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Die Straße, in der Yatsuma wohnte, bis zu dem Tag, an dem er sein neues Leben begann, was sich mancher jeden Tag vornimmt, hat zwei verschiedene Gesichter. Ihre eine Hälfte ist kerzengerade, breit und gepflastert. Die Häuser dieser Strecke sind Vorstadtkisten aus der Bauspekulantenzeit, schäbige Kerker der Armen, schmutzig, vernachlässigt und mit den Kritzeleien der Schulkinder beschmiert. Da und dort ist ein kleiner Krämer- oder Gemüseladen, in dem die zerrauften, bleichen und robusten, die meiste Zeit schwangeren Frauen dieses Viertels stehen, und an einer Ecke macht sich ein schaufenstergähnender Ramschbazar mit dem etwas übertriebenen Namen Kaufhaus breit. Neben den Trottoirs war, als die Stadt übriges Geld gehabt hatte und bemüht gewesen war, auch die Mietskasernenviertel ein wenig zu verschönern, ein Rasenstreifen angelegt und eine Reihe junger Ahornbäumchen gepflanzt worden. Die Straßenjungen hielten die Bäumchen natürlich für Kletterstangen und zerstampften den Rasen wie einen Fußballplatz. Jetzt sieht dieser Teil der Straße mit seinem dünnen, zerzausten Alleefragment aus wie einer, der trotz allen Elends ein freundliches Gesicht machen möchte.
Die Mietshäuser, diese Kaninchenställe, kamen sich, als sie gebaut wurden, gegenüber den verfallenen Bauernhütten der unteren Straße recht vornehm vor. Dieses Stück der Straße ist freilich ungepflastert, kotig, krumm und unregelmäßig verengt, aber die malerischen Ruinen des einstmaligen Dorfes sehen selbst in dem feuchtkalten Januarmorgen, der sie umnebelt, immer noch nicht so trostlos aus als ihre oberen fortschrittlichen Konkurrenten, deren Hochmut nicht lange gedauert hat.
Sehen wir uns auch hier ein wenig um. Da liegt schief mitten in die Gasse herein wie eine kranke Kuh, die nicht vom Fleck will, eines dieser alten Bauernhäuser, halb im Boden versunken. Wenn sie nicht allzu winzig wären, könnte man bequem durch die Fenster in die niedrige Stube gehen. Verblichene Fensterläden hängen schief in gelockerten Angeln, die zerbrochene Dachrinne ist von Lausbuben, die auf das Dach klettern, heruntergerissen, und das Hauseck, das seine Bauernnase verkehrshindernd vorstreckt, hat wohl ein Lastauto zur Hälfte mitgenommen. Die angebaute Scheune ist jetzt eine Autoreparaturwerkstätte. Auf dem Hof probiert ein Mechaniker einen knatternden Motor. Gleich daneben bewundern wir ein vierstöckiges Vorstadtwirtshaus, von einem jener sündhaften Baumeister hingepflanzt, deren Baustil einer Stallmagd gleicht, die sich am Sonntag einen Modehut aufsetzt. Gasthaus zum Occamgarten steht da noch halb lesbar angemalt. Das Gegenüber dieser Landschaft ist eine Brennmaterialienhandlung. Ein Durcheinander von grauen Bretterverschlägen, Karren und aufgeschichtetem Scheitholz neben einem mächtigen Haufen Steinkohlen, darüber auf rußigen Pfosten ein breites Firmenschild. Aus dem Kohlenstapel sickert der geronnene Schnee, ein kleiner schwarzer Bach, durch den windschiefen Zaun und verfärbt die Pfütze am Wegrand.
Fremd, verständnislos, feindselig stehen sich beide Straßenhälften gegenüber. In der einen geht eine vergangene Zeit abbröckelnd und vermodernd zu Ende, in der anderen fängt eine neue, erst kommende, häßlich und unkenntlich wie ein Embryo zu leben an.
Eine Tür wird zugeschlagen. Aus einem kleinen Häuschen hinter der Kohlenhandlung, das wir noch gar nicht bemerkt haben, kommt ein Mann heraus und bleibt, den Rücken uns zugewendet, regungslos auf den Ziegelsteinstufen vor der Haustür stehen.
Er sieht von hinten jung aus. Man würde ihn auf höchstens Dreißig schätzen. Seine Figur ist lang und mager. Seine Beine sind schon fast keine Beine mehr; das ist ein dünnes Gerüst, zwei Stangen, Stelzen, innen etwas konkav, und darauf ein Leib gesteckt, der auch kein Leib ist, sondern nur ein libellenschmaler, langhalsiger Vorwand, einen Kopf zu tragen. Die Kleidung des Mannes betont das Charakteristische der Figur noch: ein schwärzlicher Gehrock, der ihm etwas zu klein ist, mit schlapp und lang herabhängenden Schößen. Dieser Gehrock, zur Hälfte feierlich und hochwürdig, zur Hälfte geflickt und schäbig, sieht ungemein traurig und lächerlich aus. Die Hosen sind richtige Knochenhülsen, ganz eng anliegend, wie sie vor dreißig Jahren modern gewesen sind. Die reinen Bleistiftfutterale.
Er steht da wie eine Säule. Wir folgen seiner Blickrichtung, sehen aber weiter nichts. Nur einen weiten, viereckigen Hof, auf dem hinterstellte Möbelwagen, Sandfuhrwerke und dergleichen stehen. Die lähmende Versunkenheit in der Haltung des Mannes paßt gut zu seinem verfallenen Häuschen. Jetzt dreht er sich langsam um und greift nach der Türklinke. Geistesabwesend tappt er ins Haus.
Obwohl das Häuschen aus seinem schwarzen Mörtel so erstorben dreinschaut, als wäre es seit zwanzig Jahren von keiner Menschenseele betreten worden, scheint es doch einmal ganz hübsch gewesen zu sein. Es ist einstöckig, schlank und zierlich; an seiner schmalen Giebelfront hängt eine verbogene Altane, auf die ich nicht heraustreten möchte und auch nicht könnte, denn die Balkontür wie die Fenster links und rechts von ihr sind mit verwitterten Brettern vernagelt.
Auf dem winzigen Streifen zwischen Zaun und Mauer mögen zu anderer Zeit einmal einige Rosenstöcke und Sonnenblumen geblüht haben. Jetzt liegen zerbrochene Flaschen, verbeulte Emailtöpfe und alte Blechhafen darin. Und auf der überhöhten Zaunecke hängt, schief wie der Hut eines Betrunkenen, das verrostete, leere Gehäuse einer Petroleumlaterne.