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Kulturfähiger und siedlungsfeindlicher Boden

Die Frage der Kulturfähigkeit eines Bodens gehört zu den schwierigsten; bis heute ist sie für viele Länder der Erde nicht gelöst. Unter- und Überschätzung stehen einander noch schroff gegenüber.

Unter allen Anregungen, welche von der Natur auf den Menschen geübt werden, müssen bei seiner notwendigen und tiefgehenden Abhängigkeit von der organischen Natur am heilsamsten die sein, welche diese Abhängigkeit dadurch mildern, daß sie so viel wie möglich von dem unvermeidlichen Bande, das den Menschen mit der übrigen Lebewelt verknüpft, in seine eigene Hand geben, und daß er sein Denken und seine Tätigkeit in dasselbe hineinwebt. Der Weg dazu liegt in der Aneignung nützlicher Pflanzen und Tiere durch Ackerbau und Viehzucht, die die größte Befestigung und Mehrung des Kulturbesitzes bedeuten. Die Frage: Wie ist es möglich, daß die erste Grundbedingung der Kultur, nämlich die Anhäufung von Kulturbesitz in Form von Fertigkeiten, Wissen, Kraft, Kapital sich verwirkliche? hat man längst damit beantwortet, daß der erste Schritt dazu der Übergang von der vollständigen Abhängigkeit von dem, was die Natur freiwillig darbietet, zur bewußten Ausbeutung ihrer für den Menschen wichtigsten Früchte durch Ackerbau oder Viehzucht sei.

Während die große Mehrzahl der wasserlebenden Pflanzen und Tiere, die der Mensch in seinen Nutzen gezogen hat, entweder sehr beweglich oder von ursprünglich weiter Verbreitung ist, sind die viel wichtigeren nutzbaren Pflanzen und Tiere des Landes durchschnittlich beschränkt in ihrem Vorkommen, und es wird daher die Frage nach der Ausstattung der Länder mit nutzbaren Pflanzen und Tieren zu einer der wichtigsten Vorfragen in jeder Beurteilung ihrer Kulturfähigkeit.

Offenbar liegt in dem Bestreben der Natur der Steppe , Nährstoffe in den ausdauernden Pflanzenteilen, vorzüglich in den Wurzeln, Zwiebeln und Knollen anzuhäufen, um dadurch die Gewächse selbst vor völligem Verdorren zu schützen, etwas, das dem Bedürfnis des Menschen nach Nahrung in dieser armen Natur entgegenkommt. Daher der verhältnismäßig große Reichtum der Steppe an Nährpflanzen. Es ist wahrscheinlich, daß man einst in dieser Tatsache eine der Ursachen der großen historischen Bedeutung der Steppengebiete erkennen wird, wenn es nämlich gelingt, die Vermutung zu bestätigen, daß auch die Stärkemehlanhäufung in den Samen gewisser Grasarten, deren Namen »Getreide« man bloß auszusprechen braucht, um an eine der stärksten Stützen der Kultur zu erinnern, mit den Wachstumsbedingungen der Steppe in Zusammenhang stehe. Oder sollte es Zufall sein, daß unsere wichtigsten europäischen Getreidearten bis auf den Buchweizen herab, und daß in Amerika Mais und Kinoa auf Steppengebiete als ihre Heimat hinweisen?

Hingegen dürfte vielleicht allgemein zu bemerken sein, daß übermäßig feuchte Klimate, die weder jener aufspeichernden, noch dieser mit Sonnenkraft sublimierenden und destillierenden Wirkung günstig sind, sondern mehr auf üppige Entfaltung der rein vegetativen Organe hinwirken, dem Menschen am wenigsten wahrhaft wichtige Nahrungsmittel zu bieten haben, wie denn in deren üppig wuchernden Urwäldern, seien es so mannigfaltige wie in Guyana, oder so einförmige wie in Sitka, das Tierleben gleichfalls nicht seine höchste Stufe von Reichtum erreicht.

