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Bindung und Wechselwirkung von Blut und Boden

In der Entwicklung der Kultur sehen wir das Volk wie ein organisches Wesen immer inniger mit dem Boden sich verbinden. Die Arbeit der einzelnen zieht von Generation zu Generation den Boden immer mehr in die Entwicklung des Volkes hinein. Am meisten trägt dazu der Ackerbau bei, der vor allem das Volk auf dem gleichen Raum sich vervielfältigen und damit die Zahl der Wurzeln sich vermehren läßt, die das Volk in den Boden senkt. Dadurch erhebt sich das Ackerbauvolk über die Völker der Jäger und Hirten. Insofern aber Jäger und Hirten nicht freiwillig ihren nur auf bestimmtem Boden, in Steppe, Wald, am Meeresufer möglichen Beschäftigungen entsagen, wollen auch sie nicht minder an ihrem Boden festhalten. Nur wurzeln sie nie so tief.

Auf höheren Stufen der Kultur, wo die Jäger- und Hirtenvölker aus den Ackerbaugebieten verdrängt sind, kommt der Unterschied zwischen Bauern und Bürgern, Land- und Stadtbewohnern in den Vordergrund. So fällt uns in unseren nächsten Umgebungen als eine der wichtigsten Tatsachen des Völkerlebens die Festigkeit ins Auge, die jedem Volkstum der Ackerbau gewährt. Er setzt die Umfassung eines beträchtlichen Stückes Land durch jeden einzelnen Bauern und die vom abschleifenden Verkehr entfernte Selbständigkeit des Wohnens und Lebens jedes einzelnen voraus. Daher die Widerstandskraft, die in den Nationalitätenkämpfen überall die bäuerlichen Gebiete im Vergleich mit den städtischen bewähren.

Damit hängt das im Völkerleben so oft umstrittene Recht auf ein Gebiet zusammen. Dieses Recht ist im Grunde nichts als die Macht des Besitzes, verstärkt durch Arbeitsleistungen auf diesem Boden. Dem Volk, das früher seine Verbindung mit einem Boden festzumachen weiß, erteilt die Geschichte die Gewähr des Bestandes auf diesem Boden.

In der Entwicklung der Völker sehen wir Erdräume, die in der unablässigen Bewegung das Bild der Ruhe oder wenigstens des Zurruhekommens darbieten, während andere der Sitz der Unsicherheit, der Unruhe, des in beständiger Verschiebung Begriffenseins sind.

 

Zugehörigkeit zur Alten Welt, zu Europa, zu den Meeren, zu den Nachbargebieten, die Nähe der Alpen: dies alles sind Quellen der Eigenschaften, die Deutschland als einem Naturgebiet zufließen. Die vorauseilende Entwicklung der Inseln, Halbinseln, Talgebiete zeigt die Wirkung der von Natur gesetzten Raumschranken. Doch ist über ihnen nicht zu vergessen, daß, so wie jeder Staat, auch jedes Volk das Gebiet, in dem sich irgendein Teil seiner Entwicklung abspielt, zu seinem Naturgebiet macht und daß es, ob von Natur abgegrenzt oder nicht, als ein Ganzes auf das Leben dieses Volkes einwirkt, solange es von diesem Volke bewohnt und festgehalten wird.

 

Ein Naturgebiet hat einen anthropogeographischen Wert gegenüber allen Bewohnern, die von ihm Besitz ergreifen mögen, und es gewinnt dann einen weiteren Wert für bestimmte Bewohner, den diese, die auf ihm ihre Wohnsitze aufgeschlagen haben, ihm beilegen. Man kann insofern von objektivem und subjektivem Wert sprechen. Der objektive Wert des Gebietes liegt in allem, was für den Menschen auf irgendeiner Stufe der Kultur dienlich ist. Er liegt in der Lage, im Raum, in der Begrenztheit und in allen anderen geographischen Eigenschaften, die sonst dieses Gebiet noch aufweist; er liegt besonders auch in der Gesundheit, in dem Nahrungsertrag, in dem Schutz, den es von Natur beut. Dieser Wert steigt nun überall um so höher, je weiter sich ein Gegenstand von seiner Umgebung abhebt. Die Insel im Meer, die Oase in der Wüste, der Wald in der Steppe, das Tal im Gebirge sind bevorzugte Naturgebiete. Sie verdichten und bereichern ihre Bewohner und machen, daß diese fester an ihnen halten.

Die politische Geographie hat besonders viel mit diesen Weltabstufungen zu tun, da ja die praktische Politik in ihrer richtigen Schätzung eine Hauptgewähr ihrer Erfolge sehen muß.

