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Viertes Kapitel.
Luise Temple

Als ich am nächsten Morgen die Augen aufschlug, ließen mich die auf der Decke und den Wänden spielenden Sonnenstrahlen gleich erkennen, daß sich das Wetter geändert hatte. Das Schiff glitt in langsam schwebendem Heben ruhig dahin; kein Knacken und Knarren des Holzwerkes störte mehr die Stille. Das war neu belebend und machte frohen Mut.

Colledge rasierte sich. Ich sah ihm einige Minuten zu und bewunderte sein hübsches, vornehmes Gesicht, dachte aber dabei: Wie schade, daß ihm bei so viel männlicher Schönheit der geistige Ausdruck fehlt, der einem Antlitz erst den wahren Reiz verleiht.

Er bemerkte mich plötzlich durch den Spiegel, vor dem er stand, und rief fröhlich: Guten Morgen, Dugdale! Na, jetzt bin ich wieder gesund. Ich werde im Salon frühstücken und dann auf Deck gehen. Gott sei Dank, nun ist man doch wieder Mensch!

Freue mich, das zu hören, entgegnete ich ebenfalls heiter, indem ich mit einem Ruck meine Beine über den Rand der Bettstelle warf.

Vermutlich, schwatzte er weiter, werden wohl heute auch junge Damen zum Vorschein kommen. Sagen Sie, wen, zum Teufel, haben wir denn eigentlich als Mitreisende an Bord? Gibt's noch was Nettes außer diesem Prachtmädel mit den schwarzen Augen?

Das weiß ich nicht. Die Damen waren ja fast alle ebenso krank wie Sie, und von Herren sah ich nur die, die Sie auch schon gesehen haben. Wissen Sie übrigens etwas Näheres über die schöne Schwarzäugige?

Etwas Näheres gerade nicht, aber in Gravesend erzählte mir irgendwer, sie sei die Tochter von Sir Conyers Temple, und von dem habe ich meinen Vater, glaube ich, als von einem Jagdgefährten sprechen hören. Wenn er dieser selbe Sir Conyers ist, so hat er vor vier Jahren bei einer Fuchshetze den Hals gebrochen.

So, so. Was mag sie nur nach Indien führen? Kennen Sie den Namen der Tante, die sie begleitet?

Nein. Das alles will ich auch erst erfahren. Aber hören Sie mal, lachte er, Sie scheinen sich gewaltig für die junge Dame zu interessieren.

Warum denn nicht, mein lieber Colledge. Ich suche mich auf Schiffsreisen immer sobald wie möglich über alle Mitreisenden zu informieren. Das junge Mädchen sprach mich vorgestern nacht während des allgemeinen Schreckens, den der Zusammenstoß verursachte, auf Deck an, und da werden Sie es begreiflich finden, wenn ich jetzt noch ihre Märchenaugen sehe.

Er drehte sich um, starrte mich einen Augenblick an, und lachte dann mit der ganzen Lust eines ausgelassenen Jungen. Bravo! rief er. Ich erleb's noch, nächstens fangen Sie an zu dichten. Wo bleib ich da? Sie scheinen mir ja ein gefährlicher Charakter zu sein. Aber … Hallo, da läutet die Frühstücksglocke. Donnerwetter, wie himmlisch ist es doch, nicht seekrank zu sein!

Er verließ die Kabine und ich folgte ihm bald.

Der Salon war kaum wiederzuerkennen. Die Sonne blickte durch die Oberlichter, und ihre Strahlen spielten auf dem funkelnden Silber und Kristall der mit feinem Damast gedeckten Tafel. Die Passagiere kamen einer nach dem andern, teils aus ihren Kabinen, teils vom Deck herein. Die Veränderung des Wetters hatte wie ein Zauber gewirkt; zum erstenmal saß die ganze Gesellschaft beisammen. Nur eine alte Dame fehlte. Der Kapitän schien älter geworden infolge seines unausgesetzten, ruhelosen Aufenthaltes auf Deck während der beiden verflossenen Nächte, aber jetzt leuchteten seine Augen freundlich, und er hielt sogar eine kleine Rede voller Komplimente für die Damen. Der alte Knabe besaß eine etwas altmodische Artigkeit in seinem Wesen, die ihm aber sehr gut stand. Er versäumte zum Beispiel nie, die Beantwortung der Frage einer Dame mit einer leichten verbindlichen Verbeugung zu begleiten.

