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Küstenstaaten und Seemächte

Staaten, die ihren politischen Einfluß hauptsächlich auf die Beherrschung des Meeres gründen, sind, wenn sie nicht Inselstaaten sein können, wenigstens anfänglich Küstenstaaten , wie Phönizien, Karthago, Athen, Venedig, die Niederlande. Fast alle Kolonien waren ursprünglich Küstenstaaten. Manche, wie die der Araber an der äquatorialen Ostküste von Afrika, sind darüber fast nirgends hinausgewachsen, und auch die englischen Kolonien am atlantischen Rande Nordamerikas haben erst nach hundert bis hundertfünfzig Jahren ihr unwiderstehliches Wachstum von der Küste weg nach dem Innern angehoben.

 

Mit der natürlichen Selbständigkeit der Küste verbinden sich die besonderen Merkmale einer Bevölkerung, die von der Ausnützung der Vorteile der Küste lebt und daher den Binnenländern selbständig gegenübersteht, der Küstenvölker, gleichsam der in Berührung mit dem Meere verflüssigte Rand eines größeren Volkes. Fischfang und Schiffahrt verbinden sie mit der Küste.

 

Im Wesen der ozeanischen Wirkungen liegt ihre Verdichtung auf die Küstenstrecken unter rascher Abnahme nach dem Innern der Länder zu. Es liegt darin die Ursache schroffer kulturlicher, wirtschaftlicher, politischer und selbst Rassen-Gegensätze.

 

Es ist ein Unterschied zwischen der Entwicklung einer Bevölkerung, die durch die Enge des Küstenstriches auf das Meer hinausgewiesen wird und der einer anderen, die auf einer breiten Küste sich ausleben kann.

Wo die Ströme von den Ländern entlassen werden, um ins Meer hinauszutreten, erheben sie sich durch die Vereinigung terrestrischer und maritimer Vorteile und durch ihre fruchtbaren Schwemmländer zu eigenartiger politischer Bedeutung.

Die Ausgleichung des Gegensatzes von Innen und Außen in den Küstenländern ist ununterbrochen im Gang: Die gewaltige Entwicklung des Landverkehrs läßt den Unterschied zwischen verkehrsreicher Küste und verkehrsarmem Binnenland immer mehr zurücktreten. Die alte Geschichte ist im Osten großenteils und im Westen ganz eine Geschichte von Küstenstaaten, die binnenwärts wachsen und immer größere Teile von den drei großen Festländern in ihren geschichtlichen Bereich ziehen. So ist die Geschichte mit jedem Jahrhundert landreicher geworden. Von Flüssen und Seen aus sind neue Gebiete entwickelt worden.

Ein Hafen ist eine der individualisiertesten Erscheinungen im Bereich der politischen Geographie. Scharf abgegliedert vom Land und vom Meer, in seinem Wert abhängig von ganz besonderen örtlichen Bedingungen, kehrt in den verschiedensten Epochen der Geschichte immer gleiche Bedeutung und Wirkung zu ihm zurück.

Die Halbinseln vermögen, ähnlich wie die Inseln, eine politische Entwicklung in sich abzuschließen und gleichzeitig den Verkehr nach außen zu erleichtern: Abschließung und Aufgeschlossenheit, geschlossene Entwicklung und Vermittlung.

Betrachten wir die zwei einzigen großen Inselreiche der Gegenwart, Großbritannien und Japan . Sind sie nicht beide ausgezeichnet durch die Einheitlichkeit und originale Richtung der Körper- und Geistesbildung ihrer Bewohner, die dann doch wieder Spuren ganz verschiedenen Ursprungs deutlich genug zeigen? Beider Politik ist bei starkem Expansionstrieb so ausgesprochen national, dabei so energisch geschlossen und so sicher, daß das Beiwort egoistisch ihr mit großer Vorliebe beigelegt wird. Gestützt auf die vorausgesetzte Unverletzbarkeit ihres meerumschlungenen Gebietes verletzen sie leicht die Rechte anderer, sind aber aufs eifersüchtigste bedacht, ihre eigene Stellung intakt zu halten. Klein von Gebiet, stützen sie ihre Macht auf die beste aller Grenzen und eine starke Flotte. Die Furcht vor Invasionen tritt bei den Engländern als immer wiederkehrende Panik auf, bei den Japanern zeigt sie sich als chronische Sensitivität gegen die Zulassung fremder Einflüsse. Der Protest englischer Staatsmänner gegen die Unterhöhlung des Kanals entspricht dem lange festgehaltenen Schein der Mäßigung japanischer Staatsmänner in den koreanischen Angelegenheiten, die in Wirklichkeit auf der Schwierigkeit beruhte, von der Vorstellung der rein auf sich gestellten, echt insularen Entwicklung ihres Landes loszukommen.