Indessen ist die Frage der natürlichen Ausstattung der Ländergebiete mit Nutzpflanzen und Haustieren längst nicht mehr bloß an bei Hand der Natur zu beantworten. Sondern durch die Verpflanzungen , die der Mensch vorgenommen hat, tritt ein geschichtliches Moment unabweislich in unsere Erwägungen mit ein, dem wir ganz im allgemeinen gerecht werden, wenn wir sagen: Erdteile, die vielerlei Naturgebiete in solcher Weise vereinigen, daß Übertragungen von einem zum anderen möglich waren, und welche vielleicht selbst mit den Wanderungen der Völker die ihrer Nutzpflanzen und Haustiere begünstigten, werden mit der Zeit einen größeren Schatz davon erhalten haben, als solche, die, ohne einseitiger begabt zu sein, durch ihre Lage isoliert waren. Von unseren Getreidearten sind Weizen und Spelz ursprünglich in Mesopotamien, Gerste in Armenien, Roggen und Hafer in Südosteuropa heimisch. Von diesen wichtigen Brotpflanzen sind Weizen, Spelz und Gerste vom Mittelmeer zu uns gekommen, während wahrscheinlich Roggen und Hafer ursprünglich von den alten Deutschen gebaut wurden. Hirse stammt in verschiedenen Arten aus Asien und Afrika und bildet in Afrika das Hauptgetreide; Mohrenhirse und Durrha ( Sorghum ) spielen in Zentralafrika dieselbe Rolle wie bei uns das Korn; oder wie in Amerika der Mais oder in China der Reis. Der Reis ist ein ursprünglich ost- oder südasiatisches Gewächs, dessen Hauptmasse noch heute in Ostasien und Hinterindien erzeugt wird, das aber auch in Amerika und Europa ein wichtiger Gegenstand des Ackerbaues geworden ist. Der Mais ist das Getreide Amerikas, wo er vor der Entdeckung durch die Europäer von Brasilien bis Massachusetts und von Chile bis Kalifornien angebaut wurde. Er ist jetzt in allen Teilen der Alten Welt angebaut, ist sogar in Süd- und Südosteuropa die wichtigste Nahrungspflanze des Volkes geworden. Amerikanische Getreidearten von nur örtlicher Bedeutung sind der Wasserreis ( Zizania ) und Kinoa ( Chenopodium ), ersterer eine Sumpfpflanze Nordamerikas, letztere auf der Hochebene Südamerikas angebaut. Buchweizen , die jüngste unserer Getreidepflanzen, stammt aus Nordasien oder dem östlichen Rußland und ist erst im Mittelalter bei uns eingeführt worden.

Neben den Getreidepflanzen sind Knollen und Wurzeln zwar wichtige Nahrungsmittel, die in allen Teilen der Welt in Masse gegessen werden, aber nicht von der Kulturbedeutung wie Körnerfrüchte. Weder ihr Anbau noch ihre Zubereitung zwangen den Menschen zu den Erfindungen und Vorrichtungen die Ernte, Aufbewahrung und Zubereitung des Getreides erheischt. Man kann sich leicht denken, daß die Botokuden oder Australier Kartoffeln oder Bataten pflanzen, aber schwer ist es, sie sich als Getreidebauer vorzustellen. Man wird daher den Bau der Wurzeln und Knollen als eine um einen Grad niedrigere Kultur auffassen dürfen als den des Getreides und das um so mehr als ihr Nahrungswert ein viel geringerer ist. Die meisten Wurzeln und Knollen sind ursprünglich tropische und subtropische Produkte. Die Kartoffel ( Solanum ) ist in verschiedenen Teilen des mittleren und südlichen Amerikas heimisch. Ebenso Maniok ( Iatropha ), der ursprünglich scharf, giftig ist, aber durch Zubereitung mild wird. Er liefert ein Mehl, das als Tapioka, Cassave bekannt ist. Diese Pflanze hat im tropischen Afrika eine weite Verbreitung gefunden. Auch die Batate ( Connvolvulus ) ist amerikanisch, Nam ( Dioscorea ) dagegen asiatisch. Von weiteren Knollengewächsen stammen Topinambur ( Helianthus ) und einige Oxalisarten ebenfalls aus Amerika. Der Wurzelstock von einer Pteris Neuseelands ist eine der wenigen einheimischen Nährpflanzen des fünften Erdteils. Rüben, Rettich , Sellerie , Möhre , Spargel und Hopfen sind ursprünglich europäische Pflanzen. Zwiebel und Knoblauch sind in Westasien zu Hause. Zahllose Pflanzen liefern in ihren Blättern Gemüse und Salate. Bei uns gibt es kaum ein nicht entschieden giftiges Gewächs, das nicht in irgend einer Form gegessen wird oder wurde. Nur die Algen sind hier besonders zu erwähnen, die in den armen pflanzlichen Nahrungsschatz der Polarvölker eingehen. Blumen- und Blütenstauden werden vom Blumenkohl , der Artischocke , der Okra ( Hybiscus ) gegessen, Blattknospen von der Kohlpalme und den Kapern . Von stärkemehlreichen Flechten werden besonders in den Polarregionen die Renntierflechte und das Isländische Moos ( Cetraria ), in den mittelasiatischen Steppen die sogenannte Mannaflechte ( Parmelia ) gegessen. Von unseren Früchten sind Bohnen , Erbsen , Kichererbsen , Linsen asiatischen Ursprungs. Die Erdnuß ( Arachis ) ist wahrscheinlich brasilianischen Ursprungs. Die Gurken , Melonen , Kürbisse ( Cucumis ) sind Steppenfrüchte asiatischen Ursprungs, deren Schalen auch zu Geräten verwendet werden. Der berühmte Brotfruchtbaum ( Artocarpus ) stammt aus Südasien und von den Polynesischen Inseln. Die Zapotes , Chirimoyas und andere Anonaarten sind tropisch-amerikanisch. Die Persimonpflaume ist nordamerikanisch, ebenso die Tomaten ( Lycopersicum ) und der Melonenbaum ( Papaya ), die köstlichen Früchte des Mango ( Mangifera ) und der Mangustane stammen aus Indien, Litschi ( Naphelium ) aus China. In China wird auch die Zujuba ( Zizyphus ) viel gebaut. Die Agrumen ( Citrus ) sind indischen Ursprungs, Zitronen sind seit dem 4., Orangen seit dem 9. Jahrhundert in Europa kultiviert. Die Granate ( Punica ) kommt aus Westasien. Von unseren Obstarten finden sich Äpfel und Birnen schon in den Pfahlbauten; sie sind einheimisch im nördlichen Teil der Alten Welt. Mispel gehört Mittel- und Südeuropa an. Die Kirsche stammt aus Westasien, während die Pflaume wohl eine Bürgerin Europas ist. Aprikose , Pfirsich und Mandel sind westasiatischen Ursprungs. Von den eßbare Früchte tragenden Palmen ist die Dattelpalme ein Kind der altweltlichen Wüstenzone, während die Kokospalme kosmopolitisch in den Tropen zu sein scheint. Beerenfrüchte erlangen ihre größte Bedeutung im Norden sowohl Asiens und Europas als Amerikas. Moosbeere , Preißelbeere , Stachelbeere , Johannisbeere u.v.a. gehören alle nordischen gemäßigten Breiten an. Unser Weinstock ist in Westasien heimisch. Aber neuerdings sind auch amerikanische Arten in Nordamerika kultiviert worden, und auch Afrika hat Weinreben. Von den Erregungsmitteln ist der Kaffee ( Coffea ) arabischen oder abessinischen Ursprungs, kommt aber auch in Westafrika vor. Der Tee findet sich in China und Indien wild. Der Kakao ( Theobroma ) im nordöstlichen Südamerika, der Mate ( Ilex ) im südlichen, die Gurunüsse im Sudan, die Kawa in Polynesien. Es gibt kein Volk, das nicht ein oder das andere Erregungsmittel gebrauchte, und so werden selbst entschiedene Giftpflanzen zu diesem Zwecke benutzt. So der Fliegenschwamm von den Kamtschadalen, das Bilsenkraut von den Tungusen. Die Säfte einiger Pflanzen werden wegen ihres Zuckers in frischem oder gegorenem Zustande genossen. Von ihnen ist das Zuckerrohr indisch, die Zuckerhirse ( Sorghum ) afrikanisch, die Pulque liefernde Agave amerikanisch. Das Opium ( Papaver ) ist eine Erfindung der Alten Welt. Aus der Neuen stammt dagegen der Tabak , Koka ( Erythroxylon , die peruanisch, während Betel ( Piper ) asiatisch ist. Beide sind erregende Kaumittel. Von den eigentlichen Gewürzen kommen Gewürznelken und Muskatnuß von den Molukken, Safran aus Westasien. Spanischer Pfeffer , Chilli ( Capsicum ) aus Amerika, Pfeffer aus Südasien, Vanille aus Amerika, Zimt aus Südostasten, Cassia aus China.

