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Dreißigstes Kapitel.
Kap Horn

An einem der letzten Tage des Dezembers hatten wir uns Kap Horn soweit genähert, daß ich zur Umschiffung desselben südwestlichen Kurs nehmen mußte. Ich freute mich, daß wir Sommer hatten, denn so durften wir hoffen, die Schrecknisse dieses im Winter eisbeladenen, unwirtsamsten Wassers der Erde durch eine warme Sonne gemildert zu sehen.

Seitdem ich den Befehl über die Bark übernommen, waren uns im ganzen bis zu den Falklandsinseln nur vier Segel in weiter Ferne zu Gesicht gekommen. Jetzt aber sichteten wir ein Fahrzeug voraus, das mit uns gleichen Kurs steuerte. Wir erkannten in ihm einen plumpen, rundbugigen Walfischfänger, der unter einer Last von Booten, die an hölzernen Davits über seine Seiten hingen, schwerfällig dahin watschelte. Bei unserer schnellen Fahrt mußten wir ihn bald überholen.

Während ich ihn durch das Teleskop betrachtete, trat Lush neben mich und fuhr mich barsch an:

Er wird nicht angerufen. Aendern Sie den Kurs, Herr, damit wir außer Anrufsweite kommen.

Mir stieg das Blut in den Kopf bei diesem gebieterischen Ton, ich hielt jedoch das, was ich auf der Zunge hatte, zurück, sah ihn nur fest an und entgegnete:

Fürchten Sie, daß die Leute ihn anrufen werden, wenn wir in Sprechweite an ihm vorübersegeln?

Pah, darum habe ich keine Sorge, von denen wird's keiner tun.

Na, Sie denken doch nicht etwa, daß ich es tun will?

Er sah mich argwöhnisch an. Warum denn nicht? Man kann doch nicht wissen.

I, zum Henker! schrie ich nun, meines Zorns nicht mehr Herr. Was erdreisten Sie sich? Sind Sie hier Kapitän oder ich? Ich habe noch keine Veranlassung zu Mißtrauen gegeben. Wollen Sie den Vertrag brechen? Sprechen Sie noch ein Wort in dem Ton zu mir, so rufe ich die Mannschaft zusammen, und sie mag dann entscheiden, ob ich den Befehl noch weiter führen soll oder nicht. So lange ich ihn aber führe, werde ich den Kurs nicht ändern, bloß um an einem Schiffe nicht in Anrufsweite vorüberzufahren. Nun wissen Sie Bescheid und können gehen und tun was Sie wollen.

Der Kerl glotzte mich an, als wollte er mir an die Kehle springen, trottete aber nach kurzem Besinnen schweigend nach der Leeseite hinüber.

Dieser Bursche soll mich noch kennen lernen, knirschte ich durch die Zähne meiner Gefährtin zu, die gerade im Augenblick dieser Szene auf Deck erschienen und zu mir getreten war. Wenn er glaubt, mich ins Bockshorn jagen zu können, irrt er sich.

Ach Gott, wie habe ich mich gefürchtet, sagte sie noch ganz entsetzt. Was hätte daraus entstehen können! War es denn auch richtig, ihn derart anzulassen und ihm nicht seinen Willen zu tun?

Das einzig Richtige, verlassen Sie sich darauf. Sehen Sie nur, wie die Kerle da an der Küche noch ganz verblüfft hierher lugen. Sie haben alles mitangehört, und das ist mir gerade recht. Sie müssen alle wissen, daß ich mir nicht auf der Nase herumtanzen lasse. Nur das gibt den nötigen Respekt.

Sie mögen recht haben, aber ich bewundere Ihren Mut.

Wir waren inzwischen dem Schiff so nahe gekommen, daß man mit bloßem Auge seinen in großen und weißen Buchstaben gemalten Namen »Maria Jane« lesen und die Leute unterscheiden konnte. Schwarze, Gelbe und Weiße blickten neugierig zu uns herüber. Ein in der Besanwante stehender Mann schien offenbar zu warten, bis wir in Sprechweite sein würden, um uns anzurufen.

Kurz ehe unser Bugspriet in Höhe des Hecks der Maria Jane gelangte, trat Lush breitbeinig wieder neben mich. Er hatte, wie ein trotziger Junge, die Hände in den Hosentaschen und sprach kein Wort, aber sein finsteres Gesicht zeigte, daß er entschlossen war, mich zum Schweigen zu bringen, sobald ich nur Miene machte, zu rufen. Auch merkte ich, wie die ebenfalls an der Reling stehende Mannschaft ihre Aufmerksamkeit zwischen mir und dem Walfischfänger teilte.

