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Städte und Verstädterung

Für den Geographen ist eine Stadt eine dauernde Verdichtung von Menschen und menschlichen Wohnstätten, die einen ansehnlichen Bodenraum bedeckt und im Mittelpunkt größerer Verkehrswege liegt.

Das Bild der gerüsteten und gepanzerten Stadt gehört nun in Europa bald der Vergangenheit an. Solche Städte wie Rothenburg o.d.T. oder Narbonne sind für uns interessante Antiquitäten geworden. Heute geht fast jede Stadt allmählich in das Land über; die Gruppen der im Kern der Stadt dicht zusammengedrängten Häuser lockern sich auf, rücken immer weiter auseinander, werden getrennt durch Gärten, Arbeitsplätze, nicht selten auch Trümmerstätten, bis endlich Äcker, Wiesen, Weinberge und Wälder das eigentliche Land zwischen die letzten Gebäude der Stadt hineinziehen lassen. Aber diese Auflockerung geht in ganz verschiedenem Maße vor sich.

Bei ihrer Abhängigkeit vom Verkehr könnte man geneigt sein, in der Stadt nur das eigentümlich umgestaltete Mündungsende eines oder mehrerer Verkehrswege zu sehen, vergleichbar etwa den Sinnesorganen, die eigentümlich umgebildete Enden von Nerven sind. Sehen wir doch die Stadt mit dem Verkehrswege entstehen, sich zerteilen, wachsen oder vergehen. Sicherlich gibt es Städte, deren Wesen und Geschichte eine solche Auffassung rechtfertigen würde. Das sind die reinen Verkehrsstädte, die zu Verkehrszwecken begründet oder spontan durch den Verkehr entstanden sind.

Ist eine Stadt in ihrem gegenwärtigen Zustand eine größere Vereinigung von Menschen, Bauwerken und Verkehrswegen, so ist sie ihrer Entstehung nach eine Aufstauung von Menschen, hervorgerufen durch Boden von ungewöhnlicher Fruchtbarkeit oder großem Reichtum an nutzbaren Mineralien, noch öfter aber durch eine Hemmung ihrer Wege und der Verkehrswege ihrer Güter. Diese Hemmung ist in vielen Fällen natürlicher Art. Der Verkehr zu Land trifft auf das Wasser des Meeres, der Seen, der Flüsse, der Sümpfe; es entsteht ein Halt, wo er auf das Schiff, auf die Fähre, die Brücke, den Damm übergehen muß, und aus diesem Halt wird die Stadt. Ähnliche Hemmungen erleidet der Verkehr beim Übergang aus dem Gebirge in die Ebene, aus der Wüste in das Kulturland, aus dem Wald in die Steppe, und die Städte am Rande der Gebirge, der Wüste, der Wälder sind die Folgen davon.

 

Der äußere Eindruck der Städteanlage und des Städtebaues gehört zur Physiognomie eines Landes. Es gibt eine Physiognomie der Städte , in welcher wichtige Charakterzüge des Volkes zum Ausdruck gelangen, und deren Verwandtschaften mit Nutzen verfolgt werden können. Gregorovius spricht in seiner Geschichte von Athen den historischen Städten die Bedeutung »wesenhafter Porträts der Völker, die sie geschaffen haben«, zu. Die deutsche Stadt mit ihren steinernen Häusern und Mauern, Kirchen, Türmen und Rathaus ist ein ganz anderes Ding als die magyarische Bevölkerungsansammlung, welche Stadt genannt wird.

Jede Stadt spricht ein Stück vom Leben ihres Volkes aus. Zugleich erinnern manche Züge an geschichtliche Beziehungen, deren Erinnerung oft nur in diesen Versteinerungen noch erhalten ist. Die Anklänge an die Lübecker Marienkirche reichen in den alten Hansestädten weit nach Osten und binnenwärts.

Die Städte der wärmeren Länder suchen in dicken Mauern und engen Straßen Schatten und Kühlung, während unter dem trüben Himmel der gemäßigten Zone sie dem Lichte sich zuwenden.

Die Kolonialstädte haben gemeinsame Züge in der bewußt regelmäßigen und breiten Anlage. Alle neueren nordamerikanischen und australischen Städte sind weiter angelegt, als das heutige und das nächste Bedürfnis will. Man baut sie für 50 000, wenn erst 1000 Einwohner sich in ihnen niedergelassen haben.

