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Raum – Einflüsse auf Völkerschicksale

Meere und Ströme

In der Küste berührt sich das Land mit der großen Wassermasse des Meeres. Diese Berührung ist Abgrenzung und Vermittlung zugleich, doch immer eines mehr als das andere. Erst Schranke, dann Schwelle , und zwar Schwelle zum Eintritt in die Bahn, auf der die Erdumfassung der Menschheit allein erreicht werden konnte: Dies bezeichnet die beiden großen Richtungen, in denen die Küsten geschichtlich bedeutsam geworden sind. Die erste ist immer die mächtigste gewesen. Immer haben sich mehr Völker des Schutzes der Küste erfreut, als der Aufforderung zum Überschreiten dieser Schwelle gefolgt sind. Auch heute finden wir noch beide Richtungen nebeneinander.

 

Der Gegensatz zwischen Küsten- und Binnenvölkern zeigt sich in tiefergehenderen Rassen- und Stammesunterschieden, die größtenteils auf Zuwanderungen aus verschiedenen Richtungen zurückführen.

Überall, wo seefahrende Völker die Meere durchfurchen, erzeugt sich dieser Gegensatz von Binnenvölkern und Küstenvölkern, und die Geschichte manchen Landes bewegte er vor allen anderen.

Seewärts gerichtete Völkerbewegungen sind überall von großer Wichtigkeit und Ausdehnung.

 

Weiter ist es dann für den geschichtlichen Wert der Küsten wichtig, ob sie Inseln gegenüber liegen oder nicht. Küsten inselarmer Meere werden eine spätere Entwicklung haben als Inselküsten. Die Formen der Küste selbst wirken in ähnlichem Sinn, wie die Lage zu benachbarten Inseln, indem sie mehr oder weniger beziehungsreiche Lagen schaffen. Inselreiche Küsten gleichen gegliederten Küsten mit gebrochener Küstenlinie, insellose ungegliederten Küsten mit vorwiegend gerader Küstenlinie.

Vor allem ist zu unterscheiden die Zugehörigkeit einer Küste zum offenen Meer oder zu Rand- und Seitenmeeren.

 

Den Gesetzen der räumlichen Entwicklung folgend ist die Entwicklung des geschichtlichen Wertes der mittelmeerischen Küste der der atlantischen vorausgeschritten, ebenso wie wir im Norden Europas die Ostsee haben der Nordsee vorangehen sehen. Die Frage nach dem Wert der Küsten wird die größte denkbare Bedeutung in dem Augenblick erlangen, wo der Stille Ozean in Wettbewerb mit dem Atlantischen tritt und sich die oft erörterte Frage entscheiden muß, ob der Stille Ozean als weltgeschichtlicher Raum ebenso den Atlantischen verdrängen wird, wie dieser das Mittelmeer einst seiner Herrschaft entsetzt hat.

 

Seehäfen sind natürliche Einschnitte der Küsten, die vor den großen Wellen und den Dünungen des offenen Meeres Schutz gewähren und guten Ankergrund bieten.

Die Hauptwege, auf denen die Natur solche Becken schafft, sind folgende: Sie legt vor die Küste eine Insel oder Bank, oder sie bildet einen Einschnitt in die Küste, der entweder die Folge eines Einbruchs der Küste oder eines ausmündenden Flusses ist. Man kann demnach der Entstehung nach drei Arten von Häfen unterscheiden: Aufschüttungshäfen, Einbruchshäfen, Mündungshäfen.

In der Natur der Küste liegt es, daß gewisse Hafentypen gesellig in einem oft weiten Bereich auftreten: die Mündungshäfen an der Nordsee, die Einbruchshäfen im Mittelmeer, die Äugschüttungshäfen in den Haffgebieten der Ostsee, der westlichen französischen Mittelmeerküste, der Westküste des Adriatischen Meeres.

 

Die Frage: Wie weit reicht das Meer? oder: Wie weit reichen die Wirkungen des Meeres , die stark genug sind, um dem Lande einen eigentümlichen Charakter aufzuprägen, der der Gegensatz von binnenländisch oder im großen von kontinental ist? ist wichtiger für den Anthropogeographen als die Frage nach der physikalischen Grenze des Meeres. Was man das von einem Meere oft tief ins Land hineinreichende »geistige Seeklima« nennen könnte, ist oft schwerer zu fassen als die letzten Spuren des physikalischen Seeklimas, man muß aber durch die weite Auffassung des Küstensaumes ihm wenigstens nahe zu kommen suchen. Der Begriff Küstenentwicklung muß seine Ergänzung finden durch den Begriff Stromgliederung, wenn er nicht lahm bleiben soll.

 

Nichts liegt offener in der Geschichte da, als daß das Meer einem Lande, das es umspült, und dessen Bevölkerung zugleich den Mut hat, sich ihm anzuvertrauen, unbeschränkte Möglichkeiten der Ausbreitung darbietet.

Das britische Weltreich enthält neunzigmal so viel Raum und zehnmal so viel Einwohner als das Mutterland.

[Im Jahre 1939 betrug das Verhältnis des Mutterlandes, Großbritannien und Nord Irland , zum Empire hinsichtlich des Flächenmaßes 1:162 und hinsichtlich der Bevölkerungszahl 1:11. D. Hrsg.]

 

Die Ansprüche eines Volkes an seine Küsten bleiben nicht in jedem Zeitalter dieselben, sie schwanken auf und ab.