Von den Gespinstpflanzen kommt die Baumwolle ( Gossypium ) in verschiedenen Arten wild in den Tropen Alter und Neuer Welt vor, aber die Heimat der kultivierten ist wohl Indien. Jute ( Corchorus ) gehört ebenfalls Indien, Lein , Flachs ( Linum ) Europa, Neuseeländer Flachs ( Phormium ) Neuseeland, Chinagras ( Boehmeria nivea ) Ostasien, Hanf ( Cannabis ) Westasien, Manilahanf den Philippinen an.

Von den Ölpflanzen gehören Euroopa der Nuß- und Buchenbaum , sowie der Lein, westasiatischen Ursprungs dürften Hanf , Mohn , Olive und Sesam sein. Der Talgbaum ( Croton ) ist in China heimisch.

Von den Färbepflanzen gehört Krapp den Mittelmeerländern, Indigo in verschiedenen Arten Asien und Amerika, Rocella oder Orseille ( Färberflechte ) der Mittelmeerküste, Gummigurt ( Hebradendon ) Südasien, Henna ( Lawsonia ) Indien, Waid ( Isatis ) Mittel- und Nordeuropa an.

Als zwei der wichtigsten arzneiliefernden Gewächse sind noch die Cinchona des nördlichen Südamerika und der Rhabarber ( Rheum ) Hochasiens zu nennen.

Endlich stammt von Gummiarten und Harzen Tragant ( Astragalus ) aus den Mittelmeerländern, Weihrauch ( Boswellia ) aus Arabien, Gummilack ( Croton ) aus Indien und der Firnisbaum aus China.

Als berühmte ausländische Nutzhölzer mögen das des Teckbaumes ( Tectonia ) Südostens, das Ebenholz ( Dospyros ) des tropischen Asien und Afrika und das Mahagoni Mittel- und Südamerikas genannt sein.

Fügt man hinzu, daß unsere Schweine, unsere Rinder vorwiegend asiatischen, unsere Pferde und Esel asiatischen, unsere Katze afrikanischen, unsere Hühner indischen Ursprungs und unsere Schafe und Ziegen jedenfalls nicht einheimisch, wenn auch unbekannten Ursprungs sind, so muß man zu dem Schluß gelangen, daß es eigentlich die Akklimatisationsfähigkeit der Organismen ist, auf der unsere Landwirtschaft und Viehzucht und selbst ein Teil unserer Industrie und damit eben der größte Teil unserer wirtschaftlichen Kultur beruht. Nur ein kleiner Bruchteil unserer Bevölkerung vermöchte sich von den Pflanzen und Tieren zu ernähren, die bei uns einheimisch sind.

