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Fünftes Kapitel.
Colledge macht mir ein Geständnis

Dem schönen Tag folgte ein schöner Abend. Alles war wieder auf Deck. Der alte Keeling hatte – wie der Seemann sagt – Leesegel eingespannt, das heißt, er schritt mit einer Dame an jedem Arm auf und ab. Freund Colledge promenierte zwischen Fräulein Temple und der Tante. Frau Brookes und ihre Tochter hatten die drei jungen Beamten ins Schlepptau genommen. Sylvanus Johnson machte der hübschen Hudson die Kur, und ich ging mit dem kleinen Saunders, der mir von den Werken, die er herausgegeben, erzählte, besonders von seinem letzten, das den Aberglauben der verschiedenen Völker in bezug auf Behandlung von Krankheiten betraf.

Als wir am hinteren Kajütenoberlicht vorüberkamen und dort einen Augenblick stehen blieben, sahen wir den Oberst mit seiner Frau und Herrn Holder und Adams Whist spielen. Natürlich zankte er schon wieder mit seinem Partner, dem Advokaten. Mein Gott, hörten wir ihn schelten, wie können Sie den Buben ausspielen! Und gleich danach: Aber, mein Bester, was in aller Welt veranlaßt Sie, Pique zu stechen? – War ganz richtig, werter Herr, kam die ziemlich gereizte Erwiderung. Ich denke, ich bin alt genug, um dergleichen Belehrungen entbehren zu können. – Und so ging es fort. Beide hatten rote Köpfe, und ich dachte jeden Augenblick, einer würde die Karten auf den Tisch werfen. –

Nach dem Glockenzeichen, das verkündete, daß die vor dem Schlafengehen üblichen Getränke nebst leichtem Backwerk serviert seien, leerte sich das Deck so ziemlich. Nur wenige blieben noch; darunter auch Colledge und ich. Er kam auf mich zu, sah mir bei der herrschenden Dunkelheit scharf ins Gesicht, wie wenn er sich vergewissern wollte, daß ich es auch wäre und sagte:

Hören Sie mal, Dugdale, was meinten Sie heute morgen eigentlich mit dem Löwenfell und dem Esel? Fräulein Temple schien es für einen guten Witz zu halten. Ich muß Ihnen aber gestehen, ich habe vergeblich versucht, mir die Pointe davon klar zu machen.

Hatte auch gar keine. Das ist ja gerade der Witz bei der Sache.

Ach so! Wer kann aber auch gleich ahnen, daß die Pointe eines Witzes darin liegt, daß er keine Pointe hat. Merkwürdig, daß das junge Mädchen das gleich weg hatte. Wissen Sie, ich kam mir ganz dumm vor, als sie sich an der Geschichte so belustigte, und ich nicht begriff, warum.

Na, deshalb grämen Sie sich nicht; das kann dem Gescheitesten passieren. Warum haben Sie sie denn jetzt nicht nach unten begleitet?

Oh, lachte er, die soll mir für die ganze Reise vorhalten und da muß man sich etwas rar machen.

Sehen Sie mal, Sie kleiner Schlaufuchs. Hätte Ihnen eine solche Enthaltsamkeit gar nicht zugetraut. Uebrigens können Sie sich auf die Freundlichkeit dieser Unnahbaren etwas einbilden.

I ja, doch das kommt wohl daher, wissen Sie, daß sie Verwandte von mir kennt. Ihre Sprödigkeit wundert mich nicht und ist mir auch gar nicht unangenehm. Sie ist eben durch und durch Engländerin, obwohl ich sie zuerst für eine Spanierin hielt. Aber, unter uns gesagt, das hübscheste Ding auf dem Schiff ist doch die kleine Goldhaarige – wie heißt sie doch gleich? – Ah, richtig, Hudson. Hören Sie, dieses pfirsichbäckige Kind ist wirklich zum Anbeißen. Man weiß wahrhaftig nicht, soll man ihm oder der Temple den Vorzug geben. Wenn ich nur ein bißchen 'ne poetische Ader besäße, würde ich über beide meterlange Verse schmieden, über Finger wie Schneeflocken, Lippen wie Rosenknospen, Augen wie Sterne und was weiß' ich sonst noch! Aber in der Schilderung eines hübschen Mädchens läßt sich ja nichts Neues sagen. Alles schon dagewesen.

Na, na, lachte ich auf, nehmen Sie sich in acht, daß Sie nicht die Unrechte heiraten!

Ach Gott, ich bin ja schon verlobt, stöhnte er ganz kleinlaut.

Was? Sie schon verlobt? stieß ich leise hervor, indem ich ihn bei den Schultern nahm und ihm dicht ins Gesicht sah.