Daß die Küsten zwischen Meer und Land zu den Stätten größter natürlicher Veränderungen gehören müssen, und daß auch diese nicht ohne Einfluß auf den Menschen und seine Werke sein können, sei es rascher oder langsamer, zerstörender oder aufbauender, liegt auf der Hand.

 

Der Kampf an der Küste hat zwar sicherlich erst später begonnen als der gegen Ströme und Sümpfe im Inneren der Länder und war gefährlicher, aber er hat dann um so kostbarere Früchte getragen. Was hier errungen ward, gestattete großartige Ausnutzung. Die Niederlande verdanken diesem Kampfe nicht bloß fruchtbares Land für eine halbe Million Menschen mehr, sondern Freiheit und Weltstellung.

Die Zurückdämmung des Meeres, der Flüsse und Seen, die Ausfüllung der Sümpfe, die Überbrückungen und Ableitungen machen ein großes Stück fundamentaler Kulturarbeit aus. Auch der Schutz gegen Lawinen und Muren gehört in das Kapitel des Kampfes mit dem Wasser. Wenn auch diese künstlichen Veränderungen des Flüssigen und seiner Grenzen keine so gewaltige Umgestaltung der Erde bewirkt haben, wie der Mensch sie auf dem Lande geschaffen hat, so gehört doch all das, was man als Ent- und Bewässerungsanlagen, als Wasserschutz und Wasserleitung zusammenfassen kann, zum Größten, was der Mensch auf der Erde geleistet hat.

Indem das Meer drei Vierteile der Erdkugel bedeckt, sind auch die größten Landmassen nur wie Inseln in dasselbe eingelagert. Der Kampf mit dem Meere nimmt also schon räumlich eine der ersten Stellen in der Geschichte der Menschheit ein.

 

Dank den Arbeiten und Opfern ungezählter Geschlechter von Menschen ist das Meer keine absolute und vor allem keine dauerhafte Schranke der Verbreitung des Menschen.

 

Wenn wir beobachten, wo die Menschen vor dem Einfluß der mittelmeerischen und europäischen Kultur eine hohe Stufe der Schiffahrtskunst erreicht hatten, finden wir die Umwohner des Stillen Ozeans und in geringem Maße des Indischen Ozeans allen anderen überlegen.

 

Der höchste Grad von Innigkeit in den Beziehungen zum Meere wird dort erreicht, wo der Mensch auf kleineren Inseln durch einen großen Ozean zerstreut lebt, so daß er nicht nur überall die weiten Wasserflächen als Bestandteile des täglich und stündlich ihn umgebenden Bildes seiner Umgebungen gewahrt, sondern selbst gezwungen ist, dem schwankenden Elemente sich anzuvertrauen, sobald es ihn drängt, den engen Raum seines Heimatseilandes zu erweitern, sei es der Wunsch, Nahrung aus dem Meere zu gewinnen, sei es Reiselust, Verbannung oder Ausstoßung. Dies sind die Völker, bei denen in allen Lebensäußerungen der Glanz und die Größe des Meeresspiegels durchschimmert, deren ganzes Wesen von einem Hauch von Seeluft durchweht ist.

 

Was nun die inneren Eigenschaften der Meere anbetrifft, so ist zunächst ihre Größe nicht ohne Einfluß auf das Maß der Expansion, die sie den anwohnenden Völkern gestatten, zu der sie die Völker einladen.

Die Größe des Meeres im ganzen ist so überwältigend und die Natur jedes einzelnen Teiles so einförmig, daß die Verschiedenheit der Größe seiner einzelnen Teile weniger hervortritt, als man nach den Zahlen vermuten sollte, die für das Mittelmeer 2 ½, für den Stillen Ozean 181 Millionen Quadratkilometer angeben.

Für die Völker Europas ist die Gewinnung größerer Gesichtskreise und Wirkungsräume auf dem Meere eine der stärksten Wachstumskräfte.

 

Die eigenen Strömungen der Meere sind nicht ohne Einfluß auf die früheren Bewegungen der Seevölker geblieben. Darin liegt besonders eine Eigentümlichkeit der Meere, daß sie von entsprechend starken und weitreichenden Bewegungen durchzogen sind.

 

Die geschichtlich wichtigsten Meeresteile sind die Randmeere . Ein Randmeer ist in gewissem Sinn, als ein vom Lande umgebenes Meer, immer ein Mittelmeer. Daß es dabei immer noch große Unterschiede der Lage eines Meeresteiles zu den umgebenden Ländern gibt, lehrt der große Unterschied mancher Mittelmeere von »unserem« Mittelmeer.

 

Die Bedeutung eines reichen und mit dem Meere in offener Verbindung stehenden Flußnetzes für den inneren und äußeren Handelsverkehr der Völker hat man immer und überall erkannt, und Nationen, die zu den ersten unter den Handels- und Verkehrsmächten der Erde gehören, verdanken diesen ihren Vorrang auch der günstigen Ausstattung ihrer Länder mit schiffbaren Flüssen und der klugen Ausnutzung dieses Schatzes. So Holland, England, Frankreich.

Deutschland mit seiner zersplitterten Bodengestalt und daraus sich ergebenden zersplitterten Bewässerung zeigt die einzige nennenswerte Entwicklung und Bereicherung der Schiffbarkeit einer größeren Anzahl von Gewässern nur im norddeutschen Tiefland und besonders in der wasserreichen Spree-Havel-Netze-Rinne, wo die großen Flüsse Elbe und Oder auf 14km sich nähern.