Ich hatte meinen Platz am unteren Ende der Tafel, rechts vom ersten Maat, und konnte von da aus die ganze Tischgesellschaft übersehen. Ich zählte, außer Fräulein Temple, zehn junge Damen, unter denen zwei Schwestern namens Joliffes und drei Schwestern Brokes durch ihr munteres Wesen, sowie ein Fräulein Hudson durch ihre auffallende Lieblichkeit meine Aufmerksamkeit erregten. Letztere war in der Tat außerordentlich hübsch; ihr dunkelblondes, fast goldiges Haar, eine lilienweiße Haut, ihre großen dunkelblauen, von hochgeschwungenen Brauen überschatteten Augen, aus denen ein kleiner Schalk zu blicken schien, machten sie höchst anziehend. Ihr Anblick begeisterte Herrn Sylvanus Johnson, meinen anderen Tischnachbar, dermaßen, daß er mir leise Shakespearsche Verse ins Ohr deklamierte.

Na, flüsterte ich, wenn das Monstrum neben ihr, wie ich vermute; ihre Mutter ist – sehen Sie sich die mal an – dann wird Ihre Begeisterung wohl verrauchen.

Ja, Frau Hudson bildete einen seltsamen Kontrast gegen ihre reizende Tochter: ein unförmiger Fleischklumpen von etwa fünfzig Jahren, mit kurzem, fast schnarchendem Atem, aufgedunsenen bläulich angehauchten Wangen, einer wulstigen, stark vorstehenden Unterlippe und einer Haartour, deren jugendliche Farbe, anstatt zu verjüngen, alle Spuren des Alters in ihrem Gesicht nur noch deutlicher hervortreten ließ. Eine mürrische Eule unter einer Schar Singvögelchen. Denn die hellen Stimmen der jungen, frischen Mädchen um sie herum klangen wie Gezwitscher durch die im allgemeinen leise geführte Unterhaltung.

Ich beobachtete mehr, als ich sprach. Es gab einen Punkt, auf den sich meine Blicke immer und immer wieder richteten. Vom ersten Moment ab, wo ich den Salon betreten und Fräulein Temple bemerkt hatte, war ich wie gebannt von ihrem Anblick; sie übte einen wunderbaren Zauber auf mich aus. Wenn auch ihr Gesicht völlig farblos war, so erlitt dadurch der Gesamtausdruck desselben doch nicht die geringste Einbuße. Die edelgeformte Stirn und eine feingeschnittene griechische Nase, der kleine Mund mit seinen Perlzähnen, das zierlich gerundete Kinn und dazu die geradezu faszinierenden schwarzen Augen, überthront von dem wie eine Krone um den Kopf gewundenen glänzend schwarzen Haar, – das alles vereinte sich zu einem Bilde, wie ich noch kein schöneres gesehen hatte. Dazu ruhte der Kopf auf einem ebenso schönen Körper, der eng umschlossen von einem langen einfachen schwarzen Tuchkleid fast jede Linie ihrer vollen, doch jungfräulich zarten Gestalt erkennen ließ.

Als ihre Augen einmal über den Tisch schweiften, begegneten sich unsere Blicke. Ganz sicher hatte sie mich als den erkannt, den sie in der Schreckensnacht angesprochen hatte, doch ich vermochte auch nicht das kleinste Zeichen des Wiedererkennens an ihr zu bemerken. Mit dem Stolz einer Königin glitt ihr Blick über mich und sämtliche andern Tischgenossen hinweg, als wenn wir alle Luft für sie wären. Nur auf Colledge, der ihr gegenübersaß, blieben ihre Augen einige Sekunden haften.

Teufel noch einmal, zischelte Herr Prance mir zu, dieses Fräulein Temple ist doch wohl das schönste Frauenzimmer, das jemals eine Schiffsplanke betreten hat.