 

Die Umbildung des Menschen durch das Klima ist eine apriorische Annahme, die in gewissen Grenzen höchst wahrscheinlich ist, der man aber wegen der Natur der in ihr wirkenden Kräfte nur mit größter Vorsicht sich nähern sollte.

Die Anthropologie zeigt uns zwei Wege der Wirkungen des Klimas auf den Menschen. Einmal wirkt es unmittelbar auf den einzelnen, auf ganze Völker, auf die Bewohner ganzer Zonen ein, beeinflußt ihr körperliches Befinden, ihre Stimmung und Geist, bis durch Akklimatisation , d.h. durch Anpassung an die klimatischen Bedingungen, ein Gleichgewicht zwischen den Bewohnern und dem Klima ihres Wohnsitzes vollendet ist. Das andere Mal wirkt es mittelbar, indem es die Lebensbedingungen der Völker beeinflußt, die nicht dem Klima angehören.

Aber auch der Boden hängt in wichtigen Eigenschaften vom Klima ab, das hier Eis und Firn und dort fruchtbaren Humus schafft, hier Steppe, dort Wüste und dort Wald hervorruft. Beide Arten von Wirkungen treffen dann in politisch-geographischen Ergebnissen zusammen, die besonders deutlich im Wachstum der Staaten, in ihrer Dauer und Kraft sich bezeugen.

 

Insoweit die Verbreitung der Organismen eine Abhängigkeit vom Klima zeigt, ist sie eine räumliche Anpassung. Indem der Organismus nicht über bestimmte Schranken hinausgeht, unterwirft er sich einer Beschränkung, die nicht nur sein Lebensgebiet einengt, sondern auch seine Lebensbedingungen konzentriert. Dem Menschen ist keines der Klimate unserer Erde unerträglich, er gehört zu den anpassungsfähigsten organischen Wesen.

Eine Karte der Linien mittlerer Jahreswärme oder Isothermen ist reich an geschichtlicher Belehrung. Wo die Linien auseinandertreten, haben wir weite Gebiete gleichförmiger Temperatur, wo sie sich zusammendrängen, liegen die Wärmeunterschiede hart nebeneinander. Das Zusammenrücken klimatischer Unterschiede belebt und beschleunigt den Gang der Geschichte an einer Erdstelle; rücken sie auseinander, dann erreichen sich die Gegensätze, die gleichsam gärungserregend wirken, nicht mehr in ganzer Stärke und ihre Wirkungen verflachen und verlaufen sich.

Unterschiede des Volkscharakters, der Lebensweise, welche verschwinden, wo sie weit auseinanderliegen, werden ebenso auffallend wie folgenreich, wenn sie einander nahekommen, so daß sie sich innig berühren oder sogar durchdringen.

Die Erde empfängt genug Wärme , um selbst in den Teilen ihrer Oberfläche organisches Leben erhalten zu können, denen weniger davon zufällt als allen anderen.

Die Wirkung des sehr warmen Klimas auf den einzelnen Menschen, der nicht in demselben geboren ist, ist erschlaffend, nicht unmittelbar schädlich. Bei den hohen Sterblichkeitsziffern der Europäer in den Tropen ist wohl zu beachten, daß vernünftige gesundheitserhaltende Maßregeln die Sterblichkeitsziffer der in den Tropen lebenden Nordländer im Laufe des 19. Jahrhunderts außerordentlich vermindert haben. Abgesehen von der ermattenden Wirkung der Hitze und besonders der feuchten Hitze und dann wieder der Geringfügigkeit der Wärmeschwankungen, schadet er sich selbst durch massenhaftes Trinken von Wasser oder alkoholischen Getränken, durch langes und zu oft wiederholtes Baden, durch Trägheit, Genußleben. Man muß sich daher hüten, die Gefahren des Tropenklimas mit den Gefahren einer unregelmäßigen Lebensweise zu verwechseln. Und vorzüglich ist zu erwägen, daß der Europäer in den Tropen auch moralisch minder widerstandsfähig wird, was teilweise Sache der Erziehung ist.

Am wenigsten Anpassungsfähigkeit zeigen die Germanen, deren Organismus einmal den tropischen Einflüssen in minderem Maße zu widerstehen scheint als der der südeuropäischen Völker, und die auf der anderen Seite durch ihre in der kalten gemäßigten Zone angeeigneten Sitten und Neigungen weniger zum Leben in den Tropen geeignet sind.

Neben der Wärme ist die große Feuchtigkeit des Tropenklimas erfahrungsgemäß eine der schädlichsten Eigenschaften. Die Europäer wohnen unbelästigt in den heißen, aber nichtsumpfigen Teilen von Mexiko, und in den nordamerikanischen Golfstaaten sind immer die tiefstgelegenen und damit feuchtesten Striche die für den Weißen unbewohnbarsten, während er unter gleicher Breite in den wenig höheren, trockeneren Regionen sich heimisch zu machen vermag.