[Die Errichtung des Großdeutschen Reiches beschleunigt den umfassenden Ausbau der Wasserwege. Die im Bau befindliche Großschiffahrtsstraße Rhein-Main-Donau wird in wenigen Jahren Rhein und Donau zu einer einheitlichen Verkehrsader Mitteleuropas ausgestalten; durch den geplanten Main-Werra-Kanal und den Donau-Oder-Kanal wird die Donau auch mit dem norddeutschen Wasserstraßennetz verbunden werden. D. Hrsg.]

Mit der Eigenschaft der Flüsse, leichte Wege in das Innere der Länder und durch die Länder zu legen, hängt eine völkerzusammenführende, völkervereinigende Wirkung zusammen. Was man auch von der Begrenzung der Staaten durch Flüsse sagen möge, durch Flüsse sind die Völker nicht getrennt zu halten, sondern diese Verkehrsströme sind eher geeignet, Völkerschranken einzureißen.

Aus Schutz, Befruchtung des Bodens und Verkehrserleichterung flicht sich eine Reihe von Lebensfäden zwischen den Flüssen und Völkern zu einem Bande festen Zusammenhangs. Auf niederen Stufen der Kultur sind die Flüsse noch keine großen Verkehrswege und noch keine starken politischen Grenzen und strategischen Linien. Sie wirken mehr als Leitlinien der Wanderungen und als Sammelgebiete der Siedlungen. Es entstehen eigentliche Flußvölker, deren Dasein nicht ohne ihren Fluß denkbar ist.

 

Die Flüsse sind als Grenzen der Völker nur unter gewissen Bedingungen wirksam. Nur die Gebirge und das Meer scheiden scharf genug, um Grenzen zu bilden. Die Flüsse können als politische Scheidelinien dienen und politische Grenzen bilden, aber zu keiner Zeit würden sie Naturgrenzen ersetzen können.

Darum hören die Flüsse und flußartigen Meeresarme nicht auf, Hindernisse zu sein, die zeitweilig hemmen. Darin liegt vor allem ihre große kriegsgeschichtliche Bedeutung . Um Flußübergänge sind Tausende von Schlachten geschlagen worden. Die Blutströme, die den Rhein, die Donau, den Po oder Ebro hinunterflössen, haben diese Flüsse der Geschichte denkwürdig, den darum streitenden Völkern aber nur immer teurer gemacht. Wenige Erdstellen vergleichen sich ihnen an Größe der Erinnerungen. Und ebensowenig soll damit geleugnet sein, daß das Wasser, sei es im stehenden oder fließenden Zustand oder als Sumpf, zeitweilig ein vortreffliches Schutzmittel gegen feindliche Überfälle bietet. Diese seine Eigenschaft ist schon im vorgeschichtlichen Altertum verwertet worden.

 

Sümpfe wirken noch schützender als Wasser, denn sie zeigen dem Menschen gegenüber eine gewisse schwer verschiebbare Trägheit oder Passivität, die ihrer Mittelstellung zwischen dem Festen und Flüssigen der Erde entspricht. Sie entbehren sowohl der sicheren Festigkeit des Landes als auch der verkehrfördernden oder sogar beschleunigenden, das Leben der Menschen gleichsam verflüssigenden Beweglichkeit des Wassers. Ihre geschichtliche Rolle ist daher vorwiegend negativ. Sie wehren Völker vom Eindringen in ihre verräterischen Wälder und Moore ab und erhalten daher das Leben nicht bloß Elentieren, Auerochsen und anderen großen Tieren, die anderwärts ausgerottet oder verdrängt werden, sondern auch Völkerstämmen, welche die Möglichkeit gefunden haben, in ihnen Fuß zu fassen.

 

Je größer eine Landmasse ist, desto näher reicht sie an die anderen heran. Eurasien hat, eben wegen seiner Größe, die engsten Beziehungen zu Afrika, Amerika und sogar zu Australien, wählend Australien unter diesen großen am meisten isoliert ist.

Im anthropogeographischen Sinne darf Europa nicht einer Weltinsel gleichgesetzt werden. Daß Europa als Erdteil ursprünglich aus anthropogeographischen Gründen unterschieden wurde, vermindert nicht den Irrtum einer solchen Gleichsetzung. Der Begriff ist mittelmeerischen, also beschränkten Ursprungs. Aus dem Gegensatz der West- und Ostgestade des Ägäischen Meeres hervorgewachsen, den die Griechen unter dem Einfluß der Perserkriege in die graue Vorzeit der trojanischen Kriege zurückversetzten, hat er immer einen politischen Charakter gewahrt. Daher das »eigentliche« Europa; das westliche haben erst die Römer dem engen Europa der Griechen zugefügt. Man darf nicht übersehen, daß Europa als besonderer Erdteil wesentlich auf der Lage und Gestalt beruht. Es ist kein so selbständiges Naturgebiet wie die Weltinseln.

Die anthropogeographisch wichtigste Tatsache in der Lage der Landmassen ist die inselarme Kluft, die der tiefe und stürmische Atlantische Ozean zwischen die Ost- und Westhälfte bei Erde legt.