[In ähnlich großzügiger Weise arbeitet gegenwärtig Japan in Mandschukuo, wo z.B. die Hauptstadt Hsingking ln Ausmaßen angelegt wird, welche die Bedürfnisse der derzeitigen Bevölkerung um ein Vielfaches übertreffen. D. Hrsg.]

Die Städte eines und desselben natürlichen Gebietes teilen sich gleichsam in die Bewältigung der Funktionen, denen zu genügen sie berufen sind, und die geographische Lage spielt dabei eine hervorragende Rolle.

Bei dieser Arbeitsteilung fällt jeder großen Stadt ein gewisser Raum zu, innerhalb dessen diese allein die Aufgabe zu bewältigen strebt, welche ihrer Natur nach ihr zugehört.

 

Eine Zusammengehörigkeit der Städte zu Stadtsytemen ergibt sich aus ihren Verkehrs beziehungen. So wie die politischen Städte eines Reiches um den politischen Mittelpunkt gruppiert werden, gruppieren die Verkehrsstädte sich von selbst nach ihren Verbindungslinien. Es gibt Städte, die so eng durch ihre Verkehrsbeziehungen verbunden sind, daß sie schwer voneinander getrennt gedacht werden können.

Der Trieb des Verkehrs, sich von den politischen Rücksichten abzulösen, führte stets zur Entwicklung eigener Verkehrs- oder Handelsstädte, die dann, politisch selbständig geworden, an sich selbst immer zugrunde gingen, wenn sie, ihres Ursprunges uneingedenk, zu Staaten geworden waren (Karthago und Venedig!). Der Handel kann einen Staat bilden, aber nicht auf die Dauer erhalten, denn der Staat ist seinem Wesen nach auf allseitige, nicht einseitige Betätigung der Kräfte des Menschen gerichtet.

Der wachsende Verkehr zwingt Politik und Wirtschaft zusammen. Die Geschichte Roms beherrschte diejenige des römischen Reiches in dessen letzten Jahrhunderten, und dieses Reich bestand, solange Rom bestand. Wenn politische Zentren gleichzeitig Mittelpunkte des Verkehrs sind, wachsen sie weit über ihre politische Bedeutung hinaus, und die Gefahr liegt nahe, daß nach ihnen die Macht und Größe des Volkes überschätzt werde, in dessen Mitte sie liegen, weil man nicht auseinanderhalten kann, was dem Staate und was dem staatsfremden Verkehr gehört.

In politisch höher entwickelten Gemeinwesen ist eine solche Sonderung nicht durchzuführen. Die politischen und wirtschaftlichen Interessen verflechten sich zu innig. Die Hauptstädte werden ganz von selbst zu Verkehrsmittelpunkten, und die Verkehrsstädte rücken in die erste Reihe der politisch wichtigen Besitztümer des Landes.

 

Mit Vorliebe sucht sich der Handel auf Inseln seine Stätten, die sicher und zugleich dem Verkehr offen, wie die Geschichte von Tyrus und Sidon bis auf New York, Singapur, Bombay, Massaua, Sansibar und eine große Zahl anderer lehrt. Daß diese Insellagen ungemein verschieden und verschiedenartig sein können, liegt auf der Hand. New York in breiter Strommündung auf felsiger Insel ist anders als Massaua auf seinem kahlen, frei vor der heißesten Küste liegenden Koralleneiland. Einen Grad besser als dieses ist Suakin, am Ende eines tief einschneidenden Meeresarmes teils am Lande, teils auf kleiner Koralleninsel erbaut. Ganz anderen Charakter hat dagegen wieder die Lage des vom Festland durch einen breiten Kanal geschiedenen Sansibar.

In der Regel nimmt die Bevölkerung mit der Erhebung des Bodens über eine gewisse Höhe ab, und die größeren Siedlungen gehen außerdem noch den örtlichen Vertiefungen der Täler nach. Daher liegen auch in Ländern, wo Tiefland und Gebirge wechseln, die Städte gerne am Rande des Gebirges, auch wo sie Beziehungen innigerer Art mit dem Gebirge unterhalten. München und Augsburg sind als die Hauptstädte der bayrischen und schwäbischen Alpen anerkannt, sie liegen aber einen Tagemarsch vom Fuß des Gebirges entfernt. Die Hauptstädte der Gebirge liegen in den Ebenen. An der Isar liegt oberhalb Münchens überhaupt keine Stadt mehr, sondern nur noch der Marktflecken Tölz, an der Aller ist Immenstadt die letzte Stadt, am Rhein nimmt Chur diese Stelle ein. Eine Linie Lindau–Kempten–Kaufbeuren –Rosenheim–Innsbruck–Bregenz umschließt den städtelosen, zugleich dünnst bevölkerten und verkehrsärmsten Teil der deutschen Alpen.