 

Schranken sollen abschließen, über nicht ausschließen. Das vermögen am besten die Meeresgrenzen . Das Meer ist die natürlichste und wirksamste von allen Grenzen und schließt doch zugleich die Länder aufs weiteste für jeglichen friedlichen Verkehr auf. Das gibt jene Vereinigung entgegengesetzter Eigenschaften , wodurch Völker- und Staatsleben in Inseln und Halbinseln zu einem Reichtum und einer Kraft heranwachsen, die von kleinen Bezirken aus fast rätselhaft bis zu fernen Umgebungen wirken. Jede Periode der Weltgeschichte zeigt ein Inselland auf beherrschender Höhe und in jedem Teil der Erde sind einzelne Inseln weit über ihre Größe hinaus bedeutend. Da taucht aus der tiefsten Abgeschlossenheit der Trieb zur Ausbreitung auf, der friedengewährende Schutz nährt die freche Aggression, und neben dem fortbestehenden Alten und den Spuren frühen Erstarrens grünt eine vorauseilende politische und wirtschaftliche Entwicklung. Kleinasiatische Inseln hellenisieren sich, wie es niemals das Festland tat, während die britischen Inseln die zahlreichsten Reste der Kelten lebendig erhalten.

 

Die Rolle der Inseln als Zufluchtsorte ist durchaus nicht bloß passiv aufzufassen. Sie führt Kenntnisse, Einsichten, Energie den Inseln zu, an denen die kontinentalen Länder verarmen, und knüpft neue Verbindungen. Die Bevölkerung Venedigs ist immer durch Flüchtlinge vom Festland her vergrößert worden. England hat große Vorteile aus seiner Aufnahme flüchtiger Irländer und Franzosen in der Zeit der Reformation gezogen. Irland war im frühen Mittelalter eine Zufluchtsstätte der christlichen Welt, wo merowingische Könige mit Bischöfen vom Nil und der Donau schutzsuchend zusammentrafen. Ganzen Völkern sind diese Vorteile der Inselasyle zugute gekommen und wichtige Folgen sind aus solchen Übersiedlungen entstanden. Formosa , früher nur von Schiffbrüchigen und Seeräubern besucht, wurde 1673 dauernd von China in Besitz genommen, als die vor den Mandschu geflohenen Anhänger der Ming in großer Zahl sich an der Westküste fest niedergelassen hatten. Derselben Umwälzung sollen die Liukiu ihre chinesische Kultur verdanken. Man hat auf solchen Zufluchtsinseln Sitten und Anschauungen, die Jahrhunderte verschlafen hatten, jugendfrisch aufwachen und aus der Abgeschiedenheit heraus ältere Zustände aus die in buntem Wechsel regeren Austausches weitergeschrittene Welt einwirken sehen. Dafür ist Island das lebendigste Beispiel. Mit seinen altnordischen Resten hat es allen Zweigen des germanischen Stammes, vorzüglich den ihm verwandtesten skandinavischen, eine Kräftigung des Volkstums geboten. Diese tiefe alte Quelle ergoß sich frisch, wo alle anderen verschüttet schienen. Die dänischen Inseln waren die Zuflucht der heidnischen Sachsen und mit dem landnahen Dänemark ragte zu der Karolinger Zeit das Heidentum noch am tiefsten in die christliche Welt hinein. Von Ceylon hat der auf diese entfernteste Insel aus Indien zurückgetriebene Buddhismus einen neuen, siegreichen Gang auf östlicheren Wegen durch Asien gemacht.

 

Da die insulare Verbreitung den Vorteil bietet, die Elemente einer sich vorbereitenden Völkermischung länger getrennt zu halten und von außen neue heranzuführen, bewahrt sie das Belebende, Gärungerregende des Aufeinanderwirkens fremder Elemente in nahe beieinanderliegenden Räumen.