Tiefgehende Wirkungen der strengen Kälte in der Polarzone auf das Innerste des menschlichen Organismus kennen wir nicht; wir sehen nur starke mittelbare Einwirkungen. Die früher allgemein angenommene Wirkung auf die Körpergröße, welche durch sie vermindert sein sollte, kann nicht mehr behauptet werden.

Wo immer das Meer mit dem Land sich berührt, gehen mildernde Wirkungen auf das Klima des Landes von ihm aus. Die große Bedeutung des Meeres in der Geschichte der Menschheit verleiht dieser ozeanischen Milderung der Küstenstriche ein besonderes Gewicht. Ihr steht gegenüber das kontinentale Land der schroffen Temperaturgegensätze und Wüstenbildung. Der Einfluß der Meeresströmungen trägt am meisten zu der für den Menschen so wichtigen Verschiebung der Klimazonen bei. Dabei beobachten wir merkwürdige Unterschiede zwischen den beiden Halbkugeln. Das Zusammenneigen der Landmassen auf der Nordhalbkugel begünstigt die Wirkungen der warmen Äquatorialströmungen, die umgekehrt das Auseinandertreten der Landmassen auf der Südhalbkugel vermindert.

Die meisten großen Völkerwanderungen , die die Geschichte kennt, haben sich aus kälteren nach wärmeren Regionen bewegt, so die dorische, die arisch-indische, die iranische, die gallische, die germanisch-slawische, die aztekische; und da diese alle auf der Nordhalbkugel unserer Erde stattgefunden haben, so ist ihnen auch im allgemeinen eine nordsüdliche Richtung zuzuerkennen.

Die Lebensweise des Nordländers ist in der gemäßigten Zone fast immer häuslich, umsichtiger, sparsamer als die des Südländers. Der Nordländer ist nicht immer mäßiger als dieser, aber er muß seine Genüsse teurer bezahlen. Der Südländer kann sich mehr gehen lassen, braucht nicht ebensoviel zu arbeiten, nicht so peinlich für schlechte Zeiten vorzusorgen; aber gerade dadurch ist er den Wechselfällen schutzlos preisgegeben und als Arbeiter ist er bei billigerer Ernährung schlechter bezahlt. Dies zusammen mit der ihm eigenen Sorglosigkeit neigt zur Schaffung einer Armut, eines Proletariertums, das, wenn auch nicht leicht ertragen, doch immer degradierend ist. Es wirkt hoch hinauf und erzeugt eine Nivellierung nach unten, während umgekehrt bei uns der Adel der Arbeit auch die niederen Klassen höher hebt und tief hinab einen Zug von Selbstachtung sich verbreiten läßt, der auf große Teile des Volkes veredelnd wirkt. In den Unterschieden Zwischen kalten und gemäßigten Zonen ist die Folge und Dauer bei Jahreszeiten von hervorragendem Einfluß, und ganz besonders wichtig dürfte es sein, die Frage aufzuwerfen, ob das Klima eine dauernde Feldarbeit und überhaupt Arbeit im Freien möglich macht oder wie lange es dieselbe unterbricht.

Kein Volk in einer hohen nördlichen Breite hat jemals den stetigen fortgesetzten Fleiß besessen, wodurch sich die Einwohner der gemäßigten Zone auszeichnen. Der Grund dafür wird klar, wenn wir bedenken, daß in den nördlichen Gegenden die Strenge des Winters und der teilweise Mangel des Lichts es dem Volke unmöglich machen, seine gewöhnliche Beschäftigung im Freien fortzusetzen. Die Folge ist, daß die arbeitenden Klassen, weil sie ihre gewöhnliche Tätigkeit abbrechen müssen, zu unordentlichen Gewohnheiten geneigter werden; die Kette ihrer Tätigkeit wird gleichsam zerrissen und sie verlieren den Trieb, den eine lang fortgesetzte und ununterbrochene Übung unfehlbar einflößt. Daraus entsteht ein Nationalcharakter, der mehr von Eigensinn und Launen hat als der Charakter eines Volkes, dem sein Klima die regelmäßige Ausübung seiner gewöhnlichen Arbeit gestattet.

Wenn man diese mittelbaren mit den unmittelbaren Klimawirkungen zusammenfaßt, versteht man, wie selbst geringe Klimaunterschiede von großer geschichtlicher Wirkung werden können. Welche Menschenopfer haben die Kolonisationsversuche gerade dadurch gekostet! Ganz geringe Klimaunterschiede genügten hier zur Erzielung trauriger Effekte. Ich erinnere an das Mißlingen so vieler Versuche, Südrußland, speziell das untere Wolgagebiet, mit Nordrussen zu bevölkern, an die Sterblichkeit nach den ersten Besiedlungen des Banates mit deutschen Bauern, an die Schwierigkeiten, denen die Franzosen bei der Kultivation Algeriens begegnen.

Die geschichtlichen Erfahrungen, über welche bis heute die Menschheit verfügt, stempeln ganz entschieden die gemäßigte Zone zur eigentlichen Kulturzone.