Dies ließ mich aber alles kalt. Ich sprach zu Fräulein Temple so ruhig über das Aussehen des Schiffes, als ob ich auf der Themse irgend ein Fahrzeug betrachtete.

Auf einmal klang es im näselnden Yankee-Jargon über das Wasser: Bark ahoi!

Ich fühlte, wie sich alle Blicke verstohlen auf mich richteten, doch das belustigte mich jetzt, und munter, als wenn ich den Anruf gar nicht gehört hätte, fuhr ich fort, meine Glossen über die schwerfällig rollende alte Tonne zu machen.

Welches Schiff seid Ihr? Wohin die Fahrt? erscholl es weiter von dem Mann in der Besanwante, und als auch hierauf keine Antwort erfolgte und die Bark, still wie ein Geisterschiff, im Fluge vorüberschwebte, sahen wir, wie ein Mann des Walfischfängers eilends nach der Spitze des Schiffes rannte, dort wie ein ungezogener Schuljunge die Zunge lang herausstreckte und uns mit beiden Händen eine lange Nase machte. Diese Geste wurde von unseren Leuten mit lautem Gelächter beantwortet, in das auch ich unwillkürlich mit einstimmte.

Gleich darauf lag das Schiff hinter uns. Lush verließ ohne ein weiteres Wort das Deck, und auch die Mannschaft zerstreute sich.

Wenn auch der Zwischenfall mit einer gewissen Komik geendet hatte, so war er mir doch ein neues Zeugnis von der Gesinnung der Leute. Sie waren offenbar von stetem Argwohn gegen mich erfüllt und jeder Schandtat fähig, wenn sie in ihren Hoffnungen und Erwartungen getäuscht wurden. An diesen Gedanken war ich ja zwar schon gewöhnt, trotzdem aber schreckte er mich doch immer von neuem. Tag und Nacht sann ich über einem festen Plan zur Flucht, doch nur, um immer wieder zu der Erkenntnis zu gelangen, daß unsere Rettung lediglich von einem Zufall abhinge.

Ich rechnete auf einen solchen während der Umschiffung des Horns, doch das herrliche Wetter ließ jede Hoffnung zu Schanden werden. Die Fahrt um diese gefährliche Landspitze vollzog sich völlig ereignislos. Der Wind blies immer gleichmäßig aus Süden; nur ein einzigesmal sichteten wir Eis – einen Fleck leuchtendweißen Kristalls an der fernen Seegrenze. Tag und Nacht donnerten die Wasser gegen Bug und Seiten der flüchtigen Bark. Die Wolken aus den antarktischen Einöden zogen wie Rauch über unsere Maste dahin; bei Tage tanzte die kleine weiße Sonne im Norden unter diesen fliehenden Schatten und warf ihre blendenden Strahlen auf das Meer; bei Nacht war der Himmel mit Sternen von eisigem Glanz besät, unter denen die Juwelen des südlichen Kreuzes glühten. In dem kleinen Ofen der Kajüte flackerte ein Feuer, an dem ich in meinen Freiwachen mit Fräulein Temple saß. Hier tauschten wir unsere Hoffnungen und Befürchtungen aus und suchten uns in die Gefühle zu versetzen, mit denen wir einst in der Heimat auf die Leiden zurückblicken würden, welche ein so geringfügiger Umstand wie der Besuch eines Wracks über uns gebracht hatte.

Die Zeit verging. Jeden Tag erlangte ich eine klare Messung der Sonne, und als ich auf den Meridian von 76 Grad westlicher Länge traf, gab ich der Bark, gemäß den Angaben Kapitän Braines, einen nordwestlichen Kurs, mit dem wir, nach meiner Rechnung, die Insel, falls sie vorhanden war, in ungefähr drei Wochen erreichen mußten.

Kurz nachdem ich den Kurs geändert und eben zu Mittag gegessen hatte, ließ sich Lush bei mir melden.

Nun, was gibt es, fragte ich, nachdem ich ihn hatte eintreten lassen.

Ich habe bemerkt, daß Sie den Kurs geändert haben.

So ist es.

Er steht nun also wohl direkt auf die Insel?

Gewiß.

Hm – na, das wollen die Leute gern mal selber auf der Karte sehen und von Ihnen erklärt haben. Sie sind schon alle an dem Oberlicht versammelt, dort wird's am besten geh'n.

