Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Einundzwanzigstes Kapitel.
Ich sage meiner Gefährtin die Wahrheit

Leise schlich ich die Kajütentreppe hinab bis zur Tür, um nach meiner Gefährtin zu sehen, und als ich merkte, daß sie noch ruhig schlummerte, kehrte ich mit dem Vorsatz zurück, mich zu überzeugen, weß Geistes Kind Lush wohl wäre.

Er stand an der Reling und sah in die Wolken, ab und zu den Saft seines Primchens über Bord spritzend.

Hier herum passiert es nicht oft, redete ich ihn an, daß der Himmel, so wie heute, den ganzen Tag fast auf den Mastspitzen hängt.

Nein, brummte er, aber immer noch besser, als von der Sonne gebraten zu werden.

Verzeihen Sie die Frage: Wie viel Maats führt das Schiff?

Na, wie viel soll denn ein Schiff von der Größe führen, grunzte er. Seit der Chickens tot ist, hat es keinen Maat mehr.

Wieso denn? Sie sind doch Maat?

Jawohl – schöner Maat, lachte er höhnisch. Keine Spur davon. Sie nennen mich nur so, weil ich mit dem Kapitän abwechselnd Wache halte, aber ich habe für Zimmermann unterzeichnet und Zimmermann bin ich, und nichts anderes ist aus mir nicht zu machen, und ich schere mich keinen Teufel drum, wer mich das sagen hört. Dabei spie er grimmig wieder einen Strahl Tabakssaft über die Reling.

Ich ließ mich durch sein grobes Wesen nicht abschrecken und sagte sanft: Entschuldigen Sie nur; ich wollte Sie nicht beleidigen, bin doch hier noch unbekannt. Ich suchte Sie hauptsächlich auf, weil ich annehme, daß wir doch nun in näheren Verkehr treten werden, da Sie ja jedenfalls auch Ihre Kabine hier hinten haben.

Hat sich was mit einer Kabine, knurrte er grimmig. Meine Hängematte hängt im Vorderkastell. Ist das nicht gut genug für mich?

Da sind Sie allerdings sehr bescheiden, erwiderte ich; es war mir nicht ganz klar, in welchem Sinne ich seine Worte auffassen sollte; ich fuhr indessen fort: Leidet denn bei dem steten Zusammensein mit den Leuten nicht Ihre Autorität?

Ach was – Autorität! Mir ist keine Autorität übertragen, und ich verlange auch keine. Die Leute kommen, wenn ich sie rufe, und das ist mir genug.

Aber Sie essen doch wenigstens mit dem Kapitän?

Er begann förmlich wütend auf seinen Tabak zu beißen und knirschte: Jetzt nicht mehr. Das war nur so lange, als der Chickens noch lebte. Dann aber, als der Kapitän und ich allein waren, entdeckte er auf einmal, daß ich nicht fein genug wäre, bei ihm zu sitzen. Er meinte, ich hätte nicht gelernt, anständig zu essen, schimpfte mich ein Schwein und sagte, meine Schnauze wäre für den Leutefraß, aber nicht für Messer und Gabel und Porzellanteller. Na – – –. Er sah mich zornrot an, beherrschte sich jedoch gewaltsam und steckte seine Hände in die Hosentaschen.

Er schien keine Lust mehr für eine weitere Unterhaltung zu haben, und sie hätte auch ohnedem jetzt ihr Ende genommen, da der Kapitän zur Ablösung erschien. Wenn ich auch nur wenig erfahren hatte, so war mir doch das klar geworden, daß er den nominellen Maat nicht weniger haßte, wie dieser ihn.

Sowie der Zimmermann des Kapitäns ansichtig wurde, trottete er mit verbissenem Gesicht, alle zehn Finger an den steif herabhängenden Armen wie Angelhaken gekrümmt, nach vorn.

Auch ich verspürte keinen Hang, mich in ein neues Gespräch mit dem Kapitän einzulassen, und begab mich hinunter.

Leise in die Kajüte tretend, fand ich meine Gefährtin noch immer schlafend. Still setzte ich mich nieder, meine ganze Seele in das entzückende Bild versenkend.

Der Eintritt Wilkins', des rotköpfigen jungen Stewards, der mit einem Teebrett erschien, weckte die Schlafende. Sie sah sich zuerst verwirrt um und richtete sich dann mit einem tiefen Seufzer auf.

Was bringst du da? fragte ich den Jungen.

Nur Tee und Zwieback für den Kapitän. Ihr Abendbrot kommt um 7 Uhr. Damit stieg er die Kajütentreppe hinauf.

