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6.

In dem Dorfe Nasimowo verabschiedete sich an diesem Feiertagvorabend die Geliebte des Kaufmanns Borodulin, die mollige Soldatenfrau Darja lange und gründlich hinter der Korndarre von ihrem Herzensfreunde, dem Sträflingssiedler Fedenjka.

»Laß' mich nicht sitzen, hörst Du … Laß' das Fenster einen kleinen Spalt auf, dann werde ich schon …« schärft ihr der untersetzte, schwarzhaarige Dieb Fedenjka ein und reibt sich mit der hohlen Hand sein lange nicht rasiertes Stoppelkinn.

Darja sieht stumpfsinnig drein, schweigt eine Weile und fragt schließlich: »Also wird es so, meinst Du?«

»Ach, Du dummes Kerlchen!«, ruft Fedenjka mit verstellt lustiger Stimme und umarmt Darja.

»Nun, wir werden ja sehen!« strahlt Darja, gibt ihrem Fedenjka einen schmatzenden Kuß und geht mit ihrem Baumwollkleide rauschend den Zaun entlang. Blickt sich um, winkt mit ihrer weißen Schürze und verschwindet durch die Pforte im Garten des Borodulin'schen Hofes.

Der Kaufmann Borodulin ging in seiner großen mit Vorhängen und Blumen geschmückten Stube wie ein ausgewachsener Bär langsam auf und ab.

»Fenja!«, schrie er. – »Was zu fressen haben!«

»Gleich, gleich!« antwortet sie aus der Küche.

»Ich werde doch heiraten, und wenn ich krepiere, ich werde doch heiraten«, denkt der Kaufmann und knarrt auf seinen geschmierten Stiefeln durch das Zimmer. Die Augenbrauen sind über dem Nasenbein zusammengezogen – das Gehirn raucht vor Anstrengung – mit den zusammengekniffenen Augen blickt er geradeswegs in die Zukunft. Sein Herz, das den Blutstrom nicht bewältigen kann, schlägt wie ein Hammer in seiner Brust: solche Kräfte stecken in dem Körper dieses Kaufmanns.

»Vielleicht werden sie meine Alte in der Stadt zu Tode schneiden  … Wie kann sie die Operation aushalten! Aber wenn sie sie nicht im Krankenhaus zu Tode schneiden, dann … dann … Auf jeden Fall will ich ein Kind haben. Zehn Jahre lang war ich schon mit der Alten zusammen, immer noch hat es nichts gegeben. Aber Anka – die ist ein Prachtkerl, die wird schon Kinder austragen, sicherlich … Fu-u-u, ty …«, bläst der Kaufmann geräuschvoll durch die Lippen, blickt bekümmert auf das Heiligenbild und setzt sich an den Tisch.

»Guten Abend«, sagte mit heiserer Stimme die Soldatenfrau Darja, die ins Zimmer trat.

»Wo ist Anjutka?«, fragte der Kaufmann mit strenger Stimme.

»Woher … woher soll ich wissen, wo sie ist … Wahrscheinlich unten, wo es ihr besser gefällt.«

Fenjuschka brachte das Abendbrot herein. Darja trank gern ein Schnäpschen, aber heute trank sie selbst sehr wenig und goß dafür Borodulin um so mehr ein.

»Trink noch den Rest … Heute soll Dir Dein Schuldner Dein Geld gebracht haben?« Dabei schielte sie nach dem Schreibtisch, wo Iwan Stepanytsch sein Geld eingeschlossen hielt, sieht den Kaufmann mit ihren schwarzen Augen an und sagte, anscheinend ein wenig berauscht:

»Eigentlich könntest Du mir einen Zehner schenken, dann erzähle ich Dir auch heute Nacht eine ganz schöne Geschichte … Gelt? Oi, oi, das wird eine Geschichte werden … wie Honig!« Sie schmiegte sich an Borodulin, legte sich mit ihrer vollen rosigen Wange an seine Schulter und blickte ihn von unten her schelmisch in die Augen, die roten, spöttischen Lippen halb geöffnet. Sie roch nach rotem Kattun und frischem Heu.

»Wanja, umarme mich mal!«

»Iß Dein Hammelfleisch, es wird kalt«, rückte er von Darja weg.

Fenja füllte die Karaffe nochmals mit Schnaps. Wieder tranken sie. Fenja ging schlafen.