 

Ein gewisser Zusammenhang zwischen den großen Landmassen und den Hauptgebieten der Lebensverbreitung ist vorauszusehen. Diese Landmassen sind in einzelnen Teilen von hohem Alter und ebenso sind es die zwischen ihnen liegenden Meerestiefen. Australien, das älteste und eigentümlichste Gebiet der Tierverbreitung, ist das beste Beispiel dieses Zusammenhanges. Aber Australien ist von allen den großen Landmassen die abgeschlossenste, inselhafteste. Anders ist das Verhältnis, wo die Landmassen näher zusammentreten, besonders auf der Nordhälfte der Erde. Dort haben wir die Zirkumpolargebiete der Pflanzen- und Tierverbreitung, die vom Pol bis in die Tropen reichen, durch alle drei Norderdteile ziehen und noch in die angrenzenden Gebiete der Süderdteile Afrika und Südamerika hineinreichen.

Die Nord- und Süderdteile sind hydrographisch, klimatologisch und biogeographisch voneinander verschieden. Und so ist denn folgerichtig auch ein anthropogeographischer Gegensatz vorhanden, der in der Rassen verteilung zum Ausdruck kommt.

Anthropogeographisch liegt der Fall ganz klar: Europa und Asien sind ein großes Gebiet kaukasischer und mongolischer Rassen, dem nach Osten hin die Gebiete der amerikanischen und malayo-polynesischen Rasse sich anschließen und zwar in allmählichem Übergang, so daß die Indianer von Nordwestamerika ähnlicher sind den Völkern Nordostasiens als den Indianern des Innern. Die Grundzüge des Baues der Erdteile kommen in den Völkerbewegungen zum Vorschein. Der einfache Bodenbau gibt den Völkerbewegungen einen Zug von Einfachheit und Größe, die Mannigfaltigkeit des Bodenbaues prägt den Völkerbewegungen einen verwickelten und zersplitterten Charakter auf. In jener Einfachheit kann geschichtliche Armut liegen, und aus dieser Verwickeltheit kann geschichtlicher Reichtum hervorgehen. Schon lange ehe man imstande war, die Wirkungen Afrikas auf die Völkerbewegungen abzuschätzen, hat man die Lage, Gestalt und Bodengestaltung Afrikas für einfacher, ärmer an geschichtlichen Unterschieden und belebenden Gegensätzen gehalten, als die Bodengestalt Asiens.

 

Halbinseln bilden nicht nur morphologisch den Übergang vom Festland zu den Inseln, sondern es ist auch erdgeschichtlich dieser Übergang nachzuweisen: Inseln sind durch Verschwemmung oder Hebung des sie vom Festlande trennenden Meeresarmes mit dem Festlande verkittet worden und dadurch wurden sie zu Halbinseln. Dann bleibt ihnen noch die Sonderart der Inselnatur. Wenn die Halbinsel Schantung sich als isoliertes Gebirge mitten aus flachstem Tieflande erhebt, so ist es der alte, jetzt verlorene Inselcharakter, der darin sich ausspricht. Und wenn das südliche Vorderindien in so manchen Beziehungen an Madagaskar und Südafrika anklingt, liegt nicht hier die durch Ankittung ans Festland verlorene, aber in Spuren noch wohlerkennbare Inselnatur zugrunde?

 

Inseln bieten im allgemeinen für das Studium der Verbreitung des Lebens günstige Gelegenheiten. Von beschränkter Ausdehnung und unzweifelhaften Grenzen, zeigen sie immer eine beschränktere Lebewelt als die Kontinente.

Die geschichtliche Stellung der Inselvölker ist zunächst durch das Merkmal der Absonderung bezeichnet. Völkern, welche aus sich selbst heraus sich auf dem Wege zu höherer Kultur weiter zu fördern vermögen, ist die Absonderung günstig, weil sie ihnen erlaubt, ihre Kräfte ungehindert zu entfalten. Hauptsächlich erspart sie ihnen die Verheerungen und Störungen der Kriege, welche auf dem Festlande manchem von Feinden umgebenen Volke niemals die Möglichkeit ruhiger Entwicklung seiner Kulturgaben gestatteten. Es genügt, in dieser Beziehung an die Engländer, die Japaner, die Singhalesen Ceylons zu erinnern, die unter ganz verschiedenen geschichtlichen Einflüssen selbständige und hochgediehene Entwicklungen unter dem Einflusse des Schutzes insularer Lage zeigen.

Die Insel schließt nicht nur ab, sie schließt auch zusammen. Und diese Zusammenschließung verstärkt alles Gemeinsame der Inselbewohner. Es entsteht ein Übergewicht der geographischen über die ethnographischen und besonders die Sprachverhältnisse, wofür Irland das merkwürdigste Beispiel bietet. Unter allen wechselnden Schicksalen hat Irland das insulare Merkmal der Selbständigkeit sich bewahrt. In größerem Maße gilt es von Großbritannien und von Nippon, deren Bewohner von ihren festländischen Verwandten weit verschieden sind.

Die Engräumigkeit treibt zur Auswanderung, die gerade von kleinen und kleinsten Inseln in besonders großem Maße sich ergießt, sei es nun, daß sie dauernd und koloniengründend wird, sei es, daß sie eine rege Schiffahrtstätigkeit nährt. In beiden Beziehungen zeichnen sich besonders kleine küstennahe Inseln vor dem nächsten Festland oder vor größeren Gruppen aus.