 

Die Lage ist der inhaltreichste geographische Begriff. Das Übergewicht der Lage über alle anderen geographischen Tatsachen im Völkerleben zwingt dazu, die Erwägung der Lage allen anderen vorangehen zu lassen.

Ein Volk hat immer eine zwiefache Lage, eine natürliche Lage und eine Nachbarlage .

Je stärker die natürliche Lage, desto selbständiger ist das Volk. Die Inselvölker und Gebirgsvölker tragen die Stärke ihres Naturbodens in ihrem Charakter. Je stärker die Nachbarlage, desto abhängiger ist das Volk von den Nachbarvölkern, desto kräftiger kann es unter Umständen auf sie zurückwirken.

Die zentrale Lage und die peripherische Lage setzen einander voraus und ergänzen einander. Ein Volk wohnt im Innern eines Erdteils, einer Insel, deren Ränder von anderen Völkern bewohnt sind, oder es ist in irgendeiner Naturlage ganz von anderen Völkern umgeben.

Die Völkergeschichte und Völkerverbreitung bringt eine Masse von Tatsachen, die man als Erscheinungen der Reaktion zwischen der Peripherie und dem Innern zusammenfassen kann.

 

Der Unterschied zwischen vielseitiger und einseitiger Geschichtsentwicklung beruht auf der Berührung eines Volkes mit seinen Nachbarn. Außer dem mächtigsten Nachbar wird aber etwas Bleibendes, nämlich die Richtung nach der höheren Kultur und nach dem Sitz der gewichtigsten Wirtschaftsinteressen hin, einer bestimmten Seite eines Landes ein größeres Gewicht zuerkennen lassen, wie denn unzweifelhaft für alle europäischen Völker die Westseite, als die dem Meere und den kulturlich und wirtschaftlich blühendsten Ländern Europas zugewandte Seite heute die geschichtlich wichtigste ist [»heute«, d. h. hier: noch um die Jahrhundertwende].

[Das Versagen des europäischen Westens vor den großen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Ordnungsaufgaben, die sich aus den völkischen und sozialen Problemen der Gegenwart ergeben, hat der deutschen Mitte und ihrer Führungsaufgabe gegenüber dem östlichen Mitteleuropa entscheidendes Gewicht verliehen. D. Hrsg.]

 

In großen Gruppierungen um ein ausstrahlendes Zentralgebiet, wie Assyrien und Babylonien, oder um das Mittelmeer oder in einem ganzen Erdteil gibt es naturgemäß immer ein Innen und Außen. Mit Bezug auf die Ökumene könnte man sogar von Innen- und Außenseite selbst der Kontinente sprechen, wobei freilich sogleich hervorgehoben werden muß, daß auch diese Begriffe dem Wandel der Zeiten unterworfen sind.

 

Es gibt Völkergebiete, deren Form bezeichnend ist für Wachstum, Ausdehnung, während andere auf den ersten Blick den Rückgang erkennen lassen. Ein kräftiges Völkerwachstum umfaßt alle in seinem Bereich liegenden Vorteile oder zeigt das energische Streben, sich ihnen zu nähern. Allerdings sieht nicht jedes Volk seinen Vorteil in denselben Eigenschaften seiner Umgebung. Umgekehrt ist das Merkmal des Rückganges eines Volkes immer das Zurückgedrängtsein von den Orten, die gerade für dieses Volk wertvoll sein müssen.

[Die Grenzen und Wehrverbotslinlen, die dem Deutschen Reich im Diktat von Versailles aufgezwungen wurden, sind ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie ein großes Volk von allen natürlichen Wehrgrenzen, von seinen Strömen und Verkehrsknotenpunkten, von seinen wichtigsten grenznahen Industriegebieten und Kornkammern verdrängt und zu einem Rückbildungsprozeß gezwungen werden sollte. D. Hrsg.]

 

Jedem engen oder geteilten oder randweis gelegenen Völkergebiet gegenüber ist die Frage berechtigt, ob es durch Rückgang, Einengung und Zerreißung entstanden sei. Solche Entstehung anzunehmen, kommt meistens der Wahrheit am nächsten.

 

Von den 510 Millionen qkm der Erdoberfläche muß jede Betrachtung geographischer Räume ausgehen.

Der Erdraum ist die erste und unveränderlichste Bedingung erdgebannten Lebens. Man kann sich ein Volk in diesen und jenen Raum denken, für die Menschheit gibt es nur den einzigen Erdraum. Das erste und größte der biogeographischen Raumprobleme ist daher das Verhältnis des Lebens zum Raum der Erde.

