Hans Reiser
Yatsuma
Hans Reiser

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XXXII.
Was die Leute sagen

In gutem Ruf war Yatsuma noch nie gestanden. Von der Nicolai- bis zur Marschall-, von der Belgrad- bis zur Biedersteiner Straße war man sich von je darüber einig gewesen, daß er keinen Charakter habe und eine sonderbare, unzurechnungsfähige Marke sei. Wenn einer immer alles mögliche und unmögliche zu gleicher Zeit betreiben will und es doch in keinem einzigen Beruf zu etwas bringt, das ist schon ein schlechtes Zeichen. Ein tüchtiger Geschäftsmann bleibt bei seiner Branche und damit basta. Daß er dagegen schon als ganz junger Mensch eine Unmenge Bücher las, die kein Mensch sonst liest, weil sie für's praktische Leben keinen Wert haben, und die Zeitungen, wo ihm nur eine unter die Finger kam, geradezu fraß, hatte sich bald herumgesprochen. Er war musikalisch, gewiß, spielte eine Menge Instrumente, beinahe sämtliche, die es überhaupt gibt. Aber er tat es am liebsten für sich allein und nur ungern und ausnahmsweise öffentlich, anstatt wenigstens etwas damit zu verdienen. Auch seine besten Freunde schüttelten den Kopf. Interessant und amüsant war er allerdings immer gewesen, das ließen sie gern gelten, nur fehlte eben der nötige Ernst. Und seit seine Geisteskrankheit ausgebrochen, war er natürlich ganz unten durch.

In dem kleinen Spezereiwarenladen Ecke der Hesseloher Straße, gerade gegenüber von Yatsumas verlassenem und verfallenem Häuschen – über der Ladentür ragte ein Blechschild, ein braunes Fäßchen vorstellend, aus der Mauer, mit der Aufschrift: Branntweinschenke für Stehgäste – in diesem Laden stand eine Frau beim Einkaufen und unterhielt sich mit der Inhaberin, unter anderem auch über unseren zweifelhaften Helden. Später kam der Maurer Daubner herein, nach Feierabend ein Gläschen zu trinken.

– – – »Haben Sie's gelesen, der Deschl ist wieder eingesperrt worden!«

»Schon wieder! Ja, dem gehört ja auch nichts anderes!«

»In der ›Münchener Nordzeitung‹ ist's gestanden, gestern glaub' ich. Sein Bruder soll ja aus Amerika kommen, hab' ich gehört, und die Lina heiraten!«

»Ja freilich, der kommt extra deswegen aus Amerika rüber, damit er das Fräulein Lina heiraten kann, weil's in Amerika keine Weiber gibt!«

»Geben tät's genug, aber halt nicht so schöne!«

»Und so junge! Wie alt ist denn die Lina eigentlich? Die muß doch schon an die Vierzig rum sein? Und wer zahlt dann für die anderen zwei Kinder? Überhaupt mit dem Bruder von Amerika! Das ist genau derselbe Taugenichts! Der müßt' sich schon recht verändert haben! Ich weiß noch genau, wie er immer daher gekommen ist: das ganze Jahr ein Gewand, Winter und Sommer seinen dicken alten Mantel an, damit man die zerrissenen Hosen nicht sieht, und den Kragen über den Hals hinaufgeschlagen wie ein Bettelmusikant. Überall haben's ihn hinausgeschmissen, die ganze Zeit stellenlos, und wie er fort ist, haben sie ihn von Hamburg auf dem Schub heimgebracht.«

»Das ist in der Familie Deschl schon der Brauch!«

»Das geb' ich ja zu, daß er sich was erspart hat, warum denn nicht, da drüben müssen die Leut' ganz anders arbeiten, da geht's nicht so gemütlich runter wie bei uns. Geb' ich ja zu. Aber daß er dann nichts Besseres weiß, als da rüber fahren – was haben wir jetzt alles, Frau Merkel? Also ein Paket Mandelkaffee, ja, so den Zucker, ein Pfund – da muß er drüben schon gar nichts aufgetrieben haben!«

»Ich sag' immer: gleich und gleich gesellt sich gern!«

»Da steckt schon was anderes dahinter! Und solche Leut' möchten die Menschen verbessern!«