 

Für den Charakter der Inselbewohner hat Kant das leitende Wort gesagt, indem er dem englischen Volk einen Charakter zuschrieb, »den es sich selbst angeschafft hat«. Kein Volk Europas hat sich so früh seiner inneren Entwicklung ungestört hingeben können; schon unter Alfred hatten die Engländer eine bestimmte nationale Existenz, was man von den Franzosen unter Karl dem Großen noch nicht sagen kann. Früh unabhängig, blieb sie ungebrochen von der angelsächsischen Zeit an. »Alles ist Wachstum innerhalb desselben Körpers, in keinem Augenblick ist Altes ganz weggeschwemmt und Neues an dessen Stelle gesetzt worden« (Freeman). Das Bewußtsein des Volkes, das in so natürlicher, sicherer Umgrenzung sich entwickelt, ist ein ganz anderes als das der künstlich auseinandergehaltenen und trotzdem ineinanderfließenden Völker des festen Landes.

 

Eine Insel läßt sich geistig und gemütlich ganz anders erfassen und umfassen als ein natürlich unbegrenztes Stück Festland. Sie bleibt immer dieselbe. Es liegt etwas, das man ein Formelement nennen kann, in dieser Wirkung der Inseln auf ihre Völker und auch der Inselvölker auf ihre kontinentalen Nachbarn. Der feste Rahmen gibt allen Äußerungen der Insel etwas scharf Umrissenes, Eindrucksvolles und besonders auch Gleichmäßigeres, das dem immer neue Formen annehmenden, von immer neuen Seiten angeregten Wesen der Kontinentalen naturgemäß überlegen ist.

Wohl schimmert über die Inselgrenze überall das bewegliche Meer herein, aber die Gefahr des Erstarrens in der Abschließung liegt doch den Inselvölkern nahe. Das Venedig des 17. und 18. Jahrhunderts wird an Versteinerung nur vom Japan des gleichen Zeitalters übertroffen. Wie hat der Peloponnes, der für die Alten einer Insel gleichkam, die Staaten erstarren lassen, die hinter dem Isthmus sich allzu sicher fühlten! Spartas Politik war die vorurteilsvollste, partikularistischste aller Staaten des alten Hellas, und wie wenig hat Sparta zur griechischen Kulturbewegung beigetragen! Insulare Vorurteile sind sprichwörtlich. Wenn die Lage einer Insel ihre Bewohner von allem Austausch zurückhält, schlägt die Gunst insularer Lage in ihr Gegenteil um. Wertvolle Gebiete werden dann politisch und kulturlich lahmgelegt.

Die unvergleichlichen Vorteile der Inseln begleitet wie ihr Schatten der von ihrem eigensten Wesen unzertrennliche Nachteil des engen Raumes.

Die Inseln sind als schützende Stellungen ungemein sicher, dauerhaft und wirksam. Sie sind die natürlichsten Festungen, und kleine Inseln werden ja auch unmittelbar als solche benützt, wie Helgoland, Governor's Island in der Hudson-Mündung, Perim im Toreingang des Roten Meeres, Ré und Oléron vor der Charente, Hongkong, Thursday Island vor der Torres-Straße und ähnliche.

Vom Meere zugänglich und doch leicht abzuschließen und zu beherrschen, sind die Inseln die naturgegebenen Stützpunkte der Seemächte , und nur diese werden auf die Dauer Inseln beherrschen. Inseln entsprechen am meisten dem Ideal der Seevölker, weite Räume ohne großen Landbesitz zu beherrschen. Aber der Sicherheit ihrer insularen Lage vertrauend, verlieren sie gerade diese Sicherheit bei zu weiter Expansion, indem sie ihre Macht auf den schwankenden Grund der Flotte stellen, die ein solches »Seereich« zwar schaffen, aber für sich allein nicht dauernd erhalten kann.

 

Daß im Schutze ihrer Meeresumgebung sich Seemächte zu überragender Bedeutung in allen Werken des Friedens entwickeln, schließt durchaus nicht die Entfaltung eines kriegerischen Charakters aus. Wir sehen Seemächte in der Abwehr erstarken und die langwierigsten Verteidigungskriege durchführen, aber wir sind auch Zeugen wahrhaft räuberhafter Angriffe. Wieviele Kriege führte Venedig und wie lange erwehrte es sich auf seinen Laguneninseln der Angriffe! Daru hebt in seiner Geschichte der Republik Venedig die Zahl und Dauer der Kriege dieser handels- und gewerbereichen Stadt eindringlich hervor und meint, keine Landmacht würde so ausdauernd mit dem Türkischen Reich gekämpft haben wie dieser Seestaat. Aus dieser Eigenschaft heraus entfaltete sich Englands Übermacht in den Kriegen mit der französischen Republik und Napoleon. Denn als 1815 ganz Europa ermattet die Arme sinken ließ, vollendete es, allein von mehr als 20jährigen Kämpfen nicht im eigenen Lande berührt, rastlos seine See- und Handelsüberlegenheit und baute sein Kolonialreich aus. Damals wurde zuerst die gefährliche Lehre gewonnen, die übrigens der Siebenjährige Krieg schon erteilen konnte, daß kontinentale Kriege der Blüte des Inselstaates förderlich seien. Die Kehrseite dieser Lehre ist für die kontinentalen Mächte, daß aus ihren Kämpfen England Vorteil zieht. Das ist für diese mindestens ebenso wichtig, wie der Avers für England selbst. Aber wie die Erkenntnis der eigenen Interessen von den Seestaaten immer rascher gewonnen wird als von den kontinentalen, so ist auch diese Lehre bei uns zu spät erkannt worden.