Der Kaufmann legte sich auf den Diwan, jammerte ein wenig vor sich hin – das Leben wurde ihm jetzt wirklich zur Last – und bettete seinen Kopf auf die warmen Schenkel Darjas. Darja streicht ihm über seine schwarzen zottigen Haare, küßt seine hohe Stirn und sucht das Herz des Kaufmanns vorsichtig auszuhorchen.

»Weißt Du, wenn Du jetzt Witwer wirst, dann kannst Du mich heiraten, Iwan Stepanytsch.«

»Quatsch! Und Dein Soldat, Dein Mann?«

Darja kichert leise vor sich hin: »Wenn man so mächtig ist wie Du, kann man alles.«

»Ich weiß auch ohne Dich, wen ich heiraten soll und wen nicht!«, erboste sich Borodulin.

Darja zog plötzlich ihre Stirn in böse Falten und drohte: »Paß' auf, Kaufmann!« Ihre Finger, die durch sein Haar strichen, zitterten und blieben stehen.

»Bringe mir lieber kaltes Bier« sagte Iwan Stepanytsch mit friedlicherer Stimme.

Das Bier machte Borodulin bald müde. Er zog die Stiefel aus, warf sie und die Fußlappen mit Schwung jeden in eine andere Ecke des Zimmers und murmelte schon halb trunken: »Ich kann alles, Daschka … Wenn ich will, dann krache ich den Stiefel sogar durch's Fenster – soll er zum Teufel fliegen … Ha!«

Der Kuckuck fuhr aus der Kuckucksuhr, ließ seinen Ruf erschallen und schloß das kleine Türchen wieder hinter sich.

»Wieviel?«

»Es muß zehn sein!«

»Zeit schlafen. Nu-ka, Daschka, Du kannst mir mal helfen!«

Sie führte ihn zum Bett und legte ihn hinein.

»Niemand hat mir was zu befehlen, verstehst Du! Ich springe einfach aus dem Fenster und haue der Alten eins auf die Mütze! Ja … Der Pope? Den Popen packe ich am Bart … Damit hat sich der Fall erledigt … Dafür bin ich aber auch der Erste im ganzen Kreise … Stimmt's nicht?«

»Ja, ja, schlaf' mit Gott.«

»Alles kann ich … Verstanden? … Ich bin nämlich Borodu-u-u-lin! … Hast Du gehört?« Und plötzlich fuhr er mit ganz nüchterner Stimme fort: »Aber Anjutka liebe ich!«

Die Katze sprang auf das Bett, kroch zu ihnen unter die Decke.

»Anjutka, das ist blankes Gold … Ech ty, wenn sie durch's Zimmer schreitet: jede Sehne an ihr singt ein besonderes Liedchen … Ja …«

Darja ergriff die Katze an den Hinterbeinen und schmiß sie an den Ofen. Die Katze miaute jämmerlich. Der Kaufmann gähnte und bekreuzigte mit der falschen Hand seinen bärtigen Mund. Darja schnarchte leise, wandte sich mit dem Gesicht zur Wand, schob aber absichtlich ihren runden Rücken und ihre mollige Schulter unter der Bettdecke hervor.

»Daschka, schläfst Du?« fragte der Kaufmann leise.

Daschka schnarchte weiter und stöhnte.

»He, Darja!«

Im Zimmer herrschte Halbdunkel, auf der Straße war es aber noch hell. Die Uhr tickte und irgendwo in der Ferne klopfte ein Nachtwächter auf seinem Brettchen.

Borodulin erhob sich, ließ vorsichtig die Beine auf das Renntierfell gleiten, blickte nochmals auf Darjas Schulter, auf ihre schwarzen aufgelösten Haare, schob den Vorhang zurück und ging mit vorsichtigen Schritten in das Nebenzimmer, von dem die Treppe hinab ins Erdgeschoß führte.

Kaum war der Kaufmann gegangen, da jagten abwechselnd Kälte und Hitze durch Darjas Adern. Es drückte ihr fast das Herz ab. Sie sprang auf und schlich sich, damit die Diele nicht knarrte, vorsichtig zum Schreibtisch. Plötzlich stöhnte Fenja im Nebenzimmer und schnarchte laut. Darja faßte sich im augenblicklichen Schrecken an die Wange und erstarrte, dann fuhr sie rasch mit der Hand über den Tisch, machte das Fenster auf und warf sich wieder ins Bett, einen dicken Packen Geldscheine in der Hand.