Ja, gucken Sie mich nur an. Es ist so. Und nun sehe ich ein, daß ich eine furchtbare Dummheit begangen habe. Ich begreife nicht, wie ich so kurz vor meiner Abreise ein Mädchen an mich binden konnte. Man verlobt sich doch, um möglichst bald zu heiraten. Wer zum Teufel verreist dann gleich auf zehn Monate! Was kann einem in der Zeit nicht alles passieren! Ich kann elend ertrinken oder von den wilden Tieren, die ich schießen will, zerrissen und gefressen werden. Ist's nicht so?

Freilich, stimmte ich scherzend bei. Aber das hätten Sie sich vorher überlegen sollen. Warum hatten Sie es denn so eilig?

Na, eilig ja nicht, verstehen Sie; wie sich manchmal so was macht. Kennen Sie das Parlamentsmitglied Sir John Crawley?

Nie etwas von ihm gehört.

Tut nichts. Denken Sie sich also einen hitzigen Tory, aber munteren Gesellen und besonders bewunderungswürdigen Billardspieler. Ich spielte öfter mit ihm und lernte dabei seine Tochter, meine Fanny kennen. Kurz vor meiner Abreise lud er mich noch einmal zum Frühstück ein und trank mir, da wir uns nun lange nicht mehr sehen sollten, fleißig in Champagner zu. Dann machte ich mit seiner Tochter einen Spaziergang im Park; ich war in gerührter Stimmung, und kurz und gut, da kam's über mich – ich machte ihr einen Antrag, und sie nahm ihn an. Sehen Sie, das ist sie, fuhr er wehmütig fort, indem er mir ein auf Elfenbein gemaltes kleines Bild reichte, das er aus seiner Brusttasche zog. Das Bildnis zeigte ein frisches, liebliches Gesicht mit kleinen braunen Löckchen um die Stirn und einem schelmischen Blick in den Augen.

Das muß ja ein allerliebstes Geschöpfchen sein, sagte ich. Hören Sie, Colledge, ich verstehe nicht, wie Sie im Besitz eines solchen Schätzchens noch Augen für andere haben können. Sie sollten doch wahrhaftig froh und glücklich sein.

Zerknirscht hing sein hübsches Gesicht noch einen Augenblick an dem Bild, dann steckte er es wieder weg. Ja, ja, Sie haben ganz recht, seufzte er. Ich sollte mich schämen, aber eine Torheit war es doch, mich vor der Abreise zu verloben; dazu war immer noch Zeit, wenn ich wiederkam. Wer weiß, ob ich überhaupt zurückkehre.

Nanu, werden Sie nur nicht sentimental, spottete ich.

Ach, davon bin ich weit entfernt, aber Tigerjagden sind keine Hasenjagden, wissen Sie?

Na, dann lassen Sie sie doch bleiben. Wer zwingt Sie denn, den Bestien in den Rachen zu laufen? Im übrigen danke ich Ihnen für Ihr mir geschenktes Vertrauen. Seien Sie versichert, daß, wenn Sie sich nicht selbst verraten, Ihr Geheimnis bei mir wie im Grabe ruhen wird.

In diesem Augenblick kam der Kapitän in unsere Nähe. Colledge drückte mir freundlich die Hand und ging, um noch ein Glas Grog zu trinken. Ihm nachblickend dachte ich: Was für wunderbare Menschenkinder gibt es doch!

Der alte Keeling folgte ihm bald, nachdem er ein soeben in der Ferne sichtbar gewordenes schwaches Wetterleuchten eine Weile beobachtet und dem zweiten Maat einige Befehle erteilt hatte.

Diesen zufolge entstand bald ein lebhaftes Treiben; die obersten Bramsegel wurden festgemacht, die Leesegel eingeholt und verschiedene größere Segel gerefft.

Was ist denn los, Herr Cocker? fragte ich. Ist ein Wetter im Anzuge, daß Sie das Schiff derart entkleiden?

I wo, lachte er. Das ist nur so die Art des Alten. Außerhalb der Tropen läßt er niemals die Leesegel und Oberbramsegel während der Nacht stehen, mag sie auch noch so schön sein. Wenn ich einmal ein Schiff habe, das weiß ich, packe ich ihm an Leinwand auf, was es tragen kann. Länger als fünfundsiebzig Tage würde ich mit einem anständigen Segler nicht nach Ostindien fahren. Der Alte liebt aber die Vorsicht.

Na, entgegnete ich, das ist kein Fehler. Um so ruhiger kann man schlafen. Also gute Nacht und gute Fahrt.

Damit verließ ich ihn und ging hinunter.

Als ich den Salon betrat, sah ich Colledge wieder in munterster Unterhaltung mit Fräulein Temple. Mit seinem »Rarmachen« ihr gegenüber war es also nicht weit her. Im Grunde genommen konnte mir das ja ganz gleichgültig sein; weiß der Himmel aber, ich ärgerte mich und schritt deshalb ohne mich aufzuhalten nach meiner Kabine, indem ich dachte: Ach, arme Fanny Crawley.


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