[Sie konnte infolgedessen im Weltkrieg 1914/18 nicht wirksam werden. Das nationalsozialistische Deutschland vermochte sie 1939 zum Gemeingut eines Großteils der europäischen Festlandsmächte zu machen und damit der Ausweitung des Konfliktes entgegenzuwirken.

Die Einbeziehung des Luftraumes in den Kriegsschauplatz hat die wehrpolitische Gunst der Insellage, vornehmlich für Inseln, die den Kontinenten nahe liegen, wesentlich verringert. Inselstaaten zeigen deshalb das Bestreben, an der Gegenküste nicht allein die Entstehung einer starken Seemacht, sondern auch die einer starken Luftwaffe zu verhindern. D. Hrsg.]

Wo eine Grenze das geschlossene Landgebiet verläßt und Inseln umfaßt, nimmt sie sofort einen freieren, die Leichtigkeit der Expansion in Inselgebieten bezeugenden Charakter an.

Die Vorteile ihrer Stellung suchen Inselmächte zu vervielfältigen, indem sie sich auf Inseln wiederum stützen. Den Inselmächten ist dieser Weg klar gewiesen, denn die Staaten erhalten sich auch hier mit den Mitteln, durch die sie entstanden sind. Die Enge der Inseln macht sie zur Meerbeherrschung, die keinen Ballast von Land will, gerade geeignet.

Wo der politische Wert eines Inselbesitzes nicht in der Beschaffenheit des Stückchen Landes – die Zinninseln, Banka und Biliton, Cypern, die Kupferinsel, die Guanoinseln sind oder waren seltene Ausnahmen – sondern nur in dem liegt, was der Verkehr oder eine politische Konstellation hineinlegt, ist er sehr veränderlich.

Wir verlassen den festen Boden nicht, wenn wir die Mächte des Wassers ins Auge fassen, denn nur vom Lande her wird das Wasser beherrscht. Das Meer ist ein politischer Boden soweit, als sich die Macht vom Lande darüber ausbreitet. Und doch ist es nicht der unwichtigste Teil der politischen Geographie, den man als politische Ozeanographie bezeichnen dürfte. Er erinnert daran, daß, wenn auch jeder Staat im Boden wurzelt, der Geist, in dem die Kraft des Staates liegt, das Lebendige, Wachsende in ihm sich hoch über den Boden erheben kann.

Mit an die Spitze aller politisch-geographischen Betrachtungen muß gestellt werden, daß in einer Wasserfläche von 365 Mill. 144 Mill. Quadratkilometer Land liegen, weshalb in jeder Küste eine große Wasserfläche an eine kleine Landfläche grenzt. Und diese Wasserfläche ist immer ein Teil eines zusammenhängenden Ganzen, des Weltmeeres. Also erschließt jede kleinste Küstenstrecke den Weg zum Weltmeer, und werden durch jeden Meeresweg gewaltige Räume der Beherrschung zugänglich gemacht.

[Vgl. hierzu die glänzend geschriebene Gelegenheitsschrift Natzels »Das Meer als Quelle der Völkergröße« (eine politisch-geographische Studie), die wir im Auszug auf den Seiten 193 ff. veröffentlichen. D. Hrsg.]