Na, na, entgegnete ich, wer weiß, was Vater Noah schon für junonische Gestalten auf seiner Arche geschaukelt haben mag.

Er lachte. Ja, freilich, die schlechtesten wird sich der alte Herr gewiß nicht mitgenommen haben, aber die Vorstellung liegt mir denn doch etwas zu weit ab; ich halte mich an die Gegenwart, und da entsinne ich mich nicht, daß ich während der neunzehn Jahre, die ich nun auf Passagierschiffen segle, ein auch nur ähnlich schönes Mädchen gesehen hätte wie dieses. Ich bitte, sehen Sie sich doch nur mal … Und nun floß er über vor Bewunderung all ihrer Reize.

Sagen Sie, unterbrach ich seinen Redeschwall, wie heißt die alte Dame mit dem freundlichen Gesicht neben ihr? Ich vermute, es ist ihre Tante.

Ganz recht. Frau Radcliffe.

Weshalb mag sie nur mit der Nichte nach Indien gehen? Wohl um einen Mann dort für sie zu suchen?

I, Gott bewahre! Dazu braucht eine wie die doch nicht erst über den Ozean zu fahren. Sie ist die Tochter eines Baronets. Ihre Mutter besitzt ein großes Gut, ist aber völlig gelähmt, da sie vom Schlage gerührt wurde, als man eines Tages den Baronet mit gebrochenem Hals ins Haus brachte. Das hat mir alles der Kapitän erzählt; der weiß genau Bescheid. Bei unserer letzten Rückfahrt von Indien fuhr Frau Radcliffe mit uns nach England. Ihr Mann ist dort ein reicher, an die zweimalhunderttausend Pfund schwerer Pflanzer. Ich denke mir, der wird wohl auch mal seine schöne Nichte und vielleicht einzige Erbin sehen wollen. Oder möglicherweise macht auch ihre Gesundheit die Reise notwendig. Sie scheint doch verdammt bleichsüchtig zu sein; etwas Farbe könnte ihren Wangen nicht schaden.

Hiermit stand er, mir freundlich zunickend, leise auf und ging auf Deck, um den zweiten Offizier abzulösen, der inzwischen die Leitung des Schiffes überwacht hatte.

Bei einer Mahlzeit wie dieser, wo die Schiffsgesellschaft zum erstenmal beisammen war, ließ es die britische Zurückhaltung und Steifheit zu einer angeregten Unterhaltung noch nicht kommen. Im ganzen begnügte sich jeder damit, den andern verstohlen zu betrachten und hin und wieder einmal eine Phrase zu machen. Nur Oberst Bannister sprach laut und freimütig wie immer. Er befand sich in seinem besten Fahrwasser, denn er hielt mit rollenden Augen und schnarrender Stimme seinem Gegenüber – einem langen, hageren, kränklich aussehenden Herrn, namens Holder, der nach Bombay als Lehrer an eine Hochschule berufen war – einen weitschweifigen Vortrag über die schmählichen Verhältnisse in der indischen Armee, dem der also Festgenagelte anscheinend mit größtem Respekt lauschte. Kein anderer sonst aber hörte darauf, und ich am allerwenigsten, denn ich hatte jetzt, nach den mir von Herrn Prance gemachten Mitteilungen, meine ganze Aufmerksamkeit der kleinen Tante Radcliffe zugewandt. Je mehr ich mich in ihren Anblick vertiefte, um so liebenswürdiger fand ich ihr freundliches Gesicht, aus dem eine ungemeine Herzensgüte sprach. Damit stimmte auch ihr liebevoll mütterliches, wenn auch, wie mir schien, etwas ängstliches, unruhiges Wesen überein, mit dem sie ab und zu ihrer Nichte schnell einige Worte zuflüsterte, für welche diese nur immer ein schwaches Lächeln hatte. Meist jedoch drückte die Miene des jungen Mädchens hochmütige Zerstreutheit und ein gewisses Naserümpfen über alle Anwesenden aus. –