Von der Verteilung der Wärme auf der Erde hängt die der Luftströmungen und der Feuchtigkeit ab. Die Wirkung der Feuchtigkeit ist mit ihr am nächsten und innigsten verbunden durch die gemeinsame Wirkung beider auf die Lebenstätigkeit. Die Feuchtigkeit durch Wärme in flüssigem oder dampfförmigem Zustand zu erhalten, ist Lebensbedingung. Wasserlose Ernährung, wasserlose Atmung sind Unmöglichkeiten. Keine Beweglichkeit ohne Feuchtigkeit. Daher unmittelbare Abhängigkeit der Verbreitung des Lebens von der Verbreitung der Niederschläge.

Der für die geschichtlichen Bewegungen so wirksame Gegensatz von Steppe und Wald führt auf die Verteilung der Feuchtigkeit zurück. Die Wüste ist wesentlich eine klimatische Erscheinung.

Überall, wo regelmäßige Winde wehen, tritt der Gegensatz von Luv- und Leeseite hervor, und sehr häufig sind dann die im Windschatten liegenden Gebiete zugleich auch im Regenschatten. Daher denn in Gebirgen und Inseln der schroffe Unterschied einer feuchten, vom Regenwind bestrichenen und einer trockenen, ihm abgewendeten Seite.

Die Wirkungen des Wind- und Regenschattens sind nicht auf einzelne Landschaften beschränkt. Ganz Süd- und Ostafrika sind trocken durch die östlichen Randhöhen, die dem Südostpassat Feuchtigkeit entziehen. Da für ganz Indien der Südwestmonsun der wasserreichere ist, empfangen die Westghats die reichsten Niederschläge, ihr Hinterland gehört zu den trockenen Gebieten.

Bedeutsamste Wirkungen übten die Winde auf den Verkehr aus. Niemand zweifelt, daß der Nordostpassat die Entdeckung Amerikas erleichtert hat, so wie die Nordost- und Südwestmonsune des Indischen Ozeans den ersten Verkehr der Griechen mit Indien und die äußersten Ausläufer des Nordostpassats, die Etesien des Mittelmeeres, den inneren Verkehr im Mittelmeer selbst begünstigt haben.

 

Fassen wir Veränderungen der Bewohnbarkeit der Erde ins Auge, so sind jedenfalls in erster Reihe Klimaverschiebungen zu erblicken. Das Leben war nicht immer so weit aus den Polargebieten zurückgedrängt, es bildeten die Länder, wo dem Menschen eine bequeme Ausbreitung gestattet ist, nicht immer einen von großen Meeresausbreitungen durchbrochenen Streifen in den größten Erdkreisen, in welche also die weitesten Wanderungen fallen, sondern sie traten im Norden nahe zusammen.

 

In dem Einfluß des Klimas auf die früheste Entwicklung der Kultur sind von der größten Bedeutung die Naturbedingungen, welche die Ansammlung von Reichtum vermöge der Fruchtbarkeit des Bodens und der darauf verwandten Arbeit gestatten.

 

Die Alten hielten einen großen Teil der Erde für unbewohnt und unbewohnbar; die bewohnte Erde war ihnen nur ein kleiner Teil des Planeten. Diesen Teil nannten sie »Ökumene« .

War nun auch diese Vorstellung insofern unrichtig, als jene dem bewohnten Teil einen zu kleinen Raum anwiesen, so liegt doch in der Entgegensetzung einer bewohnten und unbewohnten Erde ein Gedanke von so großer Fruchtbarkeit, daß die irrtümliche Anwendung denselben nicht für immer wertlos zu machen vermag. Es ist dies vielmehr ein Grundgedanke, von welchem die Betrachtung der Verbreitung des Lebens, und nicht bloß des menschlichen, über die Erde jederzeit wird ausgehen müssen. Wenn auch der Mensch geistig die ganze Erde umfassen lernte und weit über ihre äußersten bewohnten Strecken hinausgeschweift ist, so bleibt doch zunächst die Erde, soweit sie innerhalb der Grenzen der Menschheit liegt, die, Erde des Anthropogeographen, und es ist eine wissenschaftliche Aufgabe, die man sich nicht bloß stellen kann, sondern die gelöst werden muß, den alten Begriff der Ökumene, der »bewohnten Erde« oder der Erde des Menschen besonders in die Diskussion anthropogeographischer Fragen einzuführen. Viel zu lange leidet unsere Vorstellung von dem Verhältnis der Menschheit zur Erde unter der unbescheidenen Annahme, daß der ganze Planet das Haus der Menschheit sei. Man überschätzt eine der wichtigsten natürlichen Bedingungen der Entwicklung der Menschheit, wenn man ihr die ganzen 509,93 Mill. qkm der Erdoberfläche als Wohnraum zuweist, wo sie doch nur über zwei Dritteile desselben sich wirklich verbreiten kann.