»Ja, er soll doch direkte Predigten gehalten haben, sagt man. So eine Predigt hätt' ich auch gern einmal gehört!«

»Die Menschen verbessern! Wo man sowieso nichts tut, als Tag und Nacht schinden und rackern, wissen's da hört sich alles auf! No ja, er ist ja übergeschnappt und ich sag' immer: das hat so kommen müssen! Aber dann sollen sie ihn halt in eine Anstalt tun! Und wissen's, was ich Ihnen sag': der ist gar nicht so närrisch, wie er tut! Das ist ein ganz Gewaschener, das sag' ich Ihnen, der möcht' die Leut' nur an der Nasen rumführen und nichts arbeiten dabei!«

»Aber von der Gegraphie versteht er was!« bemerkte der Daubner, der sich bis jetzt schweigsam ein Gläschen nach dem anderen genehmigt hatte.

»Von der Gegraphie, mein Lieber, versteht der Schorsch was!«

»Da versteht er schon was Richtig's, wenn er die Gegraphie versteht! Dafür gibt ihm niemand was, da haben wir andere Leute!«

»Der hat viel gelesen, mein Lieber, da kann unsereins nicht mit!«

»Ja eben, das ist ja das Schädliche, das viele Lesen!«

»Im Krankenhaus ist er ja auch davongelaufen! Andere wären froh, wenn sie recht lang drin bleiben dürften!«

»In der Gegraphie hat er was los,« warf der Maurer ein, »da sagen's mir nix, Frau Kammerloher!«

»Mitten im Winter, wo jeder Mensch froh ist, wenn er wo unterkommt! Das ist der Gipfel der Gemeinheit!«

»Das tät's ja noch, aber gestohlen hat er ja auch!«

»Was Sie sagen! Ja ja, da sieht man's wieder!«

»Freilich, Wäsch' hat er mitgenommen und ich weiß nicht, was noch alles. Daß ich nicht vergess': eine Schuhcreme brauch' ich auch noch, beinahe hätt' ich's vergessen!«

»Ja, das sieht ihm gleich –«

»Und immer schon gut beschlagen gewesen,« brummte der Maurer, »in der Gegraphie, meine liebe Frau, ha! Und ein gutes Musikgehör! Da hat unsereiner nicht mitkönnen, was die Gegraphie betrifft!«

»Der Doktor Meloni soll sich doch so für ihn interessieren, wer hat jetzt das gleich gesagt –?«

»Geh, hören's auf, warum soll sich denn ein so feiner Mann für den damischen Kerl interessieren!«

»Und dann die Flugzeuge!« betonte der Maurer.

Die Krämerin schnitt ihm das Wort ab: »Hör mir nur grad mit die Flugzeug auf!«

»Die? Die wären schon recht gewesen, aber 's Geld hat gefehlt, 's Geld! Das ist eben der Haken. Wenn sich einer nicht helfen kann. In dem sein Hirnkasten wär' schon was drin gewesen! Wie war's denn mit dem Bauer-Ottl? Auch nur Schlossergesell gewesen und hat heut eine Automobilgarasch! Die Mittel haben gefehlt, sonst gar nix!«

Die Frauen beachteten ihn nicht.

»Das kann ja sein,« war die Krämerin fortgefahren, »daß ihn der Doktor untersucht hat, der soll ja für solche geistige Krankheiten sein, aber wegen dem interessieren, mein' ich, wird er sich schönstens bedanken!«

»Man kann's nicht wissen, grad solche Leut' haben oft das meiste Glück!«

»Ja, da haben's recht! Wer ehrlich und fleißig arbeitet, dem schenkt kein Mensch was!«

Der Daubner legte sein Geld hin. »In der Geographie war er überhaupts großartig,« murmelte er, »da kam mancher Studierte nicht mit!«

Brummend entfernte er sich.

Auch die Frau stand schon unter der Tür.

»Ja ja, Frau Kammerloher, ich will nur sehen, wie das noch hinausgehen wird!«

»Ich wär auch begierig, was das noch wird!«

»Nix Gescheites nicht! Also gute Nacht!«

»Also, Frau Merkel, auf Wiederschaun! Beehren's mich wieder, sind's so gut!«

 


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