatte seinen aufrechten Sinn nicht verloren. Er ließ ihn nirgendwohin abschaffen, er hatte sich in einer Stelle eingeschlossen und blieb dort unabänderlich.

»Schlagt uns doch endlich in Stücke!« schrie er plötzlich los und weigerte sich weiterzugehen.

Hinter ihm krachte ein Schuß: die »Turka«, die Bärenbüchse dröhnte über die ganze Taiga und ließ das Echo weiterlaufen.

»Oi-ty?« riefen voller Entsetzen die Brüder Wlasow.

Die Landstreicher erstarrten. Lechman beugte sich vornüber, fiel auf alle Viere und rollte schrecklich mit den Augen. Ein Blutstrahl schoß aus dem zerschossenen Bein, aber er kroch trotzdem auf Krysan zu und fuhr ihn unter Stöhnen an: »Ein Schurke bist Du, aber kein Schütze … Du Schlange!«

»Schweig, Swolotsch!« holte Krysan mit dem Kolben aus.

»Ich schlag' Dich tot!«

»Was fällt Dir ein!« sprang Naumenko dazu.

»Geh mir aus dem Wege!« schrie Krysan. Er war außer sich, er atmete schwer und seine Augen stierten bald auf Naumenko, bald auf die verstörten Brüder Wlasow.

Zygan ging weit voraus und sang ein Lied. Als er den Schuß hörte, sprang er auf einen Baumstumpf und rief, die Landstreicher mit den Blicken abzählend: »Wen?«

Die Brüder Wlasow, hochgewachsene Bauern in schwarzen Kamelot, legten Lechman auf die Telega. Sie waren friedliebende Bauern, am liebsten wären sie ohne sich umzublicken, nach Hause gerannt, aber gegen den Mir war nichts zu machen! Aber der kleine Mitjka, der dem Zuge bis hierher gefolgt war, kam jetzt aus seinem Versteck hervor, rieb sich die Augen, rannte nach Kedrowka zurück und schrie aus vollem Halse: »Oi … oi … oi!«

»Ach Du Nisse! Greift ihn!« schimpfte Zygan und machte ein paar drohende Schritte auf Mitjka zu.

Aber der rannte, ohne sich umzusehen, hielt sich im Lauf die Hosen fest und hörte nicht auf zu schreien.


Andrej erwachte und rieb sich die Augen. Über ihm war blauer Himmel. Vorsichtig erhob er sich auf den Ellenbogen und blickte sich verstohlen um. Es war alles still, ringsum waren Büsche, unten plätscherte das Wasser des Flusses.

»Das war geschickt … das war wirklich geschickt«, lächelte er grimmig und biß sich auf die zitternden Lippen. »Pfui, Teufel noch mal …«

Dann legte er sich wieder und schloß die Augen. Lange lag er so ohne irgend etwas zu denken, in einem Halbschlaf.

»Nein, so kann es nicht weitergehen!« ermannte er sich. Rasch setzte er sich auf. »Noch war nicht alle Gefahr vorüber … Bestimmt nicht …« Seine Stimme zitterte, riß ab und klang krank und hinfällig.

Andrej preßte die Handgelenke fest zusammen und versuchte seine Gedanken auf einen Punkt zu sammeln. Zunächst will er das Vergangene sich noch einmal vergegenwärtigen. Aber das ganze Erleben der letzten Stunden, das wilde und unverständliche war plötzlich verschwommen und verschwunden. »Was hat das alles zu bedeuten? Wo ist Anna? Wo ist Borodulin?« versuchte Andrej seine Gedanken zu sammeln und sich zu unterwerfen, aber sofort drängten sich neue unnötige Gedanken auf. »Ein paar neue Stiefel könntest du schon gebrauchen … und jetzt mußt du erst ein Eichhörnchen fangen …« und vernebelten die Hauptsache: die Erkenntnis seiner Situation und dessen, was er nun anfangen sollte.

»Man muß Prow aufsuchen«, erklärte Andrej energisch und versuchte sich den Vater von Anna vorzustellen: er hatte ihn noch niemals gesehen, aber der Gedanke schlug nicht Wurzeln und verschwamm wieder.

Andrej erhob sich, strich seinen Haarschopf zurück und trat auf das Feld hinaus.

In demselben Augenblick richteten zwei leidenschaftliche Augen ihre Blicke auf ihn.

Andrej spürte das und drehte sich rasch um: am Rande des Waldes, nicht weit von ihm, stand ein Bauer.

»He, Onkelchen!« rief Andrej. »Führe mich zum Starosten … Ich bin – ein Politischer … Aus Nasimowo.«

»A – a – a«, stieß Prow hervor und erstarrte. »Du bist es also, Du Schlange?« Er warf sein Gewehr nach vorn, rannte einige Schritte näher und legte an.

Andrej stand unbeweglich: die Beine gehorchten ihm nicht mehr und die Stimme versagte.

Es flimmerte vor Prow's Augen, die Mündung des Gewehres tanzte und schließlich ließ er die Flinte sinken: »Die Mutter Gottes hat Dich gerettet!« seufzte Prow, bekreuzigte sich und trat auf Andrej zu.

Der richtete seinen Blick auf ihn und blickte ihm mit heißen Augen bis auf den Grund seines Herzens.

»Nun, meinetwegen … Ich bin alleine … Schlag' zu! Schieße!«

Prow sperrte den Mund auf und wußte nicht, was er tun sollte: »Meine Tochter … Anna … Ech, Brüderchen.«

Andrej wich zurück.

»Prow? … Prow Michailytsch?« rief er und rang nach Atem.

»Da, werf Dir das über!« sagte Prow mit einem Seufzer, zog seinen Armjäk aus und warf ihn Andrej vor die Füße.


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