Wem aber die Menschen als eine durch Lebensfäden alter oder neuer, kriegerischer oder friedlicher, geistiger oder stofflicher Beziehungen verbundene Gemeinschaft erscheinen, der sieht in dem Raum, den diese Menschheit bewohnt, wie ungleich und lückenhaft sie über denselben hin zerstreut sei, den gemeinschaftlichen Schauplatz dessen, was Geschichte im höchsten und umfassendsten Sinne genannt werden kann. Meere, die je von Schiffen durchschnitten, Wüsten, die je von Karawanen durchschritten wurden, faßt er in den Grenzen der Menschheit mit ein, und wenn er die Ökumene als einen Gürtel bestimmt, welcher die heiße Zone und die größere Hälfte der beiden gemäßigten und dazu einen Teil der nördlichen kalten Zone umfaßt, und die Quadratkilometerzahl zu etwa 420 Millionen angibt, d.i. gegen fünf Sechstel der Erdoberfläche, so hat er das getan, was, erstaunlich ist es zu sagen, die historischen Geographen bis heute vermieden haben zu tun. Er hat den Boden abgesteckt und ausgemessen, auf welchem die Menschheitsgeschichte sich abspielt, und hat zugleich die geographische Form des belebten, über alle Lücken zusammenhängenden Ganzen gezeichnet, welches wir Menschheit nennen.

Zurückblickend finden wir die Lage und Ausdehnung der Ökumene in erster Linie bedingt durch die Verteilung des Landes über die Erdoberfläche. Der Mensch ist ein Landbewohner, das Wasser ist ihm ein fremdes Element, welches er nur zeitweilig zur Wohnstätte erkiest. Auf dem Lande wird er geboren, und wenn ihn irgendein starker Druck der Notwendigkeit auf das Wasser hinaustrieb, kehrt er jedenfalls zum Lande zurück in jener Zeit, in welcher die Menschen an ihre Gräber denken.

 

Mit Bezug auf die Massenbewegungen betrachtet, welche als eine allgemeine Eigenschaft der Völker aufzufassen sind, erscheint die Begrenzungslinie der Ökumene als die Schranke, welche von den wandernd sich drängenden Völkern nicht überschritten werden konnte, und bis zu welcher hin auch nur in Zeiten der Not und des Dranges Völkerwanderungen sich ausdehnen mochten.

 

In der Entwicklungsgeschichte der Ökumene nehmen zwei Völker des Stillen Ozeans eine hervorragende Stellung ein: die Polynesier und die Eskimo . Den Polynesiern fällt das größte Gebiet zu, welches irgendein Volk auf der Erde besitzt, fast ein Neuntel der Erdoberfläche. Die Eskimo aber sind dasjenige Volk, welches am weitesten an den Grenzen der Ökumene hin sich ausgebreitet hat. Die beiden sind die besten und unerschrockensten Schiffer unter den Naturvölkern und so, wie räumlich durch die Lage ihrer Wohnsitze im und am Stillen Ozean, auch in ihrem ethnographischen Besitze vielfach ähnlich. Es ist sehr merkwürdig, wie in den unsteten, weltwandernden, furchtlosen Eskimo ein zweites ozeanisches Volk, ein Spiegelbild der Polynesier unter minder glücklichem Himmel, aber sinnreich über das Maß ihrer drückenden Lebensbedingungen hinaus, erscheint, und wie das eine den Südrand, das anders den Nordrand der Ökumene in größerer Ausdehnung als irgendein anderes besetzt hat.

 

Columbus steht in den Ehrenhallen der europäischen Geschichte als der Entdecker Amerikas. Für die Geschichte der Menschheit ist er nur der erste, der in der Tropenzone von Osten her den Erdteil aufschloß und dadurch die Kluft des Atlantischen Ozeans in der Mitte überbrückte. Im Norden waren in gleicher Richtung die Normannen ein halbes Jahrtausend früher mit Erfolg vorangegangen, und daß phönizisch-karthagische Schiffe, die an der Westküste Afrikas wahrscheinlich bis zum Meerbusen von Guinea vordrangen, über den Ozean hin nach Westen verschlagen wurden, ist ebenso wahrscheinlich, wie auf der anderen Seite Amerikas das Verschlagenwerden japanischer Fahrzeuge und Mannschaften bis zur Mündung des Columbiastromes wohlverbürgte Tatsache ist.

Amerika zeigt zwei Völker- und Kulturschichten, eine ältere asiatischen und eine jüngere europäischen Ursprungs, jene erreichte diesen Erdteil über den Stillen, diese über den Atlantischen Ozean.

 

Kein größerer Teil der Menschheit ist ein räumlich zusammenhängendes Ganzes, kein Volk wohnt lückenlos über sein Land hin. Überall gibt es leere Stellen in der Ökumene – sei es Wasser, Wüste, Wald oder Gebirge.

Ländern, wie Persien, das zu mehr als der Hälfte Steppe und Wüste, Buchara, dessen Kulturland kaum ein Achtel des Areals beträgt, fehlte, wie sie sich auch ausbreiten mochten, stets der Rückhalt eines starken Bevölkerungskernes. Daher das Schwankende dieser Existenzen von so ungleichartigem Fundament: In Zeiten politischer Schwäche bieten die Steppen den Nomaden dieser Länder Rückzugs- und Ausfallsgebiete, in denen sie höchst gefährliche innere Feinde werden. Arabien ist noch entschiedener als Persien nur Oasenland, daher lagen stets die Schwerpunkte der politischen Gebilde, welche die Eroberung schuf, außerhalb der dünn und ungleich bevölkerten Halbinsel, wenn auch, vorsichtig gewählt, so nahe wie Kairo oder Bagdad.