Von dem Offenstehen der Inseln für Zuwanderung und fremde Einflüsse legt die Tatsache Zeugnis ab, daß, während Festlandbewohner sich gewöhnlich als Autochthonen bezeichnen, die Überlieferungen der Inselbewohner stets mit Einwanderungen beginnen.

Gebirge

Die mittleren Höhen der Erdteile verdeutlichen uns den Durchschnitt der Lebensbedingungen der Völker der Erdteile, soweit sie von den Höhen abhängen. Die 660 m der mittleren Höhe von Afrika zeigen uns in einer einzigen Zahl die Hochlandnatur, während sich in den 300 m und 310 m der mittleren Höhe Europas und Australiens das Übergewicht des Tieflandes ausspricht. Niemand wird also zweifeln, daß diese Zahlen mit Nutzen verwendet werden können zur Gewinnung eines Urteiles über die anthropogeographische Bedeutung des Bodens dieser Länder. Allerdings mahnen uns die Zahlen 650 m für Nordamerika und Südamerika, nichts weiteres von ihnen zu fordern als eine allgemeine Andeutung; denn sie sagen nur, wieviel Masse da ist, nicht aber, wie die Masse verteilt ist.

Auch die 1100 m des aus dem größten Tiefland und den größten Hochländern zusammengesetzten Asien erteilen dieselbe Lehre.

 

So wie die Hochländer ihre Höhenzonen des Pflanzenlebens haben, ziehen auch Höhenzonen des Völkerlebens an ihnen entlang.

 

Die ganze Erde zerfällt für die Menschen in tiefere und flachere Gebiete, die die Bewegungen erleichtern, und in Erdhebungen, die sie erschweren.

Der Mann des Gebirges kann kaum einen Schritt machen, ohne zu steigen. Sein Körper wird gestählt, ohne daß er es will oder weiß. Aber auch seinem Geiste werden vielfach ganz neue Aufgaben gestellt. Der Hirte, Jäger, Holzfäller muß im Gebirge Mut und Ausdauer bewähren. Dazu kommt jene befreiende Wirkung des Angrenzens an die menschenleeren oder anökumenischen Gebiete der Gletscher, Felsen, Matten und Hochwälder, die vergleichbar ist der Wirkung tiefer Wälder oder des Meeres auf ihre In- und Anwohner. Die Seele entwickelt sich im Verkehr mit der Natur freier und selbständiger als im abschleifenden Verkehr mit Menschenmassen. Sie verflicht sich mit allen Fasern in ihre Umgebungen und gewöhnt sich nicht leicht in neue. Enges Beisammenleben in den heimlich umschlossenen Tälern nährt bei ihm die Heimatsliebe wie bei keinem anderen, während die große Einsamkeit die religiösen Gefühle lebendig erhält.

So sehen wir im Gebirgsbewohner einen gestählten, fleißigen, aufgeweckten, heimat- und freiheitsliebenden, frommen Menschen, dessen überlegenem Können und Wollen nicht selten die Herrschaft über weit umliegende Tiefländer zufiel. Auch das Hochgebirge Japans hat eine den Jägern, Holzknechten und Hirten unserer Alpen ganz ähnliche Klasse ungewöhnlich starker und ausdauernder Menschen entwickelt, deren Geschäft die Jagd auf das große Wild der Berge ist, der sie auf Schneeschuhen und mit Steigeisen obliegen.

Um diese Überlegenheit, die den einzelnen zufällt, oder besser, die die einzelnen sich erringen, geschichtlich wirksam werden zu lassen, fehlt oft nur der Raum, auf dem die einzelnen ihre Kräfte zu großen Wirkungen vereinigen könnten. Die meisten Gebirge zersplittern. Wo Gebirgsvölker mit großen geschichtlichen Wirkungen hervortreten, geschieht es in der Regel durch Hinausgreifen über den Fuß des Gebirges. Bei den umherwandernden Hirten und Jägern des Gebirges fehlt leicht die Stetigkeit und der Zusammenschluß.

 

Hochebenen in warmen Ländern erfreuen sich einiger Vorteile der Gebirgsnatur, ohne daß sie die Ansammlung großer Bevölkerungen ausschließen. Die wenigsten Hochebenen sind reine Ebenen.

Das bedeutsamste Beispiel für die Wirkung der Hochebene auf das Völkerleben bleibt immer jene Kette von Kulturen auf den amerikanischen Hochebenen von Neumexiko durch Nordmexiko, Unahuac, die Mizteka bis Yucatan, und dann von Kolumbia über die ganze Andenhochebene Südamerikas bis in das heutige Bolivien. Keines von den Waldländern, deren Erde von Fruchtbarkeit schwillt, hat in Südamerika eine Kultur erzeugt, aber auch keines von den Steppenländern des Ostens in Innerbrasilien und am La Plata. Nur die zusammenhängenden, hochgelegenen, steppenhaften und doch wohlbewässerten Ebenen des Andenrückens vermochten es. Im Norden und Süden, im Osten und Westen von Barbarei umgeben, blühte diese Kultur nur auf der Hochebene, soweit diese in den warmen oder gemäßigt warmen Zonen hinzieht, und sehr beschränkt sind die Striche des Tieflandes, welche sie in sich aufgenommen hat.