Das Meer ist das größte Ganze auf unserer Erde, die größten Erdteile sind darin nur Inseln. Dieses Einheitliche des Zusammenhanges wird verstärkt durch die innere Übereinstimmung. In der Natur des Meeres liegt weder Absonderung noch Grenze. Was auf dem Lande dem politischen Gleichgewicht förderlich ist, fehlt hier ganz. Das Meer kann nicht gesperrt werden: mare natura omnibus patet, sagten schon die Römer. So viele Millionen Meter Küstenlänge, so viel hat es Zugänge. Verträge, die auf dem Meere Abgrenzungen erzielen sollten, sind nie von langer Wirksamkeit gewesen. Den Begriff » Geschlossenes Meer « können wir nicht mit den Staatsrechtslehrern aus dem umschlossenen Meer heraus gewinnen, weil wir keinen Teil des Meeres, auch wenn er fast geschlossen ist, aus seinen Beziehungen zum ganzen Meer und zu den Ländern rings umher herausheben können. Wenn also das Wesen eines im politischen Sinn geschlossenen Meeres definiert wird als tiefes Hineinragen in das Land, schmale Öffnung, Beherrschung aller Ufer sowie der Mündungen durch eine und dieselbe Macht (Perels), so ist das unvollständig; denn es ist damit gar nichts gesagt von der Naturnotwendigkeit jedes Meeres für den Verkehr der Länder, die über seine Grenzen weit hinausliegen. Dieser Verkehr verlangt die Freiheit des Meeres, und Forderungen der Theorie sind nicht stark genug, um diese Freiheit zu verhindern.

Zu der Verdichtung der politischen Interessen in den engeren Meeresabschnitten, die mit der Annäherung der Küsten immer größer wird, kommt die wichtige Lage zwischen zwei größeren Meeresabschnitten. Der Verkehr ganzer Meere drängt sich da oft in Sicht der zwei Küsten zusammen, von denen aus er beherrscht werden kann. Es sind die Lagen von Karthago, Gades, Messina, Konstantinopel, Singapur.

Seit uralten Zeiten gehen mit den Passaten und Monsunen die Ströme des Verkehrs der Menschen in den Meeren Ostafrikas, Asiens und Ozeaniens von einem Gestade zum andern. Solange ein geschichtliches Licht über diese Gebiete leuchtet, ist wahr, was in seiner einfachen Art Marco Polo von den Fahrten der Chinesen nach den Gewürzinseln sagt: Sie brauchen ein ganzes Jahr für die Reise, denn sie gehen im Winter und kehren im Sommer zurück; in diesem Meer gibt es nämlich nur zwei Winde, die wehen, der eine führt sie hinaus, der andere bringt sie in die Heimat zurück; und der eine von ihnen weht den ganzen Winter, der andere den ganzen Sommer. Im Sommer verlegen sich die Passatgebiete polwärts, und so begünstigte der nördliche Sommerpassat die Fahrten der Griechen im östlichen Mittelmeer besonders in südlicher Richtung, so wie er zweitausend Jahre später die erste Reise des Columbus nach Amerika beschleunigte; der Sommerpassat verlieh der thrakischen Küste einen höheren politischen Wert; verwandte Luftströme der Adria gaben den Venetianern den Vorteil in der Fahrt ins Ionische Meer und halfen ihnen ihre Herrschaft südwärts ausbreiten.

Die Beherrschung des Meeres trägt aus den endlosen Horizonten einen großen Zug von Kühnheit, Ausdauer und Fernblick in den politischen Charakter der Seevölker hinein. Sie haben am wesentlichsten beigetragen zur Vergrößerung der politischen Maßstäbe. Die enge territoriale Politik ist ihrem Wesen nach kurzsichtig; das weite Meer erweitert den Blick nicht bloß des Kaufmanns, sondern auch des Staatsmannes. Auch bei Athen ist immer mehr großgriechische Auffassung gewesen als bei dem beschränkten Sparta. Das Meer erzieht Weltmächte. Die weltgeschichtliche Größe Roms beginnt doch erst mit der Verwirklichung der Erkenntnis, daß eine große Macht auch Seemacht sein müsse, und das siegreiche Neue an Rom ist eben die Verbindung von Land- und Seemacht, die den vergänglichen maritimen Monopolen der Punier und Griechen eine stetigere und festere Macht entgegenstellt. In den Meeren grenzt ein Gebiet internationaler Politik an die nationalen Länder, zieht sich zwischen sie hinein und trägt sogar den internationalen Charakter auf kleinere Landstrecken und Landengen über. Es braucht dabei gar nichts Kosmopolitisches zu sein. Da das Meer der Vertretung der eigenen Interessen weiteren Raum bietet, kann es ihr Verständnis im Gegenteil noch verschärfen, wie alle Handels- und Seemächte zeigen. Wesentlich trägt dazu bei, daß die politische Expansion auf dem Meere auch immer eine wirtschaftliche ist, daß die Beherrschung des Meeres von der Beherrschung des Seehandels ausgeht. Ist es eine dem gesteigerten politischen Raumsinn nahe verwandte, teilweise mit ihm zusammenfallende Gabe des weiten Blicks, der großen Raumauffassung, die die Seeherrschaft entwickelt, so liegt doch nicht darin allein die große politische Kraft, sondern in der Verbindung mit der deutlichsten Erkenntnis der eigenen Interessen. Beide zusammen bilden ein schwer verständliches Ganzes, in dem bald die eine, bald die andere Seite nur uns zugewendet ist und deutlicher erkannt wird.

