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Neunzehntes Kapitel.
Kapitän Braine

Nach der schrecklichen Kost, Angst und Sorge der letzten drei Tage erschien mir das uns vorgesetzte kalte Pökelfleisch als ein Hochgenuß, wie selbst die ausgesuchtesten Leckerbissen ihn mir nie bereitet hatten. Und dazu das köstliche Londoner Bier! Ich fühlte mich so behaglich wie in der Heimat. Nur das niedergeschlagene Gesicht Fräulein Temples erinnerte mich an die Wirklichkeit. Sie berührte nichts; lange mußte ich ihr zureden, wenigstens einen Schluck Bier zu nehmen, und als sie das endlich getan hatte, aß sie auch etwas Fleisch. Der Appetit kam ihr beim Essen, und damit auch wieder ein wenig Mut.

Dies hob meine ohnedem schon frohe Stimmung noch mehr. Ich hätte tanzen können vor Vergnügen in dem Gedanken, daß wir gerettet waren und all die fürchterlichen Erlebnisse und Schrecknisse hinter uns lagen wie ein böser Traum. Ein wahrer Freudenrausch erfaßte mich; ich war ja noch jung und liebte mein Leben. Alles erschien mir jetzt im rosigsten Licht, selbst die kleine trauliche Kajüte kam mir nach dem unheimlichen Deckhaus wie ein Paradies vor, und wonnetrunken achtete ich auf das leichte, sanfte Dahinschweben der kleinen Bark, das mir immer von neuem zuflüsterte: Gerettet!

O, rief ich, ich vermag unser Glück noch gar nicht zu fassen! Wie hoffnungslos waren wir noch gestern um diese Zeit! Gott sei Dank, Gott sei Dank für seine Gnade!

Ich dachte, sie würde aus vollem Herzen einstimmen, statt dessen jedoch eiferte sie: Wo steckt denn unser Glück? Wie lange sollen wir denn wie Bettler in der Welt umherziehen – ohne Kleider, ohne Wäsche und sogar mit unsern Mahlzeiten von der Güte eines Fremden abhängig!

Daß die Damen doch immer zuerst an ihr Aeußeres denken! Mir scheint, wir sollten vorläufig zufrieden sein, und Sie haben doch jetzt wenigstens die Aussicht, Ihr Gepäck bald wieder zu erlangen, was ohne diese Lady Blanche – –

Wohl, wohl, unterbrach sie mich ungeduldig, aber hätte nicht dieses Schiff ebensogut der Ostindienfahrer sein können?

Nun ja, sein können. – So haben Sie doch nur ein klein wenig Geduld!

Ach, ich möchte ja so gern geduldig sein, wenn man nur absehen könnte, daß das Abenteuer einmal endete!

Und wenn es nun erst anfinge?

Sie warf mir einen beinahe zornigen Blick zu und sagte rauh: Ich glaube wirklich, Herr Dugdale, Sie beginnen jetzt Vergnügen an unserm Schicksal zu finden. Ich verstehe nicht, wie Sie – – –. Aber es muß enden! fuhr sie in einem Ton fast weinerlichen Trotzes fort. Der Gedanke ist unerträglich, daß man in dieser Art in der Welt umhersegeln soll. Ich werde darauf bestehen – ich werde Kapitän Braine bestechen, daß er jedes vorüberkommende Schiff nach seinem Bestimmungsort fragt und mich an Bord des ersten Schiffes bringt, das nach England segelt.

Allein?

Nein, antwortete sie, unsicheren Blickes von mir wegsehend. Sie würden mich ja nicht allein reisen lassen. Und überdies – möchten Sie denn nicht auch nach Hause?

Lieber nach Bombay, entgegnete ich. Ebenso wie Sie möchte auch ich mein Gepäck wiedererlangen. In Indien erwartet man mich; zu Hause denkt keine Seele unter vielen Monaten an meine Rückkehr. Nun sehe ich nicht ein, warum wir nicht an unserm Reiseplan festhalten und auf dieser Bark nach Mauritius segeln sollen, wo wir ohne Schwierigkeit ein Schiff nach Bombay finden werden. Die Lady Blanche ist ein Schnellsegler, da müßte es doch sonderbar zugehen, wenn wir nicht schon ein paar Wochen vor der Gräfin Ida Bombay erreichten.