 

Gebiete, die ohne eigenen Wert und Anziehung sind, verhalten sich in der geschichtlichen Bewegung wie Meere und Wüsten, sie sind nur Durchgangsgebiete , die man so rasch wie möglich durchmißt oder, wenn es möglich ist, umgeht. Daher liegen Gebirge so oft als passive Gebiete mitten in den geschichtlichen Ländern und lassen ihre Bewohner erst geschichtlich werden, indem sie über den Gebirgsrand hinausdrängen.

 

Der Eintritt in die niedrigeren, bewohnbarsten, menschlich wichtigsten Teile der Gebirge wird durch die Tatsache der Stufenländer in hohem Grade erleichtert. Die kulturgünstigsten Eigenschaften der Ebenen setzen in den sanft ansteigenden und häufig Stufen bildenden Übergangs- oder Stufenlandschaften zum Gebirg sich fort und erlangen einige der Vorteile des Gebirges zugleich mit den meisten der Ebene, wozu in wärmeren Klimaten noch jene bereichernde Mannigfaltigkeit der Höhenstufen der Vegetation kommt.

Die Alpen haben nicht für immer die Römer in der Ausbreitung nach Norden und Westen gehemmt, die Vindhyakette hat nur vorübergehend die Arier aufgehalten; aber verzögernd und ablenkend haben diese Erhebungen immerhin gewirkt. Alle Bewegungen vom Mittelmeer nach Mitteleuropa wurden durch die Alpen westlich abgelenkt. Die Verbreitung der Romanen in Süd- und Westeuropa um den Süd- und Westrand der Alpen ist dadurch ebenso gegeben, wie die der Arier am Fuß des Himalaja und die alte Verbreitung der Germanen um die Ränder des böhmischen Kessels.

 

Bei geschichtlichen Bewegungen, die weite Wege gehen, kommt der Bau ganzer Länder erschwerend oder erleichternd in Betracht. Es kommt dabei auf das Verhältnis dieser Länder zu ihren nächsten Nachbarn an. Zwischen Gebirgen von 8000 und 7000 m sind die Pamir, Hochflächen von 4000 m, ein uraltes Durchgangsland. Zwischen Nordamerika und Südamerika ist Mittelamerika mit seinen drei Landengen und Depressionen ein Durchgangsland. Das Vogtland, ein hügeliges Hochland von 500 m mittlerer Höhe, ist Durchgangsland zwischen Erzgebirg und Thüringer Wald. An sich können solche Länder dem Verkehr erhebliche Schwierigkeiten bereiten, im Verhältnis zu ihren Umgebungen bieten sie ihm Erleichterungen. In dieser Beziehung verhalten sie sich wie die Gebirgspässe, die ebenfalls oft schwer ersteigbar sind, aber immer noch leichteren Durchpaß gewähren als die rechts und links sie einschließenden Kämme.

 

Die meisten Gebirgsgrenzlinien sind von natürlich ungerechter Art, die die Völker zu beiden Seiten sehr ungleich stellen, indem sie die Schranke dem einen öffnen, welche für das andere so gut wie verschlossen ist. So ist die Alpengrenze zwischen Frankreich und Italien, so die Pyrenäengrenze, die zwei- bis zweieinhalbmal so weit vom französischen Abhang entfernt ist als vom spanischen, so ist die Erzgebirgsgrenze zwischen Böhmen und Sachsen. So ist aber auch in größerem Maße der steile und kurze Himalajaabfall nach Indien rascher überwunden als der langsame nach Tibet zu.

 

Die von A. von Humboldt in die Wissenschaft eingeführten und von Sonklar vervollkommneten Begriffe der Paß- und Kammhöhe sind unmittelbar geschichtlich anwendbar. Nicht die Gipfel, an denen nur selten einmal ein Jäger oder Tourist seinen Mut beweist, sondern die Kämme, die dieselben miteinander verbinden, und die tiefsten Stellen der Kämme, die Pässe, sind das im großen menschlich Bedeutende am Gebirg. Im Paßreichtum liegt die Zugänglichkeit und Durchgänglichkeit eines Gebirges; in der Paßarmut liegt die Steigerung eines einzelnen Passes zu weltgeschichtlicher Bedeutung: Khaiberpaß. Die Pässe sind ungemein ungleichmäßig verteilt.

Das Volk, das einen Gebirgsübergang umfaßt, zieht zunächst Einfluß aus der Beherrschung des Verkehres, der diesen Weg benutzt.

Kleinere Völker werden zu Paßvölkern, indem sich die ganze Staatsbildung auf die Ausnutzung dieses Vorteiles beschränkt und die Gelegenheiten zur Ausbreitung ungenutzt läßt, die sich auf beiden Seiten darbieten.

 

»Die Geschichte der Gebirgsvölker wogt in den Tälern wie ihre Flüsse oder liegt so still darin wie die Spiegel ihrer Alpenseen.« Was wir im Schutze der Gebirge sich entfalten und erhalten sehen, das gehört den Tälern an. So wird also für das Völkerleben vor allem die Frage wichtig, wie die Talgliederung eines Gebirges beschaffen sei.

Einbruchstäler , Gräben, gehören zu den größten und wirksamsten Vertiefungen in der Erdrinde. Wo sie im festen Lande eingesenkt sind, trennen sie als Flußtäler, wie am Oberrhein, als Behälter von Seen, wie das Tote Meer, oder als Vertiefungen, die teils trocken liegen, teils Flüsse und Seen enthalten, große Landschaften.