Bald nach dem Frühstück füllte sich das Deck. Die Sonne schien zwar warm, aber die scharfe Brise erlaubte es den Damen nicht, längere Zeit zu sitzen, so bot denn das Promenadendeck ein farbenreiches Bild voll Leben und Bewegung. Alles spazierte umher; der Kapitän führte Frau Radcliffe; Herr Emmett ging mit Frau Joliffe und deren Töchtern. Herr Saunders trippelte zur Seite des dicken Mynheer, der wie ein Koloß neben dem kleinen Männchen aussah. Die drei jungen Beamten saßen auf einem Hühnerkäfig und belachten leise ihre Bemerkungen, während sie nach den jungen Damen schielten. In der Nähe des vordersten Oberlichtes stand Oberst Bannister mit dem Journalisten Johnson. Man brauchte nicht besonders hinzuhören, um zu verstehen, wie der Oberst über die Zeitungsschreiber herzog. Das Gespräch der beiden Herren wurde allmählich so laut, daß es wie ein heftiger Zank klang, denn Herr Johnson wehrte sich tapfer. Alle Augenblicke fiel er dem Oberst ins Wort: Gut, ich gebe Ihnen das zu … – Ich will das nicht leugnen … – Bitte erlauben Sie … – Ganz recht, aber was wollen Sie denn, wenn wir Zeitungsschreiber nicht wären … Diese und ähnliche Einwürfe brachten den kleinen Brausekopf in solche Glut, daß ich es für ratsam hielt, mich außer Schußweite zu halten, um nicht bei einem plötzlichen Heiterkeitsausbruch, den ich kaum mehr zu unterdrücken vermochte, von einer gefährlichen Entladung getroffen zu werden.

Als ich bei der Kampanje vorüberging, kam gerade Fräulein Temple, gefolgt von Colledge, die Kajütentreppe herauf. Er sprach mit großer Lebhaftigkeit und sie sah sehr vergnügt aus. Beide bemerkten mich nicht und traten ganz in meiner Nähe an die Reling.

Ich erinnere mich, hörte ich sie sagen, daß mein teurer Vater von Lord Sandown sprach. Ist nicht Lady Isabella Fitz-James eine Tante von Ihnen, Herr Colledge?

Leider ja. Ich hoffe aber, Sie kennen Sie nicht. Sie schreibt immer Bücher, wissen Sie, und hält sich für schrecklich klug, dabei aber ist ihre Unterhaltung so trocken wie der Streuselkuchen, den sie mir immer als Knabe gab.

Zum erstenmal hörte ich sie hell auflachen. O, ich habe sie doch auch kennen gelernt, und sie gefiel mir sehr gut.

Vielleicht verschmäht sie es, in Gesellschaft ihrer eigenen Familie klug zu sein.

Was führt Sie eigentlich nach Indien? lenkte er auf ein anderes Thema.

Nur der Wunsch meines Onkels. Er konnte seines Alters und seiner Kränklichkeit wegen die Reise zu uns nach England nicht wagen, wünschte aber sehnlichst, daß wenigstens ich einige Monate zu ihm hinüber käme, da meine Mutter, wie Sie wohl wissen werden, gelähmt ist und infolgedessen noch weniger reisen kann wie der Onkel.

Habe mit Bedauern davon gehört, murmelte Colledge.

Ich werde aber nicht lange bleiben, fuhr sie fort. Wahrscheinlich kehre ich mit diesem selben Schiff zurück.

Bei George! Ich hoffe, das tun Sie! rief er lebhaft. Habe mich auch schon zur Rückfahrt buchen lassen. Während dreier Monate kann ich jagen, soviel mein Herz begehrt. Ich will nur einige Tiger abtun, wissen Sie, und mich an ein oder zwei wilden Elefanten versuchen. Bei George, das Fell des ersten Tigers, den ich schieße, sollen Sie haben, wenn Sie es gütigst annehmen wollen.

O, Sie sind sehr freundlich, lächelte sie schalkhaft, indem sie den Kopf etwas zur Seite wandte. Dabei traf ihr Auge mich, und sofort wich der Ausdruck der Belustigung von ihrem Gesicht. Mit einem geringschätzigen Kräuseln der Oberlippe glitt ihr Blick eisig und fremd an mir vorüber.