Sie hörte mich ruhig an und sagte dann fest und kalt: Ich bleibe dabei, mit erster Gelegenheit heimzukehren, und werde nichts scheuen, meinen Willen durchzusetzen. Es ist für mich ganz unmöglich, in diesem Aufzug die Reise fortzusetzen. Und wo liegt eigentlich Mauritius? Ist es nicht fast ebenso weit als Bombay? England dagegen kann von hier gar nicht so fern sein.

Gut, gnädiges Fräulein, erwiderte ich mit einer förmlichen Verbeugung, ich bin Ihr gehorsamer Diener. Steuern Sie, wie Sie wollen, ich werde Ihnen ehrerbietigst folgen.

Bitte, werden Sie nicht spöttisch.

I behüte! wehrte ich ab, indem ich zur Seite blickte, denn ich war mir bewußt, daß in meinen Augen mehr zu lesen stand, als ich sie lesen lassen wollte. Ich wünsche nichts, als Sie zufrieden und glücklich zu sehen, und werde es auch weiterhin als meine einzige Aufgabe betrachten, Ihnen zur Seite zu stehen und für Sie zu sorgen, so viel und so gut ich es vermag. Wenn wir ein heimwärts segelndes Schiff treffen und besteigen, können wir Kapitän Braine beauftragen, den alten Keeling, sobald er ihm begegnet, zu bitten, unser Gepäck mit der ersten Gelegenheit nach England zu senden. Die Zofe Ihrer Frau Tante wird ja mit dem Ihren Bescheid wissen.

Sie sah mich forschend an, ob ich im Ernst oder Scherz spräche, kam aber zu keiner Erwiderung, da der Kapitän eintrat.

Ich hoffe, es hat Ihnen geschmeckt, sagte er, nachdem er uns erst wieder eine Weile stumm betrachtet hatte. Es war zwar ein ärmliches Essen für eine Dame wie Sie, Madam, aber ehe wir nicht ein Schwein schlachten, kann ich Ihnen kein frisches Fleisch vorsetzen. – Wie sagten Sie doch, daß Ihr Name wäre, Herr?

Dugdale.

Ah, rief er, mich fest ansehend, richtig, richtig, Dugdale. Ja, so war's. – Also, Herr Dugdale, ich wollte Ihnen mitteilen, daß Sie und die Dame jetzt auf Deck ein interessantes Schauspiel genießen können.

Welches? rief Fräulein Temple, lebhaft aufspringend.

Das Wrack, Madam, erwiderte er mit hohler, tiefer Stimme, hat sich in eine einzige große Fackel verwandelt.

Eine schwere Enttäuschung legte sich auf ihr Gesicht. Sie hatte wohl erwartet, er wäre gekommen, um den Ostindienfahrer in Sicht zu melden. Ich wollte sprechen, doch sie kam mir zuvor; mit stolz erhobenem Kopf, als wollte sie ihn dadurch ihren Wünschen gefügig machen, trat sie dicht vor ihn hin und sagte:

Ich bin, außer den Sachen, die Sie an mir sehen, ohne Kleidung. Es ist absolut notwendig, daß ich so schnell als möglich nach Hause komme. Meine Mutter ist so leidend, daß die Nachricht von meinem Verschwinden ihr den Tod bringen kann, wenn dieselbe früher als ich bei ihr eintrifft. Sie ist reich, und keine Summe wird ihr zu hoch sein, wenn Sie es mir ermöglichen, schnell nach England zurückzukehren.

Bei diesen Worten flog ein so sonderbares Lächeln über das Gesicht des Mannes, daß ich ihn scharf beobachtete.

Ich muß Sie daher bitten, fuhr sie fast befehlend fort, jedes vorüberkommende Schiff anzusprechen und mich an Bord des ersten zu bringen, welches direkt nach England steuert, gleichviel welcher Art das Schiff sein mag.

Er sah sie einige Augenblicke wie traumverloren an, dann wandte er sich zu mir:

Und Sie wünschen gleichfalls nach Hause zurückzukehren?

Die Dame steht unter meinem Schutz. Wo sie hingeht, dahin gehe auch ich.