Den Lebensraum zu bestimmen, den die Erde in einem Zeitpunkt bot, oder auch nur zu schätzen, wird man als eine wichtige Aufgabe anzusehen haben, nicht nur weil von diesem Raum die Menge des Lebens abhängt, sondern auch wegen der Vermehrung der Anlässe zur Differenzierung, die mit jeder Raumvergrößerung gegeben sind.

So wenig wir aber ein Volk verstehen, wenn wir nicht über sein Wohngebiet hinaus sein Wirkungsgebiet betrachten, so würden wir die Menschheit nicht verstehen, ohne das über ihr Wohngebiet hinaus die ganze Erde umfassende Wirkungsgebiet als ihre Erde zu erfassen.

Die Zugehörigkeit zu einem kleinen Erdteil, wie Europa oder Australien, gestattet den einzelnen Völkern keine so große Ausdehnung wie die Zugehörigkeit zu einem großen Erdteil, aber eine verhältnismäßig größere Mannigfaltigkeit der Lage, deren natürliche Bedingungen sich nicht so oft wiederholen können, und eine ausgedehntere Teilnahme der Einzelländer an der Peripherie, hinter der die zentralen Gebiete zurücktreten, so daß es in Europa ein zentrales Gebiet wie in Innerasien oder Innerafrika nicht geben kann.

Das Wachstum der Völkergebiete ist nicht ein einfaches Aneinanderlegen und darauffolgendes Verschmelzen von kleinen Gebieten, aus denen auf diese Weise gleichsam mechanisch große zusammenwachsen. Es ist vielmehr ein Überwachsenwerden kleinerer.

Unabhängig von der Wachstumskraft eines Volkes besteht überall auf der Erde eine Wechselbeziehung zwischen Raum und Dauer und Raum und Selbständigkeit. Je größer ein Raum ist, desto freier mag sich irgendein Glied der Menschheit darauf entfalten, und desto weniger hat es Zurückdrängung zu fürchten; aber desto häufiger werden auch die Anlässe zur Berührung mit anderen Gliedern.

Die Gesetze des räumlichen Wachstums der Völker sind im allgemeinen dieselben wie die des räumlichen Wachstums der Staaten.

Das Wachstum eines Volkes wird immer stetiger sein als das Wachstum eines Staates, und daraus folgt die wichtige Regel, daß ein Staat um so kräftiger und dauerhafter ist, je mehr sein Wachstum mit dem Wachstum seines Volkes Schritt hält, und je besser daher sein Gebiet sich mit seinem Volksgebiet deckt.

Für ein wachsendes Volk wird immer die Zeit kommen müssen, wo es diese Schranke durchbricht. Das größte Beispiel der Abschließung eines Volkes in politischen Grenzen wird immer Japan mit seiner künstlichen Einkapselung von 1634 bis 1854 bleiben; aber daß die Japaner auch ohne die gewaltsame Erschließung durch die Westvölker ihrem Wachstum hätten Luft machen müssen, zeigt das leidenschaftliche Bedürfnis nach neuen Kolonisations-, d.h. Wachstumsräumen, von dem Japans moderne Politik erfüllt ist.

Die Entwicklung einer Kultur kann in einem engen Gebiet sich vorbereiten und aus ihm heraus zu großer Macht gelangen. Eine Kulturentwicklung wird aber nicht so lange in enge Grenzen gebannt bleiben können wie eine politische.

Die Kultur kann nicht auf die Dauer auf ein enges Gebiet und ein einziges Volk beschränkt werden. In ihrem Wesen liegt es, daß sie sich ausbreitet, denn ihre Träger sind bewegliche Menschen, und ebenso erstreckt sie ihre Herrschaft über Menschen, die nie so unfähig sind, daß sie nicht einen Teil dieser Macht vorübergehend selbst ausüben könnten.

 

In allen auf Völkerursprung gerichteten Forschungen muß dem Raum Rechnung getragen werden, den das Leben braucht, um sich zu entwickeln. Je mehr Unterschiede ein Lebensgebiet umschließt, um so mehr Raum hat es gebraucht, wo Unterschiede sich herauszubilden und zu erhalten vermachten. Wie oft wurde die einfache Tatsache übersehen, daß auch die Entwicklung eines Sprachstammes insofern eine streng geographisch bedingte Tatsache ist, als er des Raumes bedarf, um sich zu entfalten.

Je älter die Völkermerkmale sind, je tiefer sie reichen, um so weiter sind sie in der Regel verbreitet. Rassenmerkmale umfassen daher größere Gebiete als Sprachenmerkmale . In der Verbreitungsweise der Rassen und Völker liegt es daher, daß die großen Ausbreitungen in kontinentalen und ozeanischen Gebieten ebenso sicher auf Rassenfragen treffen, wie die Ausbreitung in engeren Räumen Sprachenfragen schafft.