Die Schaffung und Erhaltung einer Seeherrschaft bringt viel mehr geistige Kräfte ins Spiel als die Beherrschung großer Länder und erneuert sie unablässig. Sie kann nicht bloß das Werk eines einzelnen und auch nicht einer Armee sein. Zahlreiche Kühne, Unternehmende, Weltkundige, Verschlagene helfen dazu. Dadurch wird die Seebeherrschung die beste Schule großer, viele Kräfte verbrauchender Völker. Welchen Vorsprung gab den italienischen Seestädten in der Zeit der Kreuzzüge ihre See- und Weltkunde! Der in Tätigkeit gesetzte Geist schweift dann auch auf andere Gebiete über, so wie man von den Eleaten gesagt hat, daß dieselbe Kühnheit, die sie in die inselarme Westsee führte, auch auf den Ozean des reinen Denkens sie habe hinaussteuern lassen. Gelingt das Werk, dann fällt von den reichlich zufließenden Schätzen auch der Wissenschaft und der Kunst ihr Anteil zu. Die Blüte Athens in Kunst, Wissenschaft, Handel und Politik ist zwar nie wiedergekehrt. Aber die Stelle Venedigs, der Niederlande und Englands im geistigen Leben ist durch eine ähnliche Verbindung erhöht. Venedigs künstlerische Entwicklung, seine Stellung in der Wiedergeburt der Wissenschaft, seine schriftstellernden Staatsmänner und beispiellos kundigen Gesandten gehören wesentlich mit zu dem Bild des Hochstandes seiner See- und Handelsmacht. Und dabei kehrt in der geistigen Blüte der großen Seehandelsstädte auch immer dieselbe Besonderheit der raschen und weiten Zerstreuung der neuen Ideen und Schöpfungen über den großen, vom Schiffs- und Warenverkehr gezogenen Kreis wieder.

Die Veränderlichkeit der Seemacht ist indessen auch eines ihrer wichtigsten Kennzeichen. Das Meer gewinnt die Macht zu eigen, die das Meer sich unterwerfen will. Schon unter den Naturvölkern gibt es einige, deren ganze Existenz sich mit den Wellen verbunden hat, wie die Polynesier und manche Eskimo: ungemein weitverbreitete Völker, deren entlegenste Glieder einander ähnlich in ihrer Beziehung zum Meere sind. Schon auf dieser Stufe zeigt sich das Meer als die stärkste Naturmacht unter allen, mit denen der Mensch den Kampf aufnimmt, aber auch als die freigebigste, die, bewältigt, die reichsten Früchte bietet. Auf höheren Stufen umgeben sich kleine Gebiete mit maritimen Machtsphären, in denen sie verschwinden; da ruhen die Grundlagen ihrer Größe nicht mehr im Boden, sondern schwimmen auf dem Meer. Ein Sturm, der eine Armada zerstreut, erschüttert diese Grundlagen bis zum jähen Zusammensturz. Die Leichtigkeit des Erwerbes politischen Einflusses und Besitzes in entlegenen Ländern und seiner Erhaltung ohne großen Machtaufwand hat die mit dem Meere sich verbündenden Mächte immer zu raschen Erfolgen geführt. Nicht bloß die natürliche Beschränkung auf Inseln und Küsten schafft frühentwickelte und frühgeschlossene Gebiete, sondern auch die Möglichkeit, politische Macht unter Vernachlässigung weiter Landgebiete zu erwerben. Die Hansa, die Niederlande bieten naheliegende Beispiele. Das Sprungweise, Überraschende in der Entwicklung der Seemächte zeigt sich in dem raschen Fortschritt der kaum in die Westsee gelangten Griechen zur Gründung von Niederlassungen an der Küste Iberiens gerade so, wie in der fast rätselhaften Verbreitung der Engländer in dem Jahrhundert 1550–1650 an allen Küsten der Erde.