 

Die Gebirge erscheinen aus einem großen geschichtlichen Gesichtspunkte als Defensivstellungen , ebenso wie Meere und Steppen Stätten großer Offensivbewegungen, weitreichender Unternehmungen sind.

Selbst die große und wundervolle Geschichte der Schweiz ist die einer höchst geschickten Defensive, die ihrer Verteidigungsstellung zuletzt selbst durch europäische Verträge Anerkennung erzwang.

Ganze Völker haben sich in schützende Gebirgsfesten zurückgezogen oder ein letzter Rest hatte dort inmitten der ihn zurückdrängenden und ihre Peripherie gleichsam benagenden Völkerfluten den letzten Halt gefunden. Die Lage mancher Völker in ihren Gebirgen ist auch heute noch die von Belagerten, deren Wege nach außen in jedem Taleingang von ihren sie umschließenden Nachbarn bewacht werden.

 

Die Hochgebirge sind Fundgruben alter Sitten . Die natürlichen Schlupfwinkel, die Möglichkeit des Rückzuges in kaum bewohnte Teile begünstigen die Erhaltung in den Gebirgen.

Wächst die Bevölkerung an, so muß erhöhte Arbeit die Armut des Bodens und die Ungunst des Klimas ausgleichen, und nicht umsonst sind hochentwickelte Hausindustrien besonders in Gebirgsländern heimisch: Uhrmacherei im Schwarzwald und Jura, Spitzenklöppelei im Erzgebirge, Metallarbeiten bei den Kaukasus- und Schanvölkern, Glasbläserei im Böhmischen und Bayrischen Wald, Weberei bei den Kaschmiri.

Wohl blüht mitten in der Armut und Arbeit dieser Gebirgsbewohner noch so manche poetische Blume auf. Aber die Beziehung dieser Dichtwohnenden zum Gebirg ist doch ganz anders als bei denen, die als Ackerbauer und Hirten im Gebirge sitzen. Sie müssen sich oft von ihrer Scholle lösen, die ihnen den Lebensunterhalt nicht mehr gewährt, oder ziehen periodisch hinaus in reichere Länder, um ihre Erzeugnisse abzusetzen.

Auf dieser Armut beruht denn auch die Expansion der Gebirgsbewohner.

Ein gewisser Wandertrieb gehört zu den bezeichnendsten Merkmalen vieler Gebirgsvölker und erlangt bei einigen eine ungewöhnliche Bedeutung für das ganze Leben des Volkes.

Tiefland, Steppe, Wälder

Im Tiefland haben nur Ebenen und niedrige Hügel- und Plattenländer Raum. Daher sind die Gleichförmigkeit der Lebensbedingungen, die Grenzlosigkeit, die Anregung zum Wandern im Gegensatz zu den Gebirgs- und höheren Hügelländern die bezeichnenden anthropogeographischen Merkmale der Tiefländer.

Und ebenso haben wir in der politischen Geographie im Tiefland Staaten von rascher Ausbreitung bis zu Grenzen, die mehr von der Fähigkeit der Raumbeherrschung als von den Formen des Bodens abhängen. Wo die Völker in derselben endlosen Ebene mit ihren Feinden wohnen, wie Dahlmann von den Sachsen sagt, muß der weite Raum die Gewähr der Selbständigkeit bieten, für die die Bodenformen nicht genügen. Daher der Trieb der Ebenenvölker zur Ausbreitung und zum Zusammenschluß, daher die erfolgreichen Vernichtungskriege starker Völker gegen schwache in Tiefländern und infolgedessen weite Verbreitungsgebiete einzelner expansiver Völker in denselben.

Während der Hirte sich durch Wanderungen ungünstigen Verhältnissen entzieht, ist der Ackerbauer in der Steppe auch dadurch ungünstig gestellt, daß er die Wechselfälle des gegensatzreichen Steppenklimas über sich ergehen lassen muß.

Die Schwierigkeit des Anbaus liegt in diesen Gegenden hauptsächlich in der Wasserarmut, die immer nur schwer und in beschränktem Maße durch Kanalanlagen zu beheben ist, und niemals ganz unabhängig gemacht werden kann von der unberechenbaren Ungleichmäßigkeit der Niederschläge. Daher steht auch die sorgfältigste Kultur auf dieser schmalen, von Natur beständigem Schwanken ausgesetzten Basis immer unsicher. Zehrt sie sich doch oft genug selber auf!

Im persischen Reich entsprach der Gegensatz zwischen Unterworfenen und Widerstrebenden fast durchaus dem zwischen Kulturland und Wüste; die medischen Gebirge umschlossen stets widerspenstige Ununterworfene. So waren auch in China, in Mesopotamien, in Ägypten die Grenzsteppen und ihre Völker der unüberwindbare Gegensatz zu aller stetigen Kulturentwicklung. Man weiß, wie tiefe Spuren er in dem politischen Leben und den Geisteserzeugnissen dieser Völker hinterlassen hat.