Die Gründung und der Besitz von Städten gehört zu den Merkmalen der Kultur , deren höchste Blüte in den Städten entsprießt. »Es ist ein Ungeheuer, eine große Stadt! Eine Weltstadt ist das künstlichste Produkt der Geschichte, es ist die allerkünstlichste Frucht, welche die Erde trägt, das verwickeltste Gebilde der Zivilisation eines Volkes« (Karl Ritter). Der Zusammenhang zwischen Städten und Kultur liegt in der Dichtigkeit der Bevölkerung und der Stärke des Verkehres. Aber auch die Beständigkeit und Dauer der Kultur und die Größe und Sicherheit ihrer politischen Entwicklungen gehört dazu. Anderseits bedarf nichts so sehr gemeinsamer, zusammenwirkender Arbeit als die höchste Kultur, weshalb die Städte als Herde der Bildung und großer, auf Arbeitsteilung beruhender Gütererzeugung über alle anderen Wohnplätze der Menschen hervorragen.

Ganze Völker neigen zum Städtewohnen, sowie einzelne nur in großen Städten sich entfalten mögen, und ein Bruchteil jedes Kulturvolkes wohl oder übel Stadtvolk ist; dieselben entwickeln die Kunst des Städteplanens und -bauens und durchdringen ihre sozialen und politischen Einrichtungen mit städtischen Anschauungen. Ganz natürlich sind dies vor allem die Völker, welche in ihrer Gesamtheit sich zum Organ des Handels und Verkehrs gemacht haben: Phönizier, Griechen, Venetianer, die Hansa, Städtevölker und Städtemächte, deren Kolonien immer in günstiger Verkehrslage angepflanzt und städtisch ausgebaut wurden.

Der Deutschamerikaner bleibt Farmer, wenn es den Angloamerikaner längst zur Stadt gezogen, der Bur meidet in Südafrika die Stadt, die der Engländer aufsucht. Das schafft in einem und demselben Lande den Gegensatz des städtebauenden, städtebewohnenden und des städtemeidenden Volkes. Die Sachsen Siebenbürgens, die Deutschen der Ostseeprovinzen standen als Stadtbürger den Bewohnern des flachen Landes gegenüber. Ganz besonders erfreute sich überall in Neuländern jenseits des Ozeans das kolonisierende Europäervolk der Städteentwicklung.

 

Ähnlich wie die Wohnplätze sind die Wege in zwiefachem Sinne Gegenstände der geographischen Darstellung. Sie sind Tatsachen der Erdoberfläche und sie sind zugleich Symbole der Beziehungen zwischen entlegenen Gruppen von Menschen.

Die Wege geben in ihrem Zustande und ihrer Häufigkeit einen der besten Kulturmaßstäbe ab. Kaum gibt es einen sichereren Beleg für das Herabsteigen Chinas von seiner Höhe unter den ersten Mandschukaisern als den Verfall der Straßen und Kanäle.

Die Wege sind eines der mächtigsten Mittel der Kulturentwicklung. Daher ihre überragende Bedeutung bei jüngeren Völkern.

Wo auf niederen Stufen der politischen Entwicklung die Begriffe Staat und Volk sich mehr decken als auf höheren, wird dadurch die Völkerverbreitung beeinflußt, und wir sehen Verkehrsvölker sich herausbilden, welche die lohnenden Funktionen des Verkehres auf ihre Länder zu konzentrieren suchen.

 

Zu den Spuren, die der Mensch von seinem Dasein der Erde läßt, gehören die von ihm den Orten beigelegten Namen . Sie gehören dem Wortschatze an, heben sich aber für den Geographen durch ihre enge Verbindung mit natürlichen Örtlichkeiten, mit Ortschaften, die der Mensch geschaffen, oder sonstigen mit dem Boden zusammenhängenden Werken seiner Hand weit über alles andere Sprachliche.


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