Wieder starrte er eine Zeit, dann sagte er: Gut, Madam, gut. Vermutlich werden wir bald irgend einem Fahrzeug begegnen, und wenn sein Ziel England ist und es Sie aufnehmen will, werde ich Sie hinüberbringen, falls das Wetter es erlaubt. Das genügt, denke ich.

Sie nickte so zufrieden, als es ihre Erregung zuließ.

Kommen Sie jetzt und werfen Sie noch einen Blick auf das Wrack und dann – – –

Sie haben mich doch verstanden, unterbrach sie, daß jede Summe – – –

Ganz unnütz, davon zu reden, fiel er seinerseits ein. Wir Christen bei uns zu Lande denken niemals an Bezahlung, wenn wir tun, was der Herr befiehlt – d. h. dem Notleidenden Hilfe leisten. Damit schritt er auf Deck, es uns überlassend, ihm zu folgen.

Sobald ich das Wrack erblickte, hatte ich keinen Gedanken mehr für irgend etwas anderes. Mein Atem stockte, und eisige Schauer überrieselten mich, als ich die Flammen sah, die sich von dem bleifarbenen Hintergrund des Himmels abhoben und mich daran gemahnten, vor welch grausigem Schicksal uns der gütige Gott bewahrt hatte.

Stellen Sie sich vor, wenn wir noch dort wären, sagte ich ergriffen zu Fräulein Temple, die neben mir stand. Ihr Körper bebte wie vor Frost geschüttelt. Wir standen beide sprachlos. Auf einmal aber schrie sie: O Gott, o Gott! Sehen Sie, sehen Sie!

Es war, als ob aus den Tiefen des Ozeans plötzlich ein Vulkan Feuer spie. Ein glutroter Blitz erleuchtete trotz des Tageslichts die Wolken über und hinter dem Wrack. Eine ballonförmige dichte Rauchmasse, weiß wie Dampf, quoll langsam empor; ein dumpfer, tiefer Knall ertönte.

Der Kapitän kniete an der Reling mit aufgelegtem Teleskop. Nach einer Weile reichte er es mir. Nun sehen Sie mal, wo es hin ist, sagte er mit einem eigentümlichen Grinsen, an dem seine Augen aber keinen Teil hatten.

Ich ließ das Glas über das von dem schwachen Winde leise bestrichene Wasser gleiten. Die Stelle unter dem Schatten der langsam emporschwebenden Wolke weißen Rauches war leer. Nicht der kleinste schwarze Punkt, nicht ein Splitter des Wracks war mehr sichtbar. Mit bebender Hand legte ich das Glas nieder. In tiefer Bewegung blickte ich still in die See hinaus.

Gut, daß Sie nicht mehr da auf dem Ding waren. Sie wären jetzt himmelhoch, oder auch klaftertief, bemerkte der Kapitän mit einer mich unangenehm berührenden Gleichgültigkeit. Es muß Ihnen doch wohl sein an Bord eines so netten, sauberen, kleinen Schiffes. Wenn Sie überhaupt ein nautisches Urteil haben, Madam, so gucken Sie mal hinauf und sagen mir, ob es einen Ostindienfahrer oder meinetwegen auch ein Kriegsschiff gibt, dessen Spieren dastehen wie meine Masten, die wie die heiligen Säulen eines Tempels gen Himmel weisen und mit ihren vollen, kleinen, weißen Schwingen obendrauf einem vorüberfliegenden müden Engelein als Wolke dienen könnten, sich darauf auszuruhen! H–a–a–h!

Er hauchte dies aus so tiefer Seele, daß ich mich nach ihm umdrehte.

Wie in Extase stand er da – den Kopf im Nacken, beide Hände über der Brust gekreuzt, das rechte Bein, im Knie leicht gekrümmt, etwas vorgesetzt, den Blick wie gebannt auf die oberste Leinwand des Großmastes geheftet. Genau eine Pose, wie man sie öfter auf der Bühne sieht.

Ich wußte nicht, wollte der Mann zur Erheiterung von Fräulein Temple eine Rolle aufführen oder litt er an Halluzinationen? Verwundert und fragend sah ich auf den alten, grämlichen Zimmermann Lush, aber der kaute nur mechanisch an seinem Primchen mit einem Gesicht, wie aus Holz geschnitten.