Das war nun freilich wieder ein gewisser Zwang. Es wäre mir lieber gewesen, man hätte mich die Zeit bestimmen lassen, doch ich sah darüber hinweg und sagte:

Gut; ich werde gleich mit der Karte hinaufkommen.

Als ich kurz darauf unter die Versammelten trat und die Karte auf dem Oberlicht ausgebreitet hatte, fragte ich:

Nun, Leute, was wollt Ihr erklärt haben?

Wir möchten wissen, antwortete Lush, ob der Kurs Nord-Nord-West, wie ihn jetzt der Kompaß zeigt, der richtige und gerade Weg nach der Insel ist. Das wollten wir gern sehen.

Schön. Also paßt auf! Dabei deutete ich mit einem Lineal auf die Karte und begann zuerst diese zu erklären und dann zu zeigen, wo wir uns augenblicklich befanden, und an welcher Stelle des Ozeans wir auf die vorgebliche Insel treffen müßten.

Während ich sprach, waren alle Köpfe unter lautloser Stille tief über die Karte gebeugt. Man hörte nur die schweren von höchster Spannung zeugenden Atemzüge der Leute. Als ich geendet und noch hinzugefügt hatte, daß wir bei glatter Fahrt in etwa drei Wochen am Ziele sein könnten, sah ich lauter fröhliche, zufriedene Gesichter, die mir besser als alles andere bewiesen, daß ich verstanden worden, und jeder von der Richtigkeit des Kurses überzeugt war. Selbst der Zimmermann konnte sich eines gewissen Schmunzelns nicht erwehren und sprach:

Hm – Jungens, ich glaube, das stimmt wirklich alles, und ich muß zugeben, daß Herr Dugdale, in Anbetracht seiner kurzen Seemannszeit, seine Sache bis jetzt sehr gut gemacht hat und wir ihm Dank schulden.

Ein beifälliges Gemurmel folgte seinen Worten, und da ich aus dieser augenblicklichen Stimmung Vorteil ziehen wollte, begann ich:

Ihr habt nun gesehen, daß ich meine Schuldigkeit bis hierher ehrlich getan habe, und ich werde sie auch weiterhin tun, aber ich möchte euch doch noch einmal sagen, daß ich, wie von Anfang an, so auch jetzt noch, die ganze Fahrt für eine Irrfahrt halte, und deshalb fragen möchte, was ihr zu tun gedenkt, wenn sich die ganze Sache mit der Insel und dem Schatz als Täuschung erweist?

Alle Gesichter waren im Umsehen verändert. Meine Augen trafen nur auf finstere, böse Blicke, höhnisches Grinsen und frech drohende Mienen, während Lush rief:

Fangen Sie bloß nicht wieder davon an! Es nutzt Ihnen nichts. Die Insel ist da, und Sie werden Sie finden.

Ja, fuhr ich unbeirrt fort, was man wünscht, glaubt man; Hoffnung macht leichtgläubig. Ich setze nur den Fall, die Insel wäre nicht vorhanden, und an der Stelle, wo sie sein soll, befände sich nur Wasser; alles Suchen bliebe vergeblich. Was dann?

Die Leute sahen sich untereinander an und warfen sich Blicke zu, als wenn sie Verdacht hegten, daß hinter meiner Frage eine List stecke. Wie immer, so überließen sie Lush auch hier die Antwort, und der sagte:

Versuchen Sie nicht, uns an unserm Glauben irre zu machen. Ich sage Ihnen noch einmal, das wird Ihnen nicht gelingen. Wir sind zwar nur einfache, unwissende Leute, aber Narren sind wir nicht. Denken Sie das ja nicht. Wenn Sie die Insel nicht finden, dann wollen Sie sie nicht finden, darüber sind wir ganz einig. Also finden Sie sie!

Die letzten Worte waren von einem nicht mißzuverstehenden Blick und der lebhaften Zustimmung der Leute begleitet; ich erkannte daraus, daß Wetherley mir die volle Wahrheit gesagt hatte. Die Menschen vertrugen auch nicht die leiseste Hindeutung auf eine ihnen bevorstehende Enttäuschung. In dieser Erkenntnis, und bei der vollkommen umgeschlagenen Stimmung hielt ich es für das Beste, die Sache kurz abzubrechen. Ich fragte nur noch, ob irgend einer noch etwas zu wissen wünsche, und als darauf keine Antwort erfolgte, sagte ich: So sind wir also fertig, nahm meine Karte und ging hinunter.


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