So also, mein feines Dämchen, dachte ich, betrachten Sie alles, was nicht im Adelsalmanach zu finden ist? Na, mich soll das nicht anfechten.

Colledge, der ihrer Wendung gefolgt war, bemerkte mich nun auch. Ah, Dugdale, schrie er, können Sie mir nichts über Zubereitung von Tigerfellen sagen? Ich meine nämlich, wissen Sie, in welcher Zeit sie zu Teppichen oder dergleichen Zeug verarbeitet werden können?

Darüber kann ich Ihnen keine Auskunft geben, entgegnete ich kurz. Ich habe mich nie mit Tigerfellen befaßt.

Dann aber vielleicht mit Löwenfellen? Was?

Davon weiß ich auch nur, daß der Esel in der Fabel eins anzog, sich jedoch durch sein Geschrei verriet.

Uebrigens, nun ich es überlege, schwatzte er weiter, gibt es, glaube ich, in Indien überhaupt keine Löwen. Er blickte dabei so unschuldsvoll fragend und kindlich von mir zu Fräulein Temple, daß ich ihm gleich wieder gut sein mußte. Er war durch und durch ein guter, lieber Kerl.

Fräulein Temple, welche diesem Gespräch wie abwesend zugehört hatte und ihm wohl ein Ende bereiten wollte, sagte: Ich möchte mir etwas Bewegung machen, und schritt nach dem Promenadendeck, wohin Colledge sie begleitete.

Meine unglückselige Empfindlichkeit ließ mich in dem Umstand, daß ich von dem jungen Mädchen nicht wenigstens höflichkeitshalber aufgefordert wurde mitzugehen, eine neue Zurücksetzung erkennen, und verdrossen ging ich daher meinen eigenen Weg.

Ich schritt nach vorn, und unterwegs wurden meine unwirschen Gedanken bald durch das auf den verschiedenen Decks herrschende Leben und Treiben abgelenkt.

Auf dem Vorderdeck traf ich eine Anzahl Matrosen, die, auf einem ausgebreiteten Segel hockend, unter Aufsicht eines Maats Nähte ausbesserten und Flicken einsetzten; unter ihnen fiel mir ein Kerl auf, der mir wahres Grauen einflößte. Ich hatte im Leben schon viele häßliche Seeleute gesehen, ein solches Scheusal aber doch noch nie. Seine Nase war ihm offenbar einmal eingeschlagen worden; sie bestand nur aus einem dicken Wulst mit zwei Löchern. Auf dem rechten Auge schielte er; der Rücken war rund wie eine Faßdaube. Seine affenartigen langen Arme endeten in tatzenähnlichen Händen. Obwohl augenscheinlich ein alter Seemann, hatte er doch die schmutziggraue Gesichtsfarbe eines Londoner Bäckers. Er war in der Tat ein menschliches Ungeheuer, und ich wunderte mich nur, ein solches Geschöpf auf einem Ostindienfahrer zu finden, wo man sonst nur eine ausgesuchte Bemannung traf, das heißt Leute, die in Aussehen und Wesen einen gefälligen Eindruck machten. Während ich ihn noch betrachtete, kam Herr Johnson – eine »kalte« Zigarre zwischen den Lippen rollend – nachdenklich angeschlendert. Scherzend begrüßte ich ihn: Sie dichten wohl? Haben Sie noch nicht Feuer gefangen?

Bitte, Herr Dugdale, keine Späße, sprudelte er mich mit bösem Blick an. Ich bin nicht dazu aufgelegt.

Na, na, was haben Sie denn? Seien Sie doch gemütlich. Ich habe doch nichts gesagt, was Sie übelnehmen könnten.

Was, gemütlich! Lassen Sie mich in Frieden. Ich bin gewiß kein unverträglicher Mensch, aber dieser Kerl, der Oberst, kann einen wirklich gallig machen. Ich sage Ihnen, wenn der Mann so fortfährt, mit mir zu sprechen, wie er es eben getan hat, dann – ja dann wahrhaftig gibt es einmal etwas! Er soll sich in acht nehmen. Ich fahre ihm einmal über den Mund, daß ihm Hören und Sehen vergeht.