Fräulein Temple trat ängstlich an meine Seite und flüsterte nach der See gewandt: Ich glaube, er ist nicht ganz richtig im Kopf.

Scheint so, erwiderte ich ebenso leise, aber sein Schiff ist gesund. Und im selben Atem sagte ich:

Herr Kapitän, haben Sie nicht eine Kabine für die Dame? Wo Sie mich unterbringen, ist mir gleich; ich begnüge mich mit einer Hängematte oder schlafe auch in eine Decke gewickelt auf einer Planke.

O, unten ist Platz für Sie beide. Die Kabine des Maats steht ja leer, die kann die Dame erhalten. Und daneben ist eine Kabine mit einer Pritsche für Sie. Kommen Sie mit und sehen Sie selbst.

Er schritt voran und geleitete uns durch die Kajüte in einen etwas tiefer gelegenen Gang, zu welchem ein paar Stufen hinabführten.

Trotz der hier herrschenden Dunkelheit konnte ich erkennen, daß wir uns in einer Art niedrigem Zwischendeck befanden, an dessen Enden Kisten und verschiedene Güter so dicht verstaut waren, daß sie eine vollständige Wand zwischen dem vorderen Teil des Schiffes und dem diesseitigen bildeten.

Der Kapitän öffnete eine kleine Tür auf der Backbordseite, und wir blickten in eine niedrige, aber saubere und luftige Kabine, die durch ein rundes Fenster genügend Licht empfing. In ihr befanden sich außer einigen Seekisten, ein Gestell mit Büchern, eine Pritsche mit einer Matratze und mehreren Decken, ein mit Seekarten bedeckter Tisch, einige an den Wänden hängende Kleidungsstücke, zwei Stühle und noch einige andere Gegenstände.

Hier werden Sie es sich behaglich machen können, Madam, sagte der Kapitän.

Sind hier auch keine Ratten? fragte Fräulein Temple ängstlich umherspähend.

Hilf Himmel, nein, Madam! Höchstens mal eine Schwabe!

Aber die Kabine scheint bewohnt, bemerkte ich.

Sie war es, junger Mann, sie war es, nickte er traurig mit hohler Stimme. Mein erster Maat hat hier gewohnt. Aber jetzt ist er tot, Herr – tot und dahin!

Etwas erschreckt fragte Fräulein Temple, wann der Mann gestorben sei.

Vor drei Wochen, antwortete der Kapitän wiederum mit Grabesstimme, als wenn ihm für eine so traurige Mitteilung nur der dumpfeste Ton passend erschiene.

Darf ich die nächste Kabine ansehen? bat sie.

Bitte.

Er schritt nach der nebenan liegenden Tür und öffnete sie.

Dieser Raum hatte dieselbe Größe wie der andere, doch war er mit Segelleinwand, Eimern, Scheuerbürsten und dergleichen angefüllt. Unter dem Lukenfenster stand eine Pritsche, ebenfalls mit verschiedenen Gerätschaften bedeckt.

Ich möchte lieber in dieser als in der anderen Kabine wohnen, erklärte Fräulein Temple.

Sie fürchten sich doch nicht etwa vor Gespenstern, Madam? rief der Kapitän, sie mit seinen starren schwarzen Augen durchbohrend.

Ich nehme an, daß dieses Zimmer aufgeräumt werden kann und ziehe es dem anderen vor, entgegnete sie herrisch.

Erschreckt durch dieses Benehmen fiel ich ein: Jawohl, wählen Sie nur ganz nach Gefallen. Kapitän Braine wird das, bei seiner großen Güte, die wir ihm schon zu danken haben, gewiß freundlich gestatten. Nicht wahr, Herr Kapitän, wandte ich mich ihm zu, Sie erlauben, daß diese Sachen alle in meine Kabine gebracht werden? Ich brauche nicht mehr Platz, als ich bedarf, um auf mein Lager zu gelangen.

Ich werde für alles sorgen, antwortete er etwas verstimmt. Wie aber wird es mit Bettzeug stehen? Die Dame scheint etwas eigen zu sein. Sie wird, wie ich vermute, die Decken des Toten nicht benutzen wollen?