In dieser raschen Ausbreitung liegt die Plötzlichkeit der Konflikte der Seemächte und der Trieb, sie im Sinne der Alleinherrschaft zu beenden. Sobald das friedliche Nebeneinanderwirken verschiedener Seemächte in demselben Meere einem Kriegszustände Platz gemacht hat, muß sich die eine Partei die Herrschaft über das ganze Meer sichern. In Friedenszelten wird in der Enge ihres Raumes die Landmacht, besonders in Verkehrsfragen, monopolistischer als die Seemacht; in Kriegszeiten ist dagegen das Ziel der Seemacht die Alleinherrschaft. Die Beherrschung des Mittelmeeres war das nächste Ziel des Kampfes zwischen England und dem Frankreich Napoleons I. Besonders im Hinblick auf Transporte, die jede überseeische Unternehmung verlangt und die auch von kleineren Flottenabteilungen gestört werden können – Napoleons Zug nach Ägypten 1798 gelang nur durch kleine Zufälle, die den Franzosen günstig waren –, strebt der Seekrieg, die feindlichen Flotten vom Meere »wegzufegen«. Das Nächstliegende Mittel, die Zerstörung der feindlichen Schiffe, ist ja viel leichter anzuwenden und wirkt im Augenblick gründlicher als die Eroberung eines feindlichen Landes. Der Seeraub in allen Formen ist eben darum ein so gutes Mittel, aus der Seeherrschaft ein Monopol zu machen.

Das Aufkommen Athens als Seemacht griff Korinth am tiefsten Lebensnerv an. Und so war für Athen die Entstehung einer peloponnesischen Seemacht ein unerträglicher Gedanke. Als Milet, die Mutter von 80 Pflanzstädten, sich im Norden des Ägäischen und im Schwarzen Meere ausbreitete, wurde die Ausbreitungstendenz der Schwesterstädte in andere Richtungen gedrängt. So ging damals Phokäa in der chalkidischen Schiffahrtsrichtung westwärts und gründete Massilia.

Diese großartige Veränderlichkeit der Träger der Seeherrschaft bedingt, daß es immer in der Weltgeschichte Momente gab, wo überhaupt nur noch eine Kriegsflotte und eine Seeherrschaft übrig war; so nach der Zerstörung Karthagos und nach dem Sturze Napoleons.

Im Konflikt mit einer Landmacht sind dem Angriff einer reinen Seemacht früh Schranken gesetzt. In der kontinentalen Kriegsführung der Engländer im Spanischen Erbfolgekrieg trat besonders in den Niederlanden immer wieder die Unlust der Engländer zutage, sich von ihren Seeverbindungen zu trennen, was wesentlich zur Unwirksamkeit ihrer an sich unbeträchtlichen Hilfe beitrug. Holland hat sein Landheer immer als etwas Fremdes behandelt, es hat es nur einmal, 1704, auf 160 000 Mann gebracht. Daher hat sich die körperliche Tatsache der Nachbarschaft einer Landmacht in der Politik oft soviel stärker erwiesen als die Fernwirkung der stärksten Seemacht. Die Leichtigkeit des Verkehrs zur See will ja manchmal vergessen machen, daß die Entfernung ein Widerstand ist; doch der Gang der politischen Ereignisse erinnert daran, daß sie das immer bleibt.

Ein nicht kleiner Teil der weltgeschichtlichen Völkererziehung liegt im Kampf mit dem Meere. In diesen Kampf treten immer mehr Menschen und neue Völker ein, er breitet sich über immer mehr Küsten aus. Aber auch seine Früchte verteilen sich immer weiter. Der noch im Anfang unseres Jahrhunderts schroffe Gegensatz zwischen den Land- und Seemächten Europas hat sich durch die Schaffung von Kriegsflotten in allen ans Meer grenzenden Staaten ausgeglichen.