Donnerwetter! Sie sind ja fuchsteufelswild. Hat er Sie beleidigt?

Wie man es nehmen will. Wenn es nicht zu dumm und lächerlich wäre, würde ich sagen, er hat meinen ganzen Stand beschimpft. Erdreistet sich der Mensch, mir eben zu sagen: kein respektabler Schriftsteller würde sich je mit Zeitungsschreiben befassen. Einen Zeitungsschreiber stelle er sich als ein Individuum vor, das so lange im Bett läge, bis die Waschfrau sein einziges Hemd aus der Wäsche brächte, und dabei ersänne er dann all die Lügen, die er der Welt auftischte!

Aber hören Sie, über solchen Unsinn können Sie doch nur lachen. Das kann er doch nur im Scherz gesagt haben.

Mir ganz egal. Auch im Scherz soll er sich mir gegenüber so etwas nicht erlauben.

Ja, ich kann seine Art auch nicht vertragen. Ich gehe ihm deshalb immer möglichst aus dem Wege. Uebrigens bin ich augenblicklich ziemlich ebenso verstimmt wie Sie, und zwar durch die Unterhaltung eines jungen Mannes mit einem jungen Mädchen, in die ich mit hineingezogen wurde und die mir wieder einmal gezeigt hat, welch fades, blödsinniges Zeug zwei so junge Leute zu schwatzen vermögen, wenn sie sich zum erstenmal sprechen. Es gibt in der Welt nichts Abgeschmackteres und Einfältigeres. Ich kann Sie versichern, mir ist beinahe noch übel von all den banalen Redensarten, dummen Fragen und dem albernen Gewitzel. Wenn es weiter so fortginge wie bis jetzt, wäre es ja zum Auswachsen langweilig. Man muß bloß hoffen, daß sich der Verkehr mit dem näheren Bekanntwerden angenehmer gestaltet.

Ach, das wird er schon mit der Zeit. Mir ist gar nicht bange, daß sich die Rechten bald zusammenfinden werden. Sehen Sie zum Beispiel mal gleich dort Herrn Colledge und Fräulein Temple. Die beiden scheinen sich schon gefunden zu haben. Ich glaube aber, daß, wenn er nicht einen Baronet zum Vater hätte, es ihm verdammt schwer werden würde, sich bei dieser Cleopatra einzuheben. Es ist ja richtig, sie ist ein außergewöhnlich schönes Mädchen, aber so ein: »Von oben herab« – »Komm mir nicht zu nahe,« ist nicht mein Fall.

Na, meiner auch nicht, stimmte ich bei.

Sehen Sie, fuhr er fort, da ist mir das hübsche Ding, die kleine Hudson, lieber. Dieses Kind mit seinem freien, offenen, leichtlebigen Wesen, scheint mir für ein Männerherz weit gefährlicher.

Mag sein. Aber eine hübsche Larve, schmachtender Augenaufschlag und lustiges Getändel tun es doch nicht immer. Der Geschmack ist eben verschieden. Der eine liebt leichte Musik, der andere ernste. Mancher erkennt Liebe in sanftem Gesäusel, mancher in Tönen ganz entgegengesetzter Art. Sie kennen doch die Geschichte, wie die Herzogin von Cleveland Mycherley ihre Liebe verriet? Sie rief ihm im Vorüberfahren aus dem Wagenfenster zu: »Sie sind ein elender Wicht – ein Ungeheuer!« Und von diesem Moment ab, erzählt man, faßte Mycherley Hoffnung.

Na, dann haben die beiden sicher gut zueinander gepaßt, lachte Johnson. Doch jetzt will ich mir endlich meine Zigarre anzünden. Kommen Sie mit ins Rauchzimmer?

Nein. Vorderhand will ich mich noch etwas von der Brise anblasen lassen. Vielleicht leistet Ihnen Mynheer, den ja der Oberst auch immer auf dem Korn hat, tröstende Gesellschaft. Er kommt da gerade mit dem Advokaten Adams.

Damit schlenderte ich nach der Spitze des Schiffes und starrte dort noch eine gute halbe Stunde in Gedanken versunken in das rauschende Kielwasser.


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