Ueberlassen Sie das alles mir, erwiderte ich, in geheuchelt-munterem Tone, denn ich war sehr ärgerlich über Fräulein Temples taktloses Benehmen. – Nach dem, was wir durchgemacht haben, werden wir uns hier wie im Paradies vorkommen. – Sie sind jetzt ohne ersten Maat? sprach ich weiter, in der Hoffnung, durch ein anderes Thema seine üble Laune zu zerstreuen. Woran starb er denn?

Das werde ich Ihnen gelegentlich erzählen. Die Dame wird also hier wohnen. Was würden Sie sonst noch bedürfen, Madam? Nebenan ist ein kleiner Spiegel, den er zum Rasieren benutzte. Sie nehmen das vielleicht nicht übel. Sein Bild hat sich dem Glas nicht eingeprägt, es wird Sie zeigen genau, wie Sie sind, obwohl er sich davor rasierte.

Fräulein Temple machte ein Gesicht, als wenn sie nicht wüßte, ob sie weinen oder lachen sollte, nahm indessen den Spiegel dankbar an.

Auch seine Haarbürste würde da sein, fuhr der Kapitän fort, diese wird aber wohl verschmäht werden, obwohl ich meine, fügte er, den Kopf bedächtig neigend hinzu, daß sie wieder ein schönes Ansehen erlangen dürfte, wenn sie in einem Eimer mit Salzwasser geweicht würde.

Nachdenklich sein Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger streichend, zählte er nach einem Augenblick des Schweigens weiter auf: Dann wäre auch noch sein Kamm da. Ich denke, an einem Kamm ist doch nichts, was Sie beleidigen könnte? Ja, alles steht zu Ihren Diensten. Wenn der arme Chicken noch hier wäre, würde er gern aushelfen. Aber er ist tot – tot und dahin.

Er schien in tiefe Gedanken zu versinken. Plötzlich aber fuhr er wieder wie aus einem Traume auf und fragte: Sie haben gar kein Gepäck, überhaupt gar nichts, Madam?

Wie ich Ihnen schon einmal sagte – nichts, als was Sie an mir sehen.

Tut mir leid, daß ich meine Frau nicht auf dieser Reise mitnahm. Sie wollte so gern mit, die Arme. Wäre sie hier, würde sie für alles besser sorgen, als ich es kann.

Aber bitte, machen Sie sich doch darum keinen Kummer, warf ich ein. Sie tun ja schon das möglichste. Hoffentlich sind Sie auch bald aller Umstände mit uns überhoben, indem wir den Ostindienfahrer treffen. Wie lang schätzen Sie übrigens Ihre Fahrt bis Mauritius?

Ich sage nichts – ich sage nichts! schrie er so erregt, daß ich ihn verständnislos ansah. Was nutzt denn das Reden, wenn man nichts weiß? Wäre es nicht Sünde, Menschen in Ihrer Lage Versprechungen zu machen, die man nachher nicht zu halten vermag? Ich kann Ihnen nur das sagen, daß selbst Baltimore noch keinen Kiel vom Stapel gelassen hat, der es an Geschwindigkeit mit meiner Lady Blanche aufnehmen könnte, wenn ihr Gelegenheit gegeben wird, sich zu zeigen. Und nun dächte ich, suchen wir wieder die frische Luft auf.

Er schritt ohne weiteres voran, und wir folgten ihm. Als wir die Kajüte betraten, fanden wir den jungen Steward an dem Gläsergestell beschäftigt. Der Kapitän rief ihn sogleich heran und erteilte ihm in der verständigsten und sorglichsten Weise Befehle bezüglich des Ausräumens und der Einrichtung der beiden Kabinen. Er bestellte unter anderem eine noch vorhandene Matratze für Fräulein Temple, wobei er, sich gegen diese wendend, sagte: Ganz neu und noch niemals gebraucht. Auch einen Kasten bezeichnete er, in welchem noch ein Teppich und mehrere gute Decken lägen. Es sollten, so befahl er, der Dame alle Bequemlichkeiten geschaffen werden, welche die Bark bieten könnte. In ähnlicher Weise sorgte er auch für mich. Sein ganzes Wesen zeugte von der gastfreundlichsten Fürsorge.