Es liegt auf der Hand, daß die günstigsten Bedingungen für die Festhaltung einer großen Macht mit geringen Mitteln sich vor allem auf Inseln verwirklichen. Festlandstreifen am Meere können bei dem allgemeinen Drängen der Staaten und des Verkehrs zum Meere niemals in Abgeschlossenheit verharren. Die Wellen der Verkehr und Macht suchenden Tendenzen überfluten sie. Daher war das Schicksal der Hansa ein ganz anderes als Englands und selbst Dänemarks. Alle Seemächte streben nach Gewinnung der Stützpunkte in Inseln und Küstenstrichen. Dabei kommt es ihnen in erster Linie nur auf Land an. Ist das Land bewohnbar oder selbst fruchtbar, dann nur um so besser. Aber die Hauptsache ist Ankergrund und ein Stück trockener Boden für Kohlen- und Proviantlager und Zisternen. Für den Staat haben sie durch dieselben Eigenschaften Wert, durch die sie für den Schiffbrüchigen Wert erhalten: als Stück Küste und trockenes Land. Aber sehr nahe liegt die Gefahr der Beladung mit politisch nutzlosen Gebieten , außer allem Verhältnis zu dem Mutterlande, die allzu leicht dessen Gleichgewicht ins Schwanken bringt. Der vielgeschmähte Landhunger dieser Staaten ist keine Laune, sondern Ergebnis ihrer landarmen Lage und Entwicklung. Soweit die Seemacht in das Land hineinwirken kann, wird sie immer darauf hinwirken, möglichst viel Land dem Meere tributär zu machen. England wird immer den Seehandel, die Seehäfen und zuletzt die von der See ins Land hineinführenden Eisenbahnen begünstigt sehen wollen, z.B. in Kleinasien Smyrna und seine Eisenbahnen vor dem Anatolischen Netz. Es war der große Fehler Österreichs , daß es bei den ersten Eisenbahnbauten in der europäischen Türkei diesen Punkt übersah und zuließ, daß »Einfallbahnen« vom Ägäischen Meere nach Thrakien und Makedonien früher gebaut wurden als Verlängerungen seiner eigenen Linien in dieses Gebiet hinein. Auch dieses Zuspätkommen der Landmacht ist keineswegs zufällig; die Seemacht bringt von vornherein den weiteren Blick, die größere Raumauffassung mit und die wirtschaftlichen Interessen ihres Landes sind ihr näher.

Die ozeanische Seite einer Landmacht mag noch so groß sein, es wechseln doch naturgemäß in ihrer Geschichte kontinentale und ozeanische Perioden. Die kontinentale Ausbreitung ist einfacher als die ozeanische, die nur bei Inselstaaten geboten ist. Eine Landmacht braucht, um Seemacht zu werden, eine Anzahl von technischen Vorrichtungen. Sie sind oft in kurzer Zeit zu treffen, geraten aber auch leicht in Verfall. Wo nicht der Seehandel vorarbeitet, ist es eine langwierige Sache. Napoleon gelang es nicht, sein kontinentales Land in eine Seemacht zu verwandeln.

In einem Land, welches eine kontinentale und eine ozeanische Seite hat, wird der Unterschied viel merklicher. Da verlegt sich wohl das Gewicht bald hier-, bald dorthin. Jedesmal, wenn Frankreich sich auf seine mediterranen oder atlantischen Interessen besinnt, fühlen seine kontinentalen Nachbarn sich erleichtert. Tatsächlich hat der Versuch Frankreichs, in Mexiko oder im südlichen Nordamerika Einfluß zu gewinnen, die Einigung Deutschlands und Italiens erleichtert, und die alles umstürzende Überschwemmung Europas durch Frankreich unter Napoleon I. ereignete sich in der Periode absoluter Verdrängung vom Meere durch England. Der Zerstörung der französischen Seemacht bei Trafalgar und Abukir folgten die Vernichtungen kontinentaler Heere durch die französische Landmacht bei Austerlitz, Jena, Wagram.

In Deutschlands Lage ist die Forderung enthalten, daß es immer ein solches Gleichgewicht zwischen seinen Land- und Seestreitkräften aufrechtzuerhalten suchen muß, daß es seine Stellung in Mitteleuropa nicht zu schwächen braucht, um stark zur See zu sein, vielmehr die eine durch die andere stärken muß.

Diese Verbindung von Seemacht mit Landmacht unterliegt dem Gesetze der reinen Seemacht, wenn sie sich auf Land stützt, das nur zur See erreicht werden kann . Landverbindungen auf dem Meere sind schwankend und vergänglich. Die echte Landmacht ruht dagegen auf einem Landbesitz, dessen breite und feste Masse nur dann gelockert wird, wenn feindliche Eroberung in denselben eindringt. Darin liegt der große Gegensatz des Britischen und des Russischen Reiches, daß das eine nur denkbar ist, wenn seine Flotte das Meer beherrscht, während das andere die Flotte nur zur Erleichterung und Sicherung von verhältnismäßig untergeordneten Verbindungen nötig hat.

Das Ideal einer großen Politik, der einzigen, die die Gründung einer Weltmacht anstreben kann, liegt in der Verbindung der kontinentalen und ozeanischen Motive . Das Weiträumige, Umfassende ist beiden gemein, und wir haben gesehen, wie notwendig einer Seemacht, die ihre Wege lange genug standhaft verfolgte, Landbesitz zufällt. Die Verhältnisse liegen freilich nicht oft so günstig wie im Mittelmeer.


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