Hans Reiser
Yatsuma
Hans Reiser

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LVIII.
Tröstliche Prophezeiung

Das Lokal war noch auf, Götz bestellte zwei schwarze Kaffee. In der qualmigen, hitzigen, übelriechenden Luft aber verschlechterte sich sein Befinden. Er mußte hinausgehen und blieb lange fort. Er kam überhaupt nicht mehr. Entweder war ihm so schlecht, daß er sich nicht mehr vom Fleck bewegen konnte, oder er war an einem unnennbaren Orte eingeschlafen.

Es waren wenige Gäste im Lokal, einige Hockenbleiber, die sich nicht eher erheben, als bis die Kellnerin rings um sie herum die Stühle auf den Tisch baut, und, an dem Tisch neben Yatsuma, ein provinzlich aussehender junger Mensch und ein ebenso gesundes kleines Mädchen, das auch nicht aussah wie mit großstädtischer Lokalluft gesäugt. Das Pärchen war wohl nur so spät noch da, weil es, wenn man schon einmal ins Café ging, für sein Geld auch etwas haben wollte. Sie hatten die beiden Ankömmlinge, als Götz, den Rücken voll Schnee, hereinschwankte und komisches Zeug daherfaselte, interessiert beobachtet und betrachteten nun den alleinsitzenden Yatsuma mit dem reservierten aber innigen Vergnügen, mit dem Nüchterne einen Berauschten verfolgen, wobei sie so tun, als hätten sie noch nie in ihrem Leben einen Tropfen Alkohol gesehen.

Niemand hatte daran gedacht, Yatsuma, als man ihn demaskierte, auch das geschminkte Gesicht abzureiben; aber in dem ungewissen grünen Licht, das von den verhängten Beleuchtungskörpern schimmerte, war sein roter Anstrich kaum zu sehen. Mit etwas glasigen Augen starrte er gerade aus. Da ihn die beiden jungen Menschen aber unverwandt anblickten, als erwarteten sie, daß er nun endlich etwas Belustigendes tun oder sagen werde, wurde sein Blick irritiert, er erblickte die erwartungsvoll wie eine Aufforderung auf ihn gerichteten vier Augen. Und ohne sich dessen recht bewußt zu werden, sprach er die Gedanken, denen er augenblicklich nachhing und die ihn bis dahin in der Starre eines hypnotisierten Mediums gehalten, laut aus. Alles was er sagte, verstanden die zwei zwar nicht. Er sprach auch nicht sehr laut, sondern mehr mit sich selbst. Aber einiges war doch sehr lustig.

»Die Welt ist schön und gut«, hörten sie. »Wie aber wird sie künftig sein?«

Das Mädchen kicherte, der junge Mann schmunzelte verständnisinnig.

»Alles wird zugrunde gehen,« hörten sie, »die Wildnis triumphieren. Größer und stärker als vor zehntausend Jahren blüht der Urwald über den zerbrochenen Überresten der Zeiten. Alle Steine sind von Riesenwurzeln zersprengt, unter Moosteppichen versunken und vermodert. Schöne Menschen, unbekleidet und unwissend, hausen in unergründlichen Schluchten und Gärten. Paradiesischer Friede, göttliche Lust! Die Welt ist wieder vollkommen!«

Das Mädchen drückte dem jungen Mann die Hand. »Wie kann man sich nur so sinnlos betrinken!« sagte es halb entrüstet, halb belustigt und lachte verhalten. Und ihr Druck der Hand bedeutete: du wirst das nicht tun, nicht wahr?

»Hier an dieser Stelle«, sagte Yatsuma, »wird ein Mann vorübergehen. Groß, braun und schön wie ein syrischer Araber, die Haut zäh wie Leder. Er bückt sich und nimmt einen Grashalm zwischen seine weißen, starken Zähne. »Hier ist die große Stadt –«, sagt er leise, lehnt sich an einen Baum und horcht. »Ein farbenprunkender Vogel singt in der grünen Kuppel der Palmen. Das ist die Zeit, in der alles wieder lebendig geboren sein wird, der Geringste und der Höchste. Und alles wird lebendig, kühn und lustig sein bis über den Tod hinaus.«

Yatsuma schwieg. Er fühlte, daß es die letzten Worte waren, die er aussprach –

»Jetzt schläft er ein!« sagte das muntere Mädchen zu ihrem Kavalier. »Frag' ihn doch etwas, vielleicht sagt er noch was!«

»Sie!« sagte der junge Mann. »Können Sie mir sagen, wie spät es ist?«

»Wie spät?« Yatsuma dachte nach. »Gestern war's morgen –«, sagte er sinnend.

Das Fräulein lachte hell hinaus. –

Yatsuma trat auf die Straße. Es war dunkel und still. Im Schein der Bogenlampe wirbelten schimmernde Schneeflocken.

Es fröstelte ihn ein wenig, sein Rock war noch naß. Langsam entfernte er sich.

 


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