Im Erdgeschoß, wohin Borodulin gegangen war, waren zwei große Räume, die den Laden und das Lager enthielten und ein drittes, kleines Zimmerchen: in ihm wohnte Anna aus Kedrowka.

Der Kaufmann schlich auf den Zehenspitzen: »Annuschka!«

Er berührte ihr Knie. Das Mädchen schlief im Hemd. Sie hatte sich gar nicht zugedeckt: es war heiß. Anna fuhr mit einem Seufzer des Schreckens empor und riß die Augen auf.

»Annuschka, meine liebe Annuschka …« preßte Borodulin sein Gesicht auf das Bett, während das Mädchen einen Rock über sich warf und vor Angst zitterte.

»Was wollt Ihr von mir, Iwan Stepanytsch, ich fühle mich gar nicht wohl.«

»Du, meine einzige Liebe … da bin ich hergekommen, ich versoffene Fresse … Ich …«, flüsterte Borodulin in heller Aufregung. »Annuschka, mir ist das Herz so schwer … Meine Liebe, so schwer …«

Die Fenster sind verhängt. Im Zimmer war es daher ziemlich dunkel. Anna sprach mit gleichmäßiger weinerlicher Stimme und schluchzte und seufzte ab und zu.

»Zu meinem Väterchen und zu meinem Mütterchen will ich nicht zurück … Ich habe mir über Andrjuscha die Karten legen lassen, – hier ist so eine Kartenlegerin –, ein Bär hat ihn umgebracht … wahrscheinlich. Seitdem ist mir etwas leichter …«

»Ich habe gar nicht Ruhe in meiner Seele, Annuschka … Mit meiner Frau lebe ich schlecht … Nun habe ich mich schrecklich in Dich verguckt … Glaubst Du mir … Ich liebe Dich, Annuschka, … Och, schrecklich liebe ich Dich!«

»Ich weiß nun gar nicht, woran ich bin … Sie hat mir Sand vom Jordan zu essen gegeben und hat gezählt. Dann wurde mir das Herz etwas leichter … Eins, zwei, vier … aber weiter habe ich schon vergessen … Da hat mir der Räuber eins auf die Schläfe gegeben, der Gendarm …«

»Dieser Teufel, der verfluchte … Ich werde ihn mir schon noch greifen!« schüttelte Iwan Stepanytsch seinen Bart, neigte sich in seiner ganzen Größe zu dem Mädchen hernieder und strich ihr zärtlich über das Haar. »Du meine liebe Kleine … denke Dir mal, Anna, wir werden zusammen leben … Ich werde Dich heiraten … Meine Alte jage ich fort … Du wirst wieder gesund werden, dann heirate ich Dich … Du wirst ganz und gar vergoldet und mit Zucker gefüttert …«

»Ach, ich weiß nicht … Mein Verstand ist mir zu kurz geworden … Manchmal weiß ich gar nicht, was ich tue … Ob er wohl wiederkommt?«

»Wer soll wiederkommen?« blickte ihr der Kaufmann in die Augen.

»Wer, fragst Du?«, sagte sie hart, als wenn ein Beil in den Baum fährt. »Wer?«, fuhr sie in ihrem Bett empor und stieß den Kaufmann von sich und schrie: »Wo ist mein Andrejuschka?!«

»Was ist mit Dir los, Du Wahnsinnige?« trat der Kaufmann vor der drohenden Anna zurück.

»Das Kind haben sie getötet und Andrjuscha haben sie das Blut aus den Adern gezogen!« schrie sie, warf die Arme empor, schlug der Länge nach auf das Bett und zitterte am ganzen Leibe. »Oi, oi, oi! …«

»Um Gotteswillen, Mädchen, was ist mit Dir?«, bemühte sich der Kaufmann um sie, der in diesem Augenblick völlig nüchtern geworden war. »Fenjka! Daschka! Wasser!«

Im oberen Stock erschallte auf einmal ein lautes Geschrei: »Karaul! Karaul! Zu Hilfe! Zu Hilfe!«

»Andrejuschka! Gebt mir meinen Andrejuschka wieder! …«

»Was willst Du?« wußte sich der Kaufmann nicht zu helfen. »Annuschka, meine liebe …«

»Karau-u-ul! …«

»Wen? Wer?!« ruft es von unten, und schon kommt Darja im Hemd die Treppe hinuntergerannt und hinter ihr Fenja.