Die Bildung von räumlich großen Völkern konnte auf der Erde immer nur durch den Zusammenschluß von Bruchstücken verschiedener Rassengebiete vor sich gehen. Da nun solche Verbindungen nie ohne Mischung der Rassen entstehen, auch wenn eine schwächere Rasse ausgerottet oder verdrängt wird, so sind die größten Staaten- und Völkergebiete das größte Mittel zur Ausgleichung der Rassenunterschiede. Die spanischen und russischen Kolonien liefern dafür die schlagendsten Beispiele.

Je größer der Raum, desto ausgedehnter die vor Erstarrung schützende Berührung. Die ausgebreitetsten Völker haben die mannigfaltigsten Beziehungen. Ist der Boden, der ihren Raum erfüllt, ihrem Wachstum günstig, dann entwickelt sich ein entsprechend ausgedehntes, in mannigfaltigen Formen sich äußerndes Übergewicht. Es ist eine allgemeine Lebenstatsache. So wie den wachsenden Völkern der Raum Kraft bringt, beobachten wir auch in der Biogeographie, daß z.B. die Tierwelt der Norderdteile mit ihrem größeren Raum die der Süderdteile zurückdrängt, und so sehen wir die den Norderdteilen angehörigen Rassen und Völker sich überall auf der Erde über die Süderdteile ausbreiten.

Ein weiterer Vorteil, der im Kampf um Raum errungen wird, ist die Verminderung der inneren Reibung. Erweitern sich die Kampfplätze im Fortschritt der Kultur nach dem Gesetz des räumlichen Wachstums der Staaten und Völker, so werden die Kampfgebiete immer weiter hinausgerückt, die Kämpfenden auseinandergezogen, die Zahl der Kämpfe vermindert.

Die Wohngebiete der Völker sind nicht mit den Völkergebieten zu verwechseln. Es würde darin von vornherein ein Widerspruch gegen die in der Natur der Völker liegende Beweglichkeit und Fernwirkung gesehen werden müssen; außerdem würden wir uns aber mit einer solchen Auffassung auch das Verständnis des Wohngebietes beschränken.

 

Der weite Raum verleiht den Lebensformen, die sich über ihn ausbreiten, den Schutz seiner Entfernungen, die im Kampfe mit anderen Lebensformen den Angriff erschweren und die Verteidigung erleichtern. Deswegen sehen wir in dem Wettbewerb starker und schwacher Völker die schwachen rascher vergehen in engen Räumen, wo kein Ausweichen möglich ist.

In allen Räumen wirkt aber auch die Verteilung eines Volkes dadurch, daß, wenn das Volk dicht und gleichmäßig über den Raum verbreitet ist, es fester an seinem Boden hält, als wenn es dünn und ungleichmäßig wohnt. Da nun ein enger Raum leichter in dieser Weise zu erfüllen ist als ein weiter, liegt darin einigermaßen ein Ersatz des Schutzes, den ein weiter Raum gewährt.

Die Weite des geographischen Horizontes beeinflußt das Urteil und den Willen der Volker, indem sich an seinen Maßen die Maßstäbe für die Räume bilden, die zu bewältigen sind. Auf allen Stufen der Kultur beobachten wir die Unlust der Völker, ihre Grenzen hinauszurücken. Die Vorteile der engräumigen Gebiete sind sogar philosophisch bei den alten Griechen begründet worden, die aus ihren mächtigen Kulturleistungen wesentlich darum keine politische Größe aufzubauen vermocht haben, weil sie aus der in der Natur ihres Landes liegenden Engräumigkeit sich nicht frei machten.

Auf niederen Stufen der Kultur braucht das Volk die Abschließung zur Herausbildung seiner Persönlichkeit, da ihm die inneren Quellen, aus denen später das Nationalgefühl schöpft, noch nicht reich genug fließen. Das Naturvolk braucht den engen Raum, in dem es sich abschließen und ganz übersehen kann, um seiner selbst bewußt zu werden und zu bleiben. Ein Gebirgsvolk wird nicht ohne Schaden sich eine weite Ebene aneignen, ein Waldvolk nicht in die freie Fläche hinaustreten, in welcher es von der Stärke einbüßt, die die Natur des Gebirges, des Waldes ihm verleiht.