 

Ackerbauern und Nomaden , einander unähnlich, sowohl der Lebensweise als dem Charakter nach, sind von der Natur bestimmt, einander fremd zu bleiben und sich gegenseitig zu hassen. Wie für den Chinesen ein ruheloses Leben voller Entbehrungen, ein Nomadenleben, unbegreiflich und verächtlich war, so mußte auch der Nomade seinerseits verächtlich auf das Leben voller Sorgen und Mühen des benachbarten Ackerbauers blicken und seine wilde Freiheit als das höchste Glück auf Erden schätzen. Dies ist auch die eigentliche Quelle des Kontrastes im Charakter beider Völker; der arbeitsame Chinese, welcher seit unvordenklichen Zeiten eine vergleichsweise hohe, wenn auch eigenartige Zivilisation erreicht hatte, floh immer den Krieg und hielt ihn für das größte Übel, wogegen der rührige, wilde und gegen physische Einflüsse abgehärtete Bewohner der kalten Wüste der Mongolei immer bereit zu Angriffen und Raubzügen war. Beim Mißlingen verlor er nur wenig, aber im Falle eines Erfolges gewann er Reichtümer, welche durch die Arbeit vieler Geschlechter angesammelt waren.

 

Steppe und Meer in ihrer einförmigen Schrankenlosigkeit sind gleich geeignet, große und schwer erreichbare Eroberervölker zu zeugen, deren größte Stärke eben oft nur die Unmöglichkeit ist, sie in ihren Räumen zu erreichen. Sehr lehrreich ist in dieser Richtung die gleichzeitige Bedrohung des karolingischen Reiches durch scythische Land- und germanische Seenomaden, an welche jenes zu einer Zeit rechts und links Tribut zu zahlen hatte.

See- wie Steppennomaden sind mit ihrem festen Zusammenhalt, ihrer starken Offensivorganisation, ihrer Fähigkeit, zu befehlen und zu herrschen, auf der ganzen Kette der zwischen Meer und Steppe vom Ostrand Asiens um den Süden und Westen der diesseitigen Landmasse herum einen »Kulturgürtel« bildenden Staaten als politische Gärungserreger und Staatengründer immer wieder hervorgetreten.

 

Bei vielfältigen tiefen Beziehungen des Menschen zum Walde ist die Behinderung nicht so sehr der individuellen Bewegung als des Raumes, für unmittelbare Bodenausnutzung, so entscheidend, daß überall der Wald der energisch fortschreitenden Kultur zum Opfer fällt.

Unmittelbare Schlüsse aus dem Grade der Entwaldung auf die Kulturgeschichte bestimmter Regionen kann man natürlich nicht ziehen. Die Gefahr ist zu groß, daß man unscheinbar und doch mächtig wirkende Faktoren der Entwaldung übersieht, wie z.B. Klimaänderungen.

Über die Einzelheiten der Beziehungen zwischen Wald und Klima ist die Wissenschaft sich noch nicht vollkommen klar. Aber es genügt allein schon der unbezweifelte günstige Einfluß des Waldes auf die Festhaltung des Humusbodens samt seiner Feuchtigkeit, und endlich der wirtschaftliche Nutzen, um die vernünftige Waldwirtschaft zu einer großen wirtschaftlichen und allgemein kulturlichen Aufgabe zu stempeln. Auch andere Kulturen, wenn sie nur träg fortschreiten, sind oft dem Walde günstig.

 

Es treten Völker in so enge Verbindung mit dem Wald, daß die Natur des Waldes sich in ihr ganzes Dasein verflicht. Dadurch entstehen Völker und ganze Kulturformen, die man sich nur mit einem mächtigen überschattenden Walde als Hintergrund denken kann. Nicht nur der brasilianische Waldindianer und der innerafrikanische kleine Buschjäger gehören zum Wald und verschwinden mit ihm, auch ein großer Teil nordamerikanischer und nordasiatischer Jägervölker gehören dem Wald an, und germanische Stämme sind unmittelbar aus dem Wald in die Geschichte eingetreten. Der Wald zersplittert solche Völker in kleine Völkchen, läßt keine starke politische Organisation aufkommen, erschwert den Verkehr, hält die Entwicklung des Ackerbaues und der Viehzucht auf.

Wie mächtig das Gegenteil dieser lebendigen Mauern, nämlich die einförmige, niedrige, keine Bewegung hemmende Grassteppe auf die großen geschichtlichen Bewegungen einwirkt, zeigt uns die Betrachtung über das Tiefland.

Nicht zu zählen sind die Beispiele von einzelnen Pflanzen- und Tierarten, die in dem Kampfe des Menschen mit der Steppe und dem Walde, in dem Ringen des Menschen um Nahrung untergegangen sind.

 

Unter dem, was die lebende Natur dem Menschen an Gaben bietet, ist nicht der Reichtum an Stoffen, sondern der an Kräften oder, besser gesagt, Kräfteanregungen am höchsten zu schätzen. Die Gaben der Natur sind für den Menschen am wertvollsten, die die ihm innewohnenden Quellen von Kraft zu dauernder Wirksamkeit erschließen.

Auch wo die Üppigkeit einer reichen Natur nicht unmittelbar durch ihre Überschüttung mit Gaben, die anders zu erarbeiten wären, die Tatkraft des Menschen schwächt, lähmt sie dieselbe durch ihr rasches wucherndes Wachstum , das seine Felder, wenn sie kaum gelichtet sind, mit überwältigendem Unkraut überzieht, und ebenso seine Kulturspuren, seine Ruinen usw. in Kürze in neuem Leben wie überflutet untergehen läßt.

Es ist die Frage aufzuwerfen, inwieweit eine kärglichere Natur anregend, belebend auf die Tätigkeitstriebe der Völker zu wirken imstande sei.


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