Der Schlaf hatte des Mädchens Wangen rosig angehaucht, doch bald wichen diese Rosen wieder der gewöhnlichen Alabasterfarbe ihrer Haut. Sie glättete ihr Haar und stützte gedankenvoll das Kinn auf die Hand.

Sie haben gut geruht? sagte ich freundlich.

O ja. Ich wollte nur, ich könnte ununterbrochen schlafen, bis ich endlich einmal wieder ohne Schrecken erwachen und den Tag mit Freude begrüßen könnte. Wissen Sie, fuhr sie mit unmutig glitzernden Augen fort, ich wünsche ja von Herzen, daß Herr Colledge gerettet ist, aber zehnmal mehr wünschte ich, er wäre nie geboren oder wenigstens nicht mit mir auf demselben Schiffe gereist, denn dann würde ich nicht hier sein. Er allein trägt die Schuld an all meinem Unglück.

Aber Ihre Frau Tante bemühte sich doch so sehr, Sie zurückzuhalten.

Allerdings, das tat sie, und ich leide nun die gerechte Strafe für meinen Ungehorsam, aber Herr Colledge hat diesen doch veranlaßt, und somit trägt er die Schuld.

Pardon, gnädiges Fräulein, wenn mir diese Logik etwas kühn erscheint. Sollte nicht auch ein ganz klein wenig Ihre unbändige Natur und der Drang, stets Ihren Willen durchzusetzen, eine Rolle bei der Sache spielen?

Herr Dugdale, Sie sind noch viel zu jung, um sich herausnehmen zu dürfen, mich zu hofmeistern.

O, o! Für wie alt halten Sie mich denn? suchte ich zu scherzen.

Nun, für etwa sechsundzwanzig, antwortete sie, mich mit einem so nachlässig hochmütigen Blick streifend, daß ich mich lebhaft auf den Ostindienfahrer zurückversetzt fühlte.

Na, sechsundzwanzig ist am Ende schon ein ganz solides Alter, entgegnete ich spöttisch; da hat ein junger Mann wohl schon Erfahrung genug, um sich herausnehmen zu dürfen, seine eigene Meinung jungen Damen gegenüber auszusprechen, die jeden andern, nur nicht sich selbst anklagen, wenn sie nach Durchsetzung ihres Willens auf einen Weg geraten sind, der ihnen dann nicht gefällt.

Sie runzelte die Stirn und blickte mich starr an. Herr Dugdale – an Bord der Gräfin Ida würden Sie nicht gewagt haben, in dieser Weise zu mir zu sprechen.

Ganz recht, aber dort flößten Sie mir Scheu ein.

Achtung, wollten Sie wohl sagen. Und nun – nun – weil – – – –. Sie suchte erregt nach Worten.

Und nun, nun, weil – setzte ich ihren Gedankengang fort – weil ich gemeinschaftlich mit Ihnen in diese entsetzliche Lage geraten bin, glauben Sie weniger Achtung vor mir haben und mich meistern zu dürfen, wollten Sie vermutlich sagen. Aber da beurteilen Sie mich wirklich total falsch. An Bord des Ostindienfahrers hatte ich in der Tat Scheu vor Ihnen, ja sogar – verzeihen Sie meine weitere Offenheit – sogar eine starke Abneigung gegen Sie. Eine Abneigung, die beinahe zum Haß anwuchs, obwohl ich bei Ihrem Anblick – trotz Ihres hochmütigen, abstoßenden Wesens gegen mich – mir doch immer von neuem gestehen mußte, daß ich nie in meinem Leben ein schöneres Weib als Sie gesehen hatte.

Ein wunderbarer Ausdruck des Erstaunens trat in ihre herrlichen Augen, und eine warme Röte überflutete ihr Gesicht. Sie hob wie abwehrend die Hand und öffnete die Lippen, um, wie ich annahm, mir Schweigen zu gebieten, doch ich fuhr fort: Bitte, lassen Sie mich ausreden. Da ich einmal so viel gesagt habe, muß ich auch noch hinzufügen, daß sich meine Abneigung inzwischen gemildert, oder vielmehr gänzlich verwandelt hat, mit der Entdeckung nämlich, daß viel von dem, was ich an Ihnen aussetzte, gemacht und unecht ist. Diese Ueberzeugung habe ich ganz besonders diesen Nachmittag gewonnen, wo ich Sie eine halbe Stunde betrachtete, während Sie schliefen. Da hatte Ihr Mund jeden Zug von Hochmut verloren, und nur Milde, Güte und Freundlichkeit zeigte Ihr Gesicht. Kurz, da sah ich Sie so, wie Sie eigentlich sind, und wie Sie es nicht künstlich verbergen sollten.

Erstaunt über mich selbst und fast erschrocken über meine Dreistigkeit, sprang ich jetzt schnell auf und rief: Doch was beginnen wir nun? Denken Sie nur, es ist kaum fünf Uhr.