Enge Räume verdichten die Bevölkerung, weisen früh die Menschen aufeinander hin, befördern ihr Zusammenwirken und das Aufeinanderwirken ihrer Kulturelemente, woraus eine frühere Reife der Kultur entsteht, die dann mit Macht aus ihrem engen Raume in die Weite hinausstrebt. Die in demselben Prozeß zusammengefaßte politische Energie unterstützt diese Ausbreitung, und so sehen wir auf Inseln, in Oasen, auf Küstenstreifen, in Gebirgstälern kleine Völker in Abgeschlossenheit zu einem familienhaften Stammes- oder Nationalbewußtsein erwachsen, um unter günstigen Bedingungen ihre gesammelte Volkskraft zur Wirkung über einen größeren Raum auszubreiten.

Ein gewöhnlicher Weg kleinräumiger Verbreitung ist die Städtegründung , die im Schutze der Mauern und Tore, oft verstärkt durch die natürliche Festigkeit der Lage, kleine, selbst verschwindend kleine Völkerbruchteile unter Fremden ansiedelt. Gerade der Schutz, den man durch die Zusammendrängung anstrebt, verbietet, den kleinen Raum der Stadt über das Notwendigste hinaus auszudehnen. Daher die den Deutschen in fast allen Ländern des Ostens verhängnisvolle Beschränkung der Ansiedlungen auf zerstreute kleine Städteräume. Ein Ring deutscher Landbesiedler, wie er Olmütz, Brünn, Iglau, Budweis umgibt, ist dort selten, und tatsächlich haben vereinzelte deutsche Städte in Böhmen schon in den Hussitenkriegen ihr Volkstum eingebüßt.

[Die gleiche Gefahr bedrohte die nach dem Verlust ihres Grundbesitzes auf die Städte zusammengedrängten Deutschen der baltischen Gebiete. Ihre Zurücknahme ins Reich und ihre Verbindung mit bäuerlichen deutschen Siedlern zieht die Konsequenz aus dieser Lage. D. Hrsg.]

Alle Völker, denen die Aufgabe wurde, sich über große Räume auszubreiten, haben im Kampf gegen »die Minderung der Macht, welche die Entfernungen der Erdoberfläche von Natur aus besitzen«, eine große Raumauffassung in ihren Geist aufgenommen.

Diese große Raumauffassung, die bei den Hirtennomaden nur eine durch die größere Bewegungsfähigkeit und Masse der Herdentiere verstärkte rohe Kraft ist, nimmt bei den Vertretern höherer Kultur alle Errungenschaften der Wissenschaft und Technik in sich auf und wird auch bei Völkern, die auf engem Raume wohnen bleiben müssen, eine notwendige Eigenschaft der Kulturstufe.

Jedenfalls ermutigt der neue und weite Raum zu Neuerungen, die alte eingezwängte Völker sich nicht gestatten können.

 

Eine Wissenschaft der Entfernungen ist eines der ersten Erfordernisse der Geographie als Wissenschaft der räumlichen Anordnungen auf der Erdoberfläche.

In der politischen Geographie werden die Entfernungen vor allem in der Wechselwirkung zwischen Mittelpunkt und Peripherie sich wichtig erweisen. Wer möchte aber die zahllosen Fälle aufzählen, in welchen moralische oder geistige Mächte über Entfernungen hin wirken und durch die größere oder geringere Länge ihres Weges erheblich beeinflußt werden? Denn hier kommt ein Neues in den Veränderungen hinzu, welche diese geistigen Wirkungen in die Ferne erleiden, indem dieselben von ihrem Ausstrahlungspunkte sich entfernen. Sie verlieren um so mehr von ihrer ursprünglichen Stärke, je weiter sie wandern, und erleiden auch andere Veränderungen, so daß die Entfernungen eine Hauptursache der anthropologischen und ethnographischen Unterschiede der Völker sind. Mit der je nach der Kulturhöhe veränderlichen Größe dieser Abnahme hängt der verschiedene Grad des inneren Zusammenhaltes der Staaten, der große Unterschied in der Größe der Kulturkreise und Ideenkreise und der noch größere der Qualität ihrer verschiedenen konzentrischen Zonen zusammen.

[Die Veränderungen, die der Volksgedanke der deutschen Romantik bei den slawischen Völkern erfuhr, wo er zwar eine Wiedergeburt völkischer Individualitäten auslöste, aber gleichzeitig aus einem Ordnungsprinzip für das friedliche Zusammenleben der Völker in eine starre Doktrin völkischer Unduldsamkeit verwandelt wurde, können als typisches Beispiel für den Gebrauchswandel geistiger Begriffe bei Völkern verschiedener Kulturstufe angesehen werden. D. Hrsg.]


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