Ich war ganz gerührt hiervon und sagte: Herr Kapitän, Sie setzen uns tief in Ihr Schuldbuch durch Ihr edelmütiges – – –

Kein Wort darüber, bitte, unterbrach er mich. Ich habe eine Seele und kenne meine Pflicht. – Nur noch ein Wink für Sie, mein Fräulein. Sie tragen herrliche Juwelen; folgen Sie meinem Rat und stecken Sie dieselben in Ihre Tasche.

Sie sah mich erschreckt an.

Ja, ja, nickte ich ihr lächelnd zu, folgen Sie nur. Der Kapitän eines Schiffes ist Herr und Gebieter, dem muß man gehorchen.

Stillschweigend zog sie einen Ring nach dem andern von den Fingern und nahm auch ihren Hals- und Brustschmuck ab. Dann reichte sie mir alles: Bitte, bewahren Sie es auf, und fügte hinzu: Die Ohrringe werde ich später ablegen.

Ich rate – sogleich, Madam, mahnte der Kapitän. Auch werden Sie gut tun, sich Ihrer Uhr nebst Kette zu entledigen.

Wiederum traf mich ihr erstaunter Blick.

Tun Sie nur alles, wie Kapitän Braine rät. Er wird ja seine Gründe dazu haben, sagte ich bedeutsam.

So wanderten auch diese Gegenstände in meine Tasche. Nun kam ich an die Reihe.

Der Kapitän schielte nach meiner Uhrkette, meinem Siegelring und meiner Busennadel. Auch Sie haben nicht nötig, Kostbarkeiten zu zeigen, sprach er. Verstecken Sie wenigstens Uhr und Siegelring; was die Busennadel betrifft – er kniff ein Auge halb zu – na, vielleicht tut die keinen Schaden da, wo sie ist.

Er wartete, bis ich die Dinge in meiner Westentasche geborgen hatte. Dann, nachdem er scheu nach vorn, nach hinten und zum Oberlicht hinaufgeblickt und mit verhaltenem Atem gespannt gehorcht hatte, trat er dicht vor uns hin und flüsterte kaum hörbar: Meinen Leuten nämlich ist nicht zu trauen. – Pscht! – Wenn sie ahnten, daß ich Verdacht gegen sie hege, würden sie mir den Kopf abhauen und mich über Bord werfen!

Fräulein Temple faßte entsetzt meinen Arm.

I, was denn? zischelte ich, nur mühsam meinen Schreck verbergend. Lassen Sie mich recht verstehen, wir sind doch hier in keiner Räuberhöhle?

Wieder sah er ängstlich und nervös um sich, und dann die Finger der linken Hand spreizend, berührte er einen nach dem andern, indem er uns dumpf zuraunte: Erstens habe ich allen Grund, zu glauben, daß der Zimmermann Lush vor vier Jahren einen Mord verübte.

Guter Gott! fuhr es mir unwillkürlich heraus.

Pscht, machte er, die Hand lebhaft hebend. Keinen Laut. Dann zählte er weiter: Zweitens besteht nicht der Schatten eines Zweifels, daß mindestens zwei meiner Vollmatrosen entflohene Sträflinge sind. Ferner ist ein Mann in eine Meuterei verwickelt gewesen, die mit dem Hängen der Rädelsführer endete. Dann – doch genug hiervon, will die Dame nicht noch mehr erschrecken.

Aber war Ihnen denn der Charakter der Leute nicht bekannt, als Sie sie heuerten?

Nein, junger Mann, nein, erwiderte er, traurig den Kopf schüttelnd. Alles ist erst hinterher an den Tag gekommen. Doch ängstigen Sie sich nicht, es liegt kein Grund vor sich zu fürchten. Die Leute kennen mich und was noch besser ist, sie wissen, daß ich sie kenne. Sie sind ganz sicher, Madam. Nur müssen Sie Menschen solchen Schlages nicht durch den Anblick von Wertsachen in Versuchung führen. Und nun entschuldigen Sie, wenn ich gehe und nach dem Schiff sehe. Damit machte er uns eine wunderliche Verbeugung und verließ die Kajüte.


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