Sie sah mich noch immer sprachlos mit einer Bestürzung an, als dächte sie, ich wäre plötzlich übergeschnappt. Ihr Gesicht brannte, und ihr Hals war rot bis zu dem Kragen ihres Kleides. Es war eine fatale Situation. Ich sann, wie ich sie enden könnte, und nahm zu einer scherzhaften Wendung meine Zuflucht. Lachend sagte ich:

Mit Schwatzen können wir uns die Zeit nicht weiter vertreiben, sonst werde ich am Ende schneller als die Zeit vertrieben. Ich werde daher jetzt gehen und Chickens' Bücher durchstöbern, vielleicht findet sich darunter etwas, was uns interessiert.

Auch hierauf fand sie noch kein Wort. Regungslos starrte sie noch immer auf den Tisch, während ich eilig in dem Gang verschwand, der nach den Kabinen führte.

So, meine hochmütige Schöne, dachte ich, diese kleine Lektion kann dir nicht schaden, und eine kurze Zeit der Einsamkeit wird dir gut tun, darüber nachzudenken und dich fühlen zu lassen, wie dir sein würde, wenn du wirklich allein wärst. Warte nur, ich will dich von jetzt ab nicht schonen, wenn auch meine Liebe immer größer werden sollte und ich Gefahr laufe, daß du mich verabscheust. Es kann ja vielleicht auch anders kommen!

Ich schaute in die Kabine, die für sie ausgeräumt worden war, und fand alles recht sauber und ordentlich, freilich für eine so vornehme, verwöhnte Dame nicht gerade sehr gemütlich und einladend. Mir machte der enge Raum in seiner rohen Einfachheit den Eindruck einer Gefängniszelle. In der für mich bestimmten Kabine sah es jedenfalls wohnlicher aus, da man sie mit den Habseligkeiten Chickens' ausgestattet hatte. Ich schlug die Bücher, eins nach dem andern, auf, aber – wie der Kapitän gesagt – es waren lediglich religiöse und nautische Werke. Auch weitere Nachforschungen in Kisten und Kasten ließen mich absolut nichts finden, womit man sich Unterhaltung hätte schaffen können. So kehrte ich denn resultatlos in die Kajüte zurück.

Ich glaubte eine etwas vorwurfsvolle Miene an der stolzen Schönheit zu bemerken, als sie mich flüchtig mit einem Augenaufschlag streifte, doch schien sie ihren Zorn abgeschüttelt und sich von ihrem Erstaunen erholt zu haben.

Leider war all mein Suchen vergeblich, sagte ich, als wenn zwischen uns nichts vorgefallen wäre. Es ist nichts vorhanden, das uns zur Unterhaltung dienen könnte.

Ist mir auch wirklich ganz gleichgültig, Herr Dugdale. Glauben Sie, es wäre mir möglich, jetzt Schach oder sonst ein Spiel zu spielen? Mir scheint, der Wind ist stärker geworden, da möchte ich Sie bitten, mich auf Deck zu begleiten. Es könnte doch inzwischen etwas in Sicht gekommen sein.

Wir begaben uns auf das Kajütendeck. Sie hatte recht gehabt; der Wind hatte zugenommen, und die kleine Bark flog schnell über das glatte Wasser dahin. Die Mannschaft lungerte müßig, rauchend und plaudernd auf dem Vorderdeck herum. Lush lehnte in Hemdsärmeln an der Reling, und mein Freund Wetherley saß, mit einer großen Brille bewaffnet, auf einer Taurolle und über einem Buch eifrig die Lippen bewegend. Der Kapitän stand in der Nähe des Rades; er kümmerte sich nicht um uns. Wir ließen suchend unsere Blicke über die ganze Seelinie schweifen, doch umsonst.

Wie schauderhaft ermüdend diese Wasseröde ist! seufzte Fräulein Temple. Wenn das so fortgeht, werde ich, glaube ich, verrückt.

Na na, lachte ich, so schlimm wird es doch nicht gleich werden. Ich kann Ihnen nur immer wiederholen: seien wir froh, einstweilen geborgen zu sein. Ist es nicht eine Lust, zu sehen, wie schnell wir dahinfliegen?

Nein, mir gar nicht, denn wenn die Gräfin Ida noch hinter uns ist, laufen wir ihr einfach davon und verlieren damit jede Aussicht, sie zu treffen.

Ach, verderben wir uns mit solchen Gedanken nicht die Laune. Kommen Sie, wir wollen unten auf Deck etwas spazieren gehen.

Ganz gegen mein Erwarten legte sie ruhig ihren Arm wieder in den meinen, und traulich wie am Morgen schlenderten wir da- und dorthin und sprachen über die Eindrücke, wie sie sich uns boten.