»Rasch, rasch, Ihr klumpfüßige Teufel! Rasch zu Anna!«

Die beiden Weiber zittern am ganzen Leibe, zeigen die Treppe hinauf, aber bringen kein Wort hervor.

Der Kaufmann rennt hinauf. Im offenen Fenster sieht er ein rußbeschmutztes bärtiges Gesicht, das sich von dort aus am offenen Schreibtisch zu schaffen macht und verschwindet, als der Kaufmann ins Zimmer tritt.

»Haltet den Dieb!« heult Borodulin auf, reißt das Gewehr von der Wand, es war nicht geladen, ergreift das Beil und rast, so wie er war, die Treppe hinunter.

»Haltet den Dieb, haltet den Dieb!« schrie er, und rannte die Straße entlang, den Berg hinauf, wo in einem Birkenhain die Kirche schlummerte: »Haltet den Dieb, haltet den Dieb! …«

Der alte Nachtwächter lag auf seinem Lager vor seiner Hütte – er wachte auf, reibt sich mit der Faust die Augen aus und brüllt:

»Wer da?!« und greift nach seinem Spieß.

»Ich schlage ihn nieder! … Haltet ihn, den Dieb!«

»Borodulin …«, flüstert der Greis und klopft ängstlich ans Fenster. »Mach' sofort die Pforte auf … He, Babka!«

Im Hofe sagt er zu ihr: »Mit dem Beil rennt er … Borodulin … Wenn er nur nicht schießt.«

»Du träumst wohl?« lachte ihn die Alte aus.

»Was? … In Unterhosen … Dorthin! … Wahrscheinlich ist er wieder wie ein Teufel besoffen!«

Darja und Fenjuschka haben sich auf das Bett des Hausherrn zurückgezogen, sitzen nebeneinander, eine hübscher als die andere, stützen das Kinn auf die Knie und zittern. Fenja sagt: »Ich hab' solche Angst.« Darja sagt: »Ich hab' solche Angst.« Bei Fenjuschka war es aufrichtig, bei Darja nicht ganz, in ihren Augen sprangen kleine Teufelchen.

Fenja sagt: »Er wird ihn schon kriegen!« Dascha: »Nein, er wird wohl entkommen!« Dascha faltet die Hände hinter dem Kopf und dehnt sich in Wollust: »Ech, wenn ich doch bißchen mehr Geld hätte … Ach Du, Gospodi.«

Wieder sprang der Kuckuck aus seinem Fensterchen, schlug zwölfmal und legte sich wieder schlafen.

Borodulin raste immer noch im Dorfe auf und ab. Man hörte es, wie in allen Straßen die Hunde munter wurden und im Chore kläfften und heulten.

»Trotzdem tut mir Anna leid, man wird sie wohl zum Feldscher bringen müssen,« seufzte Fenja, »das arme Mädchen, so ein feines Mädchen und wurde von einem Verbrecher, einem kaiserlichen Verbrecher verdorben.«

»Du bist dumm, Fenjka … Andrjuscha ist schön wie ein gemaltes Bild.«

»Er war wirklich ein hübscher Kerl: man konnte nicht wegsehen von ihm.«

»Ich würde ihm, dem Falken, bis ans Ende der Welt nachlaufen: hier, nimm mich!«

Dabei spann Dascha den Gedanken weiter indem sie mit etwas schelmischer Stimme sagte: »Weißt Du, ich würde mich so recht schön auf das Bettchen legen,« dabei legte sie sich so richtig verlockend auf das Federbett, »würde das Hemd von der rechten Schulter gleiten lassen … würde die Arme unter dem Nacken verschränken und sagen: da, nimm mich!«

Fenja saß dabei, mußte lachen und sagte in ihrem Baß: »Ach, Du Alberne!«

»Och, ich würde ihn … Andrjuscha … Du meine süße Beere!« fuhr Dascha fort und nahm das Kissen in ihren Arm.

Da hörte man ein Schlürfen und ein leichtes Knistern der Dielen, als ob sich jemand herschliche. Fenja schlug den Vorhang zurück.

»Oi!«, schrien beide, wie wenn eine Schar Vögel nach einem Schuß auffliegt und sprangen auf: »Sie ist verrückt geworden! Übergeschnappt!« und rannten auf die Straße hinaus.

Die Wahnsinnige aber hinter ihnen her: »Sie haben ihn getötet! Wo ist er? Gebt ihn mir wieder!«


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