Die Oasen sind im anthropogeographischen Sinne den Inseln zu vergleichen. Bewohnt oder doch bewohnbar mitten im Unbewohnten auftauchend, sind auch sie kleine Welten für sich, zur dichten Bewohntheit, statistischen Frühreife, selbst Übervölkerung, dann Auswanderung geneigt, noch mehr abgeschnitten von der übrigen Welt, solange keine Karawane, hier das Schiff vertretend, eine Verbindung mit den bewohnten Ufern, den Ländern am Rande der Wüste, knüpft. Die Schiffskurse sind die bestimmten Wege der Karawanen.

Der geschichtliche Charakter der Oasen-Länder liegt darin, daß die Natur weder dem Ackerbau noch dem Nomadismus das Übergewicht zugesprochen hat. Daher erfüllt der Kampf mit der Steppe und dem Nomadentum die Geschichte Irans und beschäftigt den Geist seiner Völker: Die ägyptische Religion ist auf die Natur des Nillandes, die persische auf den Anbau von Iran gegründet (Ranke). Die Ideen des Zend-Avesta erlangen etwas Autochthonisches, sie erscheinen naturgemäß in diesem aus Oasen und Wüsten bunt zusammengesetzten Lande.

 

In Küstentiefländern, wo Land und Meer sich ineinanderdrängen, nimmt das Streben nach Schutz und Landgewinn einen großen Teil der Kulturarbeit in Anspruch. Es ist ein unaufhörliches Ringen mit dem Meere, das ebenso erstaunlich durch seine Geduld – das ganze 15. Jahrhundert hat an dem 1492 fertiggestellten ersten 22 km langen Föhrer Deich gearbeitet – wie durch seine Kühnheit, und das eine ganze, höchst belebte Geschichte hat.

Die Beschränkung des Waldes, welche im Interesse der Kultur liegt, artet leicht in einen Vertilgungskrieg aus, dessen Ziel die Entwaldung, die Vernichtung des Waldwuchses ist. Die Landschaft ganzer Länder und der geschichtliche Boden ganzer Völker erfahren dadurch mächtige Umgestaltungen. Es schwinden mit dem Walde die ihm zugehörenden Funktionen des Schutzes und des aufgesammelten wirtschaftlichen Wertes. Mit der Entwaldung hat sich das Klima in vielen Gegenden der alten Kulturwelt verschlechtert, und ist der Bodenwert gesunken. In schneereichen Gebirgen wächst mit der Entwaldung die unmittelbare Bedrohung des Lebens durch Lawinenstürze und die Schädigung der Wohlfahrt durch Überschwemmungen und niedere Wasserstände. Es wird leicht vergessen, daß der Wald das Erzeugnis eines langen Wachstumsprozesses ist, welcher Jahrhunderte brauchte, um die Holzmassen und den Humusboden zu schaffen, nach deren Zerstörung erst wieder in entsprechend langen Zeiträumen der Boden denselben Wert erlangen kann, wenn er nicht durch Freilegung und Abschwemmung überhaupt unfähig gemacht ward, sich wieder mit Wald zu bedecken.

Nordamerika ist das in Kultur und Entwaldung raschest fortschreitende Land der Erde. Die Kehrseite der so viel bewunderten, großen Kulturfortschritte ist die Waldvernichtung im Maßstäbe von 2 bis 3 % jährlich, wie sie in Ohio in den Jahren vor 1880 festgestellt wurde.

Ganz anders noch wirkt die Waldverwüstung in den Steppen, wo der Wald klein und ohnehin klimatisch bedroht, und wo sie eine notwendige Folge des Steppenlebens ist, als im Urwald. Hier ist der Wald der mächtigere und dort der Mensch. Das Klima, die Sorglosigkeit der Nomaden in der Verwertung der Naturschätze, die natürliche Armut des Baumwuchses: alles das wirkt zusammen, um die Nomaden als ein höchst wirksames Werkzeug in der Entwaldung der Steppe erscheinen zu lassen, die wohl nicht immer diese völlig ungebrochenen Wiesenflächen bot wie heute. Nun ist auf weite Strecken hin der Argal das einzige Brennmaterial, und wenn vielleicht der primitive Mongole, der nichts anderes kennt, an diesem festhält, so wütet der halbzivilisierte Nomade um so unbarmherziger in den Waldungen.

In Bestand und Fehlen zeigt der Wald die heilsame Bedeutung der leeren Stellen in der Ökumene, die dem Menschen ein Verhältnis zur Natur erhalten. Er durchzieht unsere Kulturländer mit einem Quellgeäder, welches Luft, Licht und die nie veraltenden Naturgenüsse durch den Körper der Völker leitet. Aus dem Wald ergießt sich ein Strom von Poesie durch Kunst und Dichtung, er wird immer für sinnige Gemüter in irgendeinem kühlen Grunde die »blaue Blume« bergen. Es ist bezeichnend, wie von allen Seiten her die Erholungsstätten der abgearbeiteten Städter sich in ihn hinein erstrecken oder an ihn sich anlehnen. Er ist nicht bloß ein Stück Natur, sondern auch ein Stück Urzeit; in ihm liegt eine Verbindung mit unserer Vergangenheit.


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