Nach etwa zwanzig Minuten gesellte sich der Kapitän uns zu. Sagen Sie, Herr Dugdale, redete er mich an, kann ich Ihnen zutrauen, mich für kurze Zeit in der Wache zu vertreten, während ich unten etwas besorgen muß?

Warum nicht? Wird mir ein Vergnügen sein.

Ja, wenn aber etwas befohlen werden muß, wie steht es dann?

Hm. Es gibt viele Befehle. Geben Sie mir eine Situation, da werden wir sehen, ob ich noch das Erforderliche weiß.

Gut. – Er starrte einige Augenblicke vor sich hin. – Nun wohl, nehmen wir an, die Brise frischte plötzlich auf und windwärts würde es dunkler. Was würden Sie tun?

Ich würde Sie rufen.

Vortrefflich! Sehr richtig! rief er beifällig nickend und sah Fräulein Temple an, als solle sie an seiner Befriedigung teilnehmen. Aber lassen Sie mich mal ganz außer Spiel. Stellen Sie sich vor, Sie wären allein auf sich angewiesen.

Wissen Sie, Kapitän, lachte ich, wenn ich auch nur kurze Zeit auf See war, so bin ich doch gerade keine Landratte. Die Lage, die Sie mir geben, gehört zu den ersten Beispielen des Marine-Alphabets.

So. Nun, dessen bin ich doch nicht so sicher. Beweisen Sie es mir.

Den Gefallen kann ich Ihnen tun. Was in der Welt könnte ich, wenn es sich nur um Segel kürzen handelt, anders machen, rasselte ich los, als die Leesegel einnehmen, die Royals niederholen, die Marssegel reffen, die Fock aufgeien und – – – –.

Er hob die Hand und wandte sich zum Gehen. – Danke. Ich werde nicht lange bleiben.

Jetzt werden Sie doch endlich glauben, daß er verrückt ist, sagte Fräulein Temple leise und von neuem angsterfüllt.

Vielleicht wünscht er, daß ich ihm als Maat diene, lachte ich.

Sie sah mich streng an. Ich hoffe, daß Sie sich zu etwas derartigem nicht herbeilassen werden.

Ich werde tun, was ich zu Ihrem Besten für nötig halte.

Aber begreifen Sie denn nicht, daß, wenn er Sie für geeignet hält, ihm als Maat zu dienen, wie Sie es nennen, er auch sicherlich kein uns begegnendes Schiff ansprechen wird, nur um zu verhindern, daß Sie das Schiff verlassen?

Das ist richtig, gab ich zu.

Ich bin überzeugt, sprach sie erregt weiter, daß er über einem Plan sinnt, wie er Sie für sich ausnützen kann. Hüten Sie sich, hüten Sie sich vor ihm! Er mag vielleicht nicht völlig wahnsinnig sein, aber wer weiß, ob er nicht ebenso verrucht ist wie seine Leute.

Das müssen wir abwarten, entgegnete ich etwas beunruhigt, denn ihre Auffassung hatte manches für sich. Vor der Hand werden wir gut tun, uns mit dem Gedanken vertraut zu machen, mit ihm nach Mauritius zu segeln, dann – – – –.

Daran ist nicht zu denken, unterbrach sie mich schroff.

Aber so hören Sie doch! Ich wollte sagen: Es ist immerhin besser, das Schlimmere anzunehmen, als sich fortwährend in seinen Hoffnungen enttäuscht zu sehen. Und wenn das Schicksal es will, daß wir auf diesem Schiff bleiben, bis es seinen Hafen erreicht, so ist der Kapitän durchaus berechtigt, von mir zu erwarten, daß ich meine Ueberfahrt abverdiene, das heißt, daß ich ihm helfe, Wache zu halten, und mich ihm in jeder Weise so nützlich mache, als ich dazu imstande bin.

Welche Idee! Ich bitte Sie inständig, wenn Sie mir nicht jede Hoffnung rauben wollen, einen derartigen Gedanken aufzugeben und vorsichtig zu sein. Ich bitte Sie, daß Sie nicht das Geringste von Navigation und dergleichen verstehen.

Das geht nicht. Ich habe schon zu viel gesagt, um noch zurück zu können. Ich verspreche Ihnen aber, mich nicht weiter zu engagieren, als es zu unserm beiderseitigen Besten unbedingt nötig sein wird. Für uns heißt es hier, gute Miene zum bösen Spiel machen; mit Starrsinn würden wir nichts erreichen.

Sie warf mir einen zornigen Blick zu, trat ohne ein weiteres Wort an die Reling und ließ mich stehen.